Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 223/97, Beschluss v. 22.10.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 5. November 1996 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen progressiver Kundenwerbung und wegen Umsatzsteuerhinterziehung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Zu Recht rügt der Beschwerdeführer, die Richterbank sei auf Seiten der mitwirkenden Schöffen G. und L. nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Die nicht präkludierte Besetzungsrüge ist begründet.
1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt dem zugrunde: Der erkennenden zuständigen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Verden war im Jahr 1996 als regelmäßiger Sitzungstag jeweils der Freitag einer jeden Woche zugewiesen. Mit Terminsverfügung vom 11. Juli 1996 bestimmte der Vorsitzende der Strafkammer den Beginn der Hauptverhandlung in dieser Sache auf Montag, den 19. August 1996; er verlegte zugleich den ordentlichen Sitzungstag der Strafkammer in dieser Woche von Freitag, dem 23. August 1996, vor, für den als Schöffen G. und L. durch Auslosung bestimmt waren. Weitere Sitzungstage waren bis zum 4. Dezember 1996 vorgesehen; Freitag, der 23. August 1996 blieb unbesetzt. Für den vorangegangenen ordentlichen Sitzungstag, Freitag, den 16. August 1996, für den als Schöffen S. und Lo. durch Auslosung bestimmt waren, war weder eine andere Sache terminiert noch war eine Belegung dieses Sitzungstages mit einer anderen Sache vorgesehen; auch dieser Tag blieb unbesetzt.
Mit Zustellung der Terminsverfügung teilte der Vorsitzende die vorgesehene Besetzung der Strafkammer für den 19. August 1996 mit. Mit Schriftsatz vom 9. August 1996 erhob der Verteidiger des Beschwerdeführers den Besetzungseinwand; er trug vor, daß die Schöffen S. und Lo. statt der herangezogenen Schöffen G. und L. die gesetzlichen Richter seien. Diesen Besetzungseinwand wies die erkennende Strafkammer zu Beginn der Hauptverhandlung durch Beschluß vom 19. August 1996 als unbegründet zurück. Es handele sich um einen vorverlegten Sitzungstag, durch den die Zusammensetzung des Gerichts nicht berührt werde. Der unbesetzte ordentliche Sitzungstag am Freitag, dem 16. August 1996, sei ausgefallen, folglich müßten die Schöffen für diesen Tag übersprungen werden. Die Hauptverhandlung wurde sodann mit der vorgesehenen Besetzung der Strafkammer bis zum 5. November 1996 durchgeführt.
2. Dieses Vorgehen hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Richterbank war mit den herangezogenen Schöffen nicht ordnungsgemäß besetzt, der gesetzliche Richter damit nicht gewahrt.
a) Zwar kann der Vorsitzende einer Strafkammer bei der Terminierung im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens ordentliche Sitzungstage nach vorne oder hinten verlegen; bei einem solchen Vorgehen bleibt die Besetzung der Richterbank unverändert, weil die für den verlegten Sitzungstag nach § 45 GVG ausgelosten Schöffen heranzuziehen sind (BGHSt 41, 175, 177 m.w.N.). Allerdings ist der Vorsitzende einer Strafkammer nicht frei in der Entscheidung, welchen Sitzungstag er - nach vorne oder hinten - verlegt und welche Schöffen damit für eine Sache als gesetzliche Richter zuständig werden. Wie der Senat in seiner Entscheidung BGHSt 41, 175 ausgeführt hat, ist vielmehr stets maßgeblich für die Schöffenbesetzung der zeitnächste freie Sitzungstag in dem Sitzungszeitraum, in dem die Hauptverhandlung beginnen soll. Liegt der verlegte Sitzungstag genau zwischen zwei freien, von der Strafkammer für einen Verhandlungsbeginn nicht benötigten Sitzungstagen, so wird regelmäßig der frühere ordentliche Sitzungstag die Schöffenbesetzung zu bestimmen haben; insoweit handelt es sich um einen nach hinten verlegten Sitzungstag. Eine Vor- oder Nachverlegung ist dabei nur in engen Grenzen möglich. Eine Verlegung über den unmittelbar zeitlich vorangehenden Sitzungstag einerseits und den unmittelbar zeitlich nachfolgenden Sitzungstag andererseits hinaus gilt nicht mehr als vom pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden gedeckt.
Für die Beurteilung, ob ein zeitnaher freier Sitzungstag zur Verfügung steht, kommt es allein auf die Geschäftslage der Strafkammer zum Zeitpunkt der Terminierung an; stellt sich später heraus, daß die vom Vorsitzenden zugrunde gelegten Voraussetzungen nachträglich nicht mehr zutreffen, beispielsweise weil eine bei Terminierung noch vorgesehene weitere Sitzung an einem zeitnäheren ordentlichen Sitzungstag wieder abgesetzt wird, so bleibt es bei der Schöffenbesetzung, die zum Zeitpunkt der Terminierung maßgeblich war (vgl. BGHSt 41, 175, 177 f.).
b) Für den hier zu entscheidenden Sachverhalt ergibt sich daraus folgendes:
Der dem Beginn der Hauptverhandlung am 19. August 1996 zeitnächste freie Sitzungstag der Strafkammer war Freitag, der 16. August 1996. Für diesen Tag waren die Schöffen S. und Lo. ausgelost. Eine andere Sache war vom Vorsitzenden für diesen Tag weder zu irgendeinem Zeitpunkt angesetzt noch war eine solche vorgesehen, wie sich aus einer Stellungnahme des Vorsitzenden gegenüber dem Generalbundesanwalt ergibt. Damit war für den vorgesehenen Beginn der Hauptverhandlung in dieser Sache am Montag, dem 19. August 1996, die ausgeloste Schöffenbesetzung für den Sitzungstag vom 16. August 1996 vorrangig; dieser Sitzungstag hätte nach hinten verlegt werden müssen. Eine Vorverlegung des ordentlichen Sitzungstages vom Freitag, dem 23. August 1996, kam bei dieser Sachlage nicht in Betracht, die Schöffen dieses Sitzungstages waren nicht die gesetzlichen Richter (§ 338 Nr. 1 StPO).
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
1. Für den Fall, daß der neue Tatrichter Feststellungen treffen sollte, die mit denen des angefochtenen Urteils übereinstimmen, hätte sich der Angeklagte nach § 6c UWG strafbar gemacht.
a) Der Angeklagte führte eine als "Unternehmer-Spiel LIFE" bezeichnete Veranstaltung durch; dabei handelte es sich um ein Pyramidensystem, nicht um ein Spiel im Sinne des § 762 BGB, das wie folgt ausgestaltet war: Das Mitgliedschaftsrecht erwarb, wer an den Angeklagten, der an der Spitze der Pyramide stand, 6500 DM bezahlte. Die Mitgliedschaft gewährte dem Teilnehmer das Recht, weitere Mitglieder anzuwerben. Als Gegenleistung für die Mitgliederwerbung erwuchs dem Werber ein Anspruch auf eine "Werbeprämie oder Provision" in Höhe von 2500 DM gegen den Angeklagten. In entsprechend abgestufter Weise profitierten die höher stehenden Mitglieder durch Folgeprovisionen an der (mittelbaren) Mitgliederwerbung in ihrem "Stamm".
Ferner war das Mitglied berechtigt, an vom Angeklagten durchgeführten "Schulungsveranstaltungen" teilzunehmen, mit denen es in die Lage versetzt werden sollte, neue Mitglieder zu werben.
b) Nach § 6c UWG ist strafbar, wer es im geschäftlichen Verkehr selbst oder durch andere unternimmt, Nichtkaufleute zur Abnahme von Waren, gewerblichen Leistungen oder Rechten durch das Versprechen zu veranlassen, ihnen besondere Vorteile für den Fall zu gewähren, daß sie andere zum Abschluß gleichartiger Geschäfte veranlassen, denen ihrerseits nach der Art dieser Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Teilnehmer gewährt werden sollen. Die Veranstaltung des Systems "LIFE" erfüllt - nach den bisherigen Feststellungen - die Tatbestandsmerkmale der progressiven Kundenwerbung nach § 6c UWG:
aa) Die Veranstaltung eines derartigen gesteuerten Systems stellt ein Tätigwerden im "geschäftlichen Verkehr" dar (anders beim "Selbstläufersystem", vgl. BGHSt 34, 171, 179). Darunter ist jede selbständige, wirtschaftliche Zwecke verfolgende Tätigkeit zu verstehen, in der eine Teilnahme am Erwerbsleben zum Ausdruck kommt (BGH wistra 1994, 24).
bb) Nach dem System werden Nichtkaufleute zur Abnahme von "gewerblichen Leistungen oder Rechten" veranlaßt. Darunter sind alle vermögenswerten Gegenstände, die wirtschaftlich verwertbar sind, insbesondere auch Mitgliedschaftsrechte zu verstehen (Fuhrmann in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 6c UWG Rdn. 10). Das Mitgliedschaftsrecht ist vorliegend als Recht im Sinne des § 6c UWG anzusehen, weil es dem Mitglied generell Aussicht auf Gewinn eröffnet. Hier kommt der Anspruch des Teilnehmers auf Dienstleistungen organisatorischer Art hinzu, die zur Aufrechterhaltung des gesteuerten Systems notwendig sind, etwa die Besorgung des Kassen- und Rechnungswesens.
cc) Für den Fall der Mitgliederanwerbung werden dem werbenden Teilnehmer beziehungsweise dessen übergeordneten Werbern auch besondere Vorteile im Sinne von § 6c UWG gewährt. Darunter sind solche Vorteile zu verstehen, die nach ihrer Beeinflussungswirkung geeignet sind, die typische Dynamik eines Systems der progressiven Kundenwerbung in Gang zu setzen (vgl. BT-Drucks 10/5058 S. 39). Der hier gewährte besondere Vorteil besteht in dem tätigkeits- und erfolgsbedingten Anspruch auf Zahlung von Provision beziehungsweise Folgeprovision, der sich vom bloßen Mitgliedschaftsrecht und der darin begründeten Anwartschaft auf Provisionen unterscheidet: Gegenstand der Abnahme ist das Mitgliedschaftsrecht in der Organisation des Angeklagten und die sich daraus ergebenden Ansprüche auf Erbringung bestimmter gewerblicher Leistungen; versprochener Vorteil hingegen ist eine "Werbeprämie oder Provision", die den entscheidenden Anreiz für den Erwerb des angebotenen Mitgliedschaftsrechts darstellt (ebenso BFH, Beschluß vom 28. Juni 1996 - X B 15/96 - und OLG Bamberg wistra 1997, 114 jeweils zum "Unternehmer-Spiel LIFE").
dd) § 6c UWG setzt im übrigen nicht voraus, daß der Vorteil aus dem Vermögen des Veranstalters erbracht wird (Fuhrmann aaO Rdn. 13; OLG Stuttgart wistra 1991, 234). Das Versprechen eines besonderen Vorteils erschöpft sich in der Zusage, daß ein solcher künftig gewährt werde.
ee) § 6c UWG setzt ferner nicht voraus, daß der besondere Vorteil vom Täter selbst gewährt wird (vgl. BayObLG wistra 1990, 240 und OLG Stuttgart aaO zu einem abweichenden System). Der Begriff des Gewährens setzt auch nach der allgemeinen juristischen Terminologie nicht voraus, daß der Vorteil von dem Täter einem anderen tatsächlich zugewendet wird. Bei der Vorteilsgewährung nach § 333 StGB ist nicht erforderlich, daß der Täter mit dem Amtsträger in unmittelbare Verbindung tritt; das Gewähren kann sich auch über eine Mittelsperson vollziehen (Cramer in Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., § 333 Rdn. 9). Im Hinblick darauf und in Anbetracht der Motive des Gesetzgebers, die dahin gehen, die Absatzförderung durch die Verwendung eines progressiven Absatzsystems mit progressiv unsicherer werdenden und damit gefährlichen und glücksspielartig wirkenden Werbevorteilen unter Strafe zu stellen (BT-Drucks 10/5058 S. 38), ergibt sich nicht, daß der Täter nach § 6c UWG zu versprechen hätte, selbst besondere Vorteile zu gewähren.
2. Zur Hinterziehung von Umsatzsteuern in den Monaten Januar bis Juli 1993 merkt der Senat weiterhin vorsorglich an:
Die Abgabe falscher monatlicher Umsatzsteuervoranmeldungen führt zu einer Steuerverkürzung auf Zeit, bei der sich der tatbestandsmäßige Umfang aus den Hinterziehungszinsen errechnet; erst die Abgabe der falschen Jahreserklärung bewirkt die endgültige Steuerverkürzung, das heißt auf Dauer. Dies gilt auch, wenn nach unterlassenen oder nach unrichtigen Voranmeldungen keine Jahreserklärung abgegeben wird (std. Rspr., vgl. dazu im einzelnen: BGHSt 38, 165; BGH wistra 1996, 105; 1997, 262). Diese Grundsätze finden auch dann Anwendung, wenn es - wie hier - infolge der Einleitung eines steuerlichen Ermittlungsverfahrens vor Ablauf der nach den Steuergesetzen für Jahreserklärungen vorgesehenen Frist nicht mehr zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung kommt. Beabsichtigt der Täter in diesem Fall allerdings von Anfang an, keine zutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, sind seine Hinterziehungshandlungen durch die monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen vielmehr darauf angelegt, die zunächst bewirkte Hinterziehung auf Zeit später in eine solche auf Dauer übergehen zu lassen, so ist der gesamte jeweils monatlich erlangte Vorteil als vom Vorsatz umfaßtes Handlungsziel bei der Strafzumessung erschwerend zu berücksichtigen und in die Gesamtabwägung einzustellen.
Externe Fundstellen: BGHSt 43, 270; NJW 1998, 390; NStZ 1998, 90; StV 1998, 4
Bearbeiter: Rocco Beck