Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 91/94, Beschluss v. 23.03.1994, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 2. November 1993 nach § 349 Abs. 4 StPO im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in zwei Fällen, des Betruges, der Urkundefälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug und der Steuerhinterziehung in zwei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in drei Fällen sowie wegen Betruges, Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug und Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Sein Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg. Es führt lediglich zur Änderung des Schuldspruchs im Fall B II 3 der Urteilsgründe, soweit das Landgericht den Sachverhalt als Betrug nach § 263 StGB und nicht als Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO angesehen hat.
1. Nach den Feststellungen reichte der Angeklagte im Februar 1992 für die Firma S. Patent- und Planungstechnik, L., beim Finanzamt eine Umsatzsteuervoranmeldung ein, in der er angebliche Umsätze im vierten Quartal 1991 anmeldete und Vorsteuern geltend machte, so daß sich ein Erstattungsanspruch von rund 85.137,-- DM errechnete. Tatsächlich existierte eine solche Firma zu keinem Zeitpunkt. Der Angeklagte hatte sich vielmehr des Namens seines Schwiegervaters ohne dessen Kenntnis und Billigung bedient, um unter dem angegebenen Firmennamen mehrere Bankkredite zu erlangen. Zu diesem Zweck hatte er auf der Grundlage umfangreicher gefälschter Geschäftsunterlagen von einem Steuerberaterbüro eine Buchhaltung, Jahresabschlüsse und eine Zwischenbilanz sowie eine Umsatzsteuervoranmeldung IV/1991 erstellen lassen; diese unterzeichnete er sodann mit dem Namen "S." und gab sie beim Finanzamt ab. Aufgrund der falschen Umsatzsteuervoranmeldung erstattete das Finanzamt L. der angeblichen Firma S. Vorsteuern in Höhe von 85.137,-- DM, die dem Geschäftskonto gutgeschrieben wurden.
2. Dieser Sachverhalt stellt sich entgegen der rechtlichen Beurteilung durch das Landgericht nicht als Betrug, sondern als Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar.
a) Wie der Bundesgerichtshof in der Entscheidung BGHSt 36, 100 bereits im einzelnen dargelegt hat, liegt ein Fall der Steuerhinterziehung jedenfalls dann vor, wenn ein tatsächlich existierender Unternehmer gegenüber der Finanzbehörde steuerlich erhebliche Tatsachen vortäuscht, die zu einer Vorsteuererstattung führen sollen, obwohl der Unternehmer keine Umsätze getätigt hat und der steuerliche Vorgang insgesamt erfunden ist (vgl. ebenso für das Ertragsteuerrecht BGHR AO § 370 I Konkurrenzen 7 = BGH wistra 1990, 58). Für die Abgrenzung zwischen Betrug und Steuerhinterziehung käme es bei der vorgenommenen Einschränkung darauf an, ob das Unternehmen zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit Umsätze bewirkt hat, selbst wenn zwischen dem letzten tatsächlichen Umsatz und dem späteren vorgetäuschten Umsatz ein längerer Zeitraum liegt (vgl. BGHSt 36, 100). Es kann dahinstehen, inwieweit dem eher zufälligen Umstand, ob der Steuerpflichtige schon einmal unternehmerisch im Sinne von § 2 UStG tätig war, eine so entscheidende Rolle zukommt und ob angesichts des weit gefaßten Unternehmerbegriffs des Umsatzsteuerrechts die "tatsächliche Existenz" eines Unternehmens überhaupt ein taugliches Abgrenzungskriterium sein kann. Denn an den die Entscheidung tragenden Erwägungen, mit denen der seinerzeit für Steuer- und Zollstrafsachen zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes die bis dahin vorherrschende Auffassung aufgegeben hat, fingierte Steuervorgänge zum Zwecke der Täuschung seien stets dem Tatbestand des § 263 StGB zuzuordnen, hält der Senat fest.
b) Die dabei bislang offen gebliebene Frage, ob Fälle der hier vorliegenden Art, in denen die Existenz eines Unternehmens nur vorgetäuscht wird, für das sodann ohne Bezug auf reale Vorgänge fingierte Umsätze angemeldet und Vorsteuererstattungen begehrt werden, wie bisher als Betrug nach § 263 StGB (BGH NJW 1972, 1287; BGH wistra 1986, 172; vgl. auch BGHR AO § 370 I Konkurrenzen 2) oder als Steuerhinterziehung nach § 370 AO zu beurteilen sind, ist in Fortführung von BGHSt 36, 100 zugunsten der Anwendung des § 370 AO zu beantworten.
Die dort tragenden Gründe gelten auch hier:
Die bisherige Rechtsprechung verneinte die Anwendung des § 370 AO, weil bei fingierten Vorgängen das Vermögen des Staates, nicht jedoch der Steueranspruch verletzt oder gefährdet werde; es fehle an einem wirklichen Steuervorgang (vgl. BGH wistra 1986, 172 m. w. N.). Dem stehen jedoch folgende Erwägungen entgegen:
aa) § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO knüpft für die Tatbestandsverwirklichung an die Täuschung der Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen an, durch die Steuern verkürzt oder andere nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden. Steuervorteile in diesem Sinne sind nach § 370 Abs. 4 Satz 2 AO auch Steuervergütungen, die aufgrund eines steuerrechtlich erheblichen Verhaltens dem Täter von der Finanzverwaltung zu Unrecht gewährt oder belassen werden.
Nach ständiger Rechtsprechung schützt § 370 AO den Anspruch des Steuergläubigers auf den vollen Ertrag jeder einzelnen Steuer (BGHSt 36, 100, 102 m. w. N.). Dieser wird jedoch infolge der verfahrensrechtlichen Unselbständigkeit der Vorsteuer im Verhältnis zum Anspruch des Staates auf die Umsatzsteuer unabhängig davon betroffen und beeinträchtigt, ob einer geltend gemachten Vergütung ein gegenüber dem Rechnungsempfänger tatsächlich bewirkter Umsatz zugrunde liegt oder ob die Vorsteuererstattung aufgrund einer Täuschung der Finanzbehörde ohne Umsatz erfolgt. Demnach kann es für das Schutzgut des § 370 AO allgemein nicht auf den behaupteten Steuervorgang und seine Existenz ankommen, sondern nur darauf, ob ein Steuervorteil von den Finanzbehörden zu Unrecht gewährt worden ist. Dies wird für das Umsatzsteuerrecht besonders deutlich, wenn man berücksichtigt, daß § 14 Abs. 3 UStG auch an Scheinrechnungen, denen keine tatsächlich bewirkten Umsätze zugrunde liegen, eine Umsatzsteuerpflicht knüpft und unabhängig von der Unternehmereigenschaft nach § 2 UStG auch Nichtunternehmer als Schuldner der ausgewiesenen Steuerbeträge erfaßt, weil Scheinrechnungen dieser Art in der Regel auch zur Geltendmachung von nicht bestehenden Vorsteuererstattungsansprüchen verwendet werden. Auch insoweit wird folglich der "Steuervorgang" steuerrechtlich nicht in der Bewirkung tatsächlicher Umsätze gesehen, sondern in der für den Ertrag des Steuergläubigers gefährdenden Handlung gegenüber der Finanzverwaltung (vgl. Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuer, § 14 Rdn. 137 ff.).
bb) Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 AO gehören u. a. Steuervergütungsansprüche sowie die Erstattungsansprüche, die sich aus der ohne rechtlichen Grund gewährten Steuervergütung ergeben (§ 37 Abs. 2 AO). Diese Ansprüche entstehen nach § 38 AO, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Sowohl die Geltendmachung der (angeblichen) Vorsteuer nach §§ 167, 168 AO als auch deren Erstattung nach § 218 AO richten sich - ebenso wie die Rückforderung der zu Unrecht gewährten Beträge - im Rahmen eines Steuerschuldverhältnisses nach steuerrechtlichen Grundsätzen, ohne daß es im einzelnen darauf ankommt, welche tatsächlichen Verhältnisse zugrunde liegen. Leistungen aufgrund fingierter Ansprüche werden steuerrechtlich ebenso behandelt wie solche, die aus anderen Gründen zurückzufordern sind.
cc) Der Bundesgerichtshof hat deshalb bereits in der Entscheidung BGHSt 36, 100 darauf hingewiesen, daß angesichts der Verankerung dieser Gesamtvorgänge im Steuerrecht es für die strafrechtliche Zuordnung einzelner Vorgänge nicht entscheidend sein kann, ob der gesamte oder - bis auf einen geringen Teil - nahezu der gesamte Steuervorgang erfunden wird (aaO S. 103), zumal die wirtschaftlich zugrunde liegenden Sachverhalte häufig durch Zufall oder aus Gründen der besseren Täuschung auch Elemente tatsächlich durchgeführter geschäftlicher Vorgänge enthalten, ohne daß diese den Finanzbehörden bekannt werden müssen.
Es kann daher für die Frage, ob eine Täuschung der Finanzbehörden den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, nach dem Gesamtzusammenhang, in dem § 370 AO zu sehen ist, nur entscheidend darauf ankommen, ob der vom Täter erstrebte Vorteil ausschließlich auf steuerrechtlichen Regelungen beruht, unabhängig davon in welchem Umfang dem Vorteil erfundene Vorgänge zugrunde liegen (ebenso: Samson in Franzen/Gast/Samson, Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 1985 § 370 Rdn. 61 f.; Würthwein wistra 1986, 258; Müller NJW 1977, 746.).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, so daß der Schuldspruch im Fall B II 3 der Urteilsgründe entsprechend zu ändern war. § 265 StPO steht dem nicht entgegen; der geständige Angeklagte hätte sich nicht anders, als geschehen, verteidigen können.
Der Strafausspruch wird von der Schuldspruchänderung nicht berührt. Das Landgericht ist vom Normalstrafrahmen des § 263 StGB ausgegangen. Es kann ausgeschlossen werden, daß bei rechtlicher Würdigung der Tat als Steuerhinterziehung nach § 370 AO angesichts des gleichen Strafrahmens eine andere als die verhängte Einzelstrafe von sechs Monaten gefunden worden wäre.
Externe Fundstellen: BGHSt 40, 109; NJW 1994, 2302; NStZ 1994, 397; StV 1994, 375
Bearbeiter: Rocco Beck