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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 210/94, Urteil v. 14.12.1994, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 210/94 - Urteil vom 14. Dezember 1994 (LG Köln)

BGHSt 40, 378; Strafbarkeit des ungenehmigten Verbringens von Waren in die frühere DDR; Begriff der Zeitgesetze (lange Geltungsdauer).

Art. 8 MRG, § 2 Abs. 4 StGB

Leitsätze

1. Art. 8 MRG Nr. 53 hatte seit der Beschränkung des Geltungsbereichs auf den innerdeutschen Handel im Jahre 1961 die Rechtsnatur eines Zeitgesetzes i.S.d. § 2 Abs. 4 StGB. Strafbarkeit ist nicht mehr gegeben, wenn ein vergleichbarer Sachverhalt bei Anwendung des Außenwirtschaftsgesetzes nicht unter Straf- oder Bußgelddrohung verboten wäre. (BGHSt)

2. Gesetze, die im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB nur für eine bestimmte Zeit gelten sollen, sind nach der Rechtsprechung nicht allein kalendermäßig befristete Gesetze. Im weiteren Sinne sind Zeitgesetze auch solche, mit denen der Gesetzgeber keine ihrer Natur nach auf Dauer angelegte Regelung treffen, sondern wechselnden Verhältnissen und Zeitnotwendigkeiten überwiegend nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit mit Bestimmungen, die erkennbar Übergangscharakter haben, gerecht werden will (BGHSt 18, 12, 14; BGH NJW 1952, 72). Ein Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Zeitgesetzes kann darin liegen, daß das Gesetz verschiedenen Wandlungen unterworfen worden ist, die alle das Ziel hatten, es den wechselnden Verhältnissen anzupassen (BGHSt 20, 177, 183). (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 19. November 1993 wird verworfen. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen fortgesetzten "ungenehmigten Verbringens von Waren in die frühere DDR", d.h. wegen eines Vergehens nach Art. VIII des Militärregierungs-Gesetzes Nr. 53, sowie wegen fortgesetzter Steuerhinterziehung verurteilt. Es hat für die beiden Taten jeweils eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und als Gesamtstrafe eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt; die Gesamtstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat das Landgericht den Verfall von 150.000 DM angeordnet.

Die Angeklagte hat die Revision auf die Verurteilung wegen eines Vergehens nach dem Militärregierungs-Gesetz Nr. 53 beschränkt. Sie beanstandet die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

A.

I. Die Angeklagte ist Inhaberin der Firma M. in W. bei Köln. Von dieser Firma wurde Reinstsilizium, das u.a. für den Bau von Computeranlagen verwendet wird, bei der W. GmbH in Burghausen (Bayern) erworben und in die DDR verkauft sowie geliefert; Käuferin und Empfängerin der Lieferungen war die Firma ELEI in Ostberlin. Dieser Handel ist Gegenstand der Aburteilung, soweit er sich auf Reinstsilizium bezog, das die Firma M. vom Januar 1986 bis zum April 1989 von der W. GmbH gekauft hatte. Insoweit hat die W. GmbH der Firma M. mit 96 Rechnungen einen Betrag von insgesamt 13,5 Millionen DM in Rechnung gestellt. Das Reinstsilizium wurde zu 80 % mit kleinen Fahrzeugen aus dem damaligen Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in die DDR gebracht. Mit dem Rest der Lieferungen (20 %) wurde wie folgt verfahren: Das Reinstsilizium wurde zunächst in die Niederlande an die Firma B. in Boxtel geliefert; Prokurist dieser niederländischen Firma war der Ehemann der Angeklagten. Die niederländische Firma verbrachte die Ware in die DDR. In der Buchführung der Firma M. wurde als angeblicher Käufer und Empfänger des Reinstsiliziums ein fingierter "S., Düsseldorf" angegeben, dem nach der Buchführung ein Kaufpreis abverlangt wurde, der nur um 2 % bis 5 % über dem an die W. GmbH bezahlten Einkaufspreis lag. Tatsächlich hat die Firma M. das Reinstsilizium mit einem weitaus höheren Preisaufschlag an die Firma ELEI in Ostberlin verkauft. Die Unterlagen über die Geschäftsbeziehungen zu der Berliner Firma wurden nicht zu den Geschäftsunterlagen, auch nicht zur Buchführung der Firma M., genommen. Die Firma M. hat keine Genehmigungen für Lieferungen von Reinstsilizium in die DDR beantragt. Reinstsilizium war aufgrund des sogenannten COCOM-Abkommens Embargoware; die Bundesregierung hätte für die Lieferung von Reinstsilizium in die frühere DDR nicht die erforderliche Zustimmung der an dem COCOM-Abkommen beteiligten Partner erhalten. Der Tatrichter hat ausgeführt, daß "eine Gefährdung der Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik durch die Lieferung des Reinstsiliziums... nicht feststellbar war" (UA S. 32).

II. Die in der Zeit von Januar 1986 bis April 1989 von der ELEI laufend an die Firma M. gezahlten Entgelte für das Silizium sind in die Umsatzsteuererklärungen der Firma M. aufgenommen worden. Anders verhält es sich mit weiteren Zahlungen, die die ELEI aufgrund älterer Vereinbarungen im Jahre 1989 der Firma M. geleistet hat. Diese Zahlungen, die als zusätzliches Entgelt für die zuvor erbrachten Lieferungen verstanden wurden, sind nicht versteuert worden. Insoweit ist die Angeklagte wegen Umsatzsteuerhinterziehung in Höhe von insgesamt 778.529,31 DM verurteilt worden. Das Finanzamt hat im Anschluß an eine "tatsächliche Verständigung" vom 22. Oktober 1993 von den Eheleuten M. insgesamt 5,9 Millionen DM erhalten, wovon ein Teilbetrag von ungefähr 1 Million DM aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen sowie im Zusammenhang mit freigewordenen Haftsicherheiten eingegangen ist.

B.

I. Die Verurteilung wegen "ungenehmigten Verbringens von Waren in die frühere DDR" läßt keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler erkennen.

Der Tatrichter stützt diese Verurteilung auf Art. VIII Abs. 1 Buchst. d sowie Abs. 2 des Gesetzes Nr. 53 (Neufassung) vom 19. September 1949 (BAnz. Nr. 2 vom 27. September 1949).

Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, mit der Herstellung der deutschen Einheit sei die Grundlage dieser Verurteilung weggefallen; auch ohne förmliche Aufhebung des Militärregierungs-Gesetzes Nr. 53 müsse im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB von einer Gesetzesänderung ausgegangen werden, die die Strafbarkeit beseitigt habe und deshalb nach § 2 Abs. 3 StGB die Bestrafung zurückliegender Verstöße gegen das Militärregierungs-Gesetz Nr. 53 ausschließe. Dem folgt der Senat nicht.

1. Das Gesetz Nr. 53 ist unter der Bezeichnung "Devisenbewirtschaftung und Kontrolle des Güterverkehrs" von der amerikanischen und britischen Militärregierung erlassen worden (Amtsbl. der Militärregierung - amerikanisches Kontrollgebiet - Ausgabe O vom 21. September 1949; Amtsbl. der Militärregierung - britisches Kontrollgebiet - Nr. 39 vom 8. Oktober 1949 Teil 5 B). Mit dem Gesetz stimmt die in der französischen Besatzungszone getroffene Regelung (VO Nr. 235 - Amtsbl. des französischen Oberkommandos in Deutschland Nr. 305 vom 30. September 1949, S. 2155 -) überein; die in den drei westlichen Sektoren Berlins am 15. Juli 1950 erlassene VO Nr. 500 (Amtsbl. der Alliierten Kommandantura S. 51) enthält ähnliche Vorschriften. Durch Art. I des Gesetzes Nr. 53 wurden vorbehaltlich einer Ermächtigung durch die Militärregierung oder eine von ihr bestimmte Stelle u.a. "alle Geschäfte" über Vermögenswerte mit Personen außerhalb des "Gebiets" verboten (Abs. 1 Buchst. d); Art. I Abs. 2 schrieb vor, daß Vermögenswerte nur mit Ermächtigung der Militärregierung oder einer von ihr bestimmten Stelle aus dem "Gebiet" verbracht werden durften. Die übrigen Bestimmungen des Art. I sehen weitere Verbote vor, während durch Art. II im Hinblick auf "Devisenwerte" Melde- und Ablieferungspflichten begründet wurden. Als "Gebiet" wurde nach Art. X Abs. 6 Buchst. g des Gesetzes das Gebiet der damaligen westlichen Besatzungszonen Deutschlands verstanden. Art. VIII Abs. 1 des Gesetzes Nr. 53 bedrohte den Verstoß gegen Bestimmungen dieses Gesetzes oder gegen Durchführungsbestimmungen mit Strafe. Das Gesetz Nr. 33 der Alliierten Hohen Kommission vom 2. August 1950 (Amtsbl. der AHK S. 514) bestimmte ergänzend in Art. V Abs. 2 Buchst. b, daß § 6 des Wirtschaftsstrafgesetzes vom 26. Juli 1949 (übereinstimmend damit § 6 des Wirtschaftsstrafgesetzes vom 25. März 1952, BGBl. I S. 190) im Hinblick auf die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten anzuwenden sei; in § 20 des Wirtschaftsstrafgesetzes 1954 vom 9. Juli 1954 (BGBl. I S. 175) bestätigte der Bundesgesetzgeber, daß das Wirtschaftsstrafgesetz 1952 im Rahmen der Verweisung durch das Gesetz Nr. 33 weitergelte. Nachdem das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) vom 28. April 1961 (BGBl. I S. 481) am 1. September 1961 in Kraft getreten war, waren das Gesetz Nr. 53 mit seinen Durchführungsbestimmungen und das Gesetz Nr. 33 nicht mehr auf den Außenwirtschaftsverkehr anzuwenden (§ 47 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 AWG). Diese Gesetze betrafen fortan nur noch den Wirtschaftsverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem sowjetischen Besatzungsgebiet einschließlich des Ostsektors von Berlin (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 AWG - ursprüngliche Fassung - i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 AWG). Für den Interzonenhandel (innerdeutschen Handel) ist es bis zur Tatzeit bei dieser Rechtslage verblieben (vgl. auch BGHSt 31, 323, 332 ff.; BVerfGE 18, 353, 355 ff.; 61, 169, 181 ff. sowie Art. 320 EGStGB).

2. Mit der Herstellung der deutschen Einheit haben die Verbote und Gebote nach den Artikeln I und II des Gesetzes Nr. 53 ihre weitere Geltung verloren. Ein Verstoß gegen diese Verbote und Gebote und eine daran anknüpfende Strafbarkeit nach Art. VIII des Gesetzes sind seit dem 3. Oktober 1990 nicht mehr denkbar. Insofern ist das Gesetz Nr. 53 nicht mehr geltendes Recht (a.A. KG NStZ 1994, 244). Denn aufgrund des Vertrages über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 25. Juni 1990 (BGBl. II S. 518, 537) und des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 885, 889) gibt es in Deutschland keine getrennten Rechts- und Wirtschaftsgebiete mehr. Der Interzonenhandel (innerdeutsche Handel), der seit dem 1. September 1961 einziger Regelungsgegenstand des Gesetzes Nr. 53 und der ihm entsprechenden sowie es ergänzenden Vorschriften war, hat spätestens mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages aus Rechtsgründen sein Ende gefunden. Seit der Herstellung der deutschen Einheit ist der Abschluß von Geschäften sowie der Warenverkehr in keinem Fall mehr allein deswegen strafbar, weil Personen aus den alten und neuen Ländern Vertragspartner sind oder Waren von den alten in die neuen Länder verbracht werden. Es gibt hiernach seit dem 3. Oktober 1990 keine Norm mehr, die den Blankettatbestand des Art. VIII des Gesetzes Nr. 53 ausfüllen könnte; dieser ist obsolet geworden.

Daraus ergibt sich, daß mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages im Hinblick auf Art. VIII des Gesetzes Nr. 53 eine Rechtsänderung und nicht bloß eine Änderung tatsächlicher Verhältnisse stattgefunden hat (a.A. KG NStZ 1994, 244); dagegen spricht nicht, daß der Gesetzgeber diese Vorschrift nicht ausdrücklich geändert hat, obwohl er (entgegen der Ansicht des LG München II DtZ 1994, 379) dazu rechtlich in der Lage gewesen wäre (vgl. BVerfGE 12, 281, 289).

3. Obwohl hiernach im Hinblick auf Art. VIII des Gesetzes Nr. 53 und die blankettausfüllende Norm des Art. I dieses Gesetzes eine Rechtsänderung eingetreten ist, steht der Bestrafung der Angeklagten die Vorschrift des § 2 Abs. 3 StGB (Rückwirkung des mildesten Gesetzes) nicht entgegen. Denn die genannten Vorschriften des Gesetzes Nr. 53 hatten seit ihrer Beschränkung auf den innerdeutschen Wirtschaftsverkehr im Jahre 1961 die Rechtsnatur eines Zeitgesetzes im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB. Nach dieser Vorschrift ist ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, auf Taten, die während seiner Geltung begangen worden sind, auch dann anzuwenden, wenn es vor der Entscheidung außer Kraft getreten ist.

a) Gesetze, die im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB nur für eine bestimmte Zeit gelten sollen, sind nach der Rechtsprechung nicht allein kalendermäßig befristete Gesetze. Im weiteren Sinne sind Zeitgesetze auch solche, mit denen der Gesetzgeber keine ihrer Natur nach auf Dauer angelegte Regelung treffen, sondern wechselnden Verhältnissen und Zeitnotwendigkeiten überwiegend nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit mit Bestimmungen, die erkennbar Übergangscharakter haben, gerecht werden will (BGHSt 18, 12, 14; BGH NJW 1952, 72). Ein Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Zeitgesetzes kann darin liegen, daß das Gesetz verschiedenen Wandlungen unterworfen worden ist, die alle das Ziel hatten, es den wechselnden Verhältnissen anzupassen (BGHSt 20, 177, 183). In der Literatur werden Zeitgesetze im weiteren Sinne dahin bestimmt, daß sie erkennbar auf besondere Zeitverhältnisse zugeschnitten sind und mit deren Verschwinden gegenstandslos werden (Roxin AT 2. Aufl. § 5 Rdn. 64; vgl. auch Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, 1993, S. 448).

aa) Das Gesetz Nr. 53 und die ergänzenden Vorschriften des Besatzungsrechts sind jahrzehntelang nicht geändert worden; dagegen sind die ergänzenden Vorschriften des Bundesrechts, die die Anwendung des Gesetzes Nr. 53 maßgeblich bestimmten (InterzonenhandelsVO vom 18. Juli 1951 - BGBl. I S. 463 idF der VO vom 22. Mai 1968 - BAnz. Nr. 97 -; DVO zur InterzonenhandelsVO vom 1. März 1979 - BAnz. Nr. 47 -, zuletzt geändert durch VO vom 24. September 1987 - BAnz. Nr. 189a -), häufig Änderungen unterworfen gewesen, die den wechselnden Verhältnissen Rechnung trugen. Dem entsprach ein ständiger Wandel in der Umschreibung allgemeiner Genehmigungen iS von Art. I der VO vom 22. Mai 1968 (BAnz. Nr. 97; vgl. die Nachweise - auch zur jeweiligen Fassung der Zusatzvereinbarungen zum "Berliner Abkommen" - in: "Interzonenhandel, Handbuch für die Praxis", Loseblattsammlung, Redaktion: E. Reiche, Abschnitt I, II sowie BVerfGE 18, 353, 361 ff.; 62, 169 ff.).

bb) Für den Übergangscharakter des Gesetzes Nr. 53 sprechen weitere Besonderheiten: Seit dem Erlaß des Außenwirtschaftsgesetzes im Jahre 1961 bezog sich das Gesetz Nr. 53 nur noch auf den Interzonenhandel (innerdeutschen Handel). Daß das Außenwirtschaftsgesetz nicht auf ihn erstreckt wurde, hing erkennbar mit den deutschlandpolitischen Gegebenheiten zusammen. Daß der Gesetzgeber nicht - wie sonst allenthalben - das von den Besatzungsmächten geschaffene Recht in die Form eines Bundesgesetzes gebracht hat, entsprach diesen Gegebenheiten und machte den Übergangscharakter der Regelung deutlich. Freilich war im Jahre 1961 ebensowenig wie zur Tatzeit absehbar, wie lange der Zustand der Teilung Deutschlands und die damit verbundenen deutschlandpolitischen Besonderheiten anhalten würden. Das ändert aber nichts daran, daß der genannte Übergangscharakter ständig erkennbar war. Dieser wurde auch an den rechtsstaatlichen Defiziten des Gesetzes sichtbar, auf die das Bundesverfassungsgericht mit zunehmender Dringlichkeit hingewiesen hat (vgl. BVerfGE 18, 353 ff., 62, 169, 181 ff.), ohne daß sich die Bundesregierung in der Lage gesehen hätte, zur Abhilfe einen für die Dauer konzipierten Gesetzesentwurf vorzulegen. Nach allem war deutlich, daß das Gesetz Nr. 53 als Notbehelf einen in seiner künftigen Entwicklung schwer absehbaren Sachverhalt vorläufig zu regeln hatte.

cc) Hätte eine geläuterte Rechtsauffassung im Hinblick auf den Regelungsgegenstand Anlaß zu der am 3. Oktober 1990 eingetretenen Rechtsänderung gegeben, so könnte dies gegen die Annahme sprechen, das Gesetz Nr. 53 sei ein Zeitgesetz gewesen (vgl. BGHSt 20, 177, 182). So verhält es sich aber nicht. Vielmehr erledigte sich der Interzonenhandel/innerdeutsche Handel durch die Herstellung eines einheitlichen Rechts- und Wirtschaftsgebietes; insofern wurde mit dem Verschwinden der innerdeutschen Grenze die Regelung des Gesetzes Nr. 53 gegenstandslos (vgl. Roxin aaO).

b) Unter diesen besonderen Umständen vermag die lange Geltungsdauer des Gesetzes Nr. 53 (vgl. BGHSt 18, 12, 14 f.) hier nicht gegen ein Zeitgesetz zu sprechen. Im übrigen weicht der Senat mit seiner Annahme, als Regelung des Interzonenhandels (innerdeutschen Handels) sei das Gesetz Nr. 53 ein Zeitgesetz gewesen, nicht von der Entscheidung des 4. Strafsenats in BGHSt 18, 12 ab. Diese Entscheidung bezieht sich auf einen Tatzeitpunkt, zu dem der Geltungsbereich des MRG Nr. 53 noch nicht auf den Interzonenhandel beschränkt war. Die besonderen, mit der Teilung Deutschlands verbundenen Gründe, die den Senat zur Anwendung des § 2 Abs. 4 StGB führen, hatten in jenem Fall keine Bedeutung.

c) Auf die Ausfuhr von Reinstsilizium in die DDR durch die Angeklagte in den Jahren 1986 bis 1989 ist demnach die Regelung der Artikel I und VIII des Gesetzes Nr. 53 als Zeitgesetz anzuwenden.

4. Die besonderen Umstände, die mit der Spaltung und Vereinigung Deutschlands verbunden gewesen sind, machen es allerdings erforderlich, die Vorschrift des § 2 Abs. 4 StGB so anzuwenden, daß keine unbillige Härte eintritt, die gerade mit diesen Umständen verbunden wäre. Es ist zu berücksichtigen, daß der Wirtschaftsverkehr aus der Bundesrepublik Deutschland ins Ausland seit dem Inkrafttreten des Außenwirtschaftsgesetzes (1961) "grundsätzlich frei" ist (§ 1 Abs. 1 AWG); genehmigungspflichtig ist er nur insoweit, als er wegen überwiegender gesamtwirtschaftlicher Belange, im Interesse der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, ihrer auswärtigen Beziehungen und des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder im Hinblick auf zwischenstaatliche Vereinbarungen der Kontrolle bedarf. Demgegenüber war der Interzonenhandel (innerdeutsche Handel) durch das Gesetz Nr. 53 und die ergänzenden Vorschriften im Sinne eines Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt weitaus restriktiver geregelt. Daran hatte sich bis zur Einigung Deutschlands nichts Grundlegendes geändert, auch wenn allgemeine Genehmigungen (Artikel I der VO vom 22. Mai 1968 - BAnz. Nr. 97 -) allmählich häufiger erteilt wurden. Im Interzonenhandel (innerdeutschen Handel) waren viele Handlungen genehmigungspflichtig, die nach dem AWG völlig frei von Beschränkungen waren. Die Genehmigungsbehörde hatte im innerdeutschen Handel, anders als im Außenwirtschaftsverkehr, auch darauf zu achten, daß der Rahmen, der durch das System des Verrechnungsverkehrs vorgegeben war, eingehalten wurde (vgl. BVerfGE 18, 353, 362). Die staatlich gelenkte und politisch bestimmte Handelspolitik der DDR machte es notwendig, daß die Behörden der Bundesrepublik Deutschland den Umfang der laufenden innerdeutschen Geschäfte übersehen konnten; auch sollte überwacht werden, ob die DDR das Gegenseitigkeitsprinzip wahrte (zu den für den Bürger belastenden Folgen vgl. BVerfGE 62, 169, 185 ff.).

a) In entsprechender Anwendung des § 2 Abs. 4 Satz 2 StGB ist hieraus angesichts der besonderen Umstände der deutschen Einigung zumindest zu folgern, daß eine Verbringung von Waren von einem Teil in den anderen Teil Deutschlands, ebenso wie die darauf bezogene Vereinbarung, nicht nach Artikel VIII des Gesetzes Nr. 53 strafbar ist, wenn ein vergleichbarer Sachverhalt bei Anwendung des Außenwirtschaftsgesetzes nicht unter Straf- oder Bußgeldandrohung (vgl. §§ 33, 34 AWG) verboten gewesen wäre. Diese Einschränkung ist erforderlich, weil es besondere Gründe waren, die einer Gleichstellung des Interzonenhandels mit dem Außenhandel entgegenstanden, und diese Gründe eine unterschiedliche Behandlung nicht mehr rechtfertigen.

b) Diese Gesichtspunkte stellen indessen die Strafbarkeit des hier abgeurteilten Verhaltens nicht in Frage. Reinstsilizium ist seit längerem in der Ausfuhrliste (vgl. die Fassung der 63. VO zur Änderung der Ausfuhrliste vom 19. Juli 1989, BAnz. Nr. 139a) in Teil I Abschnitt C als Position 1757 Buchst. a) genannt. Nach § 5 der AußenwirtschaftsVO (AWV) bedarf die Ausfuhr von Gegenständen, die in den Abschnitten A, B oder C des Teils I der Ausfuhrliste verzeichnet sind, der behördlichen Genehmigung. Nach § 33 Abs. 1 AWG begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer entgegen § 5 AWV eine in Teil I Abschnitt C der Warenliste verzeichnete Ware ohne Genehmigung ausführt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch Strafe angedroht (vgl. § 34 AWG in der zur Tatzeit geltenden Fassung). Hier war jedenfalls der Tatbestand der Ordnungswidrigkeit nach § 33 Abs. 1 AWG i.V. mit § 5 AWG erfüllt.

II.

Auch im übrigen hält das Urteil der Überprüfung stand.

Die mit der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Großer Senat für Strafsachen in BGHSt 40, 138) nicht zu vereinbarende Annahme eines fortgesetzten Vergehens nach Art. VIII des Gesetzes Nr. 53 beschwert die Angeklagte nicht. Der Senat schließt aus, daß das Landgericht auf eine geringere Einzelstrafe als ein Jahr Freiheitsstrafe erkannt hätte, wenn es eine Mehrheit von Vergehen nach Art. VIII des Gesetzes Nr. 53 angenommen hätte.

Externe Fundstellen: BGHSt 40, 378; NStZ 1995, 291

Bearbeiter: Karsten Gaede