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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 573/93, Beschluss v. 23.11.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 573/93 - Beschluss vom 23. November 1993 (LG Hamburg)

BGHSt 40, 1; Anwendung von Jugendstrafrecht oder allgemeinem Strafrecht bei der Strafbildung für eine Jugendtat nach vorangegangener rechtskräftiger Erwachsentat.

§ 32 Satz 1 JGG; § 32 Satz 2 JGG; § 105 JGG; § 55 StGB

Leitsatz

Bei einer an sich nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat eines Heranwachsenden, der bereits rechtskräftig wegen einer Erwachsenentat verurteilt worden ist, findet entsprechend § 32 S. 2 JGG i.V.m. § 105 JGG auf alle Taten das allgemeine Strafrecht Anwendung, sofern das Schwergewicht nicht bei der nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat liegt (im Anschluss an BGH, 2. Mai 1990, 2 StR 64/90, BGHSt 37, 34). (BGHSt)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 2. April 1993 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Die Jugendkammer hat den Angeklagten im Jahre 1993 wegen eines Vergehens des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt, das er im Jahre 1991 als Zwanzigjähriger begangen hat. Sie hat nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG sachliches Jugendstrafrecht angewendet und eine Jugendstrafe von zwei Jahren verhängt. Der Angeklagte hat zudem im Jahre 1992 als Erwachsener unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel getrieben und ist deshalb im selben Jahr zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Die Jugendkammer hat von einer Einbeziehung dieser Verurteilung in die neue Entscheidung abgesehen. Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit das Rechtsmittel sich gegen den Schuldspruch richtet. Dagegen kann der Strafausspruch aus sachlich-rechtlichen Gründen keinen Bestand haben.

I.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht die Möglichkeit, entsprechend § 32 Satz 1 i.V.m. § 105 JGG in eine einheitliche Jugendstrafe eine Verurteilung zu Freiheitsstrafe einzubeziehen, die wegen einer Tat ergangen ist, die der Angeklagte als Erwachsener begangen hat (BGHSt 37, 34 mit Anm. Eisenberg JR 1990, 483 und Anm. Ostendorf NStZ 1991, 185; BGH, Beschluß vom 24. September 1993 - 2 StR 493/93 -). Indes hat eine solche Einbeziehung nicht "automatisch" zu erfolgen. Vielmehr hat der Einbeziehung auch eine Neubeurteilung der früher abgeurteilten Tat hinsichtlich der Frage voranzugehen, ob aufgrund neuer Erkenntnisse für sie Jugendstrafrecht anwendbar ist. Diese Neubeurteilung muß aufgrund einer Gesamtbewertung der Taten, also der bereits abgeurteilten und der neu angeklagten, vorgenommen werden (BGHSt 37, 34, 37). Kriterium hierfür ist nach § 32 Satz 1 JGG, ob "das Schwergewicht bei den Straftaten liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären".

Die Jugendkammer hat (UA S. 23) diese Prüfung rechtsfehlerfrei vorgenommen. Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, daß das Schwergewicht der Taten bei der Erwachsenentat liegt.

2. Die Jugendkammer hätte jedoch, wenn sie entsprechend § 32 JGG das Schwergewicht nicht bei der nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat sah, in entsprechender Anwendung von § 32 Satz 2 i.V.m. § 105 JGG einheitlich das allgemeine Strafrecht anwenden müssen. Sie hätte also, sofern sie nicht entsprechend § 31 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 JGG von einer Einbeziehung absah, auch für die hier abzuurteilende Tat, die der Angeklagte als Zwanzigjähriger begangen hat, eine Strafe nach allgemeinem Strafrecht verhängen und mit der rechtskräftigen Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten nach § 55 StGB eine Gesamtstrafe bilden müssen.

a) Allerdings vertritt der Generalbundesanwalt die Ansicht, daß es in Fällen der vorliegenden Art dann bei der getrennten Aburteilung von Erwachsenentat und Jugendtat bleibe, wenn das Schwergewicht nicht bei der nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat liege (ebenso Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG § 31 Rdn. 49 a.E.). Diese Lösung führt zu einer Unterscheidung im Anwendungsbereich des § 32 JGG danach, ob diese Vorschrift unmittelbar oder nur entsprechend nach den Grundsätzen der Entscheidung BGHSt 37, 34 anzuwenden ist.

b) Der Senat hält es jedoch für geboten, bei einer an sich nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat eines Heranwachsenden, der bereits rechtskräftig wegen einer Erwachsenentat verurteilt worden ist, die Rechtsfolgen des § 32 JGG in vollem Umfang wirksam werden zu lassen: Es ist also - vorbehaltlich einer Entscheidung im Sinne des § 31 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 JGG - entsprechend § 32 Satz 2 i.V.m. § 105 JGG auf alle Taten das allgemeine Strafrecht anzuwenden, sofern das Schwergewicht nicht bei der nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat liegt; dies hat die Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB zur Folge (ebenso Eisenberg, JGG 5. Aufl. § 105 Rdn. 44). Diese Lösung entspricht dem Prinzip der möglichst einheitlichen Reaktion, das der Vorschrift des § 32 JGG zugrunde liegt, ist in der Entscheidung BGHSt 37, 34, 39 - wenngleich nicht tragend - vorgezeichnet und bringt die dort entwickelten Grundsätze einheitlich zum Tragen.

Das Urteil des 4. Strafsenats NJW 1978, 384 steht der hiesigen Entscheidung nicht entgegen; denn dort hatte der Angeklagte die abzuurteilenden Taten als Jugendlicher begangen, so daß allein Jugendstrafrecht anzuwenden war.

3. Danach hätte von einer Einbeziehung der abgeurteilten Erwachsenentat in die neue Entscheidung nur nach § 31 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 JGG abgesehen werden können. Von dieser Regelung hat die Jugendkammer jedoch keinen Gebrauch gemacht.

II.

Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

Zunächst wird zu erwägen sein, ob nach § 105 Abs. 1 JGG an sich Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Verhält es sich so, wird weiter zu prüfen sein, ob das Schwergewicht bei der im Heranwachsendenalter begangenen Tat oder bei der Erwachsenentat liegt. Demgemäß wird entweder § 32 Satz 1 JGG oder § 32 Satz 2 JGG (entsprechend) anzuwenden sein. Schließlich besteht die Möglichkeit, aus Gründen erzieherischer Zweckmäßigkeit (dazu BGHSt 36, 37, 43) nach § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG von der Einbeziehung der abgeurteilten Erwachsenentat in die Verhängung einer Jugendstrafe abzusehen. Bei all diesen Entscheidungen ist der neue Tatrichter von Bindungen durch bisher in dieser Sache ergangene Entscheidungen frei. Jedoch ist für die Bemessung der Strafe das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 StPO zu beachten, im Fall der Verhängung einer Freiheitsstrafe nach den Maßstäben von BGHSt 29, 269.

Externe Fundstellen: BGHSt 40, 1; NJW 1994, 744; NStZ 1994, 132; StV 1994, 603

Bearbeiter: Rocco Beck