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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 493/93, Urteil v. 26.10.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 493/93 - Urteil vom 26. Oktober 1993 (LG Hamburg)

BGHSt 39, 374; Einschränkung des Notwehrrechts bei vorsätzlicher Provokation der Notwehrlage; Beschränkung der Notwehr auf Taten gegenüber dem Angreifer ("Kugelfangfall"); Verbotsirrtum bezüglich der Notwehreinschränkung (Vermeidbarkeit).

§ 17 StGB; § 32 StGB

Leitsätze

1. Zur Einschränkung des Notwehrrechts bei einem bedingt vorsätzlich herbeigeführten Schusswechsel. (BGHSt)

2. Der Senat hält daran fest, dass die rechtswidrige und schuldhafte, auch vorsätzliche Provokation der Notwehrlage dem Betroffenen das Notwehrrecht nicht vollständig und nicht zeitlich unbegrenzt nimmt (BGHSt 24, 356, 359; 26, 143, 145; 26, 256, 257). Doch werden an den Täter, der sich auf Notwehr berufen will, um so höhere Anforderungen im Hinblick auf die Vermeidung gefährlicher Konstellationen gestellt, je schwerer die rechtswidrige und vorwerfbare Provokation der Notwehrlage wiegt. Wer unter erschwerenden Umständen die Notwehrlage provoziert hat, muss unter Umständen auf eine sichere erfolgversprechende Verteidigung verzichten und das Risiko hinnehmen, dass ein minder gefährliches Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgschancen hat (BGHSt 24, 356, 359). (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. März 1993 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag und mit Vergehen nach dem Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Sie bleibt erfolglos.

I.

Bei einer Prügelei im "Billard-Cafe" hatte der "weit überlegene" P. den 22 Jahre alten Angeklagten besiegt und nicht unerheblich verletzt. Der Angeklagte war gegen Mitternacht unter Zurücklassung seiner gesamten Oberbekleidung geflohen. Nachdem ihm ein Dritter seine Jacke aus dem Lokal geholt hatte, vermißte der Angeklagte einen Betrag von 16.000,-- DM, der sich in der Jacke befunden hatte. P. hatte die Schlägerei möglicherweise zu dem Zweck angezettelt, sich in den Besitz des Geldes zu setzen. Es kann ferner sein, daß P. etwas später, vor dem Lokal stehend, das Verlangen des Angeklagten, er solle das Geld zurückgeben, mit den Worten "ich bring dich um, das Geld siehst du nicht wieder" zurückgewiesen hat. Der Angeklagte besorgte sich nun ein abgesägtes, geladenes Schrotgewehr und betrat damit kurz nach ein Uhr das "Billard-Cafe", in dem sich etwa 10 bis 15 Personen befanden, darunter P., der an dem der Tür abgewandten Ende des Tresens saß und den Angeklagten sogleich wahrnahm. Der Angeklagte, der sich auf P. zubewegte, schob seinen Mantel zur Seite, so daß der vordere Teil des mit beiden Händen gehaltenen Gewehrs herausragte. Der Angeklagte blieb am Anfang des Tresens stehen; die Waffe war leicht nach unten auf die Beine des P. gerichtet. Der Angeklagte forderte das Geld zurück. P. zog "augenblicklich" den unbeteiligt am Tresen stehenden L. als "Schutzschild" an sich und schoß mit der anderen Hand aus einem Revolver zweimal in Richtung auf den Angeklagten. Einer der Schüsse traf den zufällig bei dem Angeklagten stehenden S.. Der andere Schuß durchschlug eine Lüftungsklappe. Daß S. und nicht der Angeklagte getroffen wurde, lag wahrscheinlich daran, daß L. sich loszureißen versuchte und dadurch den P. beim Zielen störte. S. stürzte hin. Der Angeklagte sah dies, riß das Schrotgewehr hoch und schoß aus einer Entfernung von nicht mehr als vier Metern zweimal gezielt in Richtung auf den Brust- und Kopfbereich der Personengruppe P./L.. Der erste Schrotschuß traf L. an Hals, Brust und Gesicht. Der hinter L. stehende P. erlitt durch diesen Schuß oberflächliche Gesichtsverletzungen; auch wurde die Bekleidung seines um L. gelegten Armes getroffen. Der zweite Schrotschuß schlug in die Wand ein. S. und L. sind infolge ihrer Schußverletzungen sogleich gestorben. P. ist flüchtig; er konnte deshalb nicht in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht vernommen werden.

Zur inneren Tatseite stellt der Tatrichter fest: Als der Angeklagte das Lokal gegen ein Uhr mit dem Schrotgewehr betrat, wollte er P. zur Rückgabe des Geldes zwingen und ihn mit dem spektakulären Auftritt ebenso demütigen, wie er zuvor von P. gedemütigt worden war. P. galt als gefährlich. Trotzdem hoffte der Angeklagte, daß P. sich beugen werde. Für den Fall aber, daß P. sich bewaffnet zur Wehr setzen würde, war der Angeklagte bereit, rücksichtslos von der Schußwaffe gegen P. Gebrauch zu machen und die Gefährdung von Leib und Leben der anderen in dem kleinen Lokal anwesenden Personen hinzunehmen. Das Verhalten des P. kam für den Angeklagten unerwartet; das Hinstürzen des S. versetzte den Angeklagten in "Panik". Bei der Abgabe der Schrotschüsse wollte der Angeklagte den P. töten, "um die lebensbedrohende Gefahr abzuwenden". Daß auch der vor P. stehende L. getroffen werden würde, sah der Angeklagte als unvermeidbar an; er hielt es für wahrscheinlich, daß L. dadurch getötet werde, und nahm das "zumindest billigend in Kauf".

Zur Frage der Rechtswidrigkeit führt der Tatrichter aus: Der Angeklagte habe in rechtswidriger Weise L. getötet und P. zu töten versucht. P. habe in Notwehr gehandelt, als er dem Gewehrfeuer des Angeklagten, das nach den Umständen unmittelbar bevorzustehen schien, mit Revolverschüssen auf den Angeklagten zuvorzukommen suchte. Der Angeklagte habe nicht das Recht gehabt, sich mit Schüssen auf P. gegen dessen rechtmäßige Verteidigung zu wehren. Die bedingt vorsätzliche Tötung des unbeteiligten L. sei überhaupt keine Verteidigungshandlung gewesen. Sofern der Angeklagte angenommen haben sollte, er dürfe Notwehr üben, habe es sich um einen vermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt.

II.

Die Revision des Angeklagten ist im Ergebnis unbegründet.

1. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Der Verteidiger hatte die Vernehmung eines psychologischen Sachverständigen beantragt. Damit sollte folgende Behauptung bewiesen werden: Der Angeklagte sei, nachdem auf ihn geschossen worden war, außerstande gewesen, über seine Berechtigung, sich mit Schüssen zu wehren, nachzudenken; vielmehr sei er wie "jeder normal reagierende Mensch" durch den Selbsterhaltungstrieb "geradezu gezwungen" gewesen, die Waffe "reflexhaft" zu betätigen. Diesen Beweisantrag hat das Landgericht durch Beschluß mit der Begründung abgelehnt, es besitze selbst die erforderliche Sachkunde; denn es handele sich um die Beurteilung normal- psychologischer Umstände, wie sie häufig in Schwurgerichtssachen erforderlich sei. Diese auf § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Ablehnung des Beweisantrages entspricht dem Verfahrensrecht. Insbesondere geben der Beschluß und die Urteilsgründe keinen Anlaß zu der Besorgnis, der Tatrichter könne seine eigene Sachkunde überschätzt haben. Der Tatrichter hat sich zutreffend darauf berufen, daß die Willensbildung des Täters in einer von ihm als bedrohlich oder überraschend erlebten Situation häufiger Gegenstand schwurgerichtlicher Verfahren ist. Dafür, daß die Entschlußfassung hier durch eine krankhafte seelische Störung oder eine Persönlichkeitsstörung beeinträchtigt war, gibt es keine Anhaltspunkte. Sofern der Angeklagte im Affekt gehandelt hat, muß es sich um einen durch die Umstände ausgelösten Affekt gehandelt haben. Die psychologische Wissenschaft hat keine zuverlässigen Instrumente, um nachträglich die Stärke eines solchen Affektes zu messen; die Situation, die den Affekt ausgelöst hat, läßt sich nicht rekonstruieren.

Die Revision sieht in den Urteilsgründen einen Widerspruch, der nach ihrer Auffassung die Sachkunde des Schwurgerichts in Frage stellt: Der Tatrichter hat festgestellt, der Angeklagte habe die Schrotschüsse "in Panik aufgrund der unerwarteten, plötzlichen Reaktion des P." zur Abwendung einer lebensbedrohenden Gefahr abgegeben (UA S. 9); andererseits heißt es in der Beweiswürdigung, daß die Eröffnung des Feuers durch P. für den Angeklagten "nicht überraschend" seien "konnte" (UA S. 18).

Der Angeklagte hatte, bevor er bewaffnet das Lokal betrat, die Möglichkeit, daß P. bewaffnet sei und daß es zu einem Schußwechsel komme, erkannt und in Kauf genommen (UA S. 8, 17 f). Insofern konnte er in der Tat nicht davon überrascht sein, daß P. schoß. Dem widerspricht es nicht, daß die besonders schnelle Reaktion des P., der sogleich ohne Warnung in Richtung auf den Angeklagten schoß, vom Angeklagten nicht erwartet worden ist. Unerwartet war auch, daß S. getroffen zusammenbrach. Daß dies, zusammen mit den sonstigen Umständen, bei dem Angeklagten eine "Panik" auslöste, liegt nahe, zumal da der Angeklagte zwar die Möglichkeit eines Schußwechsels in Kauf genommen, aber doch gehofft hatte, P. werde sich der Bedrohung beugen und, ohne zu schießen, das Geld herausgeben (UA S. 8). Es ist auch kein Widerspruch, daß der Tatrichter trotz der "Panik" angenommen hat, das Hemmungsvermögen des Angeklagten sei nicht aufgrund eines höhergradigen Affektes erheblich vermindert gewesen (UA S. 18). Nicht jede von äußeren Umständen ausgelöste Erregung, die der Betroffene und auch die Umstehenden als Panik erleben, beeinträchtigt die Schuldfähigkeit in dem in § 21 StGB vorausgesetzten Maße. Überdies entsprach das weitere Verhalten des Angeklagten seiner von vornherein bestehenden Bereitschaft, rücksichtslos auf P. zu schießen, wenn dieser sich mit Waffengewalt zur Wehr setzen sollte (UA S. 8). Der Angeklagte hat also in seiner "Panik" nicht planlos gehandelt.

2. Das Urteil hält auch der sachlichrechtlichen Nachprüfung stand.

a) Die Beweiswürdigung begegnet keinen rechtlichen Bedenken; das gilt aus den vorstehend (II 1) genannten Gründen auch für die Urteilsfeststellungen zur inneren Tatseite.

b) Die Feststellungen ergeben, daß die Schüsse, mit denen der Angeklagte L. getötet hat und P. töten wollte, nicht durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt waren.

aa) Allerdings teilt der Senat nicht die Auffassung des Tatrichters, daß die Eröffnung des Schußwechsels durch P. eine rechtmäßige Notwehr war und daß der Angeklagte hiernach rechtswidrig handelte, weil es gegen rechtmäßige Notwehr keine Notwehr gibt. Nach der Auffassung des Senats, die insoweit mit dem Revisionsvorbringen übereinstimmt, ergeben die - zugunsten des Angeklagten getroffenen - Feststellungen, daß P. nicht rechtmäßig gehandelt hat. Der Senat versteht die Urteilsgründe dahin, daß sich P., als er auf den Angeklagten schoß, nicht nur gegen den Versuch einer Nötigung (UA S. 28), sondern auch gegen eine Lebensbedrohung (UA S. 29) wehren, also einen Totschlag abwenden wollte. Ob es sich hierbei schon um einen gegenwärtigen Angriff des Angeklagten gehandelt hat (vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1), kann auf sich beruhen. Jedenfalls durfte P. nicht sofort auf den Angeklagten schießen. Sein Notwehrrecht war mit Rücksicht auf seinen eigenen vorwerfbaren Beitrag zur Entstehung der Situation eingeschränkt (vgl. BGHSt 24, 356; 26, 143; 26, 256).

Der Tatrichter hat zugunsten des Angeklagten nicht ausgeschlossen, daß sich P. gewaltsam in den Besitz des vom Angeklagten mitgeführten Geldes gesetzt und dessen Rückgabe unter der Androhung, den Angeklagten umzubringen, verweigert hatte. Unter diesen Umständen durfte P. nicht ohne weiteres auf den Angeklagten schießen, als dieser bewaffnet in das Lokal zurückkehrte, um das Geld zurückzuerlangen. Das gilt auch unter der Voraussetzung, daß das Verhalten des Angeklagten, der in zorniger Erregung eine Schrotflinte auf die Beine des P. richtete (UA S. 29), als unmittelbar lebensbedrohlich verstanden werden konnte. Angesichts der schweren Provokation durch P., der den Angeklagten zuvor auch erheblich verletzt hatte, konnte eine Verteidigung durch Tötung des Angreifers nur dann geboten erscheinen (§ 32 Abs. 1 StGB), wenn P. zuvor den Versuch unternommen hatte, die Situation nach Maßgabe der bestehenden Möglichkeiten zu entschärfen. Dabei mußte P. wegen der vorangegangenen Provokation auch das Risiko eingehen, daß der Verzicht auf sofortiges Schießen die Erfolgsaussichten der Verteidigung etwas beeinträchtigte. Zwar ist es zweifelhaft, ob es dem P. nach den Umständen möglich war, das Lokal zu verlassen und dadurch dem Angriff des Angeklagten auszuweichen; zweifelhaft mag auch sein, ob P. sich genügend geschützt hätte, wenn er sich hinter den Tresen geduckt hätte. Jedenfalls mußte P. zunächst seine Bereitschaft bekunden, mit dem Angeklagten in Verhandlungen über den Verbleib des abhanden gekommenen Geldes einzutreten. Der Angeklagte hatte durch seine Aufforderung, das Geld herauszugeben, und durch die Position seiner Waffe, die auf die Beine und nicht auf den Oberkörper des P. gerichtet war, zum Ausdruck gebracht, daß er, jedenfalls in einer ersten Phase der Auseinandersetzung, eine Antwort des P. erwartete. Ob P. wegen seines Beitrages zur Zuspitzung der Situation verpflichtet war, dem Angeklagten den Gebrauch einer eigenen Schußwaffe anzudrohen, mag zweifelhaft sein, weil der Angeklagte ihm als erster mit einer schußbereiten Schrotflinte gegenübergetreten war. Jedenfalls hätte P. mit Rücksicht auf die vorangegangene Provokation den Gebrauch der Schußwaffe, sofern er überhaupt erforderlich wurde, darauf beschränken müssen, auf die Beine des Angeklagten zu schießen. Das gilt auch deswegen, weil der Angeklagte seine Schußwaffe auf die Beine des P. gerichtet hatte und weil es nach der Vorgeschichte und den Äußerungen des Angeklagten deutlich war, daß der Angeklagte - auch im Falle einer Gewaltanwendung - hauptsächlich an der Herausgabe des Geldes und an der damit verbundenen Wiederherstellung seines Rufes, nicht aber an einer "Hinrichtung" des P. interessiert war.

bb) Waren hiernach die auf den Angeklagten gerichteten Schüsse des P. nicht durch Notwehr gerechtfertigt, also rechtswidrig, so folgt daraus doch nicht, daß der Angeklagte rechtmäßig, nämlich in rechtmäßiger Notwehr gehandelt hat. Zwar waren die Schüsse des P. ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf das Leben des Angeklagten. Doch unterlag die Abwehr dieses Angriffes wegen des rechtswidrigen und vorwerfbaren Vorverhaltens des Angeklagten ebenfalls rechtlichen Beschränkungen. Sie lassen die vom Angeklagten abgegebenen Schüsse nicht als gebotene Verteidigung (§ 32 Abs. 1 StGB) erscheinen.

Der Angeklagte war zwar im Zusammenhang mit der vorangegangenen Schlägerei Opfer eines rechtswidrigen Angriffs des P. geworden. Dieser Angriff war aber nicht mehr gegenwärtig, als der Angeklagte gegen ein Uhr in das "Billard-Cafe" kam und das geladene Schrotgewehr auf die Beine des P. richtete. Hierbei handelte es sich zumindest um eine Bedrohung im Sinne des § 241 StGB, also um eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung. Der Angeklagte hat den Schußwaffengebrauch durch P. vorsätzlich provoziert. Zwar beabsichtigte er nicht in erster Linie, in eine Notwehrlage zu gelangen und dadurch Gelegenheit zur Abgabe tödlicher Schüsse auf P. zu erhalten (Absichtsprovokation, vgl. BGH bei Dallinger MDR 1954, 335; BGH NStZ 1983, 452; Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil I, 1992, S. 429 f). Der Angeklagte hat aber die Möglichkeit erkannt, daß sein Verhalten einen Schußwechsel unter besonders gefährlichen Umständen auslösen konnte, und er hat dies billigend in Kauf genommen. Überdies hat er nach den Feststellungen auch die Gefährdung des Lebens Dritter durch Schrotgeschosse in dem kleinen und stark besuchten Lokal in seinen bedingten Vorsatz aufgenommen. Diese "Vorsatzprovokation" (vgl. Roxin ZStW 75, 1963, 572 ff) grenzte an eine Absichtsprovokation. Das Vorverhalten des Angeklagten wiegt nach dem Grade des Unrechts und der Gefährlichkeit schwerer als das Vorverhalten, das dem Bundesgerichtshof sonst Anlaß zu Einschränkungen der Notwehrbefugnisse gegeben hat (vgl. BGHSt 24, 356; 26, 143; 26, 256; BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 1, 2, 3, 4, 8, 9, Erforderlichkeit 6; BGH Urteil vom 5. Juli 1978 - 2 StR 201/78).

Der Senat hält allerdings daran fest, daß die rechtswidrige und schuldhafte, auch vorsätzliche Provokation der Notwehrlage dem Betroffenen das Notwehrrecht nicht vollständig und nicht zeitlich unbegrenzt nimmt (BGHSt 24, 356, 359; 26, 143, 145; 26, 256, 257; BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 1, 3, 4, Erforderlichkeit 6, § 33 Überschreiten l; BGH Urteil vom 25. Februar 1975 - 1 StR 702/74). Doch werden an den Täter, der sich auf Notwehr berufen will, um so höhere Anforderungen im Hinblick auf die Vermeidung gefährlicher Konstellationen gestellt, je schwerer die rechtswidrige und vorwerfbare Provokation der Notwehrlage wiegt. Wer unter erschwerenden Umständen die Notwehrlage provoziert hat, muß unter Umständen auf eine sichere erfolgversprechende Verteidigung verzichten und das Risiko hinnehmen, daß ein minder gefährliches Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgschancen hat (BGHSt 24, 356, 359).

Das bedeutet für den Angeklagten: Er hätte in erster Linie von einer Rückkehr in das "Billard-Cafe" absehen oder aber seine Forderung ohne Drohung mit der Schußwaffe geltend machen müssen. Er hätte die Möglichkeit gehabt, sich wegen des ihm widerfahrenen Unrechts an die Polizei zu wenden. Wenn er trotzdem unter billigender Inkaufnahme eines Schußwechsels und in Kenntnis der besonderen Gefährlichkeit der eigenen Waffe - auch für die Lokalgäste - die Konfrontation mit P. suchte, dann war er verpflichtet, sich in besonderem Maße darum zu bemühen, die Auswirkungen der Konfrontation in Grenzen zu halten. Anderenfalls war seine Verteidigungshandlung nicht im Sinne des § 32 Abs. 1 StGB geboten. Diese Anforderungen hat der Angeklagte nicht erfüllt. Er hätte, wenn er denn schon das Lokal mit der demonstrativ gezeigten Schußwaffe betrat, zur Flucht ansetzen müssen, als P. Anstalten machte zu schießen (vgl. BGHSt 24, 356, 358). Wenn ihm dies aus Zeitgründen nicht möglich war, hätte er seine den P. bedrohende Waffe hinwerfen müssen. Hierzu war er auch noch gehalten, als der neben ihm stehende S. getroffen zusammenbrach. Daß P. auch nach einem Fortfall der Drohung mit der Schrotflinte weiter auf den Angeklagten schießen würde, war nach den Umständen zwar nicht gänzlich auszuschließen; jedoch mußte der Angeklagte mit Rücksicht auf sein eigenes Vorverhalten das verbleibende Risiko hinnehmen.

Der Angeklagte hat keine der genannten Alternativen gewählt, vielmehr, seinem Eventualplan entsprechend, das von P. abgegebene Revolverfeuer mit Schüssen aus der abgesägten Schrotflinte erwidert, wobei er P. töten wollte. Diese Verteidigungshandlung war nicht durch Notwehr gerechtfertigt, also rechtswidrig.

cc) Soweit der Angeklagte den L., den P. als Schutzschild oder Kugelfang vor sich geschoben hatte, tödlich getroffen hat, handelt es sich um keine Verteidigungshandlung; L. hatte den Angeklagten nicht angegriffen. Der Erwägung von Spendel (in LK, 11. Aufl. § 32 Rdn. 216), daß in solchen Fällen die Tötung des vom Angreifer benutzten "lebenden Kugelfanges" durch Notwehr gerechtfertigt sei, vermag der Senat nicht näherzutreten, weil der Rechtfertigungsgrund des § 32 StGB, jedenfalls soweit die Rechtswidrigkeit vorsätzlicher Tötungs- und Körperverletzungshandlungen in Rede steht, nur solche Rechtsgutverletzungen deckt, die der Angreifer erleidet (BGHSt 5, 245, 248). Im übrigen war die Tötung des L. auch deswegen nicht gerechtfertigt, weil nicht einmal die Tötung des Angreifers P., der den widerstrebenden L. als "Kugelfang" mißbraucht hatte, durch Notwehr gedeckt war.

c) Der Angeklagte hat sich bei den Revolverschüssen des P. einem rechtswidrigen Angriff gegenübergesehen. Seine irrige Annahme, er dürfe sich gegen den rechtswidrigen Angriff des P. unter den gegebenen Umständen trotz verschuldeter Herbeiführung der Notwehrlage mit Schrotschüssen wehren, wäre ein Irrtum über die Begrenzung des Notwehrrechtes, also ein Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB gewesen.

d) Der Revision ist zuzugeben, daß in den Gründen des angefochtenen Urteils Erörterungen dazu fehlen, ob die Tötung des L. nach § 35 StGB wegen Notstandes entschuldigt war. Diese Frage stellt sich auch bezüglich der versuchten Tötung des P., da diese, wie dargelegt, nicht gerechtfertigt war. Eine Entschuldigung des Angeklagten nach § 35 StGB scheidet indessen aus, weil die Gefahr, die dem Angeklagten drohte, anders abgewandt werden konnte (§ 35 Abs. 1 Satz 1 StGB): Der Angeklagte hätte die Flucht ergreifen, jedenfalls die Waffe hinwerfen können. Angesichts des Umstandes, daß er die Gefahrenlage vorsätzlich herbeigeführt hatte, war ihm zuzumuten, bei der anderweitigen Abwendung der Gefahr ein Risiko des Mißlingens einzugehen. Unter diesen Umständen erübrigt sich eine Erörterung der Frage, ob die Entschuldigung - im Falle einer nicht anders abwendbaren Gefahr - nach § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB entfallen müßte, weil der Angeklagte die Gefahr selbst verursacht hatte und ihm deswegen die Hinnahme der Gefahr zuzumuten war.

Auf die Vorschrift des § 35 Abs. 2 StGB kann sich der Angeklagte nicht berufen. Dafür, daß er irrige Vorstellungen von den tatsächlichen Voraussetzungen einer Notstandslage gehabt hat, gibt es nach den Feststellungen keine Anhaltspunkte. Ersichtlich hat er insbesondere die tatsächlichen Voraussetzungen erkannt, aus denen sich die Möglichkeit ergab, die Gefahr anderweitig abzuwenden. Sein Irrtum betraf hiernach nicht die Voraussetzungen des Entschuldigungsgrundes, sondern die Anforderungen, die das Recht an die Abwendung der Gefahr stellt.

e) Die Strafzumessung läßt - auch bei der veränderten Ableitung der Rechtswidrigkeit (vorstehend 2 b) - keinen Rechtsfehler erkennen.

aa) Der Tatrichter hat ohne Rechtsverstoß angenommen, daß die bedingt vorsätzliche vollendete Tötung des L. keinen minder schweren Fall darstellt; er hat die Strafe demnach dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen.

bb) Näherer Erörterung bedarf nur folgender Gesichtspunkt: Es ist nach den Feststellungen möglich, daß der Angeklagte die Einschränkung des Notwehrrechts bei provozierendem Vorverhalten, soweit die versuchte Tötung des P. betroffen ist, nicht richtig erkannt hat. Ein solcher Irrtum wäre, wie dargelegt, als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu beurteilen. Er wäre vermeidbar gewesen. Denn es liegt auch für einen nicht rechtskundigen Beurteiler auf der Hand, daß eine uneingeschränkte Notwehr nicht gewährt werden kann, wenn der Täter mit einer gefährlichen Schußwaffe und mit der Vorstellung, es könne zu einem Schußwechsel kommen, drohend auf einen gleichfalls mit einer Schußwaffe bewaffneten Gegner zutritt. So hat es ersichtlich auch das Schwurgericht gesehen (vgl. UA S. 30). Allerdings kann nach § 17 Satz 2 StGB die Strafe im Fall des vermeidbaren Verbotsirrtums gemildert werden. Diesen Milderungsgrund hat das Schwurgericht nicht ausdrücklich erörtert. Darauf kann die Strafe aber nicht beruhen. Denn der Tatrichter hat die versuchte Tötung zum Nachteil des P., die mit der vollendeten Tötung des L. tateinheitlich zusammentraf, als einen minder schweren Fall im Sinne des § 213 StGB (erste Alternative) bezeichnet. Angesichts dieser Bewertung kann der Senat ausschließen, daß der Tatrichter bei der zusammenfassenden Würdigung des tateinheitlichen Geschehens durch Erwägungen im Sinne des § 17 Satz 2 StGB zu einer milderen Bewertung geführt worden wäre. Für Erörterungen darüber, ob der Angeklagte die Tötung des L. für rechtmäßig gehalten hat und ob insoweit eine Strafmilderung wegen vermeidbaren Verbotsirrtums nach § 17 Satz 2 StGB in Betracht kam, geben die Feststellungen keinen Anlaß.

cc) Der strafschärfende Hinweis des Tatrichters, daß die Rechtsordnung "Wild-West-Methoden" der Selbstjustiz aus Gründen der Generalprävention und der Verteidigung der Rechtsordnung nachhaltig entgegentreten müsse (UA S. 35), begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Er widerspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach strafschärfende Erwägungen, die auf die Zunahme bestimmter Delikte abstellen, eines näheren tatsächlichen Beleges bedürfen (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Generalprävention 2, 6, 7). Hier hat sich der Tatrichter nicht auf eine statistische Zunahme bestimmter Taten bezogen, sondern zum Ausdruck gebracht, daß Selbstjustiz mit tödlichen Folgen für die Rechtsordnung schlechthin unerträglich sei. Das ist nicht zu beanstanden.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 374; NJW 1994, 871; NStZ 1994, 277

Bearbeiter: Rocco Beck