Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 279/93, Urteil v. 06.07.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 14. Oktober 1992 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit versuchtem Versicherungsbetrug und wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.
Nach den Feststellungen gewann der Beschwerdeführer die beiden Mitangeklagten S. und P. dafür, in der von ihm in einem Wohnhaus betriebenen Gaststätte "Bistro-Imbiß Pi." einen Einbruchsdiebstahl vorzutäuschen und dabei einen Brand zu legen. Am Abend des 29. Dezember 1990 besprach der Angeklagte in seiner Gaststätte zunächst mit den beiden Mitangeklagten und, nachdem diese drei weitere Mittäter hinzugezogen hatten, mit allen fünf Männern die Tatbegehung. Danach begab der Beschwerdeführer sich in die Diskothek "F.", um sich ein Alibi zu verschaffen. Die fünf anderen Beteiligten täuschten in derselben Nacht durch Zerstörungen an der Einrichtung und den Abtransport von Waren einen Einbruchsdiebstahl in die Gaststätte vor und legten dort einen Brand. Dieser konnte, bevor er Gebäudeteile erfaßt hatte, durch die Feuerwehr gelöscht werden. Alle sechs Beteiligten trafen sich anschließend in der Diskothek "F.". Der Beschwerdeführer machte plangemäß den Einbruchs- und Brandschaden bei seiner Versicherung geltend, die eine Abschlagszahlung leistete.
I. Die Verfahrensrügen versagen.
1. Der Verteidiger hat in der Hauptverhandlung beantragt, "zum Beweis der Tatsache, daß der Angeklagte mit den Mitangeklagten S. und P. am Abend des 29.12.1990 in dem Imbiß 'Pi.' keine Absprachen in bezug auf die Begehung strafbarer Handlungen - wie im Anklagesatz vorgeworfen - getroffen hat," die Zeugen A., G. und Sh. zu hören.
Zudem hat die Verteidigung beantragt, "zum Beweis der Tatsache, daß sich der Angeklagte in der Nacht vom 29. auf den 30.12.1990 nicht in der Gaststätte 'F.' aufgehalten und dort die Mitangeklagten S. und P. getroffen hat," die Zeugin W. zu hören.
Die Strafkammer hat die Anträge jeweils mit der - näher ausgeführten - Begründung abgelehnt, daß die Zeugen A., G. und W. völlig ungeeignete Beweismittel seien und daß der Antrag auf Vernehmung des Zeugen Sh. ein Beweisermittlungsantrag sei.
Im Ergebnis ist die Ablehnung der Anträge nicht zu beanstanden. Denn alle Anträge sind keine Beweisanträge, sondern nach § 244 Abs. 2 StPO zu behandelnde Anträge auf weitere Beweiserhebung, deren Bescheidung teils nicht in zulässiger Weise gerügt ist und denen die Strafkammer teils nicht nachzugehen brauchte.
a) Ein Beweisantrag muß bestimmte Beweistatsachen bezeichnen. Wird ein Zeuge als Beweismittel benannt, müssen diese Beweistatsachen dem Zeugenbeweis zugänglich sein. Ein Zeuge kann grundsätzlich nur über seine eigenen Wahrnehmungen vernommen werden (Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. S. 190 mit Rechtsprechungsnachweisen; Dahs in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. vor § 48 Rdn. 2 und 3). Gegenstand des Zeugenbeweises können nur solche Umstände oder Geschehnisse sein, die mit dem benannten Beweismittel unmittelbar bewiesen werden sollen. Soll aus den Wahrnehmungen des Zeugen auf ein bestimmtes weiteres Geschehen geschlossen werden, ist nicht dieses weitere Geschehen, sondern nur die Wahrnehmung des Zeugen tauglicher Gegenstand des Zeugenbeweises. Die Schlüsse aus den Wahrnehmungen des Zeugen hat das Gericht zu ziehen (vgl. BGH StV 1984, 61; BGH Urteil vom 20. April 1993 - 1 StR 886/92 -).
Dort, wo es möglich ist, wird der Richter die gewollte Beweisbehauptung durch Auslegung zu ermitteln haben. Bei einfachen Sachverhalten, etwa wenn ein Zeuge Wahrnehmungen über ein unmittelbar tatbestandserhebliches Geschehen machen soll, kann es genügen, wenn als Beweisthema das Geschehen selbst genannt wird, obwohl Gegenstand des Zeugenbeweises nur sein kann, was der Zeuge wahrgenommen hat. Geht es indes um Sachverhalte, die eine Folgerung voraussetzen, die nicht auf der Hand liegt, so kann nicht das Ergebnis der Folgerung Gegenstand der Beweisbehauptung sein, sondern nur die der Folgerung zugrunde liegende Wahrnehmung. Deshalb ist für einen Beweisantrag die Angabe dessen unverzichtbar, was der Zeuge im Kern bekunden soll.
Die Beweistatsache ist von dem weiteren Beweisgewinn zu unterscheiden, den der Antragsteller von dem begehrten Zeugenbeweis erhofft. Dies ist des Antragstellers Beweisziel, zu dem der Tatrichter aufgrund von Schlüssen aus der Beweistatsache möglicherweise gelangen kann. Die Notwendigkeit einer solchen Trennung von Beweistatsache und Beweisziel wird besonders deutlich angesichts dessen, daß die Beweisbehauptung einer exakten und sinnvollen Anwendung der Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO zugänglich sein muß (BGHSt 37, 162, 165; Herdegen in KK 2. Aufl. § 244 Rdn. 45).
Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in den Behauptungen, daß jemand "keine Kokainlieferungen" an den Angeklagten geleistet habe (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 16; hierzu Maatz NStZ 1992, 512, 517), daß ausschließlich Beschäftigungsverhältnisse eines bestimmten Typs vorgelegen hätten (BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 13), daß jemand Bargeld "von unter 250.000 DM zur Verfügung" gehabt (BGH StV 1992, 501) oder einen anderen "ganz oder teilweise zu Unrecht belastet" habe (BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 4), keine hinreichend bestimmten Beweistatsachen gefunden. Bei Werturteilen hat die Rechtsprechung in vergleichbarer Weise darauf abgestellt, daß die Angabe von bloßen Wertungen wie denen, daß jemand "unglaubwürdig" (RGSt 27, 95, 97), "verhaltensgestört", "süchtig" oder "angeheitert" sei, die Behauptung derjenigen Tatsachen nicht ersetzen kann, an die die betreffende Wertung sich möglicherweise knüpfen läßt (BGHSt 37, 162).´
Diese Grundsätze gelten in besonderem Maße, wenn der Antragsteller behauptet, daß bestimmte Ereignisse nicht stattgefunden hätten (vgl. RGSt 1, 5; RGRspr. 8, 693; RG JW 1913, 163; 1931, 1815; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 16; BGH Urteil vom 7. September 1983 - 2 StR´278/83 -). In derartigen Fällen wird ein Zeuge nur selten unmittelbar die behauptete Negativtatsache bekunden können. Vielmehr wird der Zeuge meist nur angeben können, bestimmte Geschehnisse wahrgenommen oder nicht wahrgenommen zu haben, wobei erst diese Bekundungen auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses möglicherweise den Schluß erlauben, ob ein bestimmtes Ereignis stattgefunden oder nicht stattgefunden hat.
b) Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt hier folgendes: In keinem der Anträge ist angegeben, was Gegenstand der Wahrnehmung und der Bekundung der jeweiligen Zeugen sein soll. Es sind vielmehr nur die jeweiligen Beweisziele benannt worden, deren Erreichung der Antragsteller erhoffte. Danach sind die gestellten Anträge keine Beweisanträge. Bezüglich der Zeugen A., G. und Sh. hätte es der Behauptung von Tatsachen bedurft, die die Zeugen unmittelbar wahrgenommen haben und aus denen das Gericht hätte schließen können, Absprachen in bezug auf die Begehung von Straftaten hätten nicht stattgefunden. Für den Antrag auf Vernehmung der Zeugin W. gilt ähnliches. Auch hier hätten die Tatsachen angegeben werden müssen, die die Zeugin unmittelbar wahrgenommen hat. Dies hätte beispielsweise die Tatsache sein können, daß sie mit dem Angeklagten zusammen sich zur fraglichen Zeit an einer anderen Stelle aufgehalten hat oder daß sie zur fraglichen Zeit in der Diskothek "F." war und dort den ihr bekannten Angeklagten nicht gesehen hat, obwohl nach den von der Zeugin zu bekundenden Umständen ihr die Anwesenheit des Angeklagten nicht entgehen konnte. In diesem Sinne handelt es sich bei den Anträgen der Verteidigung nicht um Anträge, die eine bestimmte Beweisbehauptung zum Gegenstand haben, sondern um Anträge, die im Hinblick auf ein angestrebtes Beweisziel voraussetzen, daß die Zeugen bestimmte Indizien bekunden, ohne daß diese Indizien Gegenstand der Beweisbehauptung wären. Solche Anträge sind nach § 244 Abs. 2 StPO zu behandeln.
c) Der Senat kann nicht feststellen, daß diese nach § 244 Abs. 2 StPO zu behandelnden Anträge rechtsfehlerhaft behandelt worden wären.
aa) Der Beschluß der Kammer, mit dem der Antrag auf Vernehmung des Zeugen Sh. zurückgewiesen worden ist, nimmt Bezug auf eine "frühere Aussage" dieses Zeugen. Die Revision erläutert dies dahin, daß damit "eine polizeiliche Aussage" des Zeugen gemeint sei. Entgegen dem Gebot des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO teilt die Revision diese "polizeiliche Aussage" des Zeugen nicht mit. Die Aufklärungsrüge ist danach nicht in zulässiger Weise erhoben.
bb) Zur Vernehmung der Zeugen A., G. und W. war die Strafkammer nach den Gesichtspunkten des § 244 Abs. 2 StPO nicht gedrängt.
d) Daß der Senat Anträge, die die Strafkammer als Beweisanträge behandelt hat, als Beweisermittlungsanträge qualifiziert, verkürzt nicht die Verteidigungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers. Denn die Gesichtspunkte, in denen die Strafkammer die völlige Ungeeignetheit der Beweismittel gesehen hat, sind denen sehr ähnlich, die das Fehlen einer Beweisbehauptung ausmachen. Der Beschwerdeführer hatte - in der durch die Ablehnungsbeschlüsse gewonnenen Kenntnis von den Defiziten der gestellten Anträge - Gelegenheit, die Anträge in ergänzter Form zu wiederholen (vgl. BGH VRS 6, 354, 355; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 3; Alsberg/Nüse/Meyer a.a.O. S. 910). Von dieser Möglichkeit hat er in der Hauptverhandlung vor dem Tatgericht keinen Gebrauch gemacht. Der Vortrag des Verteidigers in der Revisionshauptverhandlung, die Zeugin W. hätte bekunden sollen, daß der Angeklagte sich zur fraglichen Zeit mit ihr in der "T."-Bar aufgehalten habe, woraus sich ergäbe, daß er nicht in der Diskothek "F." gewesen sei, kann den Inhalt des Antrags nicht wirksam ergänzen, zeigt aber besonders eindrucksvoll auf, mit welcher Beweisbehauptung der Antrag hätte versehen werden können, um ihn zum Beweisantrag zu machen.
2. Schließlich sieht die Revision darin, daß die Kammer bei der Ablehnung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen Sh. auf eine frühere Aussage des Zeugen Bezug genommen hat, einen Verstoß gegen den Grundsatz der persönlichen Vernehmung (§ 250 StPO). Es kann dahinstehen, ob diese Rüge in zulässiger Weise erhoben ist; denn sie ist jedenfalls unbegründet. Für die Vorbereitung der Entscheidung über einen Beweisantrag oder einen Antrag auf weitere Beweiserhebung gilt nicht das Recht des Strengbeweises, vielmehr findet hier Freibeweis statt (Alsberg/Nüse/Meyer a.a.O. S. 122 m.N., S. 603).
II. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers aufgedeckt.
Externe Fundstellen: BGHSt 39, 251; NJW 1993, 2881; NStZ 1993, 550; NStZ 1993, 602; StV 1993, 454
Bearbeiter: Rocco Beck