Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 38/92, Urteil v. 13.05.1992, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 13. Mai 1991, soweit es ihn betrifft,
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass dieser Angeklagte - neben der Steuerhinterziehung in zwei Fällen - des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in zwei Fällen und der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen schuldig ist,
b) im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen (Lohnsteuer) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten und wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen (Lohnsteuer und Umsatzsteuer) zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 500,-- DM verurteilt.
Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg. Der Erörterung bedarf nur folgendes:
Zum Schuldspruch hat die Revision insoweit Erfolg, als das Landgericht die Beitragshinterziehungen bei der Firma Sch. KG und der Firma St. KG als "ein einheitliches Tatgeschehen" ansieht und ein tateinheitliches Zusammentreffen mit der Beihilfe zur Lohnsteuerhinterziehung in zwei Fällen annimmt.
1. Die Pflicht zur Meldung und Abführung der Sozialversicherungsbeiträge trifft jeden Arbeitgeber selbständig. Daß - wie hier - für beide Arbeitgeber dieselbe Einzugsstelle zuständig war, für beide Arbeitgeber dieselben Personen handelten und die Beitragsmeldungen - wie das Landgericht feststellt - "teilweise" oder "meist" zusammen abgegeben wurden, können die Voraussetzungen eines Gesamtvorsatzes oder einer natürlichen Handlungseinheit nicht begründen. Damit stellt das Unterlassen der Beitragsmeldungen bezüglich jeder der beiden Firmen jeweils eine selbständige Tat dar (vgl. BGHR StGB vor § 1/natürliche Handlungseinheit Entschluß, einheitlicher 6).
2. Auch zwischen den Beitragshinterziehungen und den beiden Fällen der Beihilfe zur Lohnsteuerhinterziehung der Subunternehmer Q. und L. liegt keine Tateinheit im sachlichrechtlichen Sinne vor. Wegen der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter und der steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten führt auch der Umstand, daß sich Ausführungs- und Vorbereitungshandlungen dieser Taten auf der betrieblichen Ebene überschneiden, nicht zu einer derartigen Klammerwirkung (vgl. BGHSt 35, 14).
3. Bei zutreffender Betrachtung handelt es sich damit um vier - fortgesetzte (vgl. BGHSt 38, 165 = wistra 1992, 93) - Einzeltaten, nämlich das Vorenthalten von Arbeitsentgelt bei der Firma Sch. KG durch die Beschäftigung der von der Subunternehmerin L. entliehenen Arbeitskräfte und durch die eigenen schwarz entlohnten Arbeitnehmer, das Vorenthalten von Arbeitsentgelt bei der Firma St. KG durch die von der Subunternehmerin L. entliehenen Arbeitskräfte, die Beihilfe zur Lohnsteuerhinterziehung durch den Subunternehmer Q. und die Beihilfe zur Lohnsteuerhinterziehung durch die Subunternehmerin L..
4. Es ist nicht auszuschließen, daß die Annahme von Tateinheit zu einer dem Angeklagten nach Art und Höhe ungünstigeren Strafe geführt hat, als dies bei Anwendung der Gesamtstrafenregelung der Fall gewesen wäre. Der Senat hat deshalb den Schuldspruch geändert und das rechtliche Verhältnis der Taten zueinander richtiggestellt.
5. In der erneuten Hauptverhandlung wird in den beiden Fällen des Vorenthaltens der Arbeitnehmerbeiträge zur Gesamtsozialversicherung festzustellen sein, in welchem Umfang Leiharbeitskräfte der Subunternehmerin L. bei der Firma Sch. KG eingesetzt worden sind und in welchem Umfang bei der Firma St. KG.
Die Revision hat auch insoweit Erfolg, als sie die Bestimmung des Umfangs der verkürzten Steuern bei der Lohnsteuerhinterziehung beanstandet.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 14, 27 ff.) sind in der Firma Sch. KG die dort beschäftigten Arbeitnehmer für Überstunden am Samstag "unversteuert und ohne Abführung der Sozialversicherungsbeiträge" entlohnt worden. Von 1982 bis 1988 sind dabei rd. 612.000 DM an eine Vielzahl von Arbeitnehmern geflossen. Die dabei verkürzte Lohnsteuer beziffert das Landgericht mit rd. 173.000 DM.
Das Landgericht hat in der Vereinbarung über die Art der Lohnauszahlung eine Nettolohnabrede gesehen und den Steuerschaden nach dem Nettosteuersatz durch Hochrechnung auf den Bruttolohn berechnet. Es ist darin der Entscheidung des 3. Senats des Bundesgerichtshofs vom 24. September 1986 (BGHSt 34, 166) gefolgt. Dort hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, daß bei einverständlichem Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Zwecke der Lohnsteuerhinterziehung in der Vereinbarung, ein bestimmtes Arbeitsentgelt voll und ohne Abzüge auszuzahlen, in der Regel eine Nettolohnabrede liegt, wenn das Arbeitsentgelt dem Arbeitnehmer mit der Auszahlung auf Dauer ungekürzt verbleiben soll. In der tatsächlichen Gestaltung derartiger Lohnabreden und der vom Arbeitgeber selbst herbeigeführten Unmöglichkeit, in einem späteren Haftungsfall die betreffenden Arbeitnehmer in Regreß zu nehmen, hat der Bundesgerichtshof eine "Übernahme" der Lohnabzugsteile durch den Arbeitgeber schon im Zeitpunkt der Lohnzahlung gesehen.
2. An dieser Rechtsprechung hält der - nunmehr für Steuerstrafsachen allein zuständige - Senat nicht mehr fest.
a) Der Bundesfinanzhof hat in seinem Urteil vom 21. Februar 1992 - VI R 41/88 - in einem gleichgelagerten Fall der Beschäftigung von Schwarzarbeitskräften entschieden, daß keine Nettolohnvereinbarung vorliegt, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich zur Hinterziehung der Lohnsteuer und der Gesamtbeiträge zur Sozialversicherung zusammenwirken.
Der Bundesfinanzhof führt hierzu aus: Bei derartigen Absprachen liege weder eine ausdrückliche noch eine stillschweigende Nettolohnvereinbarung vor, da Sozialversicherungsbeiträge und Steuern gerade nicht abgeführt werden sollten und damit die Rechtsfolge einer Nettolohnvereinbarung, nämlich die Befreiung des Arbeitnehmers von seiner Beitragslast und Lohnsteuerpflicht, gerade nicht eintreten solle. Erst die spätere Inanspruchnahme könne dann zu einer Lohnzuwendung in Höhe der nachentrichteten Arbeitnehmeranteile führen, die ihrerseits dem Lohnsteuerabzug unterliege.
Auch das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 22. September 1988 (BSGE 64, 110) entschieden, daß bei einvernehmlicher Beitrags- und Steuerhinterziehung nicht wie bei einer Nettolohnvereinbarung auf einen Bruttolohn hochzurechnen ist, sondern Beiträge außer auf den gezahlten Barlohn nur dann auf Steuern zu entrichten sind, wenn und soweit der Arbeitgeber diese nachträglich endgültig übernommen hat.
b) Der Senat schließt sich der Entscheidung des Bundesfinanzhofs sowohl in der Bewertung einer derartigen Lohnabrede als auch in der Frage an, in welchem Zeitpunkt die Inanspruchnahme des Arbeitgebers wegen der hinterzogenen Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge zu einer lohnsteuerpflichtigen Zuwendung führt.
aa) Die Auffassung des Bundesfinanzhofs entspricht dem für das Einkommen- und Lohnsteuerrecht maßgeblichen Zuflußprinzip nach §§ 11, 38 a Abs. 1 EStG. Bei einer derartigen Abrede haften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer nach § 42 d Abs. 3 EStG gesamtschuldnerisch für die Lohnsteuern. Wird der Arbeitgeber nach Aufdeckung der Tat erfolgreich in Haftung genommen, wird der Arbeitnehmer von seiner Lohnsteuerschuld befreit. Darin liegt ein lohnsteuerpflichtiger Vorteil, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nicht zurückfordern kann. Dieser Vorteil tritt aber nicht schon mit der Absprache über die Zahlung unversteuerten Lohns und der Auszahlung dieses Lohns ein, sondern erst dann, wenn der Haftungsfall eintritt. Der sich möglicherweise von vornherein aus den Umständen - Lohnzahlungen an eine Vielzahl wechselnder und unbekannt verbleibender Arbeitnehmer - ergebende (aufschiebend bedingte) Verzicht des Arbeitgebers auf den späteren Regreß beim Arbeitnehmer führt jedenfalls bis zum Eintritt des Haftungsfalls zu keinem Zufluß an Arbeitslohn in Höhe der Rückgriffsforderung des Arbeitgebers gegen die Arbeitnehmer.
bb) Zwar hat der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 21. Februar 1992 lediglich den Fall entschieden, daß beim Arbeitgeber die Beiträge zur Sozialversicherung nacherhoben worden sind. Der Senat entnimmt jedoch den Urteilsgründen, daß die grundsätzliche Entscheidung zum Zeitpunkt des Lohnzuflusses in gleicher Weise für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers auf die hinterzogenen Lohnsteuern gilt. In der Auseinandersetzung mit der entgegenstehenden Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 24. September 1986 (BGHSt 34, 166) stellt der Bundesfinanzhof hierzu ausdrücklich fest, daß die auf Steuern und Beiträge zu erhebenden Steuern erst mit der Inanspruchnahme des Arbeitgebers nach Aufdeckung der Hinterziehung entstehen.
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 7. Dezember 1984, dort unter Ziffer 5 (BStBl. 1985 II 164, 166 f.) steht dem nicht entgegen. In jenem Fall hatte der Arbeitgeber den Umständen nach schon vor Erlaß des Haftungsbescheides auf den Regreß gegenüber den Arbeitnehmern verzichtet, so daß schon im Haftungsbescheid der (höhere) Nettosteuersatz anzusetzen war. Den genauen Zeitpunkt des Lohnzuflusses hat der Bundesfinanzhof dabei jedoch offen gelassen.
c) Für die Berechnung des Umfangs der verkürzten Steuern bedeutet dies, daß sich die Höhe der während der Lohnzahlungen fortlaufend monatsweise hinterzogenen Lohnsteuern - und auch der hinterzogenen Sozialversicherungsbeiträge - nach dem bar gezahlten Lohn als Bruttolohn bemißt.
Soweit es im Haftungs- und Nachforderungsfall nachträglich zu Zuwendungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer kommt, die ihrerseits Lohnsteuern auslösen, bleibt dies für die tatbestandsmäßige Beurteilung der durch die Schwarzlohnzahlungen bewirkten Lohnsteuerhinterziehung außer Betracht. Diese zusätzlichen Lohnsteuern entstehen erst mit dem Haftungs- und Nachforderungsfall und können damit allenfalls Gegenstand einer rechtlich selbständigen Steuer- oder Beitragshinterziehung sein.
Soweit die Berechnung des Umfangs der verkürzten Steuern in den Fällen der Beihilfe zur Lohnsteuerhinterziehung (oben I.) und der Lohnsteuerhinterziehung (oben II.) neu vorgenommen werden muß, gilt folgendes:
1. Lag dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte nicht vor, gilt § 39 c Abs. 1 EStG.
Die Berechnung des Lohnsteuerabzugs nach dieser Vorschrift mit der Lohnsteuerklasse VI und dem zur Tatzeit dort geltenden Eingangssatz von 22 % betrifft die vorläufige Erhebung des laufenden Lohnsteuerabzugs im jeweiligen Kalenderjahr in den Fällen, in denen die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte (schuldhaft) nicht vorgelegt hatten. Der Steuerschaden tritt dann vorübergehend in dieser Höhe ein. Es liegt eine Steuerverkürzung auf Zeit vor.
Die dem Fiskus auf Dauer entzogenen Lohnsteuern bemessen sich dagegen grundsätzlich nach den tatsächlichen Verhältnissen der Arbeitnehmer (vgl. BGH NStZ 1986, 79). Die sich danach ergebende Lohnsteuerbelastung liegt bei dem hier betroffenen Arbeitnehmerkreis in der Regel erfahrungsgemäß deutlich niedriger, was auch im Lohnsteuerhaftungsverfahren zu berücksichtigen ist (vgl. Schmidt/Drenseck EStG 10. Aufl. § 39 c Anm. 1). Dies ist bei der Strafzumessung zu beachten. Dabei genügt es, wenn der Tatrichter sich dessen erkennbar bewußt ist, ohne hierzu umfangreiche Beweiserhebungen und Darlegungen anstellen zu müssen. Ist die genaue Berechnung der endgültig geschuldeten Lohnsteuern nicht ohne weiteres möglich, kann der Tatrichter von geschätzten, niedrigeren Durchschnittssteuersätzen ausgehen (vgl. BGH NStZ 1986, 79; Meine, wistra 1985, 100, 102).
Die Besonderheiten des Lohnsteuerrechts, nach denen in Fällen der vorliegenden Art Lohnsteuer auf die vom Arbeitgeber im Haftungsfall nachgezahlten Lohnsteuern anfällt, verbieten es dagegen, die so entstandenen weiteren Lohnsteuern dem Arbeitgeber als verschuldete Folgen der Tat straferschwerend zuzurechnen und damit den im Lohnsteuerhaftungsfall Schadenswiedergutmachung leistenden Arbeitgeber gegenüber dem zu benachteiligen, der sich endgültig der Lohnsteuerhaftung entzieht.
2. Lag dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte vor, ist die Steuerverkürzung für die schwarz bezahlten (Zusatz-)Löhne nach den individuellen Besteuerungsmerkmalen der einzelnen Arbeitnehmer zu berechnen. Ist dies nicht ohne weiteres möglich, weil entweder eine Zuordnung der zusätzlichen Schwarzlöhne zu bestimmten Arbeitnehmern oder die Feststellung der individuellen Besteuerungsmerkmale nicht mehr möglich ist, so kann der Tatrichter von geschätzten Durchschnittssteuersätzen ausgehen.
Da nicht auszuschließen ist, daß die weitere Einzelstrafe wegen der Umsatzsteuerhinterziehung von der Höhe der Einzelstrafe wegen der Lohnsteuerhinterziehung mit bestimmt ist, ist auch diese Einzelstrafe aufzuheben.
Der unter II. aufgezeigte Rechtsfehler berührt den Mitangeklagten M., der keine Revision eingelegt hat, nicht. Der Senat schließt aus. daß der Rechtsfehler sich bei der Bemessung der gegen ihn erkannten Bewährungsstrafe zu seinen Lasten ausgewirkt hat.
Externe Fundstellen: BGHSt 38, 285; NJW 1992, 2240; NStZ 1992, 441; StV 1992, 468
Bearbeiter: Rocco Beck