HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 510
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 78/23, Beschluss v. 11.04.2023, HRRS 2023 Nr. 510
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 5. Oktober 2022, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 14 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und den Angeklagten B. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf die Sachrüge gestützten Rechtsmittel der Angeklagten führen zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Strafausspruch weist auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabs (BGH, Urteile vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21 Rn. 54; vom 27. Januar 2016 - 5 StR 387/15, NStZ-RR 2016, 105, 106) Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl für beide Angeklagte einen strafschärfenden Umstand darin gesehen, dass ein Großteil der gehandelten Betäubungsmittel in den Verkehr gelangt sei. Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft, weil es zum Normalfall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gehört, dass sie in den Verkehr gelangen. Diese Tatsache ist deshalb kein Strafschärfungsgrund. Im Gegenteil stellt die Sicherstellung zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmter Betäubungsmittel einen Strafmilderungsgrund dar. Das Landgericht hat mithin das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes (Sicherstellung der gehandelten Betäubungsmittel) strafschärfend gewertet (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 3. August 2022 - 5 StR 203/22 Rn. 10; Beschluss vom 5. Februar 2020 - 2 StR 517/19, NStZ-RR 2020, 146, 147).
Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. Zwar hat die Strafkammer in unmittelbarer Konsequenz ihrer Würdigung zugunsten beider Angeklagter jeweils einen minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG angenommen. Zudem hat sie einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG - mit der Folge einer Sperrwirkung der in § 29a Abs. 1 BtMG vorgesehenen Mindeststrafdrohung - bei beiden Angeklagten allein mit Blick auf den Umfang der Handelsmengen an Betäubungsmitteln verneint. Innerhalb des so bestimmten Strafrahmens hat das Landgericht jedoch bei Zumessung der Einzelstrafen jeweils „die vorbezeichneten Zumessungskriterien noch einmal miteinander abgewogen“ und somit die rechtsfehlerhafte Erwägung zum Nachteil der Angeklagten auch dort zugrunde gelegt.
Beim Angeklagten H. kommt hinzu, dass die Strafkammer eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 31 BtMG vorgenommen hat, ohne zuvor zu prüfen, ob die diesem vertypten Milderungsgrund zugrunde liegenden Umstände einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG begründen können. Erst nach Verneinung dieser Möglichkeit hätte der konkreten Strafzumessung der (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderte Regelstrafrahmen zugrunde gelegt werden dürfen (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschlüsse vom 16. November 2022 - 3 StR 371/22; vom 15. November 2022 - 3 StR 340/22, NStZ-RR 2023, 51, 52).
Die Feststellungen können bestehen bleiben, weil sie nicht von dem Rechtsfehler betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 510
Bearbeiter: Christian Becker