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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 470

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 401/23, Beschluss v. 16.01.2024, HRRS 2024 Nr. 470


BGH 5 StR 401/23 (alt: 5 StR 2/21) - Beschluss vom 16. Januar 2024 (LG Hamburg)

Verlesung des Anklagesatzes.

§ 243 Abs. 3 S. 1 StPO

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 21. Februar 2023 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1. Die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO, weil nach Zurückverweisung der Sache durch den Senat in der neuen Hauptverhandlung weder der Anklagesatz noch das Ausgangsurteil und die zurückverweisende Revisionsentscheidung vollständig verlesen worden seien, hat keinen Erfolg.

Der behauptete Verfahrensfehler liegt schon deswegen nicht vor, weil das in Teilrechtskraft erwachsene landgerichtliche Urteil im ersten Rechtsgang auszugsweise und die zugehörige Senatsentscheidung vom 6. Januar 2022 umfassend verlesen worden sind. Dies steht nach der gebotenen Auslegung des Hauptverhandlungsprotokolls fest (§ 274 StPO; vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14. März 2023 - 5 StR 28/23; MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl., § 274 Rn. 25). Danach ist das aufgehobene Urteil des Landgerichts auszugsweise im „Tenor und [den] Feststellungen zur Sache“, verlesen worden; die aufhebende Entscheidung des Senats (fälschlich als „Beschluss“ bezeichnet) demgegenüber vollständig. Einschränkungen zur Verlesung des Revisionsurteils sind daraus - anders als beim aufgehobenen Urteil - nicht erkennbar: „Beschluss des BGH vom 06.01.2022 zum Az. 5 StR 2/21“. Gegenüber diesem klaren Wortlaut kommt den dazu angegebenen Blattzahlen „1398 bis 1401“ keine Bedeutung zu. Diese beziehen sich ausschließlich auf Passagen mit Ausführungen zu dem Mitangeklagten und es ist schon nicht ersichtlich, weshalb das Revisionsurteil nur hinsichtlich eines früheren Mitangeklagten verlesen worden sein sollte. Deswegen war es für alle Verfahrensbeteiligten eindeutig erkennbar, dass die Senatsentscheidung umfassend verlesen, die angegebenen Blattzahlen hingegen fehlerhaft erfasst wurden. Das vom Senat gefundene Ergebnis der Auslegung wird durch weitere, aus der Niederschrift ersichtliche Vorgänge gestützt. Danach sind verlesene Aktenteile als „Anlage 1“ zum Hauptverhandlungsprotokoll genommen worden. Diese Anlage umfasst das vollständige Urteil des Senats vom 6. Januar 2022, hingegen vom aufgehobenen Urteil des Landgerichts nur die verlesenen Auszüge.

Dadurch ist den Erfordernissen des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO genüge getan (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2018 - 4 StR 424/18, NStZ 2019, 293 f.; Urteil vom 24. April 2018 - 1 StR 481/17, NStZ 2018, 614; BeckOKStPO/Gorf, 49. Ed., § 243 Rn. 25; LRStPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rn. 53; KKStPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 30). Dass die Strafkammervorsitzende die Verlesung auf § 249 Abs. 1 StPO gestützt hat, statt richtigerweise auf § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO, begründet keinen durchgreifenden Verfahrensfehler. Denn die Verlesung hat ihren Zweck - Information der Prozessbeteiligten und der Öffentlichkeit (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2018 - 1 StR 481/17 Rn. 6) - erfüllt.

2. Die Verfahrensrüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 344 Abs. 2 StPO) erweist sich schon mangels Einhaltung der Vortragserfordernisse nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO als unzulässig. Es fehlt an der inhaltlichen Mitteilung der in Bezug genommenen Observationsberichte und anderer Urkunden, aus denen sich Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens ergeben könnten (z.B.: Dokument über die zeugenschaftliche Vernehmung eines Informanten durch die Polizei vom 22. Mai 2019, Antrag der Rechtsanwältin S. vom 6. Juli 2020 nebst der darin in Bezug genommenen Aktenteile). Auf der Grundlage des Revisionsvorbringens lässt sich deshalb nicht prüfen, ob sich dem Landgericht eine weitere Aufklärung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen.

3. Soweit die Revision mit der Sachrüge geltend macht, das Landgericht habe das Handeln mit (lediglich) Eventualvorsatz strafmildernd berücksichtigen müssen, zeigt sie keinen Rechtsfehler auf. Es hat aus der Vorsatzform keine dem Angeklagten günstige Rückschlüsse auf die individuelle Tatschuld gezogen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 1. Juni 2016 - 2 StR 150/15, NStZ 2017, 216, 218; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 618; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 46 Rn. 33a), die sie als bestimmenden Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) hätte erörtern müssen. Hiergegen ist nichts zu erinnern.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 470

Bearbeiter: Christian Becker