HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1215
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 349/23, Beschluss v. 17.08.2023, HRRS 2023 Nr. 1215
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Juni 2022 wird mit der Maßgabe verworfen, dass
- der Schuldspruch dahin geändert wird, dass der Angeklagte statt der veruntreuenden Unterschlagung des Betruges schuldig ist, und
- festgestellt wird, dass im Revisionsverfahren eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eingetreten ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen veruntreuender Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der auf veruntreuende Unterschlagung lautende Schuldspruch war dahin zu berichtigen, dass der Angeklagte des Betruges schuldig ist.
a) Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Am 19. Dezember 2019 traf sich der Angeklagte in Begleitung eines unbekannt gebliebenen Begleiters mit dem Geschädigten vor einem Juwelierladen. Sie begaben sich gemeinsam zu einem nahe gelegenen Spätkauf. Dort nahm der Angeklagte in Umsetzung seines auf rechtswidrige Bereicherung ausgerichteten Tatplanes unter dem Vorwand, sie beim Juwelier mit einem Spezialschlüssel öffnen lassen zu wollen, eine von dem Geschädigten zum Verkauf angebotene Armbanduhr im Wert von 9.000 Euro an sich und entfernte sich mit der Uhr. Dabei ließ der Angeklagte den Geschädigten in dem Glauben, dass zwischen ihnen Einvernehmen darüber bestünde, dass der Angeklagte die Uhr nur zur vorübergehenden Ansicht und zur Öffnung durch den Juwelier an sich nehmen würde und dass er sie - sollte das Geschäft daraufhin nicht zustande kommen - umgehend zurückgeben würde. Wie von Anfang an beabsichtigt, brachte er die Uhr nicht zurück, sondern verwendete sie für seine Zwecke. Der Begleiter des Angeklagten blieb zunächst beim Geschädigten sitzen, entfernte sich dann aber ebenfalls.
b) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen rechtfertigen eine Verurteilung wegen Betruges, denn sie belegen, dass der Geschädigte aufgrund einer freien, nur durch täuschungsbedingten Irrtum beeinflussten Entschließung seinen Gewahrsam an der Uhr auf den Angeklagten übertrug (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1986 - 2 StR 537/86, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensverfügung 1). Der Angeklagte nahm die Uhr des Geschädigten an sich und entfernte sich damit, nachdem er ihn über seinen Willen und seine Bereitschaft getäuscht hatte, die Uhr nach Öffnung des Gehäuses durch den benachbarten Juwelier sofort zurückzugeben. Da der Geschädigte willentlich duldete, dass sich der Angeklagte mit der Uhr außer Sichtweite begab, geschah der hierin liegende Gewahrsamswechsel vollständig im Einverständnis des Geschädigten, der auf diese Weise bewusst und unmittelbar vermögensmindernd verfügte (zum Erfordernis eines Verfügungsbewusstseins beim Sachbetrug vgl. nur Fischer, StGB, 70. Aufl., § 263 Rn. 74 mwN). Auch der entsprechende Vorsatz des Angeklagten sowie die durch § 263 Abs. 1 StGB vorausgesetzte Absicht rechtswidriger Bereicherung gehen aus den getroffenen Feststellungen hervor.
Entgegen der Revision decken die Feststellungen zwar auch die tatbestandlichen Voraussetzungen einer veruntreuenden Unterschlagung ab (vgl. Zuschrift des Generalbundesanwalts). Da der Angeklagte den Gewahrsam an der Uhr aber bereits durch die Betrugstat erlangt hatte, tritt die in der Manifestation der Zueignung liegende nachfolgende Unterschlagung dahinter zurück (vgl. LK/Brodowski, StGB, 13. Aufl., § 246 Rn. 76; Fischer, aaO, § 246 Rn. 24). Ein Schuldspruch auch wegen veruntreuender Unterschlagung scheidet daher aus.
c) Der Senat kann den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst ändern. Insbesondere hat das Landgericht vollständige und tragfähige Urteilsfeststellungen getroffen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 590/16; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 354 Rn.15). Die Regelung des § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte auch gegen den modifizierten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
d) Der Strafausspruch bleibt von der Änderung unberührt. Denn der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung der Tat eine niedrigere Strafe verhängt hätte. Der vom Landgericht zugrunde gelegte Strafrahmen des § 246 Abs. 2 StGB entspricht demjenigen des § 263 Abs. 1 StGB; auch das zugrunde gelegte Tatbild bleibt unverändert (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 1996 - 1 StR 245/96, NStZ 1996, 507, 508; KKStPO/Gericke, 9. Aufl., § 354 Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 18, 19). Infrage gestellt wird die Zumessungsentscheidung auch nicht dadurch, dass die Strafkammer die „trickreiche und planvolle Vorgehensweise“ des Angeklagten strafschärfend gewertet hat. Denn damit wurde nicht etwa die durch § 263 StGB bereits als Tathandlung vorausgesetzte Täuschung als solche gesondert berücksichtigt. Die Erwägung zielt vielmehr auf das Maß der dabei aufgewandten kriminellen Energie, welches im gut vorbereiteten und koordinierten Vorgehen des Angeklagten und des weiteren Tatbeteiligten zum Ausdruck kommt.
2. Zum Zweck der Kompensation ist festzustellen, dass nach Erlass des angefochtenen Urteils eine der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung eingetreten ist.
Nach Eingang der Revisionsbegründung am 5. September 2022 verfügte der Vorsitzende der Strafkammer am 7. September 2022 die Versendung der Akten an die Staatsanwaltschaft zur Übermittlung an den Generalbundesanwalt. Ausweislich seines Vermerks vom 6. Juli 2023 wurden die Akten aber erst an diesem Tag dem für die Fertigung der Revisionsvorlage zuständigen Staatsanwalt vorgelegt, nachdem sie dank einer Sachstandsanfrage des Vorsitzenden in einem Geschäftsstellenzimmer der Staatsanwaltschaft aufgefunden worden waren. Ein sachlicher Grund für diese Verzögerung ist den Akten nicht zu entnehmen und auch sonst nicht erkennbar. Die Akten wurden sodann noch am selben Tag mit der Revisionsvorlage an den Generalbundesanwalt versandt, wo sie am 12. Juli 2023 eingingen. Dort wurde am 14. Juli 2023 der Vorprüfungsbericht erstellt. Die Akten wurden bereits drei Tage später mit der gefertigten Zuschrift an den Senat versandt, wo sie am folgenden Tag eintrafen.
Die nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingetretene Verfahrensverzögerung von zehn Monaten ist auf die Sachrüge hin von Amts wegen zu berücksichtigen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 617/16; vom 12. Februar 2015 - 4 StR 391/14, wistra 2015, 241, 242). Zur Kompensation genügt hier deren Anerkennung durch eine entsprechende Feststellung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 Rn. 38, 56, BGHSt 52, 124; EGMR, Urteil vom 10. Februar 2005 - 64387/01 Rn. 39, StV 2005, 475). Denn angesichts der Umstände (vgl. zu den maßgeblichen Kriterien nur BGH, Beschluss vom 16. April 2015 - 2 StR 48/15), insbesondere der Dauer der Verzögerung und der anzunehmenden Auswirkungen für einen keinem Haftbefehl unterliegenden und durch die angefochtene Entscheidung zu einer Bewährungsstrafe verurteilten Angeklagten ist ein Vollstreckungsabschlag nicht geboten. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass das Ausmaß der Verzögerung durch die ausgesprochen zügige Bearbeitung der Revisionssache beim Generalbundesanwalt deutlich gemildert worden ist.
3. Angesichts des geringfügigen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten insgesamt mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1215
Bearbeiter: Christian Becker