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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1207

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 251/23, Beschluss v. 12.09.2023, HRRS 2023 Nr. 1207


BGH 5 StR 251/23 - Beschluss vom 12. September 2023 (LG Berlin)

Ausschließung von der Ausübung des Richteramtes wegen Zeugenaussage (Sachgleichheit; keine Verfahrensidentität erforderlich).

§ 22 Nr. 5 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Sachgleichheit im Sinne von § 22 Nr. 5 StPO setzt keine Verfahrensidentität voraus. Sie ist auch dann gegeben, wenn ein Richter in einem anderen Verfahren zu demselben Tatgeschehen förmlich vernommen worden ist, das er jetzt abzuurteilen hätte. Die Vernehmung muss sich nicht auf eigene Wahrnehmungen zum Tatgeschehen beziehen. Es genügt, wenn sie Umstände thematisiert, die der Richter auch in dem ihm vorliegenden Verfahren im Hinblick auf Schuld- und Straffrage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bewerten muss.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Dezember 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Beschwerdeführer wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines früheren Urteils zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Er beanstandet zu Recht, dass an der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung seines Richteramts gemäß § 22 Nr. 5 StPO kraft Gesetzes ausgeschlossen war.

1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Der Beschwerdeführer war wegen der Raubtat zunächst mit zwei Tatbeteiligten vor einer allgemeinen Strafkammer angeklagt. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass er zur Tatzeit womöglich noch Heranwachsender war, trennte die Strafkammer das Verfahren gegen ihn ab und legte es der Jugendkammer vor, die es übernahm. Die Hauptverhandlungen beider Spruchkörper fanden zeitgleich statt; in beiden wurde der Geschädigte als Zeuge vernommen. In der Hauptverhandlung vor der allgemeinen Strafkammer beantragten die Verteidiger der gesondert Verfolgten, den Jugendkammervorsitzenden zu den Angaben des Geschädigten in der gegen den Angeklagten geführten Hauptverhandlung zeugenschaftlich zu vernehmen, um vermeintliche Widersprüche in den Aussagen nachzuweisen. Nach einer kurzen Unterbrechung wurde der sogleich herbeigerufene Jugendkammervorsitzende zu dem beantragten Beweisthema förmlich vernommen. Die Jugendkammer setzte ihre Hauptverhandlung in unveränderter Besetzung bis zur Urteilsverkündung fort, nachdem der Angeklagte nunmehr einem bereits zuvor gemachten Verständigungsvorschlag zugestimmt hatte.

2. Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Sie nötigt zur Aufhebung des Urteils mitsamt den Feststellungen.

a) Der Jugendkammervorsitzende war nach seiner Vernehmung kraft Gesetzes von der weiteren Ausübung seines Amtes in dem Verfahren ausgeschlossen. Denn er hat „in der Sache“ im Sinne von § 22 Nr. 5 StPO als Zeuge ausgesagt.

aa) Sachgleichheit setzt keine Verfahrensidentität voraus. Sie ist auch dann gegeben, wenn ein Richter in einem anderen Verfahren zu demselben Tatgeschehen förmlich vernommen worden ist, das er jetzt abzuurteilen hätte. Die Vernehmung muss sich nicht auf eigene Wahrnehmungen zum Tatgeschehen beziehen. Es genügt, wenn sie Umstände thematisiert, die der Richter auch in dem ihm vorliegenden Verfahren im Hinblick auf Schuld- und Straffrage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bewerten muss (BGH, Beschlüsse vom 22. Januar 2008 - 4 StR 507/07, StV 2008, 283; vom 22. Mai 2007 - 5 StR 530/06, NStZ 2007, 711; vom 27. September 2005 - 4 StR 413/05, NStZ 2006, 113, 114).

bb) So liegt es hier. Die Vernehmung des Jugendkammervorsitzenden als Zeuge zu den Angaben des Geschädigten betraf das auch in der von ihm geleiteten Hauptverhandlung zu beurteilende Raubgeschehen. Die Aussage des Geschädigten musste der Vorsitzende auch in seinem Verfahren bewerten.

b) Das Urteil unterliegt nach § 338 Nr. 2 StPO der Aufhebung, weil ein kraft Gesetzes ausgeschlossener Richter daran mitgewirkt hat. Denn die Hauptverhandlung ist auch nach der Zeugenvernehmung des Vorsitzenden unter seiner Leitung fortgesetzt und das Urteil mit ihm verkündet worden. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob er der Ansicht folgen könnte, wonach allein das Unterzeichnen der Urteilsurkunde durch einen gemäß § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossenen Richter einen Revisionsgrund nach § 338 Nr. 7 StPO begründen soll (so aber BGH, Beschlüsse vom 11. November 2020 - 2 StR 241/20, NStZ 2021, 751, 752; vom 13. Oktober 2021 - 2 StR 418/19, StV 2022, 794).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1207

Bearbeiter: Christian Becker