HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1191
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 126/23, Beschluss v. 16.08.2023, HRRS 2023 Nr. 1191
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. Juli 2022 wird
das Verfahren auf den Vorwurf der Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung beschränkt;
der Schuldspruch des vorgenannten Urteils dahin geändert, dass der Angeklagte der Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung schuldig ist; die tateinheitliche Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs entfällt.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einem Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich seine mit Verfahrensbeanstandungen und der ausgeführten Sachrüge begründete Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Senat hat das Verfahren mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung beschränkt und die tateinheitliche Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs entfallen lassen. Insoweit war der von der Strafkammer gewählte Ausgangspunkt, der Angeklagte sei „ohne den Willen“ der Geschädigten eingetreten, rechtlich bedenklich, denn nach herrschender Auffassung muss der Täter „gegen den Willen“ des Berechtigten in die Wohnung eindringen (vgl. MüKoStGB/Feilcke, 4. Aufl., § 123 Rn. 27 mwN). Es könnte weiter fraglich sein, ob der Angeklagte in die Wohnung „eingedrungen“ ist, weil ihm die Geschädigte auf sein Klopfen hin die Tür geöffnet hatte und weiter telefonierte, womit sie zum Ausdruck gebracht haben könnte, dass es ihr gleichgültig sei, wer die Wohnung betrat.
Die Verfahrensbeschränkung und die daraus resultierende Änderung des Schuldspruchs lassen den Strafausspruch unberührt. Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer angesichts des maßgeblichen Strafrahmens des § 224 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahre) und der tateinheitlich verwirklichten Delikte der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe bis fünf Jahre oder Geldstrafe) und der Bedrohung (§ 241 Abs. 1 StGB a.F.: Freiheitsstrafe bis ein Jahr oder Geldstrafe) ohne die tateinheitliche Verurteilung wegen des - ebenfalls nur mit Freiheitsstrafe bis ein Jahr oder Geldstrafe bedrohten - Hausfriedensbruchs nach § 123 Abs. 1 StGB auf eine niedrigere Einzelstrafe für die ausgeurteilte Tat erkannt hätte, zumal sich das Tatbild so darstellt, dass der Straftatbestand der Geiselnahme (§ 239b StGB) nach den Feststellungen jedenfalls objektiv verwirklicht wurde, dieser dem Landgericht aber offenbar aus dem Blick geraten ist.
2. Die Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.
Ergänzend dazu bemerkt der Senat:
Die Rüge einer Verletzung des Konfrontationsrechts ist jedenfalls unbegründet, weil - entgegen dem Revisionsvorbringen - die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung den Anforderungen entspricht, die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in solchen Konstellationen an die Beweiswürdigung gestellt werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 - 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 52 f.). Danach gilt:
Allein das Fehlen eines triftigen Grundes für das Nichterscheinen eines Zeugen in der Hauptverhandlung lässt noch nicht auf ein gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK verstoßendes, unfaires Verfahren schließen (zu den Anforderungen vgl. EGMR Urteil vom 15. Dezember 2015 - 9154/10, EuGRZ 2016, 511, 520 ff.). Im Einzelfall kann eine Verurteilung auch dann konventionsrechtlich unbedenklich sein, wenn das einzige oder maßgebliche Beweismittel, auf dem sie beruht, die Aussage eines Zeugen darstellt, den der Angeklagte nicht befragen oder befragen lassen konnte. Von maßgeblicher Bedeutung ist, ob die unterbliebene Möglichkeit zur Befragung durch kompensierende Maßnahmen (zum Beispiel durch Anwesenheit des Verteidigers bei der Zeugenbefragung) ausgeglichen wurde. Ist dies nicht der Fall und die unterbliebene konfrontative Befragung des Zeugen der Justiz zurechenbar, kann eine Verurteilung auf die Angaben des Zeugen nur gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden. In jedem Fall bedarf die Aussage eines Zeugen, den der Angeklagte nicht befragen (lassen) konnte, einer besonders sorgfältigen und kritischen Würdigung durch das Tatgericht (vgl. BGH, Urteile vom 4. Mai 2017 - 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 53 mwN; vom 13. Januar 2022 - 3 StR 341/21, NStZ 2022, 496, 498 mwN).
Diesen strengen Anforderungen ist die Strafkammer gerecht geworden, indem sie die Angaben der den Angeklagten maßgeblich belastenden Zeugin kritisch gewürdigt und eine Glaubhaftigkeits- und Glaubwürdigkeitsanalyse vorgenommen hat. Dabei hat sie die Aussage bestätigende andere Beweismittel (insbesondere Tatortbefunde und die Angaben von Polizeibeamten, die die Zeugin letztlich aus der Tatsituation befreiten) in den Blick genommen und in einer Gesamtwürdigung mit der Einlassung des Angeklagten abgeglichen, die sie indes - ohne Rechtsfehler - als in wesentlichen Teilen unplausibel, im Widerspruch zu anderen Beweisergebnissen stehend, lebensfern und an die jeweilige Verfahrenslage angepasst gewertet hat.
3. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Allerdings findet sich in der Beweiswürdigung der Strafkammer zur Vorgeschichte der Tat, die rechtlich bedenkliche Wendung, es sei „nicht logisch nachvollziehbar, warum der Angeklagte seine Geschichte nicht schon im Anschluss hieran [an die Vernehmung des Zeugen am ersten Hauptverhandlungstag], sondern erst am dritten Verhandlungstag vorgetragen“ habe. Darin könnte zum Ausdruck kommen, das Landgericht habe allein aus der Wahrnehmung prozessualer Schweigerechte unzulässige Schlüsse gezogen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2020 - 5 StR 411/20, NStZ 2021, 319 mwN, insoweit auch zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Berücksichtigung der Umstände der Einlassung, wie etwa der Möglichkeit, die Einlassung an bisherige Ermittlungsergebnisse anzupassen). Gleiches gilt, soweit es für seine Einschätzung, es handele sich bei der Einlassung des Angeklagten zur Tat um Schutzbehauptungen, ausgeführt hat, es sehe „sich in dieser Annahme nicht zuletzt angesichts des späten Zeitpunkts der Einlassung des Angeklagten bestätigt.“ Mit Blick auf die rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung der Strafkammer, die - ohne Berücksichtigung des Zeitpunkts der Einlassung - die Darstellung des Tatgeschehens durch den Angeklagten nachvollziehbar als unglaubhaft gewertet hat, schließt der Senat aus, dass das Urteil insoweit auf einem etwaigen Rechtsfehler beruht.
4. Angesichts des geringfügigen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten insgesamt mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1191
Bearbeiter: Christian Becker