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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 787

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 63/22, Beschluss v. 24.05.2022, HRRS 2022 Nr. 787


BGH 5 StR 63/22 - Beschluss vom 24. Mai 2022 (LG Dresden)

Rechtsfehlerhafte Prüfung der Schuldfähigkeit.

§ 20 StGB; § 21 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 13. Oktober 2021 aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist; jedoch bleiben die objektiven Feststellungen zu den Tatgeschehnissen aufrechterhalten.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen Missbrauchs von Notrufen, Sachbeschädigung in sechs Fällen, Bedrohung in zwei Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen und wegen Diebstahls sowie unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Von weiteren Anklagevorwürfen hat es den Angeklagten freigesprochen. Zudem hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das Rechtsmittel des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; auf die die Strafzumessung angreifenden Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an. Im Übrigen erweist sich die Revision als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Das Landgericht hat die Feststellungen zu den objektiven Tatgeschehen rechtsfehlerfrei getroffen. Indes hält seine Annahme, der Angeklagte habe die Taten nicht in einem die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand begangen, sondern er sei jeweils - mit Ausnahme Fall II.2 der Urteilsgründe - lediglich vermindert schuldfähig gewesen, der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand. Im Einzelnen:

1. Der von der Strafkammer hinzugezogene psychiatrische Sachverständige hat bei dem Angeklagten eine schizotype Störung diagnostiziert. Er habe erstmals Anfang des Jahres 2018 Stimmen gehört und sich verfolgt gefühlt sowie geglaubt, man habe ihm einen Computerchip implantiert und Sadisten hätten ihn töten oder in den Wahnsinn treiben wollen. Bei nahezu allen hier inmitten stehenden Taten habe er krankheitsbedingt vermeintlich aus Wohnungen kommende Geräusche oder Umstände wahrgenommen und daraus geschlossen, es würden Sexualstraftaten stattfinden und nur er könne den betroffenen Frauen helfen, indem er in die Wohnungen eindringe. Neben dieser Störung hat der Sachverständige beim Angeklagten eine Abhängigkeit von Cannabinoiden und einen zumindest schädlichen Gebrauch anderer Stimulanzien, vordergründig Methamphetamin, diagnostiziert. Der jedenfalls zeitweise hinzugetretene Konsum von Betäubungsmitteln und Alkohol habe bei ihm Veränderungen in Emotionalität und Affektivität verursacht. Er könne sich von aufkommenden Gedanken nur schwer bis gar nicht mehr lösen und gehe seinen Kontrollimpulsen ohne Rücksicht auf ihm bekannte Konsequenzen ungehemmt nach, so dass er bei den Taten den Handlungs- und Kontrollimpulsen oder Impulsdurchbrüchen keinen ausreichenden Widerstand habe entgegensetzen können.

2. Das Landgericht hat sich den Ausführungen des Sachverständigen aus eigener Überzeugung angeschlossen, die diagnostizierte Störung als krankhafte seelische Störung bewertet und angenommen, der Angeklagte sei bei Begehung sämtlicher Taten zwar nicht in seiner Einsichtsfähigkeit beeinträchtigt, jedoch - mit Ausnahme des Diebstahls im Fall II.2 der Urteilsgründe - krankheitsbedingt „ohne Zweifel“ in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert im Sinne von § 21 StGB gewesen. Eine darüber hinausgehende Schuldunfähigkeit hat es mit dem Sachverständigen „sicher ausgeschlossen“.

3. Diesen Ausschluss hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei belegt.

Es stützt sich zur Beurteilung der Steuerungsfähigkeit auch auf von ihm geteilte Ausführungen des Sachverständigen. Diese beinhalten indes Anhaltspunkte für eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit und stehen in einem von der Strafkammer nicht aufgelösten Widerspruch zur angenommenen verminderten Schuldfähigkeit.

So habe der Angeklagte „zumindest zeitweilig den bei ihm auftretenden Handlungs- und Kontrollimpulsen oder Impulsdurchbrüchen keinen ausreichenden Widerstand mehr entgegensetzen“ können. Er habe das „unbedingte Bedürfnis“ gehabt, wissen zu wollen, was in den Wohnungen geschehe; dies spreche „für krankheitsbedingte zwanghafte Ideen des Angeklagten, […], von denen er sich krankheitsbedingt nicht lösen kann und deswegen seinem Kontrollimpuls nachgibt“. Zudem sei der Angeklagte infolge seiner „Erkrankung […] jeweils nicht in der Lage [gewesen], sich von diesen Gedanken zu lösen, und folgte letztlich jeweils dem daraus entstandenen Handlungsimpuls“.

4. Der Rechtsfehler hat die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen zur Folge, in denen das Landgericht eine eingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten angenommen hat. Damit das neue Tatgericht eine in sich stimmige und widerspruchsfreie Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten für alle Taten vornehmen kann, hebt der Senat auch den Schuldspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe auf. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nach sich.

5. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den äußeren Abläufen der Taten haben jedoch Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann insoweit ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 787

Bearbeiter: Christian Becker