HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 739
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 533/22, Urteil v. 13.04.2023, HRRS 2023 Nr. 739
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. Juli 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Gegen den Angeklagten M. hat es - unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung - eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und gegen den Angeklagten Ma. eine solche von zwei Jahren und sieben Monaten verhängt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Am 12. März 2021 hielten sich mehrere Männer - darunter die Angeklagten und der Nebenkläger - vor einem Café auf, die sich in kleinen Gruppen unterhielten und Kaffee tranken. Ohne ersichtlichen Grund versuchte der Nebenkläger, den Angeklagten M. mit einer Metallstange zu schlagen. Einer der herumstehenden Männer konnte den Schlag abwehren und den Nebenkläger zu Boden stoßen. M. entriss dem Angreifer das Schlagwerkzeug, während der Angeklagte Ma. und eine weitere Person auf diesen eintraten. Dennoch gelang es dem Nebenkläger, wieder aufzustehen. Es kam nun zu einem Gerangel, bei dem sich zwei Gruppen gegenübersahen, wobei die Angeklagten zur einen und der Nebenkläger zur anderen gehörten. Nachdem sich die Situation beruhigt und der Konflikt (auch) aus Sicht der Angeklagten ein Ende gefunden hatte, entfernte sich die Gruppe um den Nebenkläger in Richtung eines nahegelegenen S-Bahnhofes.
Währenddessen rief der Nebenkläger dem Angeklagten M. zu: „Ich ficke Deine Frau, ich ficke Deine Tochter.“ Gefolgt von anderen vor dem Café stehenden Männern stürmte der darüber erzürnte M. auf den Nebenkläger zu. Die beiden Gruppen bewegten sich zunächst hinter eine Litfaßsäule und dann zu einem Taxistand vor dem Bahnhof. In Verletzungsabsicht schlug M. den Nebenkläger mit der Hand, während der Angeklagte Ma. ihm durch einen Schlag mit der Metallstange auf den Kopf eine Platzwunde zufügte. Auch andere Mitglieder der Gruppe um die Angeklagten schlugen auf den Nebenkläger ein. Der Geschädigte erlitt durch die Gewalthandlungen ein offenes Schädel-Hirn-Trauma mit Brüchen des Schädelbasisknochens und eine Hirnblutung. Zudem verlagerten sich infolge eines Bruchs des Stirnknochens Knochensplitter in die Hirnhaut. Die Verletzungen waren potentiell lebensgefährlich. Der Nebenkläger wurde von einem Cousin zur Polizei und anschließend in ein Krankenhaus gebracht, wo die Knochensplitter operativ entfernt werden konnten.
2. Das Landgericht hat die Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden. Hinsichtlich beider Angeklagter hat es die Variante der gemeinschaftlichen Begehung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) angenommen, für den Angeklagten Ma. zudem die Variante der Begehung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Eine Zurechnung der lebensgefährdenden Gewalthandlungen (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) anderer Angreifer aus ihrer Gruppe nach § 25 Abs. 2 StGB hat es mangels gemeinsamen Tatentschlusses abgelehnt. Aus dem gleichen Grund hat das Landgericht dem Angeklagten M. auch nicht die Verwendung der Metallstange (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) durch den Mitangeklagten Ma. zugerechnet.
Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet. Die Ablehnung einer mittäterschaftlichen Tatbegehung im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB setzt einen gemeinsamen Tatentschluss voraus, auf dessen Grundlage jeder Mittäter einen objektiven Tatbeitrag leisten muss. Bei der Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass dieser als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. September 2017 - 2 StR 161/17, NStZ-RR 2018, 40 mwN). Der gemeinsame Tatplan muss nicht ausdrücklich gefasst werden, vielmehr genügt eine konkludente Übereinkunft im Sinne einer irgendwie hergestellten Willensübereinstimmung, die auch durch schlüssige Handlungen in Form arbeitsteiliger Tatausführung geschaffen werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 18. Juni 2020 - 4 StR 482/19, BGHSt 65, 42, 47; vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 292; Beschluss vom 2. Oktober 1984 - 4 StR 551/84, NStZ 1985, 70, 71; LK/Schünemann/Greco, StGB, 13. Aufl., § 25 Rn. 195; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 25 Rn. 33; SSWStGB/Murmann, 5. Aufl., § 25 Rn. 38).
2. Gemessen daran stellt es einen durchgreifenden Rechtsfehler dar, dass das Landgericht einen gemeinsamen Tatentschluss aller Tatbeteiligten aus der Gruppe um die Angeklagten dahingehend, den Nebenkläger mit Gewalthandlungen zu verletzen, verneint hat.
a) Seine Wertung hat es im Wesentlichen wie folgt begründet: Da die zeitliche Abfolge der Gewalthandlungen gegen den Nebenkläger nicht festzustellen gewesen sei, müsse zugunsten der Angeklagten angenommen werden, dass ihre „jeweiligen Tatbeiträge zuerst erfolgten“ und sie keine weiteren Verletzungshandlungen vornahmen. Es habe daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können, dass einer der beiden Angeklagten „sich die geschaffene Lage durch bereits erfolgte Gewalteinwirkungen gegen den Geschädigten zunutze gemacht oder die Angriffe gegen den Geschädigten unter Billigung dieser Gewalteinwirkungen fortgesetzt“ habe. Ein gemeinsamer Tatentschluss der Beteiligten könne erst gefasst worden sein, „nachdem“ die Angeklagten ihren jeweiligen „Tatbeitrag bereits ausgeführt“ hatten.
b) Dem Landgericht ist danach vollständig aus dem Blick geraten, dass die Mitglieder der Gruppe um die Angeklagten unmittelbar nach der beleidigenden Äußerung durch den Nebenkläger konkludent übereingekommen sein könnten, diesen gemeinschaftlich gewalttätig anzugreifen.
Nach den Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen entriss der Angeklagte M. dem Nebenkläger die Metallstange, mit der dieser ihn angegriffen hatte. Zugleich traten der Angeklagte Ma. und eine weitere Person auf den Nebenkläger ein. Anschließend kam es noch vor dem Café zu einem Gerangel zwischen den beiden Gruppen. Aufgrund der Beleidigung durch den Nebenkläger, die den zwischenzeitlich beendeten Konflikt wieder aufflammen ließ, stürzte M. gefolgt von dem Mitangeklagten Ma. und den anderen Männern, die mit ihm vor dem Café standen, auf den Nebenkläger zu und schlugen im Rahmen eines dynamischen Geschehens unter Verwendung der Metallstange auf diesen ein. Währenddessen verlagerten sich die beiden Gruppen örtlich.
Angesichts dieser Feststellungen hätte es sich dem Landgericht aufdrängen müssen, dass sich in dem gemeinsamen „Zustürmen“ der Gruppe um die Angeklagten auf den Nebenkläger mit der anschließenden eigenhändigen Beteiligung der Angeklagten und weiterer Mitglieder ihrer Gruppe an den Gewalthandlungen ein stillschweigend gefasster gemeinsamer Tatentschluss im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB manifestiert haben könnte. Dies gilt umso mehr, als sich die Strafkammer insbesondere aufgrund eines überwachten Telefonats des Angeklagten M. davon überzeugt hat, dass die Tatbeteiligten aus der Gruppe um die Angeklagten „nicht unabhängig voneinander, sondern gemeinsam“ gegen die Gruppierung um den Nebenkläger „agierten“. Da die Urteilsgründe insofern schweigen, ist zu besorgen, dass das Landgericht einen zu engen rechtlichen Maßstab an die Voraussetzungen der Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB angelegt hat.
c) Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Zwar hat das Landgericht seine Auffassung hilfsweise damit begründet, dass es nicht habe feststellen können, ob „die jeweiligen Tatbeiträge“ der anderen Beteiligten vom Vorsatz der Angeklagten umfasst gewesen seien. Auch dies hält der rechtlichen Nachprüfung aber nicht stand. Zum einen fehlt es insoweit an einer tragfähigen Beweiswürdigung. Zum anderen ist auch in diesem Zusammenhang zu besorgen, dass das Landgericht einen falschen rechtlichen Maßstab angelegt hat. Denn Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden muss, werden vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sich diese nicht besonders vorgestellt hat; ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn er mit der Handlungsweise seines Tatgenossen einverstanden oder sie ihm zumindest gleichgültig war (vgl. BGH, Urteil vom 6. Januar 2021 - 5 StR 288/20, NStZ 2021, 287, 288). Ein Mittäterexzess erscheint angesichts des gewalttätigen Angriffs durch mehrere Personen unter Verwendung einer Metallstange fernliegend.
3. Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem neu zuständigen Tatgericht eine in sich schlüssige Bewertung auf widerspruchsfreier Tatsachengrundlage zu ermöglichen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf den Zeitpunkt der Verursachung der schweren Schädelverletzung sowie für die Frage, ob der Angeklagte M. den Nebenkläger - wie bisher festgestellt - lediglich „einmal“ schlug oder - was das Landgericht der rechtlichen Würdigung betreffend die gemeinschaftliche Begehung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zugrunde gelegt hat - die Tat gemeinsam mit weiteren Tatbeteiligten „durch Schläge“ gegen den Nebenkläger und andere Personen aus dessen Gruppe fortsetzte.
4. Sollte sich das neue Tatgericht von einem gemeinsamen Angriff auf den Nebenkläger überzeugen können, wird es - eingedenk seiner schweren Kopfverletzungen und den ausweislich der Telefonüberwachung getätigten Äußerungen des Angeklagten Ma. („… ich schlug ihn schlimm. Ich spaltete ihm den Kopf. Ich schlug ihm mit dem Eisen genau auf den Kopf.“) - die Frage eines Tötungsvorsatzes und die sich daran anschließende Frage eines Rücktritts vom Versuch nach § 24 Abs. 2 StGB auch unter dem Blickwinkel der Mittäterschaft in den Blick nehmen müssen.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 739
Bearbeiter: Christian Becker