HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 471
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 500/22, Urteil v. 01.03.2023, HRRS 2023 Nr. 471
Die Revision des Beschuldigten gegen das vorbenannte Urteil wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Beschuldigten im Sicherungsverfahren in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte Revision des Beschuldigten, die mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist verbunden worden ist. Dem Beschwerdeführer ist zwar die begehrte Wiedereinsetzung zu gewähren, seine Revision bleibt aber erfolglos.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts besuchte der nicht vorbestrafte Beschuldigte 13 Jahre die Schule in T. und war dort ein guter Schüler. Nach zwei Jahren Militärdienst und verschiedenen Berufstätigkeiten kam er 2016 über die Türkei nach Deutschland. Er verfügt über eine Aufenthaltsgenehmigung. Eine Ausbildung im IT-Bereich hat er abgebrochen, zuletzt lebte er von staatlichen Transferleistungen.
Der Beschuldigte leidet seit einigen Jahren an einer paranoiden Schizophrenie. Er bildet sich ein, als Jude geboren zu sein, was seine Familie vor ihm geheim gehalten habe. Im Jahr 2016 ließ er sich in Deutschland evangelisch taufen. Es besteht bei ihm ein geschlossenes paranoides System. Während psychotischer Episoden verfügt er über keinen Realitätsbezug, hat Wahnvorstellungen und leidet an Beeinflussungs- und Beeinträchtigungserleben. Die Einnahme von Medikamenten im Maßregelvollzug lehnt er kategorisch ab, weil er meint, dies könne bei ihm aufgrund familiärer Vorbelastung zu Diabetes führen.
Noch im Jahr seiner Ankunft in Deutschland lernte der Beschuldigte die deutlich ältere F. kennen, die in der evangelischen Segenskirchgemeinde aktiv war und von der Pfarrerin gebeten wurde, dem Beschuldigten eine Wohnung zur Verfügung zu stellen, was sie auch tat. Im Juli 2017 zog er dort zwar wieder aus, es entwickelte sich aber eine intime Freundschaft zwischen beiden. Sie half ihm, lernte seine Familie im Iran über Videotelefonie kennen und vermietete ihm erneut eine Wohnung.
Ab Februar 2018 zeigte der Beschuldigte Verhaltensauffälligkeiten wie Gefühlsausbrüche und verbale Übergriffe. Als F. ihm Geld für den Kauf eines Kühlschranks für ihre Wohnung gab, kaufte er sich hiervon eine Armbanduhr. Sie beendete die Intimbeziehung bis Sommer 2018, weil sie einen neuen Lebensgefährten kennen lernte. Dieser bekam vom Beschuldigten auch die besagte Uhr und gab diese an F. weiter. Wegen ausstehender Mietzahlungen kündigte sie seine Wohnung. Der Beschuldigte zog nach einer Räumungsklage im Juni 2019 aus und hinterließ die Wohnung mit erheblichen Beschädigungen.
Ab Oktober 2021 schickte der Beschuldigte F. beleidigende Nachrichten („Nazi“, „NaziBitch“). Anfang Dezember 2021 forderte er die Uhr zurück, die für ihn eine besondere Bedeutung hatte und die er als sein Eigentum ansah. Am 20. Dezember 2021 forderte er in einer Sprachnachricht wieder die Uhr und kündigte an, ansonsten die Haustür einzuschlagen. Am 29. Dezember 2021 wiederholte er die Forderung mit dem Zusatz, es werde „etwas Schlimmes“ passieren.
Vor diesem Hintergrund kam es zur Anlasstat: Am 30. Dezember 2021 gegen 13.30 Uhr zerschlug der Beschuldigte mit einem Besenstiel teilweise die Verglasung der Eingangstür zum Wohnhaus der F., einem Reihenhaus. Er verschüttete an der Tür Brandbeschleuniger (Kerzenöl, im Kanister mitgebrachtes Benzin) und zündete ihn an. Wie von ihm erstrebt fingen die Eingangstür und teilweise der Türrahmen Feuer und brannten mit meterhoher Flamme und starker Rauchentwicklung selbständig weiter. Die von Anwohnern herbeigerufene Feuerwehr konnte den Brand nach etwa zehn Minuten löschen. Das Feuer verbrannte das Holz der Haustür und einer Vertäfelung, der Eingangsbereich des Hauses wurde stark verrußt. Bei der Tatbegehung war die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten krankheitsbedingt aufgehoben, „seine Steuerungsfähigkeit war zumindest erheblich vermindert“.
2. Das Landgericht hat auf der Grundlage der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, denen es gefolgt ist, die Voraussetzungen einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus bejaht: Der Beschuldigte leide spätestens seit seiner Ankunft in Deutschland an einer krankhaften seelischen Störung, nämlich einer paranoiden Schizophrenie mit episodischem Verlauf. Diese sei gekennzeichnet durch psychotisches Erleben, Wahninhalte und Verfolgungssymptome. Er denke etwa, die Geschädigte sei Tochter eines SS-Offiziers, wolle ihn töten und in einem Ofen in ihrer Wohnung verbrennen. Er meine auch, 70 % aller Iraner seien Juden.
Als Anlasstat hat die Strafkammer eine schwere Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB angenommen, wobei die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bei Tatbegehung krankheitsbedingt aufgehoben gewesen sei. Unbehandelt seien entsprechende Taten „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ zu erwarten. Derzeit stehe zwar die Geschädigte im Zentrum seines Wahnsystems. Bei zukünftigen tatsächlich oder wahnbedingt erlebten Konfliktsituationen sei aber zu erwarten, dass er andere Menschen darin einbeziehe und vergleichbar agiere. Er fühle sich in Deutschland antisemitisch verfolgt, was entsprechende Abwehrhandlungen befürchten lasse. Die Krankheits- und Behandlungsprognose sei derzeit ungünstig. Er habe Leidensdruck, aber keine Krankheitseinsicht. Es gebe aber zwar auch positive Faktoren wie eine positive Grundstruktur und ein spätes Auftreten der ersten Gewaltausbrüche. Soweit er trotz längerer Erkrankung erst jetzt erstmals eine schwerwiegende Tat begangen habe, spreche dies angesichts der Schwere und Gefährlichkeit der Tat aber nicht gegen die krankheitsbedingt sehr ungünstige Prognose. Eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung komme derzeit nicht in Betracht.
Dem Beschuldigten war - wie vom Generalbundesanwalt beantragt - Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist zu gewähren, da ein dem Beschuldigten nicht zurechenbares Anwaltsversehen das Fristversäumnis verursacht hat, binnen Wochenfrist nach Kenntniserlangung Wiedereinsetzungsantrag gestellt und die versäumte Handlung gegenüber dem mit dem Wiedereinsetzungsantrag befassten Revisionsgericht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 45 Rn. 4 mwN) formgerecht nachgeholt worden ist (vgl. § 46 Abs. 1 StPO).
Die mit der Sachrüge geführte Revision des Beschuldigten hat entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtsfehlerfrei bejaht.
1. Insoweit gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2022 - 5 StR 125/22 mwN): Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig war, und die Tatbegehung hierauf beruht. Dabei muss es sich um einen länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekt handeln, der zumindest eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet. Das Tatgericht hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
Schließt sich das Gericht bei Beurteilung der Schuldfähigkeit - wie hier - den Ausführungen des Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist. Die Urteilsgründe müssen zudem die notwendige Differenzierung zwischen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit und eine eindeutige Bewertung des psychischen Zustands des Beschuldigten erkennen lassen. Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose hat auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu erfolgen. Als prognoseungünstig herangezogene tatsächliche Umstände aus dem Vorleben des Täters müssen dabei rechtsfehlerfrei festgestellt und belegt sein.
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht.
a) Die Beweiswürdigung zu der vom Landgericht angenommenen krankhaften seelischen Störung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.
Hierfür hat sich die Strafkammer auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen gestützt, denen sie im Ergebnis gefolgt ist. Der Sachverständige hat den Beschuldigten exploriert sowie in der Hauptverhandlung erlebt und konnte für seine Einschätzung zusätzlich die in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel (Angaben der Geschädigten und des Zeugen E., Videoaufnahme von der Tat, Sprachnachrichten des Beschuldigten) heranziehen. Dies ergab aus sachverständiger Sicht das in sich stimmige und mit der Tatbegehung ohne weiteres zu vereinbarende Bild einer zur Tatzeit bestehenden paranoiden Schizophrenie, an der der Beschuldigte schon seit längerer Zeit erkrankt ist. Dass sich der psychiatrische Sachverständige bei seiner Einschätzung in wesentlichen Teilen auch auf Angaben des Beschuldigten zu Wahninhalten gestützt hat, begründet keinen Rechtsfehler. Aufgrund seiner Sachkunde ist er in besonderem Maße dazu berufen, diese in Bezug auf ein psychisches Krankheitsbild zu bewerten. Es handelt sich deshalb nicht um relevante Beweiswürdigungsmängel im Umgang mit der Einlassung des Beschuldigten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 - 5 StR 109/19, RuP 2020, 36; Mosbacher, FPPK 2020, 446, 450 ff. mwN).
b) Im Ergebnis ist das Landgericht - dem Sachverständigen folgend - zu der eindeutigen Diagnose einer seit mehreren Jahren bestehenden paranoiden Schizophrenie mit episodischem Verlauf gelangt. Hierdurch bedingt war das Verhalten des Beschuldigten in den letzten beiden Jahren immer wieder zumindest partiell psychotisch motiviert, wobei er unter einem massiven Bedrohungserleben gepaart mit dem Empfinden der Derealisation gelitten hat. Eine solche psychotische Episode hat die Strafkammer ersichtlich auch bei Tatbegehung angenommen und geschlussfolgert, dass diese sein Handeln bestimmte, ohne dass er in diesen Momenten noch einen Realitätsbezug gehabt habe. Hieraus und aus seiner Einlassung in der Hauptverhandlung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auf ein Fehlen der Einsichtsfähigkeit zur Tatzeit geschlossen. Dass es daneben an einer Stelle im Urteil auch noch eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit angenommen hat, obgleich die Steuerungsfähigkeit grundsätzlich erst zu prüfen ist, wenn der Täter in der Lage ist, das Unrecht seines Tuns einzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2020 - 4 StR 12/20 mwN), stellt die Unterbringungsvoraussetzungen nicht in Frage.
c) Noch detailliertere Ausführungen zum symptomatischen Zusammenhang zwischen Erkrankung und Anlasstat waren bei dem diagnostizierten Krankheitsbild, dem Handeln in einem akut psychotischen Zustand und der Art und Weise der Ausführung der angekündigten Tat entbehrlich.
d) Bei seiner Gefährlichkeitsprognose hat die Strafkammer schließlich auch bedacht, dass der Beschuldigte bislang nicht durch rechtswidrige Taten aufgefallen ist (vgl. hierzu nur BGH, Beschluss vom 6. Mai 2020 - 4 StR 12/20 mwN). Sie hat angesichts des Krankheitsbildes und der Gefährlichkeit der Anlasstat aber gleichwohl rechtsfehlerfrei die erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten angenommen.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 471
Bearbeiter: Christian Becker