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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 734

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 283/22, Urteil v. 10.11.2022, HRRS 2023 Nr. 734


BGH 5 StR 283/22 - Urteil vom 10. November 2022 (LG Hamburg)

BGHSt; keine privilegierende Spezialität zwischen Fälschen von Gesundheitszeugnissen und Urkundenfälschung (Impfbescheinigung; Impfpass; Herstellen; Gebrauchen; unechte Urkunde; schriftliche Lüge; Vorlage gegenüber einer Medizinalperson; Apotheke; Arzt).

§ 267 Abs. 1 StGB; § 277 StGB

Leitsätze

1. Das Fälschen von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB aF steht zur Urkundenfälschung nach § 267 StGB nicht im Verhältnis privilegierender Spezialität. (BGHSt)

2. Bei den §§ 267, 277 a.F. StGB handelt es sich um zwei Tatbestände, die verschieden geartete Begehungsweisen erfassen, aber gemeinsame Unrechtselemente aufweisen, so dass es zu einer im Strafgesetzbuch nicht ungewöhnlichen Überschneidung der Anwendungsbereiche kommt. Die Anwendbarkeit des einen Tatbestands schließt die Anwendbarkeit des anderen deswegen nicht aus. (Bearbeiter)

3. Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren Gesichtspunkt erfasst, also spezieller ist. Soll der Täter durch das weitere, speziellere Merkmal bessergestellt werden als der Täter nur des allgemeinen Delikts, so handelt es sich um einen Fall der privilegierenden Spezialität. Dann ist ein Rückgriff auf das allgemeinere Delikt ausgeschlossen, da anderenfalls die Privilegierung beseitigt würde. (Bearbeiter)

4. Ob die speziellere Vorschrift den Täter begünstigen soll, ist anhand des Zwecks dieser Vorschrift, des inneren Zusammenhangs der miteinander konkurrierenden Bestimmungen und des Willens des Gesetzgebers zu prüfen. Die Annahme einer Privilegierung bedarf mithin stets einer spezifischen Rechtfertigung. (Bearbeiter)

5. Die Voraussetzungen privilegierender Spezialität zwischen § 267 StGB und § 277 StGB a.F. liegen nicht vor. Das ergibt sich nach der Ansicht des Senats insbesondere aus der Gesetzesgeschichte sowie aus systematischen Erwägungen. Auch aus dem Wortlaut ist eine privilegierende Spezialität nicht abzuleiten. Der Senat verkennt nicht, dass durch seine Auslegung § 277 StGB a.F., von der Begehungsvariante der schriftlichen Lüge abgesehen, keinen eigenständigen Anwendungsbereich mehr hat. Dieses Ergebnis ist jedoch durch den Gesetzgeber vorgezeichnet worden, indem er den Anwendungsbereich des § 267 StGB stetig ausgeweitet und die Vorschrift zu einem einaktigen Delikt mit überschießender Innentendenz umgestaltet hat. (Bearbeiter)

6. Der Impfpass ist eine Urkunde im Sinne des § 267 StGB. Die Eintragung einer Impfdokumentation in einen auf eine bestimmte Person ausgestellten Impfausweis stellt eine verkörperte Gedankenerklärung dar, die zum Beweis geeignet und bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen lässt. Die in der ausgefüllten Zeile des Impfausweises enthaltenen Angaben über Datum der Impfung, Impfstoff und Charge ergeben im Zusammenhang mit den Personalien auf dem Deckblatt des Impfausweises die Erklärung des Impfarztes, der genannten Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Tag unter Verwendung eines Vakzins einer bestimmten Charge verabreicht zu haben. (Bearbeiter)

7. Eine Impfbescheinigung fällt auch unter den Begriff des Gesundheitszeugnisses im Sinne von § 277 StGB a.F. Dieser Begriff umfasst schriftliche Erklärungen, in denen der Gesundheitszustand eines Menschen beschrieben wird. Gegenstand kann auch eine frühere Erkrankung oder eine Prognose über die künftige gesundheitliche Entwicklung sein. Eine solche Aussage über die Veränderung des Gesundheitszustandes wird auch durch die implizit in einem Impfnachweis enthaltene Feststellung getroffen, dass der Impfpassinhaber mit einem bestimmten Wirkstoff geimpft sei und dieser Wirkstoff bei Kontakt mit einem Virus zu bestimmten körperlichen Reaktionen führe. (Bearbeiter)

8. Der für die Bejahung des Merkmals des Gesundheitszeugnisses erforderliche Aussagegehalt wird nicht bereits durch die Angaben zum Datum der Impfung, zum Impfstoff und zur Chargennummer gewährleistet, sondern erst durch die Personalien auf dem Deckblatt des Impfausweises, auf die sich die Angaben zur Impfung beziehen (vgl. auch Leitsatz 6 zu § 267 StGB). Die ärztliche Unterschrift bezeugt mithin, den Inhaber des Ausweises mit dem näher bezeichneten Vakzin geimpft zu haben. (Bearbeiter)

9. Anders als für den Tatbestand der Urkundenfälschung genügt es für § 277 StGB a.F. nicht, dass die Urkunde in der Absicht hergestellt wird, sie später zur Täuschung im Rechtsverkehr zu gebrauchen. Vielmehr verlangt der Tatbestand des § 277 StGB a.F. den Gebrauch der Urkunde zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften. Ein gefälschtes Gesundheitszeugnis gebraucht nur derjenige, der es dem zu Täuschenden so zugänglich macht, dass dieser es wahrnehmen kann. Erforderlich ist, dass der Täuschungsadressat in die Lage versetzt wird, vom Inhalt des Gesundheitszeugnisses durch eigene Einsichtnahme Kenntnis zu nehmen. Ob es für den Gebrauch ausreichen könnte, dass der Fälscher das Zeugnis lediglich einem Dritten für dessen Gebrauch überlässt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. (Bearbeiter)

10. Apotheken kommen als Vorlageadressaten im Sinne des § 277 StGB a.F. nicht in Betracht, da Apotheken keine Behörden sind. Darunter fallen vielmehr nur solche Stellen, welche die vorgelegten Zeugnisse zur Beurteilung des Gesundheitszustands einer Person verwenden. Nach § 1 ApoG obliegt den Apotheken indes die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Unter diese Aufgabe fällt nicht die Beurteilung des Gesundheitszustands von Personen auf der Grundlage eines von einer (anderen) Medizinalperson erstellten Zeugnisses. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 1. März 2022 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen und von einer Einziehungsanordnung abgesehen worden ist; ausgenommen hiervon sind die in der Spardose in der Wohnung im T. 38 in H. aufgefundenen und sichergestellten 733,60 Euro.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 20.000 Euro angeordnet. Vom Vorwurf der Urkundenfälschung in neun Fällen (2. bis 9. und 11. der Anklage) hat es ihn freigesprochen.

Gegen den Freispruch sowie die Nichtanordnung der Einziehung - mit Ausnahme der im Tenor bezeichneten 733,60 Euro - wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat umfassenden Erfolg.

A.

Die Strafkammer hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Sie hat folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde gelegt:

I.

Der Angeklagte entschloss sich, im August 2021 in H. eigenhändig Impfausweise mit Eintragungen zu angeblichen Impfungen gegen das SARSCoV-2-Virus anzufertigen oder bereits bestehende Impfausweise mit solchen Eintragungen zu ergänzen, um die Impfausweise gegen Bezahlung anderen Personen zu überlassen. Hiermit sollte den Abnehmern ermöglicht werden, mittels der Impfausweise Schutzimpfungen nachzuweisen, um in Apotheken digitale Impfzertifikate zu erlangen oder aufgrund der COVID-19-Pandemie bestehende Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte, etwa in der Gastronomie, zu umgehen. Der Angeklagte beabsichtigte, sich durch diese Geschäfte eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.

In Umsetzung seines Plans fertigte er zwischen dem 25. August und dem 9. September 2021 Impfausweise dadurch an, dass er entweder unausgefüllte Impfausweisvordrucke auf der Vorderseite mit den Personalien der angeblich geimpften Personen beschriftete oder bereits mit Personalien beschriftete Impfausweise verwendete, um dann jeweils auf den inneren Seiten des Impfausweises angebliche Impfungen einzutragen. Hierzu vermerkte er die vermeintlichen Daten für Erst- und Zweitimpfungen gegen das SARSCoV-2-Virus handschriftlich und versah die Eintragungen jeweils in derselben Zeile mit selbst gedruckten Aufklebern des angeblich verwendeten Impfstoffs „Comirnaty“ einschließlich fiktiver Chargennummern sowie mit dem Stempel „Landkreis H., Impfzentrum B., R. Straße 27, B. ". Auf dem Stempel unterschrieb er jeweils mit einem nachgeahmten oder erfundenen Namenszug, um hierdurch den Eindruck zu erwecken, die betreffende Unterschrift sei von einem Arzt des Impfzentrums geleistet worden.

Der Angeklagte führte insgesamt neun Bestellungen zur Herstellung gefälschter Impfbescheinigungen aus, wobei er teils mehrere Dokumente erstellte, etwa wenn ein Abnehmer nicht nur für sich, sondern auch für Angehörige gefälschte Impfdokumente bestellt hatte.

Während in den Anklagefällen 2 bis 9 die vom Angeklagten gefertigten Impfbescheinigungen an die Abnehmer übergeben wurden, konnten im Anklagefall 11 die bereits fertiggestellten Dokumente beim Angeklagten sichergestellt werden. Außerdem wurden bei ihm 188 Impfausweisvordrucke, weitere 203 mit Chargennummernaufklebern versehene Impfpassvordrucke, ein Etikettendruckgerät sowie der vorbenannte Stempel mit den Daten „Impfzentrum B.“ gefunden. Zudem wurden 33.100 Euro sichergestellt, die nach den Wertungen des Landgerichts nicht aus Betäubungsmittelgeschäften stammen und deren Herkunft aus Impfausweisgeschäften „naheliegt“.

II.

Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil er durch das Erstellen unzutreffender Impfbescheinigungen keinen Straftatbestand erfüllt habe.

Eine Strafbarkeit wegen Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322) scheitere daran, dass die Vorschrift eine Verwendung der Falsifikate bei einer Behörde oder einer Versicherung vorausgesetzt habe. Hierunter fielen weder Gastronomiebetriebe noch Apotheken.

Wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB habe der Angeklagte nicht verurteilt werden können, weil der Gesetzgeber mit § 277 StGB aF eine abschließende Sonderregelung geschaffen habe, die zu § 267 StGB im Verhältnis privilegierender Spezialität gestanden habe. In Übereinstimmung mit einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung ist das Landgericht von einer Sperrwirkung des Tatbestands des § 277 StGB aF ausgegangen, die den Rückgriff auf den Tatbestand der Urkundenfälschung verboten habe. Dies gelte selbst dann, wenn - wie hier - der Tatbestand nicht vollständig erfüllt sei. Denn die Wertentscheidung, die Fälschung von Gesundheitszeugnissen nur unter einer weiteren Voraussetzung, nämlich deren Vorlage bei Behörden oder Versicherungsgesellschaften zu bestrafen, dürfe nicht unterlaufen werden.

An der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.950 Euro und an der erweiterten Einziehung von Taterträgen hat es sich aus Rechtsgründen gehindert gesehen. Denn es fehle an einer rechtswidrigen (Erwerbs-)Tat im Sinne von §§ 73, 73a StGB.

B.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der Freispruch in den Anklagefällen 2 bis 9 und 11 hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Denn das Landgericht hat zu Unrecht eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) verneint.

I.

Zutreffend ist allerdings, dass der Angeklagte sich nicht wegen der Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB aF strafbar gemacht hat.

Der zweiaktig aufgebaute Tatbestand setzt voraus, dass jemand unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperson oder unberechtigt unter dem Namen solcher Personen ein Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen ausstellt oder ein derartiges echtes Zeugnis verfälscht (erster Teilakt) und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht (zweiter Teilakt).

1. Den ersten Teilakt hat der Angeklagte auf der Grundlage der Feststellungen verwirklicht. Er hat durch die Eintragungen in den Impfausweisen ein Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen ausgestellt.

a) Gesundheitszeugnisse im Sinne von § 277 StGB aF sind schriftliche Erklärungen, in denen der Gesundheitszustand eines Menschen beschrieben wird. Gegenstand kann auch eine frühere Erkrankung oder eine Prognose über die künftige gesundheitliche Entwicklung sein, ebenso die Bescheinigung therapeutischer Maßnahmen (MüKoStGB/Erb, 4. Aufl., § 277 Rn. 2; Spickhoff/Schuhr, Medizinrecht, 4. Aufl., § 278 Rn. 5). Danach stellt eine Impfbescheinigung ein solches Gesundheitszeugnis dar. Denn dieses Merkmal umfasst bereits nach seinem Wortsinn nicht nur Feststellungen zum gegenwärtigen Gesundheitszustand eines Menschen, sondern auch über die Aussichten, von bestimmten Krankheiten befallen oder von ihnen verschont zu werden (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 277 Rn. 2; LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 277 Rn. 2; MüKoStGB/Erb, 4. Aufl., § 277 Rn. 2; Spickhoff/Schuhr, Medizinrecht, 4. Aufl., § 278 Rn. 5). Eine Aussage über die Veränderung des Gesundheitszustandes wird auch durch die implizit in einem Impfnachweis enthaltene Feststellung getroffen, dass der Impfpassinhaber mit einem bestimmten Wirkstoff geimpft sei und dieser Wirkstoff bei Kontakt mit einem Virus zu bestimmten körperlichen Reaktionen führe (vgl. auch HansOLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 1 Ws 114/21 Rn. 16; für die Besonderheiten aufweisende Pockenschutzimpfung: BGH, Urteil vom 24. April 1963 - 2 StR 81/63; RG, Urteil vom 21. September 1893 - 2404/93, RGSt 24, 284, 286).

Dieser Aussagegehalt lässt sich aber nicht bereits der Zeile auf den Innenseiten des Impfausweises entnehmen, in der das Datum der Impfung, der Impfstoff und die Chargennummer eingetragen werden. Es bedarf vielmehr der Zuordnung der Verabreichung einer Impfdosis zu einer bestimmten Person (vgl. hierzu im Gegenschluss den durch Gesetz vom 22. November 2021 [BGBl. I S. 4906] eingeführten Absatz 1a des § 275 StGB, der erstmals Formen des Umgangs mit „noch nicht personalisierten“ BlankettImpfausweisen als Vorbereitungshandlung des Herstellens falscher Impfausweise unter Strafe stellt, „um die Strafbarkeit sämtlichen strafwürdigen Verhaltens im Bereich der Fälschung von Impfausweisen zweifelsfrei sicherzustellen“ [BTDrucks. 20/15, S. 32 f.]). Diese wird erst durch die Personalien auf dem Deckblatt des Impfausweises gewährleistet, auf die sich die Angaben zur Impfung beziehen. Die ärztliche Unterschrift bezeugt mithin, den Inhaber des Ausweises mit dem näher bezeichneten Vakzin geimpft zu haben.

b) Der Angeklagte hat gemäß § 277 Var. 2 StGB aF unter dem Namen einer Medizinalperson ein falsches Gesundheitszeugnis ausgestellt.

Der erste Teilakt von § 277 StGB aF erfasst drei unterschiedliche Begehungsvarianten, denen aber allen gemeinsam ist, dass der Täter über den Aussteller der Urkunde täuscht, und zwar entweder über dessen mit einer Qualifikation verbundene Identität oder aber allein über dessen Qualifikation.

aa) In der ersten Variante stellt der Täter das Gesundheitszeugnis zwar unter seinem echten Namen aus; zugleich bezeichnet er sich darin aber unwahr „als Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperson“. Das Gesundheitszeugnis enthält damit eine schriftliche Lüge über die Approbation (SKStGB/Hoyer, 9. Aufl., § 277 Rn. 11; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 277 Rn. 6), mithin über die Qualifikation des Ausstellers. Diese Variante - die auch den Tatbestand der Urkundenfälschung nicht erfüllen würde (vgl. BT-Drucks. 20/15, S. 33; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 277 Rn. 1; NKStGB/Puppe/Schumann, 6. Aufl., § 267 Rn. 72) - liegt nach den Feststellungen nicht vor.

bb) Zur Erfüllung der zweiten und dritten Variante muss der Täter über die Identität des Ausstellers täuschen. Anders als bei der Urkundenfälschung reicht aber allein eine Identitätstäuschung nicht aus, vielmehr ist es zudem erforderlich, dass die vorgetäuschte Identität mit der Qualifikation als approbierte Medizinalperson verbunden ist. Aufgrund der Identitätstäuschung unterfallen diese beiden Begehungsvarianten auch dem Tatbestand der Urkundenfälschung im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB (vgl. Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 277 Rn. 7 f.; SSWStGB/Wittig, 5. Aufl., § 277 Rn. 4: die unter Nichtberücksichtigung der strukturellen Unterschiede von „Spezialfällen“ der Urkundenfälschung ausgehen). Anders als für die Erfüllung dieses Tatbestands ist jedoch zusätzlich erforderlich, dass der aus der Urkunde ersichtliche Aussteller eine besondere Eigenschaft aufweist.

(1) Die zweite Variante ist erfüllt, wenn der Täter unter dem Namen einer approbierten Medizinalperson ein - inhaltlich richtiges oder falsches - Gesundheitszeugnis ausstellt, er mithin über die Identität eines Ausstellers täuscht, der er die erforderliche Qualifikation zuweist. Dies ist sowohl gegeben, wenn er unter dem Namen einer anderen tatsächlich existierenden approbierten Person handelt, er also eine fremde Identität vortäuscht, als auch dann, wenn die Person, als die er auftritt, in Wahrheit nicht existiert (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 277 Rn. 7; Matt/Renzikowski/Maier, StGB, 2. Aufl., § 277 Rn. 8; missverständlich insoweit Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 277 Rn. 7), solange er den Anschein erweckt, dass diese erfundene Person eine approbierte Medizinalperson sei.

(2) Die dritte Variante des Verfälschens liegt vor, wenn der Täter den Inhalt einer Gesundheitsbescheinigung verändert (MüKoStGB/Erb, 4. Aufl., § 277 Rn. 6; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 277 Rn. 8; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 277 Rn. 8) und damit über die mit einer bestimmten Qualifikation verbundene Identität des Ausstellers täuscht.

cc) Hier liegen die Voraussetzungen der zweiten Variante vor. Indem der Angeklagte die Impfpässe mit einem nachgeahmten oder erfundenen Namenszug in Kombination mit dem Stempel „Impfzentrum B.“ versah, suggerierte er dem Leser die Ausstellung der Dokumente durch einen Arzt des Impfzentrums und täuschte mithin über die qualifizierte Identität des Ausstellers.

2. Der Tatbestand des § 277 StGB aF ist gleichwohl nicht erfüllt, da es an der Verwirklichung des zweiten Teilakts der Tathandlung fehlt. Denn anders als für den Tatbestand der Urkundenfälschung genügt es nicht, dass die Urkunde in der Absicht hergestellt wird, sie später zur Täuschung im Rechtsverkehr zu gebrauchen. Vielmehr verlangt der Tatbestand des § 277 StGB aF den Gebrauch der Urkunde. Hinzu tritt, dass nicht der Gebrauch im allgemeinen Rechtsverkehr von der Vorschrift erfasst wird, sondern nur der Gebrauch zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften. An diesen - den Tatbestand des § 277 StGB aF entscheidend von denjenigen des § 267 StGB abhebenden Voraussetzungen - fehlt es.

Ein gefälschtes Gesundheitszeugnis gebraucht nur derjenige, der es dem zu Täuschenden so zugänglich macht, dass dieser es wahrnehmen kann (vgl. zum Gebrauch BGH, Urteil vom 21. Dezember 1988 - 2 StR 613/88, BGHSt 36, 64, 65). Erforderlich ist, dass der Täuschungsadressat in die Lage versetzt wird, vom Inhalt des Gesundheitszeugnisses durch eigene Einsichtnahme Kenntnis zu nehmen.

a) Der Angeklagte hat die Impfausweise lediglich hergestellt und sie nicht selbst gebraucht.

b) Es kann dahinstehen, ob es für den Gebrauch ausreichen könnte, dass der Fälscher das Zeugnis lediglich einem Dritten für dessen Gebrauch überlässt (bejahend: Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 277 Rn. 10; verneinend: Matt/Renzikowski/Maier, StGB, 2. Aufl., § 277 Rn. 10; MüKoStGB/Erb, 4. Aufl., § 277 Rn. 4, 7; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 277 Rn. 9) oder ob dem Angeklagten der Gebrauch durch andere gemäß § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden könnte. Denn es war lediglich vorgesehen, dass die Impfausweise „etwa in Apotheken zur Erstellung eines digitalen Impfzertifikats oder in der Gastronomie“ genutzt werden sollten. Nur diese Verwendungsweise war auch vom Vorsatz des Angeklagten umfasst. In jeder dieser Konstellationen fehlt es an den Voraussetzungen des besonderen Adressatenkreises für die Täuschung.

aa) Beim Einsatz in der Gastronomie versteht sich dies von selbst.

bb) Aber auch bei Vorlage in Apotheken sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

(1) Apotheken kommen als Vorlageadressaten im Sinne des § 277 StGB aF nicht in Betracht; Apotheken sind keine Behörden.

Behörden im Sinne der §§ 277, 278 StGB aF sind nur solche Stellen, welche die vorgelegten Zeugnisse zur Beurteilung des Gesundheitszustands einer Person verwenden (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1997 - 2 StR 397/97, BGHSt 43, 346, 352 f.; vgl. zum Behördenbegriff auch LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 277 Rn. 6; Peglau, NJW 1996, 1193, 1194). Schon das ist hier nicht der Fall. Nach § 1 ApoG obliegt den Apotheken die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Unter diese Aufgabe fällt nicht die Beurteilung des Gesundheitszustands von Personen auf der Grundlage eines von einer (anderen) Medizinalperson erstellten Zeugnisses.

(2) Die Vorlage der Falsifikate in Apotheken zur Erlangung eines digitalen Impfzertifikats führt auch nicht dazu, dass dem Robert-Koch-Institut die Impfbescheinigungen als der für die Erstellung digitaler Impfzertifikate zuständigen Behörde zugänglich gemacht werden. Denn ein Gebrauchen setzt jedenfalls ein Verbringen des Gesundheitszeugnisses in den Machtbereich der Behörde mit der Möglichkeit sinnlicher Wahrnehmung voraus (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Dezember 1988 - 2 StR 613/88, BGHSt 36, 64, 65). Daran fehlt es, weil gemäß § 22 Abs. 5 IfSG aF dem Robert-Koch-Institut durch die Apotheke lediglich personenbezogene Daten aus dem Impfpass elektronisch übermittelt werden, nicht jedoch der Impfpass als solcher (so auch OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 - 1 Ss 6/22 Rn. 20, NJW 2022, 2054, 2055; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 1 Ws 114/21 Rn. 49 ff.).

II.

Zu Unrecht hat sich das Landgericht jedoch an einer Verurteilung wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) gehindert gesehen. Wie vom Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen, liegen die Voraussetzungen des Tatbestands vor (1.). Seine Ansicht, der Tatbestand des § 277 StGB aF sperre den Rückgriff auf den Tatbestand der Urkundenfälschung, trifft nicht zu (3. und 4.).

1. Die Fälschung ärztlicher Bescheinigungen über angebliche Schutzimpfungen erfüllt den Tatbestand der Urkundenfälschung in der Tatvariante des Herstellens einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 Var. 1 StGB).

a) Der Impfpass ist eine Urkunde im Sinne des § 267 StGB. Die Eintragung einer Impfdokumentation in einen auf eine bestimmte Person ausgestellten Impfausweis stellt eine verkörperte Gedankenerklärung dar, die zum Beweis geeignet und bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen lässt (st. Rspr. zum Urkundenbegriff, vgl. nur BGH, Urteil vom 18. Juni 1953 - 3 StR 166/53, BGHSt 4, 284, 285; Beschluss vom 23. März 2010 - 5 StR 7/10, NStZ 2011, 91 mwN). Die in der ausgefüllten Zeile des Impfausweises enthaltenen Angaben über Datum der Impfung, Impfstoff und Charge ergeben - wie bei § 277 StGB aF (vgl. B.I.1.a) - im Zusammenhang mit den Personalien auf dem Deckblatt des Impfausweises die Erklärung des Impfarztes, der genannten Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Tag unter Verwendung eines Vakzins einer bestimmten Charge verabreicht zu haben.

b) Die vom Angeklagten hergestellten Impfbescheinigungen sind auch unecht, da sie nicht von demjenigen stammen, der in ihnen als Aussteller bezeichnet wird. Dies gilt sowohl in den Fällen, in denen der Angeklagte bisher unausgefüllte Impfausweise verwendete, als auch bei Eintragung der Angaben zur Impfung in bereits mit Personalien versehene Impfausweise. Denn die Impfbescheinigungen waren jeweils mit einem Stempel mit dem Aufdruck „Impfzentrum B.“ und einer erfundenen oder nachgeahmten Unterschrift versehen, womit der Angeklagte den Eindruck erweckte, die Bescheinigungen seien von einem Arzt des Impfzentrums ausgestellt worden, obwohl sie tatsächlich von ihm selbst herrührten.

2. Danach erfüllt das Handeln des Angeklagten den Tatbestand der Urkundenfälschung. Auf der Grundlage der Feststellungen handelte er auch rechtswidrig und schuldhaft.

3. Für eine Nichtanwendung des § 267 Abs. 1 StGB gibt es keine Legitimation. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass es sich bei den Urkunden um Gesundheitszeugnisse handelte und diese als Tatobjekte auch in einem anderen Straftatbestand, nämlich § 277 StGB aF, erfasst waren. Die Tatbestände des § 277 StGB aF und des § 267 StGB stehen nicht im Verhältnis privilegierender Spezialität.

Zum Verhältnis zwischen § 277 StGB aF und § 267 StGB werden in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten.

a) Eine Ansicht nimmt eine umfassende Sperrwirkung des § 277 StGB aF gegenüber § 267 StGB an, sobald Tatobjekt ein Gesundheitszeugnis ist. Ein Rückgriff auf § 267 StGB wird abgelehnt, auch wenn der objektive Tatbestand des § 277 StGB aF nicht erfüllt ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 Ws 732 - 733/21, NJW 2022, 556, 557; BayObLG, Beschluss vom 3. Juni 2022 - 207 StRR 155/22; MüKoStGB/Erb, 4. Aufl., § 277 Rn. 11; Lichtenthäler, NStZ 2022, 138).

b) Andere nehmen nicht in allen Fällen eine Sperrwirkung des § 277 StGB aF gegenüber § 267 StGB an. Eine privilegierende Spezialität soll nicht nur dann gegeben sein, wenn Gesundheitszeugnisse zur Täuschung von Behörden und Versicherungen gebraucht werden, sondern auch dann, wenn sie - ohne tatsächlichen Gebrauch - diese Zweckbestimmung haben (HansOLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 1 Ws 114/21; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 31. März 2022 - 1 Ws 19/22; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 - 1 Ss 6/22, NJW 2022, 2054; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2022 - 2 Rv 21 Ss 262/22; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. März 2022 - 1 Ws 33/22, StV 2022, 397). Dies wird damit begründet, dass sonst der bloße Hersteller eines falschen Gesundheitszeugnisses härter bestraft wird als derjenige, der dieses nach Erstellung tatsächlich bei einer Behörde oder einer Versicherung vorlegt. In allen anderen Fällen, etwa wie hier bei beabsichtigter Vorlage in Gastronomiebetrieben und Apotheken, bleibt § 267 StGB anwendbar, wenn der Tatbestand des § 277 StGB aF nicht vollständig erfüllt ist.

c) Eine dritte Ansicht wendet eine „Rechtsfolgenlösung“ an. Die Strafbarkeit nach § 267 StGB werde nicht gesperrt, solle in der Rechtsfolge aber durch die Anwendung des geringeren Strafrahmens aus § 277 StGB aF modifiziert werden (Jahn, JuS 2022, 178, 179; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 277 Rn. 11 aE).

d) Das Reichsgericht hatte eine Sperrwirkung angenommen, wenn der Tatbestand der §§ 277, 279 StGB aF vollständig erfüllt war (RG, Urteile vom 1. Dezember 1881 - 2112/81, RGSt 6, 1 f.; vom 1. November 1898 - 2520/98, RGSt 31, 296, 298). Soweit es dafür darauf abgestellt hat, dass es sich bei den §§ 277, 279 StGB aF um „besondere Vorschriften“ (RG, Urteil vom 1. Dezember 1881 - 2112/81, RGSt 6, 1 f.) oder es sich bei § 277 StGB aF um eine gegenüber §§ 267 ff. StGB aF „spezielle Bestimmung“ gehandelt haben soll (RG, Urteil vom 1. November 1898 - 2520/98, RGSt 31, 296, 298), ist es eine nähere Begründung schuldig geblieben.

e) Der Bundesgerichtshof hat zu dieser Rechtsfrage bislang noch nicht ausdrücklich Stellung genommen.

4. Eine Spezialität mit privilegierendem Charakter des § 277 StGB aF gegenüber § 267 StGB besteht nicht. Vielmehr handelt es sich um zwei Tatbestände, die verschieden geartete Begehungsweisen erfassen, aber gemeinsame Unrechtselemente aufweisen, so dass es zu einer im Strafgesetzbuch nicht un gewöhnlichen Überschneidung der Anwendungsbereiche kommt. Die Anwendbarkeit des einen Tatbestands schließt die Anwendbarkeit des anderen deswegen nicht aus.

a) Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren Gesichtspunkt erfasst, also spezieller ist. Soll der Täter durch das weitere, speziellere Merkmal bessergestellt werden als der Täter nur des allgemeinen Delikts, so handelt es sich um einen Fall der privilegierenden Spezialität. Dann ist ein Rückgriff auf das allgemeinere Delikt ausgeschlossen, da andererenfalls die Privilegierung beseitigt würde. Ob die speziellere Vorschrift den Täter begünstigen soll, ist anhand des Zwecks dieser Vorschrift, des inneren Zusammenhangs der miteinander konkurrierenden Bestimmungen und des Willens des Gesetzgebers zu prüfen (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 37; Beschluss vom 18. November 1971 - 1 StR 302/71, BGHSt 24, 262, 264). Die Annahme einer Privilegierung bedarf mithin stets einer spezifischen Rechtfertigung (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2018 - 2 StR 281/18, BGHSt 63, 228 Rn. 50 ff.).

b) An einer solchen Rechtfertigung fehlt es. Die Voraussetzungen privilegierender Spezialität zwischen § 267 StGB und § 277 StGB aF liegen nicht vor.

Zwar könnte für ein derartiges Konkurrenzverhältnis der beiden Vorschriften sprechen, dass die Vorschrift des § 277 StGB aF mit dem Tatobjekt Gesundheitszeugnis Urkunden unter einem spezielleren Aspekt erfasst und für deren Fälschung lediglich Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr androht, während die Urkundenfälschung demgegenüber Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsieht. Zudem ist bei Verwirklichung der zweiten und dritten Tatvariante des § 277 StGB aF (vgl. B.I.1.b.bb) jeweils auch der Tatbestand der Urkundenfälschung noch dazu mit einem höheren Strafrahmen erfüllt.

Aber weder Wortlaut noch systematischer Zusammenhang oder Zweck der beiden Vorschriften belegen das Ausnahmekonkurrenzverhältnis. Die historische Auslegung bestätigt das Ergebnis, dass es sich um zwei Tatbestände handelt, die nebeneinanderstehen und trotz gemeinsamer Unrechtselemente verschiedene, jeweils als strafwürdig erachtete Handlungen erfassen. Im Einzelnen:

aa) Aus dem Wortlaut ergibt sich eine Privilegierungswirkung des § 277 StGB aF nicht (insoweit zutreffend HansOLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 1 Ws 114/21 Rn. 38; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 - 1 Ss 6/22 Rn. 24, NJW 2022, 2054, 2056; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. März 2022 - 1 Ws 33/22 Rn. 22, StV 2022, 397, 399; ferner NKStGB/Puppe/Schumann, 5. Aufl., § 277 Rn. 13). Hätte der Gesetzgeber einen Anwendungsvorrang gewollt, hätte er ihn im Wortlaut verankert. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der Annahme einer Privilegierung um einen rechtfertigungsbedürftigen Ausnahmefall handelt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 1983 - 1 StR 98/83, BGHSt 31, 380, 381).

bb) Dagegen sprechen systematische Argumente, insbesondere die strukturelle Verschiedenheit beider Delikte, die einen fehlenden inneren Zusammenhang offenbart.

(1) Dies zeigt sich vor allem darin, dass § 277 StGB aF als zweiaktiges Delikt ausgestaltet ist, das Gesundheitszeugnis also stets tatsächlich eingesetzt werden muss (vgl. B.I.2), während bei der Urkundenfälschung schon das Herstellen oder Verfälschen zum Zweck der Täuschung Vollendung eintreten lässt.

Dieser Befund - zweiaktiges Tatgeschehen bei § 277 StGB aF im Gegensatz zum einaktigen mit überschießender Innentendenz bei der Urkundenfälschung - lässt sich aber mit der Annahme, dass der zweiaktige Tatbestand das Geschehen nur noch unter spezielleren Gesichtspunkten als der andere erfassen und deswegen den Täter privilegieren soll, schwerlich vereinbaren. Dies gilt zumal, da der zum Fälschen oder Verfälschen hinzutretende Gebrauch der Urkunde den dem Tatgeschehen innewohnenden Unrechtsgehalt sogar zu steigern geeignet ist (vgl. zur Berücksichtigung von Art und Ausmaß der Rechtsgutsverletzung, Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. Rn. 588), keineswegs aber senkt. Dies wird gestützt durch die gesetzgeberische Wertung, den Gebrauch einer unechten oder verfälschten Urkunde gemäß § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB für sich genommen für ebenso strafwürdig zu erachten wie das Fälschen oder Verfälschen gemäß § 267 Abs. 1 Var. 1 und 2 StGB. Der Blick auf diese Begehungsvarianten der Urkundenfälschung erhellt aber auch, dass der Täter des § 277 Var. 2 und 3 StGB aF stets zwei Begehungsvarianten des § 267 Abs. 1 StGB erfüllt, weil er fälschen oder verfälschen und sein Produkt sodann einsetzen muss. Für eine grundsätzlich mildere Bestrafung dieses Täters gegenüber demjenigen, der nur eine Variante der Urkundenfälschung begeht, spricht danach nichts.

(2) Die Ausgestaltung des zweiten Teilakts des § 277 StGB aF in Form des gegenüber der Urkundenfälschung viel enger gefassten und enumerativ genannten Adressatenkreises der ins Werk gesetzten Täuschung (vgl. B.I.2) lässt ebenfalls keinen Grund für eine Privilegierung erkennen. Dem Gesetz sind Anhaltspunkte dafür, dass der Gebrauch gegenüber einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft weniger strafwürdig sein soll als gegenüber anderen Teilnehmern des Rechtsverkehrs, nicht zu entnehmen. Solche sind auch sonst nicht zu Tage getreten. Soweit einzelne Oberlandesgerichte, die eine privilegierende Spezialität annehmen, damit argumentieren, speziell die Vorlage gegenüber diesen Adressaten sei privilegiert und damit als verringertes Unrecht zu begreifen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. März 2022 - 1 Ws 33/22, StV 2022, 397, 398; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 1 Ws 114/21 Rn. 34), weil sich Behörden und Versicherungen besser gegen Täuschungen schützen könnten, entbehrt diese Begründung einer Privilegierung eines Belegs und vor allem jeder Stütze in der Gesetzgebungsgeschichte. Zudem könnte diese Lesart die selbständige Strafbarkeit des Gebrauchs einer schriftlichen Lüge in Form eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nur bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft gemäß §§ 278, 279 StGB in den zur Tatzeit geltenden Fassungen nicht erklären. Diese Einwände gelten auch für die Annahme, der Gesetzgeber habe mit § 277 StGB aF dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass bei Versicherungen und Behörden oftmals ein „faktischer Zwang“ zur Vorlage von Gesundheitszeugnissen bestünde (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 1 Ws 114/21 Rn. 34), um bestimmte Leistungen zu erhalten.

(3) Die strukturellen Unterschiede erschöpfen sich aber nicht in der divergierenden Anzahl der zur Tatvollendung erforderlichen Begehungsakte. Zusätzlich enthält § 277 StGB aF eine Begehungsform, die den Tatbestand der Urkundenfälschung gar nicht erfüllt, nämlich die nur nach § 277 StGB aF strafbare schriftliche Lüge (vgl. hierzu B.I.1.b.aa). Dieser Befund spricht gegen einen privilegierenden Gehalt der beiden anderen Begehungsvarianten. Denn wenn eine Fälschung oder eine Verfälschung von Urkunden dann als weniger strafwürdig behandelt werden müsste, wenn ein Gesundheitszeugnis als spezielle Urkunde betroffen ist, so erklärt sich nicht, warum eine schriftliche Lüge allein auf einem Gesundheitszeugnis strafbar ist, nicht aber, wenn es sich um eine sonstige Urkunde handelt. Eine Privilegierung stünde zudem in einem unauflösbaren Spannungsverhältnis zur Vorschrift des § 278 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung, wonach das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse als schriftliche Lüge auch ohne Täuschung über den Aussteller oder dessen Qualifikation strafbar ist. Vielmehr belegen § 277 Var. 1, §§ 278, 279 StGB aF, dass der Gesetzgeber den Umgang mit nicht vertrauenswürdigen Gesundheitszeugnissen umfassender strafrechtlich schützen wollte, als dies bei allgemeinen Urkunden der Fall ist. Mit einer geringeren Vertrauenswürdigkeit der Gesundheitszeugnisse als Grund für die Privilegierung ist dieser umfassende Schutz nicht vereinbar.

(4) Schließlich geht § 277 StGB aF noch in anderer Weise über die Anforderungen der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB hinaus. Für die beiden Begehungsvarianten des § 277 StGB aF, die wie § 267 Abs. 1 StGB eine Identitätstäuschung über den Aussteller erfordern, reicht diese für sich genommen zur Tatbestandserfüllung nicht aus. Vielmehr muss die vorgetäuschte Identität besondere Anforderungen erfüllen, indem sie den angeblichen Aussteller als Arzt oder andere approbierte Medizinalperson erscheinen lässt (vgl. B.I.1.b.bb). Dieses zusätzliche Merkmal im Zusammenhang mit der ersten Begehungsvariante der Vorschrift, in der eine Täuschung über die Qualifikation erforderlich ist, belegt, dass § 277 StGB aF eine andere Schutzfunktion hat. Wäre auch hierdurch nur die allgemeine Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden geschützt, so bedürfte es der mit der Identitätstäuschung verbundenen Aussage über die Qualifikation des vermeintlichen Ausstellers nicht.

Diesem zusätzlichen Merkmal einen privilegierenden Gehalt zuzuweisen, würde bedeuten, eine Täuschung über die Identität des Ausstellers dann für weniger strafwürdig zu erachten, wenn der Täter zugleich zum Ausdruck bringt, der Aussteller sei eine approbierte Medizinalperson. Dies wäre weder sinnvoll noch ließe es sich in die Rechtsordnung einpassen, in der diesem Berufszweig besonderes Vertrauen entgegengebracht wird (vgl. nur § 218a, § 218b Abs. 1 Satz 2 StGB) und dessen Missbrauch in herausgehobener Weise als strafwürdig bewertet wird (vgl. § 218c Abs. 1, § 278 StGB und § 278 StGB aF).

(5) Wie aufgezeigt, unterscheiden sich die beiden Tatbestände in vielfacher Weise. Würde man - wie das Landgericht - systematisch von einer privilegierenden Spezialität ausgehen wollen, müssten sämtliche zusätzlichen Anforderungen, die die Begehungsweisen des § 277 Var. 2 und 3 StGB aF an die Tatbestandsverwirklichung stellen, Merkmale sein, die den zu beurteilenden Sachverhalt genauer erfassen, mithin spezieller sind. Das beträfe damit nicht nur den aus der Gesamtheit der Urkunden spezielleren Begriff der Gesundheitszeugnisse, sondern ebenso die besonderen Anforderungen an die Identitätstäuschung und den nachfolgenden Einsatz der gefälschten oder verfälschten Urkunden gegenüber dem besonderen Adressatenkreis. In dieser Gesamtheit der besonderen, über § 267 Abs. 1 StGB hinausgehenden Merkmale ist nicht im Ansatz ein Grund für eine Privilegierung auszumachen.

Aber selbst wenn es sich jeweils um privilegierende Merkmale handelte, wäre Voraussetzung der vermeintlich vom Gesetzgeber intendierten Privilegierung, dass die zu einer geringeren Strafwürdigkeit führenden Umstände auch tatsächlich vorliegen. Der typisierte Sachverhalt, der dem Gesetzgeber vermeintlich Anlass gegeben haben soll, einen Ausschnitt der Fälle aus dem allgemeineren Tatbestand als weniger strafwürdig zu behandeln, läge anderenfalls nämlich nicht vor. Jenseits gewisser, hier nicht vorliegender Sonderkonstellationen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 23. November 1983 - 3 StR 256/83, NJW 1984, 931, 933 [zu § 105 StGB und § 240 StGB]; LK/Rissing-van Saan, StGB, 13. Aufl., Vor § 52 ff. Rn. 140 ff. mwN; NKStGB/Puppe, 5. Aufl., Vor § 52 Rn. 19; das in der Hauptverhandlung angesprochene Verhältnis von § 283c StGB zu § 283 Abs. 1 StGB stellt eine solche Sonderkonstellation nicht dar, weil bei fehlender Verwirklichung des § 283c StGB auch der Tatbestand der allgemeineren Vorschrift des § 283 Abs. 1 StGB nicht erfüllt ist, vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 1955 - 5 StR 128/55, BGHSt 8, 55, 56 f.) gilt deswegen uneingeschränkt: Sind die Voraussetzungen des Spezielleren (lex specialis) nicht erfüllt, findet das Allgemeine (lex generalis) Anwendung, da der Grund für die Sonderbehandlung in Form der Privilegierung nicht verwirklicht ist.

Hiervon und von der von ihnen vorausgesetzten gesetzgeberischen Wertung lösen sich die Vertreter einer privilegierenden Spezialität, wenn sie trotz Nichtvorliegens der spezielleren Voraussetzungen der Begehungsvarianten des § 277 Var. 2 und 3 StGB aF die privilegierende Wirkung allein von der Erfüllung eines der spezielleren Merkmale abhängig machen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 Ws 732 - 733/21, NJW 2022, 556; BayObLG, Beschluss vom 3. Juni 2022 - 207 StRR 155/22; MüKoStGB/Erb, 4. Aufl., § 277 Rn. 11; Lichtenthäler, NStZ 2022, 138). Dies zeigt zudem deutlich, dass sie ebenfalls nicht allen Sondermerkmalen oder deren Gesamtheit privilegierenden Gehalt zuerkennen können.

(6) Auch unter sonstigen systematischen Gesichtspunkten ist die Annahme einer Sperrwirkung des § 277 StGB aF nicht geboten.

(a) Das Normengefüge spricht gegen eine Privilegierung. So gibt es in § 274 Abs. 1 StGB (Urkundenunterdrückung) keine Sonderregelung für Gesundheitszeugnisse. Wenn der Gesetzgeber den Umgang mit Gesundheitszeugnissen umfassend hätte privilegieren wollen, hätte es nahegelegen, auch in § 274 Abs. 1 StGB eine entsprechende Regelung zu schaffen (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 1 Ws 114/21 Rn. 29; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 - 1 Ss 6/22 Rn. 29, NJW 2022, 2054, 2056). Wie dargestellt (B.II.4.b.bb.3) sprechen auch die Vorschriften der §§ 278, 279 StGB aF gegen eine Privilegierung des Umgangs mit Gesundheitszeugnissen.

(b) Die Annahme einer Sperrwirkung des § 277 StGB aF stünde in einem unerklärlichen Gegensatz zur grundsätzlich weitreichenden Regelung des § 267 StGB, der auch eine Vielzahl von Lebenssachverhalten erfasst, deren Bedeutung für den Rechtsverkehr geringer ist als derjenige von Gesundheitszeugnissen (HansOLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 1 Ws 114/21 Rn. 27; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. März 2022 - 1 Ws 33/22 Rn. 23, StV 2022, 397, 399). Auch die Befürworter einer privilegierenden Spezialität räumen ein, dass bei Annahme einer solchen im Einzelfall erhebliche Wertungswidersprüche bestehen können (MüKoStGB/Erb, 4. Aufl., § 277 Rn. 9; Lichtenthäler, NStZ 2022, 138). Dies zeigt insbesondere der Vergleich der Fälschung von Gesundheitszeugnissen von Menschen und Tieren: Fälschungen von Tiergesundheitszeugnissen sind unstreitig nach § 267 StGB strafbar, so dass der Strafrahmen deutlich höher wäre als bei der Fälschung von Gesundheitszeugnissen von Menschen (HKGS/Koch, 5. Aufl., § 277 Rn. 2; NKStGB/Puppe/Schumann, 5. Aufl., § 277 Rn. 4; siehe zum Streitstand auch Dastis, HRRS 2021, 456), was im Widerspruch zur Bedeutung im Rechtsverkehr steht. Gleiches gilt für die Fälschung eines Totenscheins. Da es sich nicht um ein Gesundheitszeugnis handelt, ist dessen Fälschung auch nach den Befürwortern einer privilegierenden Spezialität als Urkundenfälschung strafbar. Wertungsmäßig erschließt sich nicht, warum sich der Fälscher eines Totenscheins gemäß § 267 Abs. 1 Var. 1 StGB strafbar macht, der Fälscher eines Gesundheitszeugnisses bezüglich eines Lebenden hingegen nicht (so auch Dastis, HRRS 2021, 456, 459).

cc) Der Zweck der Vorschriften erlaubt ebenfalls keinen Schluss auf eine privilegierende Spezialität. Die Rechtsgüter der betroffenen Vorschriften sind nicht deckungsgleich. Die Regelung des § 267 StGB dient der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden allgemein (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1951 - 1 StR 567/51, NJW 1952, 231), indem er ihn vor dem Herstellen unechter, dem Verfälschen echter und dem Gebrauch unechter oder verfälschter Urkunden strafrechtlich schützt. Er dient damit nicht unmittelbar dem Schutz von Individualinteressen, insbesondere nicht solcher vermögensrechtlicher Art. Der Schutz, der Individualinteressen durch diese Norm zuteil wird, ist nur eine Reflexwirkung (BGH, Urteil vom 3. Februar 1987 - VI ZR 32/86, NJW 1987, 1818 f.; BGH, Beschluss vom 21. August 2019 - 3 StR 7/19 Rn. 12, NStZ-RR 2020, 176; BGH, Urteil vom 11. November 2020 - 1 StR 328/19 Rn. 68; LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 267 Rn. 2).

Demgegenüber ergibt sich aus den Darlegungen zur unterschiedlichen Struktur der Tatbestände, dass die relevanten Begehungsvarianten des § 277 StGB aF einen Sachverhalt unter anderen Aspekten als § 267 StGB erfassen. Durch die besonderen Anforderungen an die falsche Urkunde, die vorgetäuschte Identität des vermeintlichen Ausstellers und durch den begrenzten Adressatenkreis der erforderlichen Verwendung wird die abweichende Schutzrichtung des § 277 StGB aF deutlich. Sie liegt in der Sicherung der Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse für Behörden und Versicherungsgesellschaften (vgl. Leifeld, NZV 2013, 422, 423) und schützt diese vor einem Missbrauch des Vertrauens in die Integrität medizinischer Dokumente (vgl. LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 277 Rn. 1; AnwKStGB/Krell, 3. Aufl., § 277 Rn. 1).

dd) Nachdem weder aus dem Wortlaut noch aus dem inneren Zusammenhang der Vorschriften zueinander, aus sonstigen systematischen Gesichtspunkten oder dem Zweck der Vorschriften Argumente für eine privilegierende Spezialität gewonnen werden können, sind solche auch der Gesetzgebungsgeschichte nicht zu entnehmen. Vielmehr bestätigt diese, dass es sich um zwei Tatbestände handelt, die sich ungeachtet gemeinsamer Unrechtselemente nicht gegenseitig ausschließen und nicht im Verhältnis privilegierender Spezialität zueinander stehen.

Gesundheitszeugnisse waren zur Zeit der Entstehung der Vorschrift (Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten und Einführungsgesetz vom 14. April 1851) vom Urkundenbegriff nicht umfasst. Die Schaffung eines Tatbestands, der ihre Fälschung und anschließende Verwendung unter Strafe stellte, sollte eine damals wegen der deutlich engeren Fassung des Tatbestands der Urkundenfälschung bestehende Strafbarkeitslücke schließen. Spätere Gesetzesreformen, die zu strukturellen Eingriffen und zum Tatbestand des § 267 StGB in der heutigen Form führten, wurden lediglich bei der in der Rechtspraxis äußerst relevanten Urkundenfälschung umgesetzt; die bis zur Reform im November 2021 im Regelungsgehalt im Wesentlichen unangetastete Vorschrift der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB aF spielte bis zur COVID-19-Pandemie hingegen in der Praxis keine nennenswerte Rolle: In der Strafverfolgungsstatistik wurden Verstöße gegen § 277 StGB aF schon nicht gesondert, sondern nur zusammen mit solchen gegen die §§ 278 und 279 StGB aF ausgewiesen; im Jahr 2018 kam es in dieser Gruppe zu lediglich 22 Verurteilungen, im Jahr 2019 zu 26, im Jahr 2020 zu 28 Verurteilungen. In der Polizeilichen Kriminalstatistik zeigt sich ein ähnliches Bild: Hier waren für die entsprechenden Jahre für die Vorschrift des § 277 StGB aF im Jahr 2018 nur 26 Verfahren aufgeführt, 31 im Jahr 2019, 90 im Jahr 2020 und selbst im Jahr 2021 - nach Beginn der Pandemie - lediglich 1.052. Zur historischen Entwicklung der Vorschriften ergibt sich das Folgende:

(1) Die Vorläuferregelungen der Urkundenfälschung und der Fälschung von Gesundheitszeugnissen entstammen dem Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten vom 14. April 1851 (PreußStGB). Die Vorschrift des § 247 Abs. 1 PreußStGB definierte die Urkundenfälschung als zweiaktiges Delikt, bei dem in der Absicht, sich oder anderen Gewinn zu verschaffen oder anderen Schaden zuzufügen, eine Urkunde verfälscht oder fälschlich angefertigt und von derselben zum Zwecke der Täuschung Gebrauch gemacht wurde. Im Gegensatz zum heutigen Urkundenbegriff galten nach der gesetzlichen Bestimmung des § 247 Abs. 2 PreußStGB nur solche Schriftstücke als Urkunden, die zum Beweis von Verträgen, Verfügungen, Verpflichtungen, Befreiungen oder überhaupt von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit waren. Mit dieser Formulierung sollte der Tatbestand auf solche Fälle der Urkundenfälschung beschränkt werden, die Rechte Dritter verletzen können (Beseler, Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten und das Einführungsgesetz vom 14. April 1851, erschienen 1851, S. 474). Diese tatbestandliche Enge hatte die bereits von Zeitgenossen beklagte Konsequenz, dass beispielsweise die Fälschung ärztlicher Rezepte mangels Urkundenqualität nicht strafbar war (Beseler, aaO, S. 474, 475).

Gesundheitszeugnisse, welche dem Nachweis eines bestimmten Gesundheitszustandes dienen sollten, fielen ebenfalls nicht unter § 247 Abs. 2 PreußStGB. Ihre fälschende Ausstellung und der nachfolgende Gebrauch zur Täuschung von Behörden und Versicherungsgesellschaften wurde deswegen in § 256 PreußStGB gesondert erfasst. Die Vorschrift sollte einen weiteren von mehreren „nicht selten vorkommende[n] Fälle[n]“ der Fälschung erfassen, für die es bis dahin an Bestimmungen gefehlt hatte (vgl. Begründung in den Motiven zum Entwurf von 1851; vgl. dazu Strohkendl, Das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten vom 14. April 1851, erschienen 2019, S. 236, 237). Es entsprach der damaligen Gesetzgebungstechnik, auch für andere Fälschungsobjekte besondere Tatbestände vorzusehen (vgl. Strohkendl, aaO, S. 235 ff.), wie etwa für die Fälschung von Reisepässen und ähnlichen Legitimationspapieren (§ 254 PreußStGB) oder von bestimmten, über eine Person ausgestellten amtlichen Zeugnissen (§ 255 PreußStGB).

Die Vorschrift des § 256 PreußStGB stellte deshalb keine Privilegierung dar, sondern begründete überhaupt erst die Strafbarkeit der Fälschung von Gesundheitszeugnissen (in diesem Sinne auch HansOLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 1 Ws 114/21 Rn. 22). Dies findet Beleg in der damaligen Kommentarliteratur, wonach die Fälschung von Gesundheitszeugnissen sich auf Handlungen bezieht, „die mit der Urkundenfälschung verwandt sind, bei denen auch unter Umständen der volle Thatbestand dieses Verbrechens vorliegen kann, die aber das Strafgesetzbuch selbständig beurtheilt wissen will“ (Beseler, aaO, S. 482).

(2) Die gegenüber der Urkundenfälschung (Verbrechen nach § 250 PreußStGB) schon damals niedrigeren Strafrahmen der Fälschung von Gesundheitszeugnissen (Vergehen nach § 256 PreußStGB) oder weiterer besonders geregelter Fälschungsarten (§§ 254, 255 PreußStGB) erklären sich aus dem Fehlen einer Gewinnerzielungs- oder Schädigungsabsicht bei diesen Delikten. So wurde bei der Gesetzesberatung die Ansicht vertreten, dass sich eine niedrigere Strafe für diese Tatbestände nur dann rechtfertige, wenn nicht die allgemeinen Voraussetzungen der Fälschung oder des Betrugs vorliegen (Beseler, aaO, S. 483).

Angesichts dessen ist nicht nachvollziehbar, warum das Reichsgericht in den oben unter B.II.3.d zitierten Entscheidungen (RGSt 6, 1, 2 sowie RGSt 31, 296, 298) sich mit dieser Entstehungsgeschichte nicht auseinandergesetzt hat und ohne nähere Begründung davon ausgegangen ist, dass bei Vorliegen eines Gesundheitszeugnisses ein Rückgriff auf die Urkundenfälschung ausgeschlossen sei.

Ebenso wenig ergibt sich aus dieser Entstehungsgeschichte, dass der Gesetzgeber die Fälschung von Gesundheitszeugnissen deswegen als weniger strafwürdig erachtet hat, weil bei der Schaffung der Vorschrift die Medizin noch nicht so gute Erkenntnismöglichkeiten gehabt und er die Getäuschten deshalb als weniger schutzbedürftig angesehen hätte. Diese Ansicht entbehrt jeder Grundlage (so aber OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 Ws 732 - 733/21 Rn. 19, NJW 2022, 556, 558; BayObLG, Beschluss vom 3. Juni 2022 - 207 StRR 155/22 Rn. 18). Zudem fehlt es dieser These an einem empirischen Beleg, denn es versteht sich keineswegs von selbst, dass die Menschen früher weniger auf den ihnen bekannten und dem damaligen Stand der Forschung entsprechenden Kenntnisstand der Medizin vertraut haben.

(3) Während der Gesetzgeber in der Folgezeit den Anwendungsbereich der Urkundenfälschung weiter ausdehnte und mit Einführung des Reichsstrafgesetzbuches zum 1. Januar 1872 zunächst auf die Gewinnerzielungs- oder Schädigungsabsicht verzichtete (RGBl. 1871, 127, 178) und sodann mit der am 15. Juni 1943 in Kraft getretenen Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29. Mai 1943 (RGBl. 1943, 339, 341) unter Aufgabe des engen Urkundenbegriffs den Tatbestand von einem zweiaktigen zu einem einaktigen Delikt umgestaltete, behielt die Vorschrift über die Fälschung von Gesundheitszeugnissen ihre alte Struktur und ihren Strafrahmen. Sie wurde ohne wesentliche Änderung in § 277 StGB aF übernommen.

Standen § 267 StGB und § 277 StGB aF und ihre Vorgängernormen bei ihrer Schaffung noch exklusiv nebeneinander, führten erst die allein den Tatbestand der Urkundenfälschung betreffenden strukturändernden Reformen zu einer Überschneidung der Tatbestände.

(4) Die Entwicklung des Tatbestands der Urkundenfälschung verdeutlicht indes das Ziel des Gesetzgebers, den Kreis strafbaren Verhaltens zu erweitern, wodurch der Tatbestand aus seinem ursprünglich fein abgestimmten Normgefüge gerissen wurde (in diesem Sinne Prechtel, Urkundendelikte, 2005, S. 181). Der (zweiaktige) Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen, der bei seiner Schaffung zunächst bestehende Strafbarkeitslücken schließen sollte, erfuhr hingegen keine grundlegenden Reformen und blieb im wesentlichen Regelungsgehalt unangetastet, woraus zum Teil der Schluss gezogen worden ist, er könne dem Gesetzgeber aus dem Blick geraten sein (so OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 - 1 Ss 6/22 Rn. 26, NJW 2022, 2054, 2056). Diese Entwicklung führte dazu, dass die beiden Normen § 267 StGB und § 277 StGB aF im Verhältnis zueinander - anders als noch bei der Schaffung der Vorgängerregelung des § 256 PreußStGB - keine in sich konsistente Bewertung der Strafwürdigkeit mehr enthalten. Dies ist aber im System der Normen des Besonderen Teils des StGB kein Einzelfall (Beispiele in BT-Drucks. 13/8587, S. 20 ff.; vgl. auch BGH, Urteil vom 29. September 2021 - 2 StR 491/20, NStZ 2022, 601, 604; Fischer, NStZ 1999, 13 f.) und kann für sich genommen nicht als Anhalt für eine intendierte privilegierende Spezialität dienen.

(5) Hinweise auf eine intendierte Privilegierung des Fälschens von Gesundheitszeugnissen ergeben sich auch im Übrigen nicht.

Sie folgen insbesondere nicht aus dem Umstand, dass der „Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962“ vom 4. Oktober 1962 in § 309 StGBE eine Neuregelung über „unwahre Gesundheitszeugnisse“ vorsah (BT-Drucks. IV/650, S. 61) und in der Begründung hierzu ausführte, eine dem § 277 StGB aF entsprechende, „dem Echtheitsschutz dienende Sondervorschrift für Gesundheitszeugnisse“ sei entbehrlich und auch sachlich nicht gerechtfertigt, soweit sie sich im Tatbestand auf den Schutz bestimmter Stellen beschränke und gegenüber der allgemeinen Urkundenfälschung eine mildere Strafe vorsehe (BT-Drucks. IV/650, S. 486). Damit benannten die Entwurfsverfasser zwar die Unstimmigkeiten und Wertungswidersprüche, die zwischen § 277 StGB aF und § 267 StGB bestanden. Die Annahme einer Sperrwirkung des § 277 StGB aF ergibt sich daraus indes nicht; ebenso gut kann diese Passage auch lediglich einen Hinweis auf die Entbehrlichkeit der Vorschrift darstellen.

Doch selbst wenn man in den weiteren allgemein gehaltenen und auf Inkonsistenzen des Regelungsgefüges hinweisenden Formulierungen, wie „es ist kein Grund dafür ersichtlich, diese Fälle einer milderen Strafdrohung zu unterstellen oder die Strafbarkeit wie beim zweiaktigen § 277 StGB erst beim Gebrauchmachen eintreten zu lassen“ und „schließlich fehlt es an ausreichenden Gründen, den Strafschutz für Gesundheitszeugnisse, wie es in den §§ 277 bis 279 StGB geschieht, auf solche Zeugnisse zu beschränken, die zum Gebrauch bei einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft bestimmt sind“ (BT-Drucks. IV/650, aaO), einen Hinweis darauf erkennen wollte, dass die Entwurfsverfasser von einer privilegierenden Wirkung des § 277 StGB aF ausgegangen sein sollten, konnte dem nicht entnommen werden, dass der Bundestag als der demokratische Gesetzgeber eine solche Auffassung der Entwurfsverfasser geteilt hätte. Denn es handelte sich lediglich um einen Regierungsentwurf, in den die Arbeiten der von der Bundesregierung im Jahr 1954 berufenen Großen Strafrechtskommission, der im Jahr 1959 gebildeten Länderkommission für die große Strafrechtsreform sowie zahlreiche Anregungen der Bundesministerien und der Fachkreise, die zu früheren Entwürfen Stellung genommen hatten, eingeflossen waren (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 95 f.), dessen Vorschläge der Gesetzgeber insoweit aber gerade nicht übernommen hat. Die unterbliebene Umsetzung bietet mithin keinen Anhalt dafür, der Gesetzgeber sei „jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt“ davon ausgegangen, „dass die Verwendung unwahrer Gesundheitszeugnisse gegenüber anderen als den genannten Stellen nicht strafbar sei“ und habe deshalb „bewusst über mehrere Jahrzehnte“ insoweit Strafbarkeitslücken in Kauf genommen (so aber LG Offenburg, Beschluss vom 11. Mai 2022 - 3 Qs 9/22 Rn. 21, 24). Denn die behauptete „Untätigkeit“ des Gesetzgebers trotz Vorliegens eines konkreten Reformvorschlags lässt sich auch so verstehen, dass er gerade keine Reformnotwendigkeit sah, weil er im Hinblick auf die Verwendung von unrichtigen Gesundheitszeugnissen nicht von einer Strafbarkeitslücke ausging (so auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2022 - 2 Rv 21 Ss 262/22 Rn. 41).

Dass anlässlich der generellen Ersetzung des Begriffs der Gefängnisstrafe durch denjenigen der Freiheitsstrafe mit dem ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645, 657) der niedrigere Strafrahmen des § 277 StGB aF beibehalten wurde, besagt für eine Privilegierung nichts.

(6) Diese Sichtweise wird durch die Materialien des Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. November 2021 (BGBl. I, S. 4906) bestätigt. Mit diesem Gesetz ist § 277 81 82 StGB aF überarbeitet worden, wobei die zweite und dritte Begehungsvariante gestrichen worden sind, da das darin beschriebene Verhalten schon von § 267 StGB oder § 269 StGB erfasst werde und die §§ 277 bis 279 StGB aF keine Sperrwirkung für die §§ 267 ff. StGB entfalteten, sondern lediglich eine darüberhinausgehende Strafbarkeit für spezielle Konstellationen vorsähen (BT-Drucks. 20/15, S. 33). Die nunmehr nur noch die vormals erste Begehungsvariante umfassende und als einaktiges Delikt mit überschießender Innentendenz ausgestaltete Vorschrift, die ein Handeln „zur Täuschung im Rechtsverkehr“ genügen lässt, wurde zudem um die Formulierung ergänzt, dass sie nur anzuwenden ist, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften des Abschnitts der Urkundendelikte mit schwererer Strafe bedroht ist (formelle Subsidiarität). Bei Durchführung der Gesetzesänderung ist der Gesetzgeber damit ganz ausdrücklich nicht etwa von einer Sperrwirkung des § 277 StGB aF ausgegangen. Ziel war es lediglich, einzelne strafwürdige Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Gesundheitszeugnissen „hinreichend klar“ strafrechtlich zu erfassen. Angesichts der erst mit der COVID-19-Pandemie zu Tage getretenen erheblichen praktischen Bedeutung von Gesundheitszeugnissen gerade in Pandemiesituationen sollte „ein von dogmatischen Unsicherheiten freier strafrechtlicher Schutz des Rechtsverkehrs vor unrichtigen Gesundheitszeugnissen“ gewährleistet werden (BT-Drucks. 20/15, S. 2). Dies zeigt, dass der Gesetzgeber mitnichten von einer Straflosigkeit der Impfpassfälschung nach dem hier anzuwendenden alten Recht ausgegangen ist, sondern für die Zukunft lediglich eine Klarstellung getroffen werden sollte (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 31. März 2022 - 1 Ws 19/22 Rn. 16).

c) Der Senat hat auch die weiteren gegen die Ablehnung einer privilegierenden Spezialität gerichteten Argumente in den Blick genommen. Diese führen indes nicht zu einem abweichenden Ergebnis.

aa) Zwar weist § 277 StGB aF gegenüber § 267 StGB einen niedrigeren Strafrahmen auf, hieraus allein lässt sich aber nicht die Annahme privilegierender Spezialität herleiten. Zum einen stellt das tatbestandliche Zusammentreffen von Normen mit unterschiedlichen Strafrahmen den rechtssystematischen Normalfall dar, wie sich aus der Wertung des § 52 StGB ergibt (vgl. insoweit auch Puppe, JR 1984, 229). Zum anderen erlaubt allein die nicht aufeinander abgestimmt erscheinende Bewertung der Strafwürdigkeit in verschiedenen Tatbeständen nicht den Schluss auf eine intendierte Privilegierung.

bb) Auch das weitere Argument der Befürworter einer vollumfänglichen Sperrwirkung des § 277 StGB aF, dass der bloße Hersteller eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nicht nach § 267 StGB bestraft werden dürfe, weil ansonsten eine für die Tatvorbereitung des § 277 StGB aF erforderliche Handlung härter bestraft würde als die vollständige Verwirklichung des aus Herstellung und Vorlage bestehenden Tatbestandes § 277 StGB aF selbst (OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 Ws 732 - 733/21 Rn. 20, NJW 2022, 556, 558), verfängt nicht. Der behauptete Wertungswiderspruch besteht nur, wenn man bei nicht vollständiger Erfüllung des § 277 StGB aF eine privilegierende Spezialität ablehnt, diese jedoch für den Fall des vollständigen Vorliegens des § 277 StGB aF bejaht. Da eine privilegierende Spezialität im Verhältnis von § 267 StGB zu § 277 StGB aF nicht in Betracht kommt, ist ein wertungsmäßiger Gleichlauf sichergestellt, da sowohl für den isolierten Hersteller als auch denjenigen, der den hergestellten Impfausweis später verwendet, immer der (höhere) Strafrahmen des § 267 StGB maßgeblich ist.

cc) Der Senat verkennt nicht, dass durch diese Auslegung § 277 StGB aF, von der Begehungsvariante der schriftlichen Lüge abgesehen, keinen eigenständigen Anwendungsbereich mehr hat. Dieses Ergebnis ist jedoch durch den Gesetzgeber vorgezeichnet worden, indem er den Anwendungsbereich des § 267 StGB stetig ausgeweitet und die Vorschrift zu einem einaktigen Delikt mit überschießender Innentendenz umgestaltet hat.

d) Ohne dass es nach dem gefundenen Ergebnis hierauf noch entscheidend ankäme, bleibt festzuhalten, dass im Fall einer Spezialität zwischen zwei Normen eine Privilegierung regelmäßig nur dann eingreifen kann, wenn ihre tatbestandlichen Voraussetzungen vollständig erfüllt sind.

5. Nach alldem hat sich der Angeklagte auf der Grundlage der Feststellungen gemäß § 267 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

III.

Die Aufhebung des freisprechenden Teils des Urteils führt zur Aufhebung der Feststellungen insoweit, da der freigesprochene Angeklagte die ihn belastenden Feststellungen nicht mit einem Rechtsmittel angreifen konnte. Die Sache bedarf insoweit umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung.

Dies zieht die Aufhebung der Einziehungsentscheidung nach sich, soweit das Landgericht von der Anordnung der Einziehung und der erweiterten Einziehung abgesehen hat. Seine Würdigung, dass die erlangten Taterträge sowie die sichergestellten, naheliegend aus nicht verfahrensgegenständlichen Impfpassgeschäften stammenden Bargeldbeträge nicht inkriminiert und deshalb nicht gemäß §§ 73, 73c oder § 73a StGB einzuziehen seien, ist ebenfalls rechtsfehlerhaft.

Denn sie beruht auf dem unzutreffenden Verständnis, der Tatbestand des § 267 StGB sei nicht anwendbar.

Die Aufhebung umfasst jedoch nicht den in der Spardose im T. 38 in H. aufgefundenen und sichergestellten Geldbetrag von 733,60 Euro, da die Staatsanwaltschaft bezüglich dieses von den übrigen Vermögenswerten abgrenzbaren Betrages die Revision zurückgenommen und damit ihr Rechtsmittel auf die übrigen Beträge beschränkt hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 734

Bearbeiter: Christian Becker