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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1230

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 104/22, Beschluss v. 27.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1230


BGH 5 StR 104/22 - Beschluss vom 27. September 2022 (LG Chemnitz)

Rechtlicher Hinweis (Wechsel der Beteiligungsform; Mittäterschaft; Alleintäterschaft; Vollendung statt Versuch; Gehilfe; Bezugspunkt der Beihilfe); Beruhen.

§ 265 StPO; § 337 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Der Wechsel der Beteiligungsform von Mittäterschaft zu (Allein-)Täterschaft erfordert wegen der Möglichkeit einer anderen sachgemäßen Verteidigung einen Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO. Dasselbe gilt, wenn Vollendung statt Versuchs angenommen wird. In diesem Fall ist ein Hinweis auch gegenüber dem Gehilfen erforderlich, weil sich die Bezugstat der Beihilfe (von Versuch zu Vollendung) ändert.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten H. wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 8. Oktober 2021, soweit es ihn betrifft, in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen B.I.1. bis 33. der Urteilsgründe und über die Gesamtfreiheitsstrafe mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die weitergehende Revision dieses Angeklagten wird verworfen.

Auf die Revision des Angeklagten S. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen Betruges in 34 Fällen, davon in 33 Fällen in Tateinheit mit Bankrott, unter Einbeziehung einer Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten S. hat es wegen Beihilfe zum Betrug eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen verhängt. Gegen dieses Urteil richten sich die Beschwerdeführer mit ihren jeweils auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen; der Angeklagte S. erhebt zudem die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung. Die Rechtsmittel haben jeweils mit einer Rüge der Verletzung der Hinweispflicht aus § 265 Abs. 1 StPO den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.

I. Revision des Angeklagten H.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte H. Vorstand einer in der Bau- und Immobilienbranche tätigen Aktiengesellschaft (im Folgenden: P. AG), die jedenfalls ab Ende des Jahres 2011 zahlungsunfähig war. Deshalb entwickelte er ab dem Jahr 2013 gemeinsam mit einem gesondert Verfolgten die Idee, durch den Verkauf vorbörslicher Aktien einer nach englischem Recht zu gründenden Gesellschaft mit Börsenplatz in L. für die P. AG Kapital einzusammeln. Der Vertrieb dieser Aktien, den eine von dem gesondert Verfolgten vertretene GmbH übernahm, begann im April 2014; ab dem Sommer des Jahres beteiligte sich ein nicht revidierender Mitangeklagter (im Folgenden: Nichtrevident) ebenfalls an der Vertriebstätigkeit. Dabei wurden in Abstimmung mit dem Angeklagten H. Bestandskunden der P. AG und ihrer Tochterfirmen angesprochen und ihnen wurden sogenannte vorbörsliche (Vorzugs-)Aktien der noch zu gründenden englischen Gesellschaft angeboten.

Angeblich sollten die Kunden die Aktien zu einem besonders günstigen Preis erwerben können; Eile sei geboten, weil die Stückzahl begrenzt sei. Später würden Großinvestoren einsteigen, die bereit seien, zu deutlich höheren Preisen zu kaufen, weshalb die Geschäftschance darin liege, die Aktien zunächst zu kaufen und später mit Gewinn an die Großinvestoren weiterzugeben. Dabei wurden erhebliche Gewinnmargen bis zu mehr als einer Verdreifachung des prognostischen Aktienwerts in Aussicht gestellt.

Der Angeklagte gab die Daten der Kunden an die Vertriebsmitarbeiter weiter und zudem Newsletter an die Bestandskunden heraus, in denen er die Investition in die Aktien als aussichtsreiche Geschäftschance anpries. Außerdem stellte er die Anlage als besonders sicher dar, indem er auf ein Schuldversprechen zu einer Abtretung einer zu seinen Gunsten eingetragenen Grundschuld auf einem werthaltigen Grundstück hinwies.

Im Vertrauen auf die Angaben in den Newslettern, in denen die finanzielle Lage der P. AG und ihrer Tochterunternehmen sowie der Wert der vorbörslich vertriebenen Aktien beschönigend dargestellt wurden, die entsprechenden Angaben der Telefonverkäufer und die in dem Emissionsflyer gemachten Angaben über ein seriös geführtes und chancenreiches Immobilienhandelsunternehmen zeichneten mindestens 21 Anleger in 33 Fällen zwischen Ende April 2014 und Anfang August 2015 Aktien über mehr als 1,2 Mio. Euro. Tatsächlich sollte das eingeworbene Kapital aber nicht für Grundstücksinvestitionen verwendet werden, sondern zur Bezahlung von Schulden der P. AG und der vereinbarten, ungewöhnlich hohen Provisionen für die von dem gesondert Verfolgten vertretene Gesellschaft sowie den Nichtrevidenten. Dem Angeklagten war klar, dass bei dieser Art der Verwendung des Kapitals die Aktien wertlos waren und blieben. Ebenso war ihm bewusst, dass die vor der jeweiligen Zahlung der Kaufpreise für die Aktien abgeschlossenen, von ihm in jedem Einzelfall unterzeichneten Sicherungsvereinbarungen, zu denen er jeweils die Echtheit seiner Unterschrift notariell beurkunden ließ, entgegen seinen Zusagen keine insolvenzfesten Sicherheiten darstellten. Denn in diesen wurde nicht etwa die dinglich wirkende Abtretung von Teilgrundschulden vereinbart, sondern allein die schuldrechtliche Verpflichtung dazu, die der Angeklagte in der Folgezeit nicht erfüllte. Die Mehrzahl der Anleger hätte ohne eine (angenommene) Sicherung die Aktien nicht gekauft, weil ihnen sonst das Risiko des Totalverlusts zu groß gewesen wäre; alle Anleger hätten das Geschäft nicht gemacht, wenn sie gewusst hätten, dass ihr Geld tatsächlich nicht für Investitionen, sondern allein zur Schuldentilgung und zur Zahlung überhöhter Provisionen verwendet werden sollte und auch tatsächlich so verwendet wurde.

2. In der Anklageschrift war dem Angeklagten vorgeworfen worden, diese Taten gemeinschaftlich handelnd mit dem gesondert Verfolgten und dem Nichtrevidenten begangen zu haben. Den Nichtrevidenten hat das Landgericht insoweit freigesprochen, weil es seine Einlassung, er habe an eine wirksame, insolvenzfeste Absicherung der Kunden geglaubt, für nicht widerlegbar gehalten hat. Das Verfahren gegen den gesondert Verfolgten hat es abgetrennt und sich zu dessen Tatbeteiligung in den Urteilsgründen nicht näher verhalten. Dementsprechend hat es in dem angefochtenen Urteil allein den Angeklagten wegen dieser 33 Betrugstaten verurteilt.

Einen Hinweis darauf, dass er abweichend vom Anklagevorwurf auch ohne die mittäterschaftliche Beteiligung des gesondert Verfolgten oder des Nichtrevidenten als Täter verurteilt werden könnte, hat die Strafkammer dem Angeklagten nicht erteilt.

3. Wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift angenommen hat, liegt damit ein Verstoß gegen § 265 Abs. 1 StPO vor, denn der Wechsel der Beteiligungsform von Mittäterschaft zu (Allein-)Täterschaft erfordert wegen der Möglichkeit einer anderen sachgemäßen Verteidigung einen Hinweis nach dieser Vorschrift (so schon RGSt 22, 367; vgl. LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 265 Rn. 27 mwN).

a) Dieser Verfahrensfehler betrifft Fall B.I.34. der Urteilsgründe nicht, denn insoweit war dem Angeklagten bereits in der Anklageschrift die Begehung als Alleintäter vorgeworfen worden; entsprechend ist er auch verurteilt worden.

b) Wie der Generalbundesanwalt - jedenfalls im Ergebnis zu Recht - ausgeführt hat, beruht der Schuldspruch in den Fällen B.I.1. bis 33. der Urteilsgründe nicht auf dem Verfahrensfehler.

Insoweit ist seine Annahme, die „täuschungsrelevante Sicherungsposition potentieller Kunden [sei] der rechtlich allein maßgebliche Gegenstand der Täuschung der Erwerber der Aktien“ gewesen, mit Blick auf die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung, nach der sowohl die Absicherung der Aktienkäufe als auch die zweckwidrige Verwendung der Anlagegelder maßgeblich für die Geschädigten waren, zwar nicht nachvollziehbar. Letztlich zutreffend hat der Generalbundesanwalt aber angenommen, dass sich der Angeklagte gegen den Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können, wenn ihm der Hinweis, das Landgericht könne ihn gegebenenfalls auch allein als Täter der Betrugstaten verurteilen, in der Hauptverhandlung erteilt worden wäre.

aa) Allerdings ist insoweit zu differenzieren: Wie die Revision zutreffend darstellt, ist in dem angefochtenen Urteil letztlich offen geblieben, wie sich der gesondert Verfolgte an den Taten beteiligt hat; es kann deshalb aber nicht davon ausgegangen werden, dass das Landgericht tatsächlich von einer „Alleintäterschaft“ des Angeklagten ausgegangen ist. Dass es ihm keine Tatbeiträge des gesondert Verfolgten über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet hat, weil es dazu keine verbindlichen Feststellungen getroffen hatte, wirkt sich nicht ohne Weiteres zulasten des Angeklagten aus. Denn deshalb kam es darauf an, dass er persönlich alle Tatbestandsmerkmale des Betrugs erfüllte, was das Landgericht auch jeweils rechtsfehlerfrei festgestellt hat.

bb) Dementsprechend hat auch die Revision den Umstand, dass das Landgericht den Nichtrevidenten freigesprochen hat, weil es seine Einlassung als unwiderlegbar angesehen hat, er habe an wirksame Absicherungen der Kunden geglaubt, als den wesentlichen Gesichtspunkt hervorgehoben, auf den hinzuweisen gewesen wäre, weil sich daraus weitere Verteidigungsmöglichkeiten ergeben haben sollten.

Der Senat kann jedoch ausschließen, dass solche zu einem für den Angeklagten günstigeren Schuldspruch hätten führen können. Hinsichtlich der in der Revisionsbegründung dargelegten weiteren Sacheinlassungen kann der Senat mit Blick auf die Beweiswürdigung der Strafkammer ausschließen, dass solche Angaben, die allenfalls Schlüsse auf eine Gutgläubigkeit des Angeklagten betreffend die Werthaltigkeit der Sicherungsabrede hätten ermöglichen können, zu einem anderen Ergebnis bei der Prüfung und Bejahung seines Betrugsvorsatzes geführt hätten. Denn - anders als bei dem Nichtrevidenten - ergab sich aus weiterem Geschäftsgebaren des Angeklagten, dass er um die Erforderlichkeit einer dinglich wirkenden Absicherung positiv wusste und bei Eigengeschäften auch selbst Wert darauf legte. Soweit in der Gegenerklärung zum Antrag des Generalbundesanwalts die Möglichkeit einer persönlichen Einlassung aufgebracht wird, bleibt unklar, was eine solche hätte bewirken können, zumal da die Strafkammer ausweislich der Urteilsgründe der (Verteidiger-)Einlassung keinen geringeren Beweiswert beigemessen hat. Auch über das Revisionsvorbringen hinaus ist nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte wirksamer gegen den Schuldspruch hätte verteidigen können.

c) Wie der Generalbundesanwalt ausgeführt hat, lässt sich indes eine Auswirkung des Verfahrensfehlers auf den Strafausspruch nicht ausschließen, etwa weil die arbeitsteilige Beteiligung des Nichtrevidenten, zu der der Angeklagte weitere Angaben hätte machen können, sich strafmildernd hätte auswirken können.

II. Revision des Angeklagten S.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts versuchte der Nichtrevident, Aktien, die er von dem gesondert Verfolgten erhalten hatte, an eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) weiterzuverkaufen. Dem für die GbR handelnden Gesellschafter erklärte er, die Aktien könnten problemlos an Großinvestoren weiterverkauft werden, so dass es sich um einen risikolosen Zwischenerwerb handele. Tatsächlich wusste der Nichtrevident aber, dass es gar keine Großinvestoren mit Interesse an den vorbörslichen Aktien gab, und nahm zumindest billigend in Kauf, dass diese wertlos waren und blieben. Angaben zur angeblichen Wertsteigerung der Aktien machte er ins Blaue hinein, weil es ihm darauf ankam, seine Provision von dem gesondert Verfolgten zu bekommen. Dieses Geschäft war nicht durch eine Sicherungsvereinbarung gesichert.

Der Angeklagte S. leistete dem Nichtrevidenten bei dieser Tat Hilfe, indem er bewusst wahrheitswidrig angab, den Wert der Aktien für einen Investor zu prüfen. Dadurch wollte er den vom Nichtrevidenten geschaffenen Eindruck verstärken, es gebe tatsächlich interessierte Investoren. Dabei war ihm der Wert der Aktie unbekannt, er nahm aber in Kauf, dass sie wertlos war und blieb.

Zum Abschluss des Geschäfts über 300.000 Aktien für 1.050.000 Euro kam es nicht; der getäuschte Gesellschafter zahlte aber eine Sicherheit in Höhe von 100.000 Euro, wovon die Hälfte an den Nichtrevidenten ausbezahlt wurde. Diese Sicherheit gab die GbR, um die Verfügungsbefugnis über das Aktienpaket zu erhalten. Da dieses mit Blick auf die fehlende Börsennotierung und Handelbarkeit der Aktien wertlos war, stand der Sicherheit kein Gegenwert gegenüber, weshalb auch die Verfügungsbefugnis wertlos war. Dies nahm der Angeklagte S. billigend in Kauf.

2. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft war dem Angeklagten S. mittäterschaftlich begangener versuchter Betrug im Hinblick auf den gescheiterten Verkauf des gesamten Aktienpakets zusammen mit dem gesondert Verfolgten zur Last gelegt worden. In der Hauptverhandlung hat das Landgericht den Angeklagten nach § 265 Abs. 1 StPO darauf hingewiesen, dass hinsichtlich seiner Tatbeiträge auch eine Verurteilung wegen Beihilfe in Betracht komme; darauf, dass dies auch eine Beihilfe zum vollendeten Betrug - noch dazu zu einer Haupttat des Nichtrevidenten - sein könne, hat es nicht hingewiesen.

3. Damit liegt wiederum ein Verstoß gegen § 265 Abs. 1 StPO vor. Ein Hinweis ist auch dann erforderlich, wenn - wie hier - Vollendung statt Versuchs angenommen wird (LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 265 Rn. 27 mwN) und sich der Bezugspunkt der Beihilfehandlung ändert.

Das Urteil beruht, soweit es diesen Angeklagten betrifft, auch insgesamt auf dem Verfahrensfehler. Anders als der Generalbundesanwalt angenommen hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass der Angeklagte sich wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Nach der Anklageschrift war Gegenstand des Tatvorwurfs der gescheiterte Verkauf des gesamten Aktienpakets; Haupttäter war der gesondert Verfolgte. Mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung ging es also um die erstrebte - aber nicht geleistete - Bezahlung des Kaufpreises dafür in Höhe von 1.050.000 Euro. Auf die tatsächlich erbrachte Leistung der Sicherheit in Höhe von 100.000 Euro hatte die Anklage hingegen nicht abgestellt.

Indem das Landgericht nunmehr die Leistung der Sicherheit als betrugsrelevante Vermögensverfügung angesehen hat und deshalb von einem vollendeten Betrug durch den Nichtrevidenten ausgegangen ist, zu dem der Angeklagte Beihilfe geleistet habe, hat es eine abweichende rechtliche Würdigung des von der Anklage umfassten Sachverhalts vorgenommen, auf die es hätte hinweisen müssen und zu der eine andere sachgemäße Verteidigung möglich gewesen wäre.

4. Aufgrund der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache bedarf es keiner Entscheidung mehr über die Kostenbeschwerde.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1230

Bearbeiter: Christian Becker