HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 938
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 398/21, Beschluss v. 12.05.2022, HRRS 2022 Nr. 938
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 24. Juni 2021
wird das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwölf Fällen verurteilt ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
wird das vorbenannte Urteil
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig ist; die tateinheitliche Verurteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht entfällt;
im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in 13 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes, zu einer Gesamtfreiheitstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine Revision erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg und ist im Übrigen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
Nach den Feststellungen des Landgerichts verstieß der Angeklagte im Zeitraum vom 28. März 2020 bis zum 3. September 2020 in 13 Fällen gegen die ihm im Rahmen gesetzlich eingetretener Führungsaufsicht erteilte Weisung, zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren - außer bei Anwesenheit einer sorgeberechtigten Person - unter anderem keinen Kontakt aufzunehmen und mit ihnen nicht zu verkehren. Bei den Taten nutzte der Angeklagte das Vertrauen eines befreundeten Elternpaares aus, das ihm gestattete, mit seinem im Tatzeitraum vier Jahre alten Sohn allein in dessen Kinderzimmer oder in der Wohnung des Angeklagten zu übernachten. In einem dieser Fälle nahm der Angeklagte sexuelle Handlungen an dem Jungen vor, indem er gemeinsam mit diesem duschte und ihn dabei am Penis berührte, so dass sich eine Erektion einstellte.
Die Verurteilung wegen der Verstöße gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwölf Fällen kann keinen Bestand haben, weil der gemäß § 145a Satz 2 StGB erforderliche Strafantrag der Aufsichtsstelle (§ 68a StGB) nicht form- und fristgerecht gestellt worden ist. Das Verfahren war insoweit wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen (§ 206a StPO).
1. Folgender Verfahrensablauf liegt dem zugrunde:
Am 3. September 2020 telefonierte die das Ermittlungsverfahren führende Staatsanwältin mit der für den Angeklagten als Proband der Führungsaufsicht zuständigen Sachbearbeiterin der Aufsichtsstelle wegen der ihr an diesem Tag bekannt gewordenen Handlungen des Angeklagten. Per E-Mail übersandte sie ihr zudem einen polizeilichen Vermerk sowie das Protokoll einer Vernehmung der Mutter des geschädigten Kindes. Auf die Frage, ob der Angeklagte zu dem geschädigten Kind auch unbegleiteten Kontakt hatte, ist im Protokoll als Antwort der Kindsmutter festgehalten, dass das Kind ab dem Wochenende vom 28. März 2020 nahezu regelmäßig allein beim Angeklagten übernachtet habe. Die Sachbearbeiterin der Aufsichtsstelle schickte am selben Tag von ihrem Arbeitsplatz aus der Staatsanwältin an deren ihr persönlich zugeordnetes dienstliches Postfach eine E-Mail, in der sie im Mailtext unter Angabe ihres Namens und ihrer Funktion mitteilte, dass gegen den Angeklagten durch die Aufsichtsstelle wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht Strafantrag gestellt werde. Diese E-Mail versandte sie nicht an ein elektronisches Behördenpostfach der Staatsanwaltschaft.
Ein Ausdruck der an die ermittelnde Staatsanwältin verschickten E-Mail gelangte zur Verfahrensakte. Seitens der Aufsichtsstelle wurde ein solcher zur Führungsaufsichtsakte genommen, der mit einer handschriftlich unterzeichneten Verfügung der Sachbearbeiterin vom 4. September 2020 versehen ist. Auf Anforderung der ermittelnden Staatsanwältin übersandte die Aufsichtsstelle am 8. Dezember 2020 zudem im Anhang einer E-Mail als PDF-Datei einen Scan dieses Ausdrucks. Ein auch die handschriftlich unterzeichnete Verfügung der Sachbearbeiterin zeigender Ausdruck dieser Datei wurde seitens der Staatsanwaltschaft sodann zur Verfahrensakte genommen.
2. Innerhalb der Antragsfrist ist bei der Staatsanwaltschaft damit kein formwirksamer Strafantrag der Aufsichtsstelle angebracht worden.
a) Die dreimonatige Antragsfrist begann mit Ablauf des 3. September 2020 als dem Tag, an dem die Aufsichtsstelle als Berechtigte von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangte (§ 77b Abs. 2 Satz 1 StGB). An diesem Tag hatte die Sachbearbeiterin anhand des Inhalts des ihr übersandten Vernehmungsprotokolls ausreichendes Wissen über solche Tatsachen, die einen Schluss auf die wesentlichen Tatumstände der Verstöße gegen Weisungen während der Führungsaufsicht und den Angeklagten als Täter zuließen. Sie war hierdurch, wie der per E-Mail übersandte Strafantrag zeigt, ausreichend in die Lage versetzt, über die Stellung eines Strafantrags zu entscheiden. Eine Gewissheit über sämtliche Einzelheiten des strafrechtlichen Geschehens setzt § 77b Abs. 2 Satz 1 StGB nicht voraus (zu den Anforderungen der Kenntnis BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1998 - 5 StR 288/98, BGHSt 44, 209; Urteil vom 11. September 2007 - 5 StR 213/07). Die Antragsfrist lief folglich mit dem 3. Dezember 2020 ab. Die am 8. Dezember 2020 per E-Mail an die Staatsanwaltschaft gesandte PDF-Datei mit eingescannter Fassung des Strafantrags konnte die Frist daher nicht wahren.
b) Der fristgemäß noch am 3. September 2020 im Text einer einfachen E-Mail direkt an die ermittelnde Staatsanwältin gesandte Strafantrag entsprach nicht der durch § 158 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Schriftform. Für zweckorientierte Abschwächungen des Formerfordernisses, wie sie für die Einreichung in Papierform anerkannt sind, lässt die für die Einreichung elektronischer Dokumente bei Strafverfolgungsbehörden allein maßgebliche Vorschrift des § 32a StPO keinen Raum. Im Einzelnen:
aa) Strafanträge sind bei einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll, bei einer anderen Behörde schriftlich anzubringen (§ 158 Abs. 2 StPO). Zur Wahrung der Schriftform ist grundsätzlich eine Unterschrift des Antragstellers erforderlich (BGH, Beschlüsse vom 6. Oktober 2020 ? 4 StR 168/20; vom 6. November 2019 - 4 StR 392/19).
bb) Für Strafanträge, die als Papierdokument angebracht werden, sind angesichts des Zwecks der vorgeschriebenen Schriftform überwiegend gewisse Lockerungen bei ihrer Einhaltung anerkannt. Durch das Formerfordernis soll nur sichergestellt werden, dass über den Verfolgungswillen des Antragstellers kein Zweifel entstehen kann (LR/Erb, StPO, 27. Aufl., § 158 Rn. 47). Zudem soll (im Wege des Freibeweises jederzeit nachprüfbare) Klarheit über die Identität des Antragstellers geschaffen werden (KKStPO/Griesbaum, 8. Aufl., § 158 Rn. 44 mwN). Diese Zwecke können im Einzelfall auch ohne eine Unterschrift erfüllt sein, wenn aus dem Schriftstück in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ersichtlich ist, von wem die Erklärung herrührt, und feststeht, dass es sich nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern es mit Wissen und Wollen des Berechtigten der zuständigen Stelle zugeleitet worden ist (KKStPO/Griesbaum aaO Rn. 45 unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 17. April 2002 - 2 StR 63/02, NStZ 2002, 559 [zur Revisionseinlegung]; zu in Betracht kommenden Lockerungen des Unterschriftserfordernisses zudem BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 ? 4 StR 168/20 mwN; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11. November 2008 - III-5 Ss 198/08 - 84/08 I).
Entsprechend wird angenommen, dass die Schriftform des § 158 Abs. 2 StPO auch durch Verwendung eines Faksimilestempels (RGSt 62, 53; KKStPO/Griesbaum aaO Rn. 45a unter Verweis auf OLG Hamm, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - 1 RVs 115/14), durch Blankounterschrift auf einem Formblatt (MüKoStPO/Kölbel, § 158 Rn. 44) oder dadurch erfüllbar ist, dass der Name des Antragstellers befugtermaßen von einem anderen geschrieben wird (RGSt 6, 69; LR/Erb, StPO, 27. Aufl., § 158 Rn. 49). Zudem werden weitere Abschwächungen des Unterschriftserfordernisses, die für die Einlegung von Rechtsmitteln akzeptiert sind (z.B. die bloße Verwendung eines Diktatzeichens neben einer zeitlich passenden Datumsangabe; BGH, Beschluss vom 17. April 2002 - 2 StR 63/02, NStZ 2002, 558; vgl. zudem BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Juli 2002 - 2 BvR 2168/00, NJW 2002, 3534, zur Wahrung der Schriftform beim Einspruch gegen einen Strafbefehl), als auf die Fälle des § 158 Abs. 2 StPO übertragbar erachtet (KKStPO/Griesbaum aaO Rn. 45a). Unter ähnlich erleichterten Bedingungen soll dem Formerfordernis Genüge getan sein bei Strafanträgen von Behörden, etwa beim Strafantrag eines Behördenleiters mit dem Zusatz „maschinell erstellt, ohne Unterschrift gültig“ (OLG Düsseldorf aaO) und der Mitteilung des Antrags in beglaubigter Abschrift, beglaubigter Ablichtung oder in Fotokopie (RGSt 71, 358; RGSt 72, 387; KKStPO/Griesbaum aaO Rn. 43; 12 Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 158 Rn. 11; LR/Erb aaO Rn. 45, 49, 50).
cc) Aufgrund vergleichbarer Erwägungen wird bislang überwiegend auch die Einreichung eines Strafantrags mittels einer einfachen E-Mail als formgemäß erachtet, soweit der Antragsteller erkennbar ist (Fischer, StGB, 69. Aufl., § 77 Rn. 23; Dietmeier in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 77 Rn. 21; MüKoStPO/Kölbel aaO Rn. 44; Ambos in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, StPO, 5. Aufl., § 158 Rn. 20). Teils wird dies jedenfalls für die Übersendung als PDF-Dokument im Anhang einer E-Mail angenommen (OLG Rostock, Beschluss vom 6. Januar 2017 - 20 Ws 311/16), teils soll die Form unabhängig von einer eingescannten Unterschrift eingehalten sein (Schönke/ Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 77 Rn. 36 unter Verweis darauf, dass sich eine E-Mail bezüglich der Feststellung des Erklärungsurhebers und einer Absendung mit dessen Willen nicht grundlegend von den anerkannten, aber durchaus manipulationsanfälligen Antragsformen wie etwa dem Telefax unterscheide). Die Frage, ob eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich ist, wird regelmäßig nicht erörtert. Teilweise wird sie aber auch explizit verneint (Radtke/Hohmann/Kretschmer, StPO, § 158 Rn. 12).
dd) Nach gegenwärtiger Rechtslage kann ein Strafantrag nicht wirksam mittels einer einfachen E-Mail angebracht werden, da dieser Übertragungsweg die durch § 158 Abs. 2 StPO vorgeschriebene Schriftform nicht erfüllt.
Bei einer E-Mail handelt es sich um ein elektronisches Dokument im Sinne des § 32a StPO. Unter diesen Begriff fällt jegliche Form elektronischer Information (z.B. als Text-, Tabellen- oder Bilddatei), die ein Schriftstück beziehungsweise eine körperliche Urkunde ersetzen soll und grundsätzlich zur Wiedergabe in verkörperter Form (z.B. durch Ausdruck) geeignet ist (BT-Drucks. 18/9416, S. 45; SSWStPO/Claus, 4. Aufl., § 32a Rn. 4; KKStPO/Graf, 8. Aufl., § 32a Rn. 6).
Die Einreichung eines elektronischen Dokuments bei einer Strafverfolgungsbehörde richtet sich allein nach § 32a StPO. Dabei kann dahinstehen, ob die frühere Regelung zum elektronischen Rechtsverkehr in § 41a StPO aF Raum für eine Wahrung der Schriftform durch Zusendung einer einfachen E-Mail beließ, solange und soweit die jeweilige Landes- bzw. die Bundesregierung eine Einreichung elektronischer Dokumente nach § 41a Abs. 2 StPO aF noch nicht zugelassen hatte. Denn § 41a StPO aF ist mit Ablauf des 31. Dezember 2017 außer Kraft getreten und die durch § 15 EGStPO eingeräumte Möglichkeit, die Norm durch Rechtsverordnung bis 31. Dezember 2019 in Geltung zu belassen, ist vor dem hier inmitten stehenden E-Mailversand ausgelaufen.
Für ein Dokument, das schriftlich abzufassen, zu unterschreiben oder zu unterzeichnen ist, schreibt § 32a Abs. 3 StPO vor, dass es als elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Diese Vorgabe gilt auch für Strafanträge, wenn sie als elektronisches Dokument eingereicht werden (SSWStPO/Claus aaO Rn. 6; Jahn, JuS 2021, 564; BeckOKStGB/Dallmeyer, 53. Ed. 2022, § 77 Rn. 7; Radke in Ory/Weth, jurisPKERV Band 4, 2. Aufl., § 32a StPO Rn. 27). Denn nach dem Willen des Gesetzgebers bezieht § 32a Abs. 3 StPO sämtliche Dokumente mit ein, für die ein Schriftformerfordernis gilt. Dass es sich bei der (einfachen) Schriftform und den in § 32a Abs. 3 StPO gleichfalls genannten Erfordernissen einer Unterschrift bzw. Unterzeichnung um unterschiedliche förmliche Anforderungen handelt, hat der Gesetzgeber gesehen und sich ausdrücklich dafür entschieden, diese Differenzierung bei elektronischen Dokumenten nicht nachzuvollziehen (BT-Drucks. 18/9416, S. 45 f.).
Die unsignierte, direkt an den Empfänger gerichtete einfache EMail wird keiner der genannten Vorgaben gerecht: Weder enthält sie eine qualifizierte elektronische Signatur (§ 32a Abs. 3 1. Alt. StPO), noch wird einer der vorgesehenen sicheren Übermittlungswege verwendet (§ 32a Abs. 3 2. Alt. StPO). Letztere sind in § 32a Abs. 4 Satz 1 StPO abschließend normiert. Der Versand einer einfachen E-Mail direkt an den Empfänger entspricht keinem der dort aufgezählten Verfahren.
Anderes folgt hier auch nicht daraus, dass die E-Mail zwischen dienstlichen Postfächern zweier Behörden verschickt wurde. Insbesondere wurde sie damit nicht zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten elektronischen Behördenpostfach (hier der Aufsichtsstelle) und der elektronischen Poststelle der Staatsanwaltschaft übermittelt (§ 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StPO in der heutigen wie in der zum Zeitpunkt des Laufs der Antragsfrist geltenden Gesetzesfassung vom 17. Dezember 2017). Denn es ist nicht ersichtlich, dass bei der hier zwischen den persönlichen E-Mail-Postfächern zweier Mitarbeiterinnen der jeweiligen Behörden versandten Nachricht die technischen Vorgaben erfüllt worden wären, welche sich für die sicheren Übermittlungswege aus § 10 ERVV aF (§ 14 ERVV in aktueller Fassung) i.V.m. §§ 6 ff. ERVV als der nach § 32a Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StPO ergangenen Rechtsverordnung ergaben. Zudem wären die in § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV enthaltenen technischen Rahmenbedingungen einzuhalten gewesen; diese sehen für elektronische Dokumente allein die Dateiformate PDF und TIFF vor (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2022 - 3 StR 89/22 mwN; Radke in Ory/Weth, jurisPKERV aaO Rn. 14). Im Übrigen wären die sonst anfallenden Protokolle bzw. technischen Bestätigungen mit dem übermittelten Dokument zur Akte zu nehmen gewesen, um die Benutzung eines zugelassenen sicheren Übermittlungsweges überprüfen zu können (BGH aaO; BT-Drucks. 18/9416, S. 46; KKStPO/Graf, 8. Aufl., § 32a Rn. 17).
ee) Dass damit die für die papiergebundene Schriftform anerkannten Lockerungen bei der Übermittlung elektronischer Dokumente an Gerichte und Strafverfolgungsbehörden keine direkte Entsprechung finden (zum lediglich „einfachen“ Signaturerfordernis bei Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 32a Abs. 3 2. Alt. StPO vgl. BGH aaO), ist zwangsläufige Konsequenz der gesetzlichen Regelung und durch den Gesetzgeber in Kauf genommen. Dies wird deutlich aus den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften (BGBl. 2021 I S. 2099):
Mit diesem Gesetz wurden unter anderem aus § 32b Abs. 1 Satz 2 StPO die Worte „schriftlich abzufassen“ gestrichen. Damit wurden elektronische Dokumente, die durch Strafverfolgungsbehörden oder Gerichte erstellt werden und die lediglich der einfachen Schriftform unterliegen, vom Erfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur ausgenommen. Anlass der Änderung war, dass im Straf- und im Bußgeldverfahren eine Vielzahl von Dokumenten schriftlich abzufassen, jedoch nicht alle zu unterschreiben oder zu unterzeichnen sind. Das Erfordernis, qualifizierte elektronische Signaturen für alle schriftlich abzufassenden Dokumente anzubringen, stelle sich daher als überhöhte Anforderung dar. Die Gewährleistung der Integrität und Authentizität von Dokumenten könne auch nach Einführung elektronischer Dokumente und Akten auf anderem Wege und häufig zuverlässiger sichergestellt werden als durch das Pendant der handschriftlichen Unterzeichnung (BT-Drucks. 19/27654, S. 55).
In § 32a Abs. 3 1. Alt. StPO wurde das Erfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur für der Schriftform unterliegende elektronische Dokumente, die bei Strafverfolgungsbehörden und Gerichten (von außerhalb) eingereicht werden, dagegen bewusst beibehalten, um dort für alle eröffneten Übertragungswege eine sichere Authentifizierung zu gewährleisten. Explizit ausgesprochen wurde dabei auch, dass in den Fällen des § 32a StPO eine Übermittlung per gewöhnlicher E-Mail nicht in Betracht komme (BT-Drucks. 19/27654, S. 56).
Der Gesetzgeber hatte vor Augen, dass die Anforderungen nach § 32a Abs. 3 StPO auch für Strafanträge nach § 158 Abs. 2 StPO gelten. Denn hierauf hatte der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren hingewiesen und um Prüfung gebeten, ob das Erfordernis der qualifizierten elektronischen Signatur gemäß § 32a Abs. 3 1. Alt. StPO bei der Einreichung eines Strafantrags jedenfalls für die Fälle gestrichen werden könne, in denen Polizeibehörden den Strafantrag aufnehmen. In diesen Fällen sei sowohl die Urheberschaft des Strafantrags als auch der ernsthafte Wille bezüglich dessen Einreichung (auch ohne Signatur) eindeutig feststellbar (BT-Drucks. 19/27654, S. 136). In ihrer Gegenäußerung wies die Bundesregierung darauf hin, dass das Anliegen des Bundesrates einem Beschluss der 91. Justizministerkonferenz folgend im Anschluss an die bereits gemeinsam mit den Ländern begonnene Prüfung einem späteren Gesetzgebungsvorhaben vorbehalten bleiben solle. Weitere Vereinfachungen der Unterschriftsund Schriftformerfordernisse sollten nicht punktuell bezogen auf den Strafantrag, sondern im Rahmen einer Gesamtlösung vorgenommen werden, die sämtliche Schriftformerfordernisse in den Blick nimmt (BT-Drucks. 19/27654, S. 149; zu 22 23 Überlegungen für eine Lockerung der Vorgaben des § 32a StPO bei Strafanträgen de lege ferenda vgl. auch Hauser, JR 2022, 401, 406).
ff) Nicht einschlägig ist auch der in der zivilrechtlichen Rechtsprechung für per E-Mail übermittelte Dokumente entwickelte, die Vorgaben des elektronischen Rechtsverkehrs lockernde Ansatz, wonach diese als in schriftlicher Form eingereicht erachtet werden, sobald ein Ausdruck bei Gericht vorliegt (BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 2008 - X ZB 8/08, NJW 2008, 2649; vom 18. März 2015 - XII ZB 424/14, NJW 2015, 1527; vom 4. Februar 2020, X ZB 11/18, FamRZ 2020, 847). Zwar ist im vorliegenden Fall ein Ausdruck der am 3. September 2020 an die Staatsanwaltschaft gesandten E-Mail mit dem Strafantrag zur Ermittlungsakte gelangt. Die genannte Rechtsprechung betrifft jedoch allein Fälle, in denen im Anhang einer E-Mail eingescannte Kopien eigenhändig unterzeichneter Schriftsätze übermittelt wurden; durch deren Ausdruck werde das Unterschriftserfordernis gewahrt. Für den hier gegebenen Fall einer E-Mail, die nur eine Textnachricht, aber keine Abbildung eines unterschriebenen Dokuments enthält, verneint deshalb auch die genannte Rechtsprechung die Erfüllung der Schriftform (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - IX ZB 41/08, NJWRR 2009, 357). Der Senat kann somit offen lassen, ob auch im Strafverfahren ein unter Missachtung der Vorgaben des § 32a Abs. 3 StPO im Anhang einer einfachen E-Mail eingereichtes elektronisches Dokument durch Ausdruck und Aufnahme in die Akte zu einem formwirksamen Papierdokument werden kann (ablehnend OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. März 2020, III-2 RVs 15/20 u.a., NJW 2020, 1452; differenzierend Radke in Ory/Weth, jurisPKERV aaO Rn. 48).
gg) Der Umstand, dass die Aufsichtsstelle nach § 68a StGB im Freistaat Sachsen organisatorisch an die Staatsanwaltschaft Dresden angegliedert ist, bleibt ohne Einfluss auf die Formunwirksamkeit des Strafantrags. Auch wenn die Aufsichtsstelle zum Geschäftsbereich der Landesjustizverwaltung gehört (Art. 295 Abs. 1 EGStGB), handelt es sich bei ihr und der Staatsanwaltschaft gleichwohl um getrennte Behörden. Das Erfordernis, einen Strafantrag der Aufsichtsstelle bei der Staatsanwaltschaft anzubringen, kommt durch die organisatorische Angliederung an letztere nicht in Wegfall.
hh) Eine Wirksamkeit des per E-Mail gestellten Strafantrags ergibt sich auch nicht über § 32b StPO, der die justizinterne Kommunikation zwischen Gerichten und Strafverfolgungsbehörden regelt. Die Aufsichtsstelle ist schon keine Strafverfolgungsbehörde im Sinne des § 32b StPO (vgl. BT-Drucks. V/4095 S. 35 f. zum Anliegen des Gesetzgebers, eine zu große Nähe der Aufsichtsstelle zur Strafverfolgung zu vermeiden, eine Angliederung an die Staatsanwaltschaft sei eine „weniger glückliche Lösung“; siehe auch LK/Baur, StGB, 13. Aufl., § 68a Rn. 16).
Unabhängig davon wäre ein mittels einfacher E-Mail versandter Strafantrag auch nach § 32b StPO nicht wirksam gewesen. Nach der während des Laufs der Antragsfrist geltenden Fassung des § 32b Abs. 1 Satz 2 StPO vom 5. Juli 2017 (BGBl. 2017 I S. 2208) waren elektronische Dokumente bei ihrer Erstellung - ohne die in § 32a Abs. 3 StPO vorgesehene Alternative einer Übermittlung auf sicherem Weg - schon dann mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen, wenn sie einer einfachen Schriftform unterlagen. Solche Dokumente wurden vom Signaturerfordernis erst durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juni 2021 (BGBl. 2021 I S. 2099) mit Wirkung zum 1. Juli 2021 ausgenommen (siehe bereits oben).
Auf den Strafantrag im vorliegenden Fall bleibt diese Änderung selbst bei unterstellter Anwendbarkeit des § 32b StPO ohne Auswirkung. Zwar findet das Rückwirkungsverbot auf das Strafantragserfordernis als Verfahrensvoraussetzung keine Anwendung. Entfällt nach einer Gesetzesänderung das Antragserfordernis oder wird es modifiziert, kann sich der Täter daher grundsätzlich nicht auf die frühere Rechtslage zum Zeitpunkt der Tat berufen. Dies gilt auch, wenn die Antragsfrist zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits verstrichen ist (LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., Vorbemerkungen zu den §§ 77 bis 77e Rn. 13; näher BGH, Urteil vom 15. März 2001 - 5 StR 454/00, BGHSt 46, 310). Durch die genannte Gesetzesänderung wurde jedoch weder das Antragserfordernis modifiziert, noch wurde nach einer derartigen Modifikation ein nunmehr eröffneter Weg zur Erfüllung der Verfahrensvoraussetzungen neu beschritten. Vielmehr liegt weiterhin allein der im Jahr 2020 per E-Mail versandte Strafantrag vor, der die damaligen, während des Laufs der Antragsfrist unverändert bestehenden Anforderungen an die Schriftform nicht erfüllt hatte. Eine nachträgliche Lockerung der Formvorschriften kann die Formunwirksamkeit einer prozessualen Handlung nicht rückwirkend heilen.
3. Nachdem damit für die zwölf Verstöße gegen Weisungen während der Führungsaufsicht ein Strafantrag als Verfahrensvoraussetzung fehlt, war das Verfahren insoweit einzustellen (§ 206a StPO); die zugehörigen Einzelstrafaussprüche sowie die verhängte Gesamtstrafe geraten damit in Wegfall.
4. Bestand hat allein der Schuldspruch wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes; die auf die Revision veranlasste Prüfung deckt insoweit keine Rechtsfehler zuungunsten des Angeklagten auf. Bei der betroffenen Tat entfällt allerdings auch der tateinheitliche Schuldspruch wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht. Weil das Landgericht strafschärfend auf diesen Verstoß Bezug genommen hat, kann die zugehörige Einzelstrafe keinen Bestand haben, was - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - zugleich zur Aufhebung des Maßregelausspruchs zwingt.
5. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 938
Bearbeiter: Christian Becker