HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 109
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 403/20, Beschluss v. 28.10.2020, HRRS 2021 Nr. 109
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 7. Mai 2020 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Rechtsinstitut der Wahlfeststellung greift nur dann ein, wenn innerhalb des angeklagten Geschehens nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten der Sachverhalt nicht so weit aufgeklärt werden kann, dass die Feststellung eines bestimmten Straftatbestandes möglich ist, aber sicher feststeht, dass der Angeklagte einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Tatbeständen verwirklicht hat, und andere Möglichkeiten gewiss ausgeschlossen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2017 - GSSt 1/17, BGHSt 62, 164, 168 f.). Eine Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage ist indes nicht immer schon dann zulässig, wenn das Tatgericht die Überzeugung von einem bestimmten Geschehensablauf trotz Ausschöpfung aller Beweismittel nicht gewinnen kann, wohl aber überzeugt ist, dass von zwei oder mehreren Geschehensabläufen einer mit Sicherheit vorliegt. Voraussetzung für die Anwendung der Regeln über die Wahlfeststellung ist vielmehr zunächst, dass auch nach dem Grundsatz in dubio pro reo nicht eine eindeutige Tatsachengrundlage gefunden werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 4 StR 480/82, BGHSt 31, 136, 137). Kann mithin nach dem Zweifelssatz eine eindeutige Tatsachengrundlage geschaffen werden, ist von einem eindeutig gegebenen Sachverhalt auszugehen; dann scheidet eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage und deshalb eine Wahlfeststellung aus (vgl. LK/Dannecker/Schuhr, StGB, 13. Aufl., Anh. zu § 1 Rn. 58).
Gemessen daran stellt es einen Rechtsfehler dar, dass das Landgericht eine (gleichartige) Wahlfeststellung angenommen hat. Denn es hat die Einlassung des Angeklagten als „nicht gänzlich unplausibel“ bewertet und angesichts der - wenn auch wenigen - Glaubhaftigkeitsdefizite in der Aussage des Geschädigten nicht sicher ausschließen können, dass sich die Tat „so abgespielt hat, wie vom Angeklagten gestanden“. Danach hätte es den Angeklagten nach dem Zweifelssatz auf der Grundlage eines eindeutigen - für ihn günstigeren - Sachverhalts verurteilen müssen. Das Urteil beruht indes nicht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO), weil sich das Landgericht aufgrund einer fehlerhaften Anwendung der Regelungen der gleichartigen Wahlfeststellung sowohl für den Schuld- als auch Strafausspruch an einer Schnittmenge der rechtlichen Würdigungen ausgerichtet und deshalb den Sachverhalt rechtlich nicht erschöpfend gewürdigt hat. Der Senat kann daher ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung den Angeklagten eines milderen Delikts schuldig gesprochen oder eine niedrigere Strafe verhängt hätte.
Der Senat weist aus gegebenem Anlass darauf hin, dass Voraussetzung für die Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit ist. Es genügt vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2020 - 2 StR 326/19 Rn. 8). An die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten sind hierbei die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung von Beweismitteln. Das Tatgericht hat sich seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung des Angeklagten deshalb aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 - 2 StR 78/16, StraFo 2017, 193). Dabei sind entlastende Angaben des Angeklagten nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2017 - 1 StR 436/17, NStZ-RR 2018, 20, 21; Urteil vom 14. Oktober 2020 - 5 StR 165/20 mwN). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juni 2015 - 5 StR 55/15, NStZ-RR 2015, 255, 256).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 109
Bearbeiter: Christian Becker