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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1356

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 123/20, Beschluss v. 29.09.2020, HRRS 2020 Nr. 1356


BGH 5 StR 123/20 - Beschluss vom 29. September 2020 (LG Dresden)

Revision (Zulässigkeit der Verfahrensrüge; Tatsachenvortrag; Behauptung eines Beweisverwertungsverbots; Mitteilung der Verdachts- und Beweislage).

§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss jeder Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden.

2. Wird in der Revision ein Beweisverwertungsverbot darauf gestützt, dass Beweismittel mangels Anordnungsvoraussetzung oder Anordnungskompetenz erlangt worden seien, wird also die Rechtmäßigkeit der Beweisgewinnung konkret in Zweifel gezogen, sind nicht nur die in der Hauptverhandlung hierzu gestellten Anträge und Beschlüsse vollständig und zutreffend mitzuteilen. Vielmehr ist regelmäßig auch die Verdachts- und Beweislage, die im Zeitpunkt der beanstandeten Beweisgewinnung gegeben war, anhand der Aktenlage zu rekonstruieren und mitzuteilen. Denn erst auf dieser Grundlage kann das Revisionsgericht das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots umfassend beurteilen.

Entscheidungstenor

Das Verfahren wird mit Zustimmung des Generalbundesanwalts eingestellt, soweit der Angeklagte G. in den Fällen 12, 20, 28, 36, 38 und 70 der Urteilsgründe wegen Betruges verurteilt worden ist. Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten G. der Staatskasse zur Last.

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 11. Oktober 2019 im Schuldspruch dahin geändert, dass

der Angeklagte G. des schweren Bandendiebstahls in 28 Fällen, des versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen, des Diebstahls in zwei Fällen, des Betruges in 16 Fällen und des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen schuldig ist;

der Angeklagte C. des schweren Bandendiebstahls in 31 Fällen, des versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen, des Diebstahls und des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in acht Fällen schuldig ist;

der Angeklagte S. des schweren Bandendiebstahls in 27 Fällen und des versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen schuldig ist.

Die in den Fällen 42, 43, 44 und 63 der Urteilsgründe verhängten Strafen entfallen.

Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Der Angeklagte G. hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Angeklagten C. und S. haben die jeweiligen Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten u.a. wegen zahlreicher Fälle des schweren Bandendiebstahls verurteilt. Gegen den Angeklagten G. hat es - unter Einbeziehung von früher verhängten Strafen und Aufrechterhaltung einer Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis - eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren, gegen die Angeklagten C. und S. solche von vier Jahren und neun Monaten (C.) und vier Jahren (S.) verhängt. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Hiergegen wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren jeweils auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel der Angeklagten erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Senat hat das Verfahren gegen den Angeklagten G. mit Zustimmung des Generalbundesanwalts in den Fällen 12, 20, 28, 36, 38 und 70 der Urteilsgründe nach § 154 Abs. 1 Nr. 1, § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Dies bedingt eine entsprechende Änderung des Schuldspruchs und führt zum Wegfall der in diesen Fällen verhängten Strafen.

2. Die konkurrenzrechtliche Bewertung in den Fällen 41 bis 44 sowie 62 und 63 als jeweils selbständige Taten des schweren Bandendiebstahls hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Nach den Urteilsfeststellungen entwendeten die Angeklagten im Rahmen zweier ihrer bandenmäßigen Diebestouren nahezu zeitgleich Waren in vier verschiedenen Geschäften eines Einkaufszentrums (Fälle 41 bis 44) und aus zwei nebeneinanderliegenden Läden einer Geschäftszeile (Fälle 62 und 63). Angesichts des unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs der auf einem gemeinsamen Entschluss beruhenden Tathandlungen stellen sich die Fälle 41 bis 44 sowie die Fälle 62 und 63 rechtlich jeweils als ein schwerer Bandendiebstahl dar (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2016 - 3 StR 54/16, NStZ-RR 2016, 274, 275).

Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend ab, wobei er aus Gründen der Übersichtlichkeit davon absieht, die jeweils mehrfache tateinheitliche Verwirklichung des § 244a Abs. 1 StGB zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, aaO). § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, da sich die Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

3. Infolgedessen entfallen die in den Fällen 42, 43, 44 und 63 festgesetzten Einzelstrafen. Für die beiden einheitlichen Geschehen setzt der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die im Fall 41 verhängte Strafe von zwei Jahren und die im Fall 62 bestimmte Strafe von einem Jahr und sechs Monaten fest.

4. Die Gesamtfreiheitsstrafen haben trotz des Wegfalls der in den nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Betrugsfällen gegen den Angeklagten G. und in den genannten Diebstahlsfällen gegen alle Angeklagten verhängten Strafen Bestand. Angesichts der Vielzahl der verbleibenden Freiheitsstrafen schließt der Senat aus, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf niedrigere Gesamtfreiheitsstrafen erkannt hätte.

5. Zu den Verfahrensrügen bemerkt der Senat ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts:

a) Die von den Angeklagten G. und S. erhobenen Rügen der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO sind bereits unzulässig, da die Beschwerdeführer die in der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer zu den Befangenheitsanträgen in Bezug genommenen mehrseitigen Widersprüche, Anträge und Stellungnahmen des Verteidigers des Angeklagten S. entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht mitgeteilt haben. Sie wären auch unbegründet, weil - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - die Befangenheitsanträge zu Recht zurückgewiesen worden sind.

b) Soweit die Angeklagten C. und S. die Verwertung von Erkenntnissen aus angeblich rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahmen (insbesondere aus polizeilichen Observationen und der Verwendung eines GPS-Peilsenders am 9. und 17. Mai 2018) rügen, die in ihrer Gesamtschau zudem zu einer „rechtsstaatswidrigen Totalüberwachung“ geführt hätten, entspricht ihr Revisionsvorbringen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Nach dieser Vorschrift muss jeder Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Wird - wie hier - das Beweisverwertungsverbot darauf gestützt, dass Beweismittel mangels Anordnungsvoraussetzung oder Anordnungskompetenz erlangt worden seien, wird also die Rechtmäßigkeit der Beweisgewinnung konkret in Zweifel gezogen, sind nicht nur die in der Hauptverhandlung hierzu gestellten Anträge und Beschlüsse vollständig und zutreffend mitzuteilen. Vielmehr ist regelmäßig auch die Verdachts- und Beweislage, die im Zeitpunkt der beanstandeten Beweisgewinnung gegeben war, anhand der Aktenlage zu rekonstruieren und mitzuteilen. Denn erst auf dieser Grundlage kann das Revisionsgericht das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots umfassend beurteilen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2018 - 2 StR 247/18, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Verwertungsverbot 12 mwN).

Dem werden die Beschwerdeführer nicht gerecht.

Der Angeklagte C. unterlässt es bereits, die aktenkundigen Berichte über die betreffenden („kurzfristigen“) Observationen und weitere diese Ermittlungsmaßnahmen betreffende Unterlagen mitzuteilen. In den Revisionsbegründungen beider Beschwerdeführer fehlen eine gegen den Mitangeklagten G. gerichtete Strafanzeige vom 12. März 2018 und ein damit im Zusammenhang stehender Sachstandsbericht vom Vortag, obwohl die gegen G. geführten Ermittlungen zu dem Verdacht einer Tatbeteiligung der Beschwerdeführer geführt hatten. Zudem teilen sie die polizeiliche Anregung vom 17. Mai 2018 auf Anordnung einer auch gegen sie gerichteten längerfristigen Observation nicht mit, ausweislich derer den Strafverfolgungsbehörden die Identität der Beschwerdeführer bei der Observation am 9. Mai 2018 nicht bekannt war. Ohne Kenntnis des Inhalts dieser Unterlagen kann der Senat indes nicht prüfen, ob es sich bei den betreffenden Observationen um Maßnahmen nach § 163f Abs. 1 StPO handelte, für die es gemäß § 163f Abs. 3 Satz 1 StPO grundsätzlich einer richterlichen Anordnung bedarf, oder jeweils um eine nicht unter dem Richtervorbehalt stehende kurzfristige Observation (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2009 - 2 BvR 1691/07 Rn. 50 [zu § 163f StPO aF]; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 163f Rn. 1).

Darüber hinaus mangelt es an der Mitteilung der von der Staatsanwaltschaft in ihrer Gegenerklärung vorgelegten Anordnung über die Anbringung eines Peilsenders nach § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO vom 5. April 2018 an dem Pkw des Mitangeklagten G., der zum einen in den hier betreffenden Diebstahlsfällen, aber - ausweislich der Strafanzeige vom 12. März 2018 und des damit zusammenhängenden Sachstandsberichts - auch schon zuvor von G. und dem gesondert Verfolgten M. als Tatfahrzeug genutzt wurde. Ohne Kenntnis vom Inhalt der Strafanzeige, des Sachstandsberichts und der Anordnung kann aber nicht überprüft werden, ob die Anbringung des Peilsenders am Pkw des - in der Anordnung nicht genannten - Mitangeklagten G. nach § 100h Abs. 2 StPO zulässig war.

Soweit der Angeklagte S. rügt, die Anbringung einer polizeilichen Überwachungskamera mit Zustimmung einer Mitarbeiterin der betreffenden Rossmann-Filiale sei rechtswidrig, weil sie ohne Einwilligung der Geschäftsführung der Rossmann GmbH angebracht worden sei, ist die Rüge unzulässig. Denn der Beschwerdeführer teilt keine Unterlagen mit, aus denen sich die Regelungen zum Hausrecht und damit zusammenhängender Befugnisse für die einzelnen Filialen ergeben. Ungeachtet dessen beruht das Urteil nicht auf der behaupteten Rechtsverletzung (§ 337 Abs. 1 StPO), weil sich die Strafkammer bei ihrer Überzeugungsbildung insoweit maßgeblich auf die Aussage einer Mitarbeiterin der betreffenden Filiale und Observationserkenntnisse gestützt hat.

Eine von den Beschwerdeführern behauptete unzulässige „Totalüberwachung“ liegt hier aber auch in der Sache fern (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 102 ff.).

4. Angesichts des nur geringfügigen Erfolgs ihrer Revisionen ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführern die gesamten Kosten ihrer jeweiligen Rechtsmittel aufzuerlegen (§ 473 Abs. 4 Satz 1 StPO); ausgenommen bleiben die die Einstellung des Verfahrens hinsichtlich des Angeklagten G. nach § 154 Abs. 2 StPO betreffenden Kosten.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1356

Externe Fundstellen: NStZ 2022, 64; StV 2021, 802

Bearbeiter: Christian Becker