HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 785
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 109/20, Beschluss v. 10.06.2020, HRRS 2020 Nr. 785
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. September 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge umfassenden Erfolg.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält - trotz des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs - sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Das sachverständig beratene Schwurgericht stützt sich für den Nachweis der Täterschaft des Angeklagten auf eine an dem als Tatmittel verwendeten weißen Pullover gesicherte DNA-Mischspur, die - neben dem DNA-Muster der Geschädigten und dem eines ihrer Söhne - anteilig das DNA-Muster des Angeklagten aufweise. Dies hat es damit begründet, dass es aufgrund einer Mischspurenberechnung „wahrscheinlich“ sei, dass der Angeklagte die Spur gelegt habe.
Zu Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass dies nicht den Anforderungen genügt, die an die Darstellung eines DNA-Gutachtens bei Mischspuren zu stellen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. August 2019 - 5 StR 419/19 und vom 20. November 2019 - 4 StR 318/19, NJW 2020, 350, jeweils mwN). Insbesondere erörtert die Schwurgerichtskammer nicht, wie viele DNA-Systeme untersucht wurden und in wie vielen davon Übereinstimmungen mit den DNA-Merkmalen des Angeklagten festgestellt wurden. Der Senat kann daher den Beweiswert, den das Schwurgericht der DNA-Spur beigemessen hat, nicht überprüfen.
Darüber hinaus hätte das Schwurgericht näher ausführen müssen, weshalb es von einer tatrelevanten Spur ausgeht. Denn angesichts mehrerer Treffen des Angeklagten mit dem Tatopfer vor der Tat ist dies nicht selbstverständlich.
2. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift zu den weiteren von der Revision aufgezeigten Mängeln ausgeführt:
„Rechtsfehlerhaft ist es darüber hinaus, das Festnahmeverhalten des Angeklagten gegen die Richtigkeit seiner Einlassung in Ansatz zu bringen. Hinsichtlich des vermeintlich erwartungswidrigen Fehlens von Unmutsäußerungen nach erfolgter Festnahme operiert das Schwurgericht zum Nachteil des Angeklagten mit einem Satz der Lebenserfahrung, der in dieser Form nicht existiert. Gleiches gilt für die Reihenfolge der Ausübung seines Rechts zur Benachrichtigung Dritter sowie zur Konsultation eines Verteidigers. Hinzu kommt, dass der letztgenannte Umstand von Rechts wegen keine den Angeklagten belastende beweiswürdigende Umsetzung zulässt; denn nach § 136 Abs. 1 Satz 2 und § 163a Abs. 4 StPO darf der Angeklagte unbefangen darüber entscheiden, ob und wann er die Hilfe eines Verteidigers in Anspruch nimmt. Diese zwar nicht im nemo tenetur-Grundsatz, jedoch im Rechtsstaatsprinzip verankerte Verhaltensmöglichkeit des Angeklagten im Ermittlungsverfahren würde durch beweiswürdigende Zugriffe entwertet.
Gleichermaßen unbehelflich und somit rechtsfehlerhaft ist die zur Entwertung der Einlassung des Angeklagten herangezogene Beweiserwägung auf UA S. 22. Auch hier argumentiert das Schwurgericht mit der Erwartungswidrigkeit des Verhaltens gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten, obschon dieses allein schon mit Blick darauf, dass er nur wenige Monate zuvor aus der Strafhaft entlassen worden war (vgl. UA S. 4), durchaus gleichermaßen menschlich gut nachvollziehbar sein könnte. Beweisrechtlich hat diese Beobachtung zur Folge, dass der Tatrichter näher begründen müsste, weshalb er sich für die angestellte Verhaltensbewertung entschieden und die damit nicht zu vereinbarende ähnlich naheliegende andere Sichtweise verworfen hat.“
Dem tritt der Senat bei. Er kann trotz der für die Täterschaft des Angeklagten vom Schwurgericht angebrachten gewichtigen Argumente angesichts der schwierigen Beweislage (Tatzeit 1987) nicht ausschließen, dass das Urteil auf den angeführten Rechtsfehlern beruht.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 785
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 258
Bearbeiter: Christian Becker