HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1270
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 449/19, Beschluss v. 22.10.2019, HRRS 2019 Nr. 1270
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 25. März 2019 hinsichtlich der Strafe für die Tat 1 (Ziffer II.2 der Urteilsgründe) und im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub, versuchtem Raub mit Todesfolge und mit gefährlicher Körperverletzung (Tat 1) sowie wegen versuchten Computerbetruges (Tat 2) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und daneben Einziehungs- und Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die Angeklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung mit Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Ihre Revision hat lediglich in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts informierte sich die Angeklagte, die drängende Geldprobleme hatte, spätestens ab Februar 2018 im Internet darüber, wie man schnell und leicht Menschen töten und alte Menschen überfallen könne, um an Geld zu kommen. Danach entschloss sie sich zu einem Raubüberfall auf einen von ihr als leichtes Opfer angesehenen Bewohner einer Seniorenwohnanlage unter Einsatz eines Messers, das sie zur Erreichung ihres Raubziels auch tödlich einsetzen wollte. Sie klingelte am Morgen des 10. März 2018 bei der von ihr zufällig als Opfer ausgewählten, zur Tatzeit 93-jährigen sehbehinderten Geschädigten B. an der Wohnungstür. Diese hielt sie für ihre Physiotherapeutin und ließ sie in die Wohnung hinein. Nachdem die Angeklagte ihre wahren Absichten verbergend der Geschädigten freundlich lächelnd erklärt hatte, etwas vergessen zu haben, drehte diese ihr den Rücken zu und ging in Richtung ihres Wohnzimmers. Unter Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten umklammerte die Angeklagte sie von hinten und stach ihr mit einem bis dahin verborgen gehaltenen Messer wuchtig in den Oberkörper, wodurch die Geschädigte zu Boden fiel. Unter Fortsetzung der Messerstiche forderte sie die Geschädigte zur Preisgabe ihrer Geldverstecke auf. Im genannten Versteck fand sie Münzgeld und ein Portemonnaie mit Ausweisen, mindestens 85 Euro Bargeld und einer ec-Karte.
Da sie mit dieser Beute nicht zufrieden war, kehrte sie zu der schwer verletzt auf dem Boden liegenden Geschädigten zurück und stach unter Forderung der Preisgabe weiterer Geldverstecke erneut auf sie ein. Nach Benennung eines weiteren Verstecks nahm die Angeklagte dort mindestens 300 Euro an Bargeld und einen Umschlag an sich, in dem sie die zur ec-Karte gehörige PIN vermutete. Anschließend flüchtete sie, wobei sie beim Verlassen der Wohnung annahm, sie habe ihr Opfer bereits tödlich verletzt, sodass es ohne weitere Hilfe versterben werde. Der Geschädigten gelang es jedoch noch mit letzter Kraft, einen von ihr am Körper getragenen Notrufknopf zu betätigen. Sie hatte insgesamt 32 Stich- oder Schnittverletzungen insbesondere im Bereich des Brustkorbes, des Bauchraumes sowie am Hals erlitten. Hierbei wurde die Lunge verletzt sowie ein Herzbeutel und beide Brusthöhlen eröffnet, wodurch jeweils ein Pneumothorax entstand. Sie befand sich infolge der Verletzungen in akuter Lebensgefahr und konnte nur durch sofortige intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen gerettet werden (Tat 1).
Nach der Tat informierte sich die Angeklagte darüber, wie sie über die erbeutete ec-Karte ihres Opfers zu Bargeld kommen könne. Ihr am 13. März 2018 erfolgter Abhebeversuch über 1.000 Euro am Geldautomaten scheiterte allerdings, da die Karte bereits gesperrt war. Eine Transaktion über das Finanzdienstleistungsunternehmen Western Union, bei der sie sich am selben Tag mit dem Namen der Geschädigten registriert hatte, schlug ebenfalls fehl (Tat 2).
2. Die Schwurgerichtskammer hat für die Tat 1 den Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt und auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. Eine Strafmilderung wegen Versuchs gemäß § 23 Abs. 2 StGB hat sie abgelehnt. Zur Begründung hat sie lediglich ausgeführt, die Verletzungen der Geschädigten seien so akut lebensbedrohlich gewesen, dass es nach Einschätzung der rechtsmedizinischen Sachverständigen an ein Wunder grenze, dass sie überlebt habe. „Bei solcher Erfolgsnähe ist die Tat der vollendeten gleichzustellen (UA S. 34).
1. Die von der Beschwerdeführerin erhobene Verfahrensrüge ist unbegründet; insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 20. August 2019 verwiesen.
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler aufgedeckt; sie führt jedoch zur Aufhebung der Einzelstrafe für das versuchte Tötungsdelikt (Tat 1 unter Ziffer II.2 der Urteilsgründe) und der Gesamtstrafe.
a) Eine rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB verlangt nach ständiger Rechtsprechung eine Gesamtschau, die neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte umfasst, wie Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie (vgl. BGH, Urteile vom 15. September 1988 - 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347, 355 f.; vom 14. Januar 1992 - 1 StR 700/91, BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 9; vom 16. September 1992 - 2 StR 304/92, BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 10; vom 15. Juni 2004 - 1 StR 39/04, NStZ 2004, 620; vom 11. September 2013 - 2 StR 287/13; Beschluss vom 17. März 1988 - 1 StR 104/88, BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 4). Eine sorgfältige Abwägung dieser Umstände, auch soweit sie für den Täter sprechen, ist namentlich dann geboten, wenn von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt (BGH, Urteile vom 26. Februar 1991 - 1 StR 604/90, BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8; vom 22. September 1993 - 3 StR 430/93, BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 12; Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 5 StR 294/00).
b) Eine solche Gesamtbetrachtung lassen die Urteilgründe zur Strafzumessung für Tat 1 vermissen, indem sie ausschließlich auf die Vollendungsnähe des Mordversuchs abstellen. Insbesondere hat die Schwurgerichtskammer die erst bei der Ablehnung einer besonderen Schwere der Schuld (§ 57a StGB) berücksichtigten mildernden Umstände nicht erkennbar bedacht und in eine Abwägung einbezogen.
c) Die Aufhebung der Strafe für Tat 1 zieht die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich. Da lediglich ein Wertungsfehler vorliegt, können die Feststellungen bestehen bleiben. Weitergehende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, können getroffen werden.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1270
Externe Fundstellen: NStZ 2020, 599; StV 2020, 75
Bearbeiter: Christian Becker