hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 389

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 395/19, Urteil v. 04.03.2020, HRRS 2020 Nr. 389


BGH 5 StR 395/19 - Urteil vom 4. März 2020 (LG Cottbus)

Untreue zum Nachteil einer Kommanditgesellschaft (Unmittelbarkeit zwischen Pflichtverletzung und Schaden; Schädigung des Gesamthandsvermögens; Schädigung der Gesellschafter; Vermögensbetreuungspflicht).

§ 266 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Ein in der Rechtsprechung teilweise geforderter Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Nachteil (hier: in Form eines Gefährdungsschadens) i.S.d. § 266 StGB liegt vor, sofern im Tatzeitpunkt aufgrund der Rahmenumstände sicher zu erwarten ist, dass ein bevorstehender Schadensfall (hier: Transfer von Geldern des Treugebers) auch tatsächlich eintreten wird (vgl. bereits BGH HRRS 2016 Nr. 522). Im Hinblick auf die zeitlichen Abläufe kommt dem Unmittelbarkeitskriterium hingegen nicht die Bedeutung zu, dass Pflichtwidrigkeit und Nachteil in einem engen zeitlichen Verhältnis zueinanderstehen müssen.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 28. März 2019 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Daneben hat es von der verhängten Strafe einen Monat wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt erklärt. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit der allgemeinen Sachrüge. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Zur Entgegenahme von Publikumseinlagen gründete der Angeklagte 2007 jeweils in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG vier Fondsgesellschaften, die unter fortlaufender Nummerierung als N. GmbH & Co. KG firmierten. Der Aufbau und die Struktur der Kommanditgesellschaften, über die Anleger mit dem Versprechen einer lukrativen Geldanlage geworben werden sollten, waren identisch. Sie bestanden jeweils aus drei Gesellschaftern: Komplementärin war die B. GmbH (B. GmbH), die nach dem Gesellschaftsvertrag keine Kapitaleinlage zu erbringen hatte und auch nicht am Ergebnis der Gesellschaft beteiligt war; alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der B. GmbH war zum Zeitpunkt der Gründung der Fondsgesellschaften und zur Tatzeit Ende Oktober 2009 der Angeklagte. Geschäftsführende Kommanditistin war die N. Aktiengesellschaft (N. AG), an deren Kapital der Angeklagte über eine von ihm beherrschte Gesellschaft mit einem Aktienanteil von 40 % beteiligt war. Dritte Gesellschafterin war eine Rechtsanwältin, die als Treuhandkommanditistin die Aufgabe hatte, Kapitalanteile von geworbenen Anlegern treuhänderisch zu halten, und die jeweils auch mit einer eigenen Kommanditeinlage an den vier Fondsgesellschaften beteiligt war.

Diese Treuhandkommanditistin sollte zwar allein die Gesellschafterstellung als Kommanditistin einnehmen und die mittelbaren Beteiligungen der Anleger (Treugeber) treuhänderisch für deren Rechnung und Interesse übernehmen und im Außenverhältnis als einheitliche Kommanditbeteiligung halten. Für das Innenverhältnis war jedoch im Gesellschaftsvertrag geregelt, dass die Treugeber zueinander, zur Gesellschaft und zu deren Gesellschaftern wie unmittelbar beteiligte Kommanditisten mit allen Rechten und Pflichten behandelt werden sollten. Dies sollte insbesondere für eine selbständige Ausübung der mitgliedschaftlichen Rechte, für ihre Beteiligung am Gesellschaftsvermögen und am Ergebnis der Gesellschaft, an dem die Treugeber über für sie einzurichtende Unterkonten anteilig beteiligt waren, sowie an einem etwaigen Auseinandersetzungsguthaben und am Liquidationserlös gelten. Für den Fall der Liquidation der Fondsgesellschaft, die durch die N. AG als geschäftsführende Kommanditistin zu erfolgen hatte, war gesellschaftsvertraglich das verbleibende Gesellschaftsvermögen den Gesellschaftern und auch den Treugebern nach dem Verhältnis ihrer Einlagenkonten bzw. -unterkonten zugewiesen.

Die Anlagegelder wurden auf Treuhandbankkonten eingezahlt, die für jede der Fondsgesellschaften eigens eingerichtet waren. Kontoinhaber war als sogenannter Mittelverwendungskontrolleur der gesondert verfolgte Rechtsanwalt H., der zugleich Mitglied im Aufsichtsrat der N. AG war. Grundlage seiner Tätigkeit war ein zwischen ihm und den Fondsgesellschaften jeweils geschlossener Mittelverwendungskontrollvertrag, der unter anderem vorsah, dass bei einer Kündigung dieses Vertrages die auf dem Treuhandkonto befindlichen Guthaben der Auszahlungskontrolle eines anderen Mittelverwendungskontrolleurs zu unterstellen seien. Für jede der vier Fondsgesellschaften war vorgesehen, Anleger mit Euro-Geldeinlagen anzuwerben, die ein Gesamtkapital in Millionenhöhe erreichen sollten. Dieses Ziel wurde jedoch nicht erreicht. Die Fondsgesellschaften vereinnahmten bis Dezember 2009 aus dem Verkauf von 175 Fondsanlagen insgesamt 938.137 Euro. Zusammen mit weiterem Mittelzufluss aus Darlehen und Kommanditeinlagen standen ihnen ein Gesamtbetrag von 1.020.793 Euro zur Verfügung. Dieses Geld war zum 1. Dezember 2009 bis auf einen Betrag von insgesamt 181.554,73 Euro verbraucht.

Nach einer Auseinandersetzung mit Mitaktionären schied der Angeklagte Ende 2008 aus dem Vorstand der N. AG aus. In der Folgezeit tauschte er sich mit Rechtsanwalt H. darüber aus, wie er wieder größeren Einfluss auf die Geschäfte der N. AG und der Fondsgesellschaften erlangen, insbesondere wieder Vorstand der N. AG werden könne. Die noch verbliebenen Vorstandsmitglieder der N. AG traten bis zum 26. August 2009 zurück. Grund hierfür waren Streitigkeiten darüber, ob und in welcher Höhe Rechtsanwalt H. in seiner Funktion als Mittelverwendungskontrolleur Gelder frei zu geben habe. Außer Rechtsanwalt H. gaben auch die übrigen Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt auf. Bevor es zu einer von ihm daraufhin beim Registergericht beantragten Bestellung eines Notvorstands kam, beschloss Rechtsanwalt H. am 26. Oktober 2009 die Berufung des Angeklagten zum alleinvertretungsberechtigten Vorstand der N. AG, obwohl beide wussten, dass der Aufsichtsrat der AG nicht mehr beschlussfähig war.

Am 30. Oktober 2009 kündigte Rechtsanwalt H. den Mittelverwendungskontrollvertrag. Mit Schreiben vom selben Tag bestätigte der Angeklagte den Erhalt der Kündigung und erklärte, bis zur Findung eines neuen Mittelverwendungskontrolleurs die Konten der Fondsgesellschaften der treuhänderischen Kontrolle einer C. GmbH (C. GmbH) zu unterstellen, die von ihm beherrscht wurde und deren Geschäftsführer er war. Zugleich forderte er Rechtsanwalt H., der weiterhin Kontoinhaber der Treuhandkonten der Fondsgesellschaften war, dazu auf, die auf diesen Bankkonten noch vorhanden Guthaben auf ein Konto der C. GmbH auszukehren, obwohl er wusste, dass weder H. noch er selbst hierzu berechtigt waren. Am 11. November 2009 beschloss der Angeklagte als Geschäftsführer der B. GmbH und als Vorstand der N. AG die Auflösung der vier Fondsgesellschaften und bestellte sich selbst zum Liquidator.

Rechtsanwalt H. veranlasste mit Schreiben vom 10. und 12. November 2009 an die Banken die Auskehrung der noch vorhandenen Guthaben der vier Fondsgesellschaften an die C. GmbH. Auf deren Konto wurden bis zum 1. Dezember 2009 mit dem Gesamtbetrag von 181.554,73 Euro sämtliche Guthaben der Fondsgesellschaften überwiesen und deren Konten anschließend geschlossen. Die auf dem Konto der C. GmbH eingegangenen Gelder verwendete der Angeklagte willkürlich. An die Fondsgesellschaften und deren Gesellschafter flossen keine Gelder zurück; insbesondere wurden keine Gelder an die Anleger zurückgezahlt.

II.

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB ist nicht zu beanstanden.

1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte aufgrund der faktischen Übernahme der Vorstandstätigkeit für die N. AG als der geschäftsführenden Kommanditistin der Fondsgesellschaften eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Gesellschaftern der Fondgesellschaften - und damit auch gegenüber der Treuhandkommanditistin und den im Innenverhältnis wie Kommanditisten zu behandelnden Anlegern (Treugebern) - hatte.

Die Unwirksamkeit seiner Bestellung zum Vorstand der N. AG ändert hieran nichts. Denn auch ein zivilrechtlich unwirksames Rechtsverhältnis zur Betreuung fremder Vermögensinteressen begründet eine dahingehende Pflicht, wenn ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis über fremdes Vermögen entstanden ist (vgl. MüKoStGB/Dierlamm, 3. Aufl., § 266 Rn. 163; siehe auch LKStGB/ Schünemann, 12. Aufl., § 266 Rn. 63).

2. Zu Recht hat die Wirtschaftsstrafkammer eine Verletzung seiner Vermögensbetreuungspflicht schon darin gesehen, dass der Angeklagte am 30. Oktober 2009 Rechtsanwalt H. anwies, die liquiden Mittel der Fondsgesellschaften auf das Konto der C. GmbH zu überweisen. Diese Anweisung zielte darauf ab, unbefugt den Fondsgesellschaften und ihren Gesellschaftern die Verfügungsgewalt über diese Geldvermögen zu entziehen, wie es durch die nachfolgende Überweisung und spätere Verwendung dieser Gelder dann auch geschah. Angesichts deren Unwirksamkeit gab ihm weder die Übertragung der Aufgaben des Mittelverwendungskontrolleurs an die von ihm beherrschte C. GmbH noch sein Beschluss, die Fondsgesellschaften aufzulösen und sich zum Liquidator zu bestellen, eine Berechtigung, über die Vermögen der Fondsgesellschaften zu verfügen.

3. Auch die Annahme des Landgerichts, die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht habe zu einem Vermögensschaden geführt, hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Das Landgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass im Rahmen des § 266 StGB eine Schädigung des Gesamthandsvermögens einer Kommanditgesellschaft nur insoweit bedeutsam sein kann, als sie gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter berührt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1987 - 5 StR 272/86, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 5; Beschlüs12 13 14 se vom 22. Februar 1991 - 3 StR 348/90, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 25; vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10, NJW 2011, 3733, 3735, und vom 23. Februar 2012 - 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38 f. mwN). Dies war vorliegend der Fall, da die Gelder den Gesellschaftern dauerhaft entzogen wurden.

b) Soweit in der Rechtsprechung gefordert wird, dass über eine vom Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB lediglich vorausgesetzte Kausalität hinaus der Vermögensnachteil unmittelbar auf der Verletzung der vermögensbezogenen Treuepflicht beruhen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48, 74 mwN; abl. etwa BGH, Beschluss vom 13. April 2011 - 1 StR 94/10, BGHSt 56, 203, 220; Seier/Lindemann in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., 5. Teil 2. Kap. Rn. 224; differenzierend zum Erfordernis eines Unmittelbarkeitszusammenhangs SSWStGB/Saliger, 4. Aufl., § 266 Rn. 105), fehlt es hieran nicht. Denn sofern im Tatzeitpunkt aufgrund der Rahmenumstände sicher zu erwarten ist, dass der Schadensfall auch tatsächlich eintreten wird, besteht bei der sich aus der Eintrittswahrscheinlichkeit ergebenden Vermögensminderung ein Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Nachteil (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, aaO, und vom 16. August 2016 - 4 StR 163/16, NJW 2016, 3253, 3257).

So liegt der Fall hier. Erst der gleichermaßen gesetzwidrige (vgl. § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG) wie auch den Gesellschaftsvertrag verletzende Beschluss des gesondert verfolgten Rechtsanwalts H. vom 26. Oktober 2009, mit dem er den Angeklagten zum alleinvertretungsberechtigten Vorstand der N. AG berief, hatte faktisch die Möglichkeit für dessen kurz darauf erfolgende Verletzung seiner Vermögensbetreuungspflicht geschaffen. Rechtsanwalt H. hatte dem Angeklagten damit eine Entscheidungskompetenz zugesprochen, die dieser zu seiner Anweisung vom 30. Oktober 2009 nutzte, die verbliebenen Fondgelder auszukehren. Daneben hatte Rechtsanwalt H. bei seiner Kündigung des Mittelverwendungskontrollvertrags keine Sorge dafür getragen, dass die auf den Treuhandkonten befindlichen Guthaben der Auszahlungskontrolle eines unabhängigen Dritten unterstellt wurden, sondern sich der treuhänderischen Kontrolle entledigt. Angesichts dieser Rahmenumstände zum Zeitpunkt der Anweisung war sicher zu erwarten, dass Rechtsanwalt H. der von ihm unwidersprochenen Forderung des Angeklagten Folge leisten würde, wie er es bereits am 10. und 12. November 2009 mit seinen Schreiben an die Banken tat. Damit stand zugleich der Eintritt des sich nachfolgend bis zum 1. Dezember 2009 entwickelnden Schadens außer Zweifel. Im Hinblick auf die zeitlichen Abläufe wird dem Unmittelbarkeitskriterium ohnehin nicht die Bedeutung beigemessen, dass Pflichtwidrigkeit und Nachteil in einem engen zeitlichen Verhältnis zueinanderstehen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2014 - 3 StR 265/14, BGHSt 60, 94, 116; Beschluss vom 13. April 2011 - 1 StR 94/10, aaO, S. 221).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 389

Externe Fundstellen: NJW 2020, 1597; NStZ-RR 2020, 145; StV 2020, 759

Bearbeiter: Christian Becker