HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1101
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 264/19, Beschluss v. 25.09.2019, HRRS 2019 Nr. 1101
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 22. Februar 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum (unerlaubten) Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten (unerlaubten) Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie entsprechend den Ausführungen des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Nach den Feststellungen trat der gesondert verfolgte S. an den Angeklagten heran, der infolge seiner Betäubungsmittelabhängigkeit beträchtliche Schulden hatte und deswegen erheblich unter Druck gesetzt wurde, und bot ihm an, seine Probleme „wegzumachen“. Der Angeklagte müsse lediglich eine andere Person in den Hafen begleiten und tun, was sie sage. Worum es gehe, werde er noch erfahren. Obgleich dem Angeklagten bewusst war, dass es sich um eine illegale Tätigkeit handeln sollte, willigte er ein, da er in dem Angebot einen Ausweg aus seiner Schuldenproblematik sah.
Am Tattag beorderte ihn ein Unbekannter telefonisch in die Nähe des Hafengebietes von , wo er abgeholt würde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste der Angeklagte, dass er größere Mengen Betäubungsmittel aus dem Freihafen holen sollte. Entsprechend der erhaltenen Anweisung traf er mit dem gesondert verfolgten D. zusammen. In dessen PKW begleitete er ihn in das Gebiet des Freihafens, wo sich der gesondert Verfolgte zu einem kurz zuvor gelöschten aus stammenden Container begab. D. ging davon aus, dass in dem Kühlaggregat des Containers Pakete mit Kokain verborgen wären. Er wies den Angeklagten an auszusteigen und aufzupassen, während er selbst dem Kühlaggregat die Pakete entnahm. Der Angeklagte und der gesondert Verfolgte verstauten diese in Sporttaschen, die sie in den Kofferraum des PKW verluden. Tatsächlich war das in dem Container versteckte Kokaingemisch mit einem Gewicht von insgesamt rund 48 kg (Wirkstoffgehalt zwischen etwa 80 % und 83 %) bereits in durch Zollmitarbeiter gegen Paniermehl ausgetauscht worden, nachdem die Besatzung des Containerschiffs das Kokain infolge einer Störungsmeldung des Kühlaggregats auf See entdeckt hatte. Der Angeklagte und der gesondert Verfolgte, dessen PKW bereits seit seiner Einfahrt in den Hafenbereich von Polizeikräften observiert worden war, wurden nach Verlassen des Freihafengeländes festgenommen.
2. Die Entscheidung, den Angeklagten nicht in einer Entziehungsanstalt unterzubringen, ist rechtsfehlerhaft.
a) Die Strafkammer geht aufgrund der von ihr als glaubhaft erachteten Angaben des Angeklagten zu seinem jahrelangen, in der Zeit vor der Tat erheblichen (täglich 10 bis 15 g) Cannabis- und gelegentlichen Kokainkonsum zwar davon aus, dass er „betäubungsmittelabhängig“ ist und die Tat begangen hat, um sich von seinen drückenden Schulden aus Drogenkäufen zu befreien. Sie meint jedoch, dass seine Abhängigkeit nicht das Ausmaß eines Hanges im Sinne des § 64 StGB erreiche. Gegen einen hierfür erforderlichen Rauschmittelkonsum „im Übermaß“ spreche, dass Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Angeklagten nicht bekannt geworden seien (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2002 - 1 StR 382/02, NStZ-RR 2003, 106, 107). Insbesondere sei er über Jahre einer geregelten beruflichen Tätigkeit nachgegangen und sogar am Tattag noch „auf Montage“ gewesen.
b) Das Landgericht hat bei der Feststellung eines Hanges einen verkürzten Maßstab angelegt.
Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren. Schon die von der Strafkammer auf der Grundlage der Feststellungen, allerdings ohne Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen, angenommene Betäubungsmittelabhängigkeit legt die Annahme nahe, dass der Angeklagte eine solche Neigung hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2018 - 5 StR 613/17). Jedenfalls ist ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2018 - 5 StR 427/18, StV 2019, 261 red. Leitsatz). Auf das Bestehen einer solchen Gefährdung und Gefährlichkeit des Angeklagten weisen bereits seine beiden Vorstrafen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und seine Verstrickung in Schulden aus Betäubungsmittelkäufen hin, die ihn in erhebliche Bedrängnis brachten und ihn zur Begehung der Tat veranlassten.
3. Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) der Prüfung und Entscheidung durch ein neues Tatgericht. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2009 - 3 StR 458/08, NStZ 2009, 261). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.).
Einer Aufhebung des Strafausspruchs bedarf es nicht, da der Senat ausschließt, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine noch mildere Freiheitsstrafe verhängt hätte.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1101
Bearbeiter: Christian Becker