HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 926
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 208/19, Beschluss v. 20.06.2019, HRRS 2019 Nr. 926
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 15. Januar 2019 aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zu den Taten gemäß Ziffer II.2.a, 2.c bis 2.e, 2.h und 2.i der Urteilsgründe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf mehrerer (gefährlicher) Körperverletzungsdelikte, mehrfacher Bedrohung und Beleidigung sowie eines Verstoßes gegen eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz freigesprochen und diese im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Ihre gegen die Maßregelentscheidung gerichtete Revision führt mit der Sachrüge zur weitgehenden Aufhebung des Urteils.
1. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht als schwerste Anlasstaten durch die Angeklagte verübte (versuchte) gefährliche Körperverletzungen zum Nachteil ihres Lebensgefährten und Betreuers W. sowie der Zeugen R. und K. herangezogen (UA S. 30). Die hierzu getroffenen Feststellungen und Wertungen begegnen jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Nach den Feststellungen zu den Taten vom 5. April 2017 (Ziffer II.2.b der Urteilsgründe) „jagte“ die Angeklagte im Rahmen eines heftigen Streits ihren Lebensgefährten W. um das auf dem Grundstück geparkte Auto herum. Sie trat und schlug wütend mit einer Eisenstange auf ihn ein. Das Landgericht hat sich hierzu beweiswürdigend allein auf die Aussage der Zeugin D. gestützt und das Tatopfer nicht vernommen. Zum Anlass des Streits und der Tat der Angeklagten verhält sich das Urteil dementsprechend ebenso wenig wie zu etwaigen Verletzungen des Opfers. Diesbezügliche Ausführungen wären jedoch notwendig gewesen, um den symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Angeklagten und der Tat sowie deren Gewicht beurteilen zu können.
bb) Das Landgericht legt der Angeklagten ferner zur Last, am 4. Juni 2017 mit einem „Twister“ in Richtung des Kopfes des Zeugen R. geschlagen zu haben; der Zeuge habe dem Schlag jedoch geistesgegenwärtig ausweichen können, worauf die Angeklagte zu ihrem Auto gelaufen und „mit quietschenden Reifen“ davongefahren sei (Ziffer II.2.g der Urteilsgründe). Die Frage eines nach Sachlage in Betracht kommenden strafbefreienden Rücktritts vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung (§ 24 StGB), der der Heranziehung dieser Handlung zumindest als Anlasstat entgegenstehen würde (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132, 135 f.), erörtert das angefochtene Urteil nicht.
cc) Hinsichtlich der durch das Landgericht als versuchte gefährliche Körperverletzung gewürdigten Tat vom 28. Februar 2018 zum Nachteil des Zeugen K. (Ziffer II.2.k der Urteilsgründe) werden die Feststellungen nicht von den hierzu angeführten beweiswürdigenden Erwägungen der Strafkammer getragen.
Gemäß den Feststellungen rannte die Angeklagte mit einem metallenen Gefäß in der Hand auf den Zeugen zu, um ihn damit zu schlagen. Der Zeuge konnte den Schlag jedoch abwehren, woraufhin beide stürzten und sich ein Gerangel anschloss, in dessen Zuge die Angeklagte den Zeugen biss. Demgegenüber hat der Zeuge K. ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 26) keinen Schlag mit dem Gegenstand bekundet, vielmehr ausgeführt, er habe einen solchen erwartet, sie seien aber beide zu Boden gegangen. Ein Schlag mit dem metallenen Gefäß ist auch nicht der Aussage des weiteren Zeugen S. zu entnehmen. Danach hat der Zeuge lediglich gesehen, wie die Angeklagte sowie der Zeuge K. auf dem Boden gelegen hätten und die Angeklagte dann mit einer Thermoskanne in der Hand in ihr Auto gestiegen und weggefahren sei.
Andererseits erschließt sich angesichts der Aussagen beider Zeugen zu einer Thermoskanne nicht, warum sich das Landgericht nicht zu näheren Feststellungen betreffend den von der Angeklagten verwendeten Gegenstand in der Lage gesehen hat.
b) Durchgreifenden Bedenken unterliegen ferner die Feststellungen und Wertungen zu den Taten vom 24. Mai 2017 (Ziffer II.2.f der Urteilsgründe) und vom 13. Februar 2018 (Ziffer II.2.j der Urteilsgründe).
aa) Hinsichtlich der vom Landgericht als Bedrohung nach § 241 StGB ausgeurteilten Tat vom 24. Mai 2017 versteht der Senat die Ausführungen der Strafkammer dahin, dass sie die Annahme einer Straftat nach § 241 StGB in Bedrohungen der Zeugin D. und deren Sohnes durch die Angeklagte „in gewohnter Manier“ gesehen hat, die mit beängstigenden „Grimassierungen“ einhergegangen seien. Welchen Inhalt genau die Bedrohungen hatten, ist den Urteilsgründen indessen nicht zu entnehmen, womit eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht möglich ist. Die weitere Feststellung, die Angeklagte habe die Zeugin danach mit ihrem Auto verfolgt und sei in kurzem Abstand („Stoßstange an Stoßstange“) auf deren Kraftfahrzeug aufgefahren, würde die Tatbestandsvoraussetzungen des § 241 StGB nicht ohne Weiteres belegen.
bb) Die Tat vom 13. Februar 2018 hat das Landgericht als Verletzung einer von der Zeugin D. am 29. September 2017 erwirkten Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG gewertet. Den Feststellungen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Anordnung - was für eine Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 GewSchG erforderlich wäre (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - 4 StR 122/12, BGHR GewSchG § 4 Strafbarkeitsvoraussetzungen 2) - der Angeklagten vor der Tat wirksam zugestellt worden ist.
2. Die aufgezeigten Rechtsfehler entziehen der Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus die Grundlage. Auch der Freispruch war aufzuheben. Der Umstand, dass allein die Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO das neue Tatgericht nicht, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Taten gemäß Ziffer II.2.a, 2.c bis 2.e, 2.h und 2.i der Urteilsgründe haben demgegenüber Bestand. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bestehenden nicht widersprechen.
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Das Tatgericht wird die näheren Umstände der bisher einzigen Verurteilung der Angeklagten vom 10. Januar 2017 wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung, Sachbeschädigung und versuchter Körperverletzung mitzuteilen haben. Der Umstand, dass die Angeklagte trotz ihrer spätestens seit 1992 bestehenden Krankheit bis dahin nicht straffällig geworden ist, wird im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose zu würdigen sein (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. Mai 2019 - 5 StR 120/19 Rn. 15 mwN).
b) Ferner wird die Entwicklung der Erkrankung der Angeklagten während der einstweiligen Unterbringung über die knappen Erörterungen im angefochtenen Urteil hinaus (UA S. 29) näher zu erläutern und zu belegen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2019 - 5 StR 120/19 Rn. 14).
c) Soweit die Verfahrensvoraussetzungen gegeben sind, wird das neu verhandelnde Tatgericht bei den Taten zum Nachteil der Zeugin D. eine Strafbarkeit (auch) nach § 238 Abs. 1 StGB zu erwägen haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 926
Externe Fundstellen: NJW 2019, 2713; StV 2021, 242
Bearbeiter: Christian Becker