HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 973
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 296/18, Beschluss v. 31.07.2018, HRRS 2018 Nr. 973
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. Februar 2018 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Geiselnahme und wegen Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit Nötigung zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Nach dem Scheitern seiner Intimbeziehung zu E. beschloss der Angeklagte, diese zu töten. Entsprechend seinem zuvor gefassten Plan lockte er deren 12-jährigen Sohn unter einem Vorwand in die von ihm bewohnte Gartenlaube. Nachdem er das Kind gefesselt und geknebelt hatte, nahm er ihm die Wohnungsschlüssel ab. Sodann begab er sich zur nahen Wohnung des späteren Tatopfers. E. rechnete nicht mit seinem Erscheinen. Als der Angeklagte die Wohnungstür aufschloss, dachte sie, dass ihr Sohn käme. Sie war deshalb völlig überrascht, als der Angeklagte plötzlich im Wohnzimmer stand, und hatte daher keine Verteidigungsmöglichkeit. Dies erkannte der Angeklagte und setzte, wie geplant, unter Ausnutzung der Situation sein Tötungsvorhaben in die Tat um. Er zielte mit einer Schreckschusspistole auf die Frau, die diese für eine echte geladene Schusswaffe hielt, und sagte zu ihr, sie solle leise sein und nichts Falsches machen, wenn sie ihren Sohn lebend wiedersehen wolle. Zur Verdeutlichung, dass sich der Sohn in seiner Gewalt befand, zeigte er ihr den Schlüssel. Wie vom Angeklagten beabsichtigt, verhielt sich E. aus Sorge um ihr eigenes und das Leben ihres Kindes ruhig. Sie fragte nur, was der Angeklagte da mache und wo ihr Sohn sei. Der Angeklagte schlug ihr mit der flachen Hand gegen den Kopf und sagte: „Warum machst Du all das?“, worauf sie weinte. Er holte aus der angrenzenden offenen Küche ein Messer mit einer circa 10 cm langen Klinge, ging wieder zu E., packte mit einer Hand ihre Haare, zog ihren Kopf in den Nacken und stach mit dem Messer zweimal in ihre linke Halsseite. Die Messerstiche durchtrennten die Halsschlagader. Die Frau starb binnen weniger Minuten durch Verbluten. Abwehrverletzungen fanden sich bei ihr nicht.
2. Das Landgericht hat das Mordmerkmal der Heimtücke angenommen. Die Zeit zwischen dem Betreten der Wohnung durch den Angeklagten und dem Zustechen habe nur wenige Augenblicke gedauert. Aufgrund des Überraschungseffekts des Eindringens in die Wohnung, der fortwirkenden Bedrohung mit der vermeintlich geladenen Schusswaffe und der ebenso fortwirkenden Bedrohungslage des Sohnes habe die zunächst auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit der Geschädigten bis zum Zustechen dergestalt fortgedauert, dass sie daran gehindert gewesen sei, wirksame Abwehrmaßnahmen zu ergreifen (UA S. 8).
3. Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Das Landgericht hat das Merkmal der Heimtücke zu Recht bejaht.
a) Die Feststellungen belegen allerdings nicht, dass die Geschädigte im grundsätzlich maßgebenden Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs arglos war (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384; vom 9. Januar 1991 - 3 StR 205/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13, jeweils mwN; Beschluss vom 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29; Urteil vom 16. Februar 2016 - 5 StR 465/15, NStZ 2016, 405; MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 170). Es lag angesichts des zuvor bereits äußerst bedrohlichen Verhaltens des Angeklagten und ihrer Reaktion hierauf auch nicht nahe, dass sie sich keines erheblichen Angriffs (zumindest) gegen ihre körperliche Unversehrtheit versah (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 1991 - 3 StR 205/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13 mwN), als der mit dem Messer bewaffnete Angeklagte auf sie zutrat und zur Tat ansetzte.
b) Bei einer von langer Hand geplanten und vorbereiteten Tat kann das Heimtückische nach ständiger Rechtsprechung jedoch gerade in den Vorkehrungen liegen, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, falls sie bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Das hat der Bundesgerichtshof für Fälle eines wohldurchdachten Lockens in einen Hinterhalt und des raffinierten Stellens einer Falle entschieden (vgl. BGH, Urteile vom 17. Januar 1968 - 2 StR 523/67, BGHSt 22, 77, 79 f.; vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 385 f.; vom 9. Januar 1991 - 3 StR 205/90, NJW 1991, 1963, 1964; MüKoStGB/Schneider aaO Rn. 172 mwN). Auch wenn der Täter seinem ahnungslosen Opfer in dessen Wohnung auflauert, um an dieses heranzukommen, ist nicht entscheidend, ob und wann das Opfer die Gefahr erkennt (vgl. BGH Urteil vom 12. Februar 2009 - 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264, Beschluss vom 7. April 1989 - 3 StR 83/89, NStZ 1989, 364 mwN). Es würde unter solchen Vorzeichen zu einer ungerechtfertigten Einengung des Anwendungsbereichs des § 211 StGB führen, die rechtliche Würdigung, ob heimtückische Tatbegehung vorliegt, auf die Umstände im Augenblick der eigentlichen Tötungshandlung zu beschränken (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 1989 - 3 StR 83/89, aaO; LKJ/ähnke, 11. Aufl., § 211 Rn. 41 mwN).
Entsprechend liegt der Fall hier. Der Angeklagte hatte sich aufgrund eines detaillierten Tatplans bereits mit unbedingtem Tötungsvorsatz die Möglichkeit geschaffen, in den Schutzbereich der später Getöteten einzudringen und sie so in seine Gewalt zu bringen. Dafür hatte er sich ihres Sohns bemächtigt und ihm den Wohnungsschlüssel abgenommen. Mit dem überraschenden Eindringen in die Wohnung der ahnungslosen Frau entzog er ihr von vornherein alle realistischen und zumutbaren Abwehrchancen. Er ließ ihr zum einen keine Möglichkeit, ihm den Zutritt zu verwehren, und schuf zum anderen eine Situation, in der sie ihm - zumal angesichts der Bemächtigungslage ihres Sohnes und der eigenen Bedrohung mit einer vermeintlichen Schusswaffe - wehrlos ausgeliefert war. Indem er ihr zur Verdeckung seiner Tötungsabsicht vorspiegelte, sie werde bei ruhigem Verhalten ihren Sohn lebend wiedersehen, machte er darüber hinaus eine Gegenwehr, Flucht oder auch nur Hilferufe von vornherein unmöglich. Tatsächlich wehrte sich das Opfer gegen die Tat auch nicht. Damit wirkte das Tückische seines Vorgehens vom Zeitpunkt des Eindringens in die Wohnung im Rahmen eines in kurzer Zeit ablaufenden Geschehens bis zur eigentlichen Tötungshandlung fort.
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 973
Externe Fundstellen: NJW 2018, 3531 ; NStZ 2018, 654 ; NStZ-RR 2018, 344; StV 2020, 100
Bearbeiter: Christian Becker