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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 305

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 48/17, Beschluss v. 07.03.2017, HRRS 2017 Nr. 305


BGH 5 StR 48/17 - Beschluss vom 7. März 2017 (LG Bremen)

Verjährung beim sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen; rechtsfehlerhafte Strafzumessung beim sexuellen Missbrauch von Kindern.

§ 78 StGB; § 174 StGB; § 176 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 25. August 2016

im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in neun Fällen, des versuchten schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen sowie des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen schuldig ist,

im Strafausspruch zu Fall II 2 Buchst. i der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte zu einer Einzelfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt ist.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger durch seine Revision entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in neun Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der es sechs Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt erklärt hat. Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 8. Februar 2017 Folgendes ausgeführt:

„Die Überprüfung des Urteils auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge hat durchgreifende Rechtsfehler zum Schuld- und Strafausspruch ergeben.

I. Die auf dem überprüften Geständnis des Angeklagten beruhenden Feststellungen rechtfertigen lediglich eine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen (Taten II 2 a und i der Urteilsgründe), schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in neun Fällen (Taten II 2 b, c, d, g, h und j) und versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen (Taten II 2 e und f).

1. Die tateinheitlich erfolgten Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und Körperverletzung können dagegen keinen Bestand haben. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in drei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in dreizehn Fällen im Zeitraum vom 1. Mai 1998 bis zum 10. Januar 2006 verurteilt. Diese Delikte verjähren nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB in fünf Jahren. Die Anwendung der durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I 3007) geänderten Fassung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB hinsichtlich der Straftaten nach § 174 StGB ist ausgeschlossen, da zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen ist, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Änderungsgesetzes am 1. April 2004 bereits Verfolgungsverjährung eingetreten war (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2004 - 4 StR 165/04). Als erste verjährungsunterbrechende Maßnahme kommt der Erlass des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Bremen am 17. Juni 2013 (SA Bd. I Bl. 62) nach § 78 c Abs. 1 Nr. 4 StGB in Betracht.

2. Hinsichtlich der Taten II 2 a und i hat der Angeklagte lediglich den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 1 StGB verwirklicht. Von dieser rechtlichen Würdigung ist die Jugendkammer - entgegen der insoweit auf einem offenkundigen Fassungsversehen beruhenden Tenorierung - in den Urteilsgründen auch ausgegangen (UA S. 22 f., 31 f.).

Der Senat kann die Urteilsformel analog § 354 Abs. 1 StPO wie beantragt berichtigen.

II. Der Strafausspruch weist einen Rechtsfehler hinsichtlich der für die Tat II 2 i verhängten Einzelstrafe auf.

1. Das Landgericht hat den Strafrahmen für die Tat II 2 i rechtsfehlerhaft dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verschobenen Strafrahmen des § 176 Abs. 3 StGB in der Fassung vom 27. Dezember 2003, die ab dem 1. April 2004 galt, entnommen. Die Strafzumessungsregel des § 176 Abs. 3 StGB wäre nur dann nach § 2 Abs. 1 StGB anwendbar, wenn die Tat nach dem 31. März 2004 begangen worden wäre, denn die zuvor im Tatzeitraum gültigen Gesetzesfassungen des § 176 StGB enthielten keine Regelung zum besonders schweren Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Eine solche Eingrenzung des Tatzeitraums ist nicht erfolgt (UA S. 14). Unschädlich ist, dass die Jugendkammer nicht ausdrücklich erörtert hat, ob die zwei Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern als minder schwere Fälle im Sinne von § 176 Abs. 1 StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 oder vom 13. November 1998 anzusehen sind. Hinsichtlich der Tat II 2 i steht bereits die vom Landgericht vorgenommene Einstufung als besonders schwerer Fall einer solchen Bewertung entgegen. Die Erwägungen auf UA S. 30 schließen zudem die Annahme minder schwerer Fälle durch die Jugendkammer auch für die Taten II 2 a und i aus.

Die Strafe war daher dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB zu entnehmen, welcher ... bis sieben Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe vorsieht. Angesichts der Höhe der verhängten Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren ist nicht auszuschließen, dass sich der Rechtsfehler auf die Bemessung der Einzelstrafe ausgewirkt hat.

Der Senat kann indes die Strafe in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO auf acht Monate Freiheitsstrafe festsetzen. Den Urteilsausführungen ist zu entnehmen, dass das Landgericht ohne den Rechtsfehler für die Tat II 2 i keine niedrigere Strafe als für die Tat II 2 a, für die der nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verschobene Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt wurde, verhängt hätte.

2. Hinsichtlich der weiteren Einzelstrafen und der Gesamtstrafe liegt kein Rechtsfehler vor. Die tateinheitliche Verwirklichung der verjährten Straftatbestände hat das Landgericht nicht strafschärfend im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt. Die Herabsetzung der Einzelstrafe für die Tat II 2 i wirkt sich erkennbar nicht auf die sehr enge Gesamtstrafenbildung aus. Die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe sind im Übrigen tatund schuldangemessen (§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO).“

Dem tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend, dass Einzelfreiheitsstrafen von fünf Jahren, vier Jahren, drei Jahren, zwei Jahren und acht Monaten, dreimal zwei Jahren und sechs Monaten, dreimal zwei Jahren, einem Jahr und sechs Monaten sowie von zweimal acht Monaten verbleiben. Im Blick darauf kann in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts ausgeschlossen werden, dass die Gesamtfreiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre, wenn bereits das Landgericht für die Tat II 2 Buchst. i der Urteilsgründe eine Einzelfreiheitsstrafe von acht Monaten verhängt hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 305

Bearbeiter: Christian Becker