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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 593

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 511/16, Urteil v. 21.03.2017, HRRS 2017 Nr. 593


BGH 5 StR 511/16 - Urteil vom 21. März 2017 (LG Leipzig)

Lückenhafte Beweiswürdigung (Umfang der revisionsgerichtlichen Prüfung; Zweifel an der Tatbeteiligung; Gesamtabwägung der be- und entlastenden Umstände; Urteilsgründe).

§ 261 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 21. April 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten zur Tat II.A. freigesprochen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat sich aus tatsächlichen Gründen nicht davon zu überzeugen vermocht, der Angeklagte A. habe durch die ihm zur Last gelegten Taten II.A. und B. mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und der Angeklagte M. habe zur erstgenannten Tat Beihilfe geleistet. Die staatsanwaltschaftlichen, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen wenden sich nur gegen die Freisprüche vom Vorwurf der Tat II.A. Sie haben mit der jeweils erhobenen Sachrüge Erfolg.

1. Zur Tat II.A. hat das Landgericht festgestellt:

Am 1. Oktober 2014 sollten Vietnamesen Methamphetamin aus der Tschechischen Republik an eine unbekannt gebliebene Stelle in Leipzig liefern und dafür 20 kg Chlorephedrin erhalten. Das Transportfahrzeug wurde jedoch bereits gegen 6:00 Uhr nahe Hof polizeilich kontrolliert; der Kurierfahrer wurde festgenommen, 3,917 kg Methamphetamin wurden sichergestellt. Der gesondert Verfolgte F. hatte das Chlorephedrin im Kofferraum eines gemieteten VW Golfs auf dem Parkplatz eines Leipziger Fußballstadions bereitgestellt. Die ebenso gesondert verfolgte B. verließ am Morgen des genannten Tages gemeinsam mit ihrem Freund, dem Angeklagten A., ihre Wohnung, fuhr mit einem gleichfalls gemieteten VW Golf allein zu dem bezeichneten Parkplatz und lud den Sack mit dem Chlorephedrin gegen 7:10 Uhr in den Kofferraum ihres Wagens um. Währenddessen parkte der Angeklagte A. mit einem Audi A 8 in einiger Entfernung im hinteren Bereich desselben Parkplatzes.

2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg, da die Beweiswürdigung des Landgerichts (§ 261 StPO) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht standhält.

a) Das Revisionsgericht muss es allerdings grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Tatbeteiligung nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind.

b) Die Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, dass das Tatgericht die vom ihm behauptete umfassende Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse tatsächlich vorgenommen hat.

aa) Hinsichtlich des schweigenden Angeklagten A. hat das Landgericht zwar über das festgestellte Geschehen hinaus in den Blick genommen, dass dieser nach den als glaubhaft angesehenen Bekundungen der observierenden Polizeibeamten kurz vor B. auf den Parkplatz des Stadions gefahren und mit Blickrichtung auf den Umladeplatz auf sie zum Stehen gekommen ist und in seinem Wagen sitzen geblieben ist. Es hat jedoch nicht erörtert, weshalb der Angeklagte die Strecke von der Wohnung zum Stadion getrennt von B. zurückgelegt hat und was ihn dazu bewegt haben könnte, sich zu früher Stunde ebenfalls auf dem von seiner Freundin zum Umladen des Chlorephedrins aufgesuchten Parkplatz einzufinden. Hier hätte sich die Überlegung aufdrängen müssen, dass der Angeklagte seine Freundin bei ihrem Tun absichern oder (auch) überwachen wollte.

Das Tatgericht hat es zudem unterlassen, eine am Tattag im Zeitraum von 8:09 bis 8:14 Uhr zwischen beiden Angeklagten erfolgte SMS-Korrespondenz in seine Gesamtschau einzubeziehen. Deren Inhalt lassen sich Hinweise darauf entnehmen, dass ihnen der bei Hof eingetretene Fehlschlag der Transportfahrt bereits bekannt war.

bb) Betreffend den ebenfalls schweigenden Angeklagten M. durfte das Landgericht zwar zu seinen Gunsten berücksichtigen, dass dieser auf dem Parkplatz von den observierenden Kräften nicht gesehen worden ist. Es hätte sich aber nicht darauf beschränken dürfen, als möglicherweise belastendes Indiz nur den eben dargestellten SMS-Verkehr zu werten. Vielmehr hätte es darüber hinaus dem Umstand Beachtung schenken müssen, dass es auf der Fahrt des Angeklagten A. zum Stadion um 7:04 Uhr an der von diesem nur wenige hundert Meter entfernten Kreuzung straße zu einem etwa eine Minute dauernden Treffen mit dem Angeklagten M. gekommen ist.

cc) Schließlich lässt sich den Urteilsgründen nichts Näheres zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten entnehmen. Insbesondere bleibt offen, ob der zur Fahrt genutzte Audi A 8 im Eigentum des Angeklagten A. stand und auf welche Weise das Fahrzeug gegebenenfalls finanziert worden ist. Darüber hinaus wird nicht dargelegt, ob die Angeklagten anderweitig straffällig geworden sind und gegebenenfalls in welcher Weise. Eine derartige Mitteilung kann aber auch im Falle eines Freispruchs geboten sein. Denn sie vermag unter Umständen Aufschluss darüber zu geben, ob einem Angeklagten die Begehung von Straftaten, die mit der ihm zur Last gelegten vergleichbar sind, wesensfremd ist oder ob er sich über entsprechende Verbote bereits hinweggesetzt hat (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 423/16).

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Tatgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung aufgrund der gebotenen wertenden Gesamtschau aller be- und entlastenden Indizien die Überzeugung von der Beteiligung der Angeklagten an der Tat II.A. gewonnen hätte. Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.

3. Hierzu bemerkt der Senat: Das neue Tatgericht wird Gelegenheit zur Prüfung haben, ob die von der Revision auf der letzten Seite der Revisionsbegründung gegebene Erklärung für die festgestellte Abweichung der letzten Ziffern der verfahrensrelevanten 15-stelligen International Mobile Equipment Identities (IMEI) zutrifft (vgl. Amtsblatt der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, 2000 Nr. 7, S. 1247).

Soweit das Landgericht ein Beweisverwertungsverbot angenommen hat, vermag der Senat aufgrund der Angaben in den Urteilsgründen (UA S. 16 f.) und des Vortrags der darauf bezogenen Verfahrensrüge nicht abschließend zu prüfen, ob die infolge des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 25. September 2014 gewonnenen Erkenntnisse hätten berücksichtigt werden dürfen. Allein die teilweise fehlerhafte Begründung stünde dem angesichts der weiteren für die Entscheidung des Ermittlungsrichters angeführten gewichtigen Argumente jedenfalls nicht zwingend entgegen.

4. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Zuerkennung von Haftentschädigung ist damit gegenstandslos.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 593

Bearbeiter: Christian Becker