HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 968
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 20/16, Urteil v. 28.06.2017, HRRS 2017 Nr. 968
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 6. Mai 2015 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, im Zuge von in den Jahren 2010 und 2011 durchgeführten Lebertransplantationen durch Verletzung von Regeln zur Verteilung von postmortal gespendeten Lebern versuchten Totschlag in elf Fällen und aufgrund nicht gegebener medizinischer Indikation Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen begangen zu haben. Mit ihrer gegen das Urteil gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass der Angeklagte vom Vorwurf des versuchten Totschlages in acht Fällen freigesprochen worden ist. Das in diesem Umfang vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
a) Zum Ablauf des Transplantationsverfahrens:
Nach der Diagnose einer schweren Lebererkrankung erfolgt zunächst die Vorstellung des Patienten in einem als Transplantationszentrum zugelassenen Krankenhaus. Dort wird geprüft, ob die Voraussetzungen für die Durchführung einer Transplantation vorliegen. Bejahendenfalls erfolgt die Aufnahme in die Warteliste des Transplantationszentrums sowie die Listung des Patienten bei Eurotransplant, einer privatrechtlichen Stiftung mit Sitz in Leiden/Niederlande. Eurotransplant vermittelt Spenderorgane im Rahmen eines internationalen Organaustausches in acht europäischen Ländern, darunter Deutschland, und ist von den zuständigen Institutionen in Deutschland als Vermittlungsstelle beauftragt.
Vorgaben und Ausschlusskriterien enthielten zu den Tatzeiten die Richtlinien der Bundesärztekammer „zur Organtransplantation gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 5 TPG - Regeln zur Aufnahme in die Warteliste und zur Organvermittlung“ in der Fassung vom 18. Dezember 2009 (im Folgenden: RLBÄK 2009). Entsprechend dem im Jahr 2000 geschlossenen Vertrag über die Vermittlungsstelle hat Eurotransplant ein Handbuch (Eurotransplant-Manual) herausgegeben, in dem gleichfalls Bestimmungen zur Organverteilung enthalten sind. Danach haben die Richtlinien der Bundesärztekammer Vorrang, wenn Abweichungen zu denen des Handbuchs bestehen.
Nach der Meldung einer Spenderleber wird von Eurotransplant für diese Leber eine „Match-Liste“ erstellt, auf der die potentiellen Empfänger in einer bestimmten Reihenfolge gelistet sind. In die jeweilige Match-Liste werden lediglich die bei Eurotransplant registrierten Patienten aufgenommen, die aufgrund der von den Transplantationszentren übermittelten Spenderdaten als Empfänger der konkreten Leber in Betracht kommen. Die Reihenfolge auf der Liste richtet sich nach Dringlichkeitsstufen. Vorrangig werden Patienten in akut lebensbedrohlichen Situationen („High Urgency - HU“) sowie solche berücksichtigt, die eine kombinierte Organtransplantation benötigen (Transplantation mehrerer Organe). Im Übrigen wird die Reihenfolge durch den „MELD-Score“ bestimmt (Model for Endstage Liver Disease, Modell für Lebererkrankungen im Endstadium). Dieser Wert wird aus drei Blutwerten errechnet (International Normalized Ratio - INR, Serum-Kreatinin und Serum-Bilirubin). Je höher der MELD-Score ist, desto höher ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass der Patient innerhalb von drei Monaten verstirbt. Während ein Patient mit einem MELD-Score von sechs eine Wahrscheinlichkeit von 1 % hat, innerhalb von drei Monaten zu versterben, besteht bei einem Patienten mit dem höchsten MELD-Score von 40 ein Sterberisiko von 98 %.
Nach Erstellung der Match-Liste wird das Organ nach einem vorgegebenen Verfahren zugeteilt. Im Standardverfahren (Regelallokation) bietet Eurotransplant das Organ einem Transplantationszentrum für einen bestimmten (elektiven) Patienten an, wobei sich die Abgabe des Angebots beginnend mit dem höchsten MELDScore nach der absteigenden Reihenfolge der Patienten auf der bis zu einem MELD-Score von 40 reichenden Match-Liste richtet. Der MELD-Score spiegelt dabei die Dringlichkeit der Transplantation und zugleich das statistische Sterberisiko des jeweiligen Patienten wegen einer systembedingten Benachteiligung bestimmter Patientengruppen (unter anderem von Patienten mit geringer Muskelmasse) sowie wegen einer Interlaborvariabilität hinsichtlich der gemessenen Blutwerte nicht durchweg zuverlässig wider. Eurotransplant ist gleichwohl verpflichtet, die Reihenfolge strikt einzuhalten. Eine Spenderleber wäre daher auch dann dem höherrangigen Patienten anzubieten und im Falle der Annahme zuzuteilen, wenn feststünde, dass ein Patient mit einem niedrigeren MELD-Score die Transplantation zur Lebensrettung dringlicher benötigte als der Patient mit dem höheren MELD-Score.
Bei Annahme des Organangebots im jeweiligen Transplantationszentrum teilt Eurotransplant das Organ verbindlich zu. Die Annahmeentscheidung trifft zunächst der Transplantationschirurg und abschließend der Patient. Etwa beim Angebot einer aus ärztlicher Sicht qualitativ unterdurchschnittlichen Leber kann der Arzt im Fall hinreichend stabilen Zustandes seines Patienten das Organangebot ablehnen und auf ein qualitativ besseres Organ warten, um die Chancen des Patienten zu erhöhen, die Transplantation zu überstehen und ein längerfristiges Überleben zu erreichen. Zur Ablehnung von Organangeboten kann es aber auch deshalb kommen, weil im Transplantationszentrum aktuell keine Möglichkeit der Transplantation besteht oder der Zustand des Patienten gerade keine Transplantation erlaubt. Bei einer Ablehnung wird die Leber gemäß Reihung auf der Match-Liste für den jeweils nachfolgenden Patienten angeboten.
Wenn das Organ im Standardverfahren nicht akzeptiert wird, leitet Eurotransplant in das beschleunigte Vermittlungs- bzw. Zentrumsverfahren über, um den Verlust des Organs für die Transplantation zu vermeiden. Zu den Tatzeiten erfolgte dieser Übergang im Durchschnitt nach 7,4 Ablehnungen. Im beschleunigten Verfahren werden die Organe losgelöst von der konkreten Match-Liste einzelnen Transplantationszentren angeboten, die den ihnen geeignet erscheinenden Patienten nach Ermessen auswählen. Von Oktober 2008 bis Oktober 2011 wurden in Deutschland 2.219 Lebern im Standardverfahren und 1.187, also knapp 35 %, im beschleunigten Verfahren vergeben.
b) Zu den einzelnen Fällen:
In zwei der noch verfahrensgegenständlichen Fälle liegt dem Angeklagten nach den Feststellungen ausschließlich zur Last, die Aufnahme von Patientinnen in die Warteliste bewirkt zu haben, obwohl dem eine Bestimmung in den RLBÄK 2009 zwingend entgegengestanden hatte (im Folgenden: „Wartelistenfälle“). In den verbleibenden sechs Fällen ist hingegen festgestellt, dass der Angeklagte (auch) Falschangaben gegenüber Eurotransplant zu tatsächlich nicht vorgenommenen Nierenersatztherapien veranlasste, um den MELD-Score zu erhöhen und dem jeweiligen Patienten gegebenenfalls zu einem höheren Listenplatz zu verhelfen (im Folgenden: „Manipulationsfälle“). Wird bei einem Patienten nämlich zweimal innerhalb einer Woche vor dem Serum-Kreatinin-Test eine Nierenersatztherapie vorgenommen, so wird der Serum-Kreatinin-Wert unabhängig vom tatsächlich gemessenen Wert auf den Höchstwert von 4,0 mg/dl festgesetzt. Bei einem Teil der „Manipulationsfälle“ lagen darüber hinaus Ausschlusskriterien zur Aufnahme in die Warteliste vor.
aa) „Wartelistenfälle“
Die Patientinnen F. und V. litten unter alkoholinduzierter Leberzirrhose. Der Angeklagte bewirkte jeweils im Mai 2010 deren Aufnahme in die Warteliste. Damit verletzte er die zur Tatzeit gültigen Richtlinien der Bundesärztekammer, nach denen Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose erst in die Warteliste aufgenommen werden durften, wenn sie eine mindestens sechsmonatige Alkoholabstinenz eingehalten hatten (Ziffer II 2.1 Satz 1 RLBÄK 2009). Beide Patientinnen waren aber - was dem Angeklagten bekannt war - zu diesem Zeitpunkt noch keine sechs Monate alkoholabstinent gewesen. Im Mai bzw. Juli 2010 nahm der Angeklagte Organangebote an und führte die Transplantation bei den in höchster Lebensgefahr befindlichen Patientinnen lege artis durch.
Hinsichtlich der Patientin F. war darüber hinaus gegenüber Eurotransplant fälschlich angegeben worden, dass zeitnah Nierenersatztherapien durchgeführt worden seien. Für die Patientin V. war zudem ein unzutreffender Bilirubin-Wert gemeldet worden. Das Landgericht vermochte jedoch nicht festzustellen, dass die Falschangaben durch den Angeklagten veranlasst oder gebilligt worden waren.
bb) „Manipulationsfälle“
Den Patienten B., I., W., We., P. und Fe. übertrug der Angeklagte im Zeitraum von 2010 bis 2011 jeweils eine Spenderleber. Gegenüber Eurotransplant war zuvor in allen Fällen auf Veranlassung des Angeklagten jeweils der Wahrheit zuwider angegeben worden, es seien zuvor zwei Nierenersatztherapien durchgeführt worden. Die Patienten hatten deshalb an den zum Organangebot und zur Organannahme führenden Match-Verfahren mit einem höheren als dem sich ohne die Falschangaben ergebenden MELD-Score und in der Folge auf einem ihnen an sich nicht gebührenden höheren Listenplatz teilgenommen.
Ziel der vom Angeklagten veranlassten Falschmeldungen war es, die Aussichten der Patienten auf eine Organzuteilung zu erhöhen. Sowohl im Zeitpunkt der Falschangabe als auch bei der Annahme des Organs rechnete er damit, dass seinen Patienten das jeweilige Organ bei zutreffenden Angaben unter Umständen nicht zugeteilt würde, weil es dann ein etwa „vorrangiger“ Patient erhalten hätte. Ihm war bewusst, dass ein solcher „vorrangiger“ Patient in die Gefahr geraten könne, nicht mehr rechtzeitig ein anderes passendes Organangebot zu erhalten und aufgrund dessen zu versterben. Er vertraute allerdings darauf, dass der womöglich an höchster Stelle übersprungene (im Folgenden: „erstüberholte“) Patient rechtzeitig ein anderes passendes Organangebot bekommen und aufgrund der fehlerhaften Organzuteilung keinen gesundheitlichen Schaden erleiden werde. Hinsichtlich etwa „überholter“ Patienten auf den Positionen nach dem „Erstüberholten“ vermochte er aufgrund der Unwägbarkeiten des Allokationsverfahrens schon den tatsächlichen Verlauf in seinen wesentlichen Zügen nicht vorauszusehen.
Bei einzelnen Patienten bestanden folgende Besonderheiten:
Der Patient B. hatte ein akutes Leberversagen infolge Reaktivierung einer Hepatitis B-Virusinfektion unter Chemotherapie erlitten. Der Angeklagte bewirkte seine Aufnahme in die Warteliste, obwohl namentlich die dafür unter Ziffer II 2.5 der RLBÄK 2009 vorgesehene Bedingung einer Enzephalopathie des Grades 3 und 4 („Clichy-Kriterien“) nicht erfüllt war.
Bei dem Patienten I. lag ein extrahepatisches Tumorwachstum vor, aufgrund dessen die sogenannten Mailand-Kriterien nicht eingehalten waren (ein Tumor zwischen 2 und 5 cm oder bis zu drei Tumoren kleiner als 3 cm Größe, frei von extrahepatischen Metastasen und makrovaskulär invasivem Wachstum; vgl. Tabelle 3 RLBÄK 2009). Der Angeklagte bewirkte seine Aufnahme in die Warteliste, obwohl Ziffer II 2.3 der RLBÄK 2009 Patienten mit extrahepatischem Tumorwachstum von der Aufnahme in die Warteliste ausschloss. Ferner wurde der Patient bei Eurotransplant als „resident“ gemeldet, obwohl er zum Zeitpunkt der Registrierung weder die Staatsangehörigkeit eines „Eurotransplant-Staates“ besaß, noch berechtigterweise für länger als sechs Monate in einem „Eurotransplant-Staat“ gelebt oder gearbeitet hatte.
Der Patient We. litt - wie auch die Patientinnen F. und V. - an einer alkoholinduzierten Leberzirrhose. Auch bei diesem Patienten bewirkte der Angeklagte die Aufnahme in die Warteliste, obwohl die sechsmonatige Wartezeit nicht eingehalten war. Beim Patienten W. vermochte das Landgericht hingegen nicht festzustellen, dass dieser an einer alkoholinduzierten Leberzirrhose litt und deswegen richtlinienwidrig auf die Warteliste genommen wurde.
cc) Sowohl in den „Wartelisten-“ als auch in den „Manipulationsfällen“ waren die Lebertransplantationen im Hinblick auf den lebensbedrohlichen Zustand der Patienten durchweg dringlich. Sie wurden zu Heilzwecken und nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt. Nach den landgerichtlichen Feststellungen sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Angeklagte für die regelwidrige Verschaffung von Spenderlebern von seinen Patienten oder Dritten ungebührliche Gegenleistungen erhielt. Ebenso wenig hat das Landgericht festgestellt, dass sich der Angeklagte maßgebend von dem Bestreben leiten ließ, die ohnehin hohe Zahl seiner Transplantationen weiter zu erhöhen und hierdurch seine berufliche Reputation zu steigern.
3. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags sowohl aus rechtlichen als auch aus tatsächlichen Gründen verneint.
a) Es hat die Auffassung vertreten, dass den Regularien des Transplantationsgesetzes zur Organverteilung kein Individualschutzcharakter beizumessen sei. Sie bezweckten lediglich den allgemeinen Schutz menschlichen Lebens und der Verteilungsgerechtigkeit nach objektiven, transparenten, gerechten und nachvollziehbaren Maßstäben als Ausdruck der Menschenwürde. Im Blick darauf würde es an der objektiven Zurechenbarkeit eines Todes- oder Körperverletzungserfolgs bei einem Patienten fehlen, der infolge der regelwidrigen Aufnahme von anderen Patienten in die Warteliste oder von Falschangaben zu Nierenersatztherapien nicht den ihm eigentlich gebührenden Platz auf der Match-Liste eingenommen und deshalb kein lebensrettendes Organ erhalten habe. Daraus ergebe sich zugleich, dass es des für einen entsprechenden Versuch erforderlichen Tatentschlusses ermangele.
b) Ferner seien die zu den Tatzeiten geltenden Richtlinien der Bundesärztekammer materiell verfassungswidrig und damit unbeachtlich, soweit hiernach Patienten erst nach mindestens sechs Monaten völliger Alkoholabstinenz in die Warteliste aufgenommen werden durften (Ziffer II 2.1 Satz 1 RLBÄK 2009). Entsprechendes gelte für den Ausschluss von Patienten mit extrahepatischem Tumorwachstum (Ziffer II. 2.3 RLBÄK 2009) und von Patienten, bei denen die sogenannten Clichy-Kriterien nicht erfüllt waren (Ziffer II 2.5 RLBÄK 2009). Nach heute geltenden Maßgaben im insoweit relevanten Eurotransplant-Manual dürften auch „nonresidents“ bei Eurotransplant gemeldet werden. Dies müsse dem Angeklagten im Fall des Patienten I. nach dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB zugutekommen.
c) Schließlich sei ein Tötungs- oder Körperverletzungsvorsatz nicht nachweisbar. Das kognitive Vorsatzelement sei allenfalls hinsichtlich des jeweils „erstüberholten“ Patienten aufgrund sachgedanklichen Mitbewusstseins zu bejahen. Insoweit scheide aber das voluntative Vorsatzelement aus. Der Angeklagte habe sich - durch die Feststellungen bestätigt - dahin eingelassen, dass bei hohen MELD-Scores ein Überangebot von Lebern bestehe und dass er deswegen auf einen guten Ausgang habe vertrauen können und tatsächlich auch vertraut habe. In Bezug auf weiter „überholte“ Patienten könne aufgrund eines gänzlich unübersichtlichen tatsächlichen Verlaufs der Organverteilung schon nicht von einer Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs in seinen wesentlichen Zügen und damit nicht vom kognitiven Vorsatzelement ausgegangen werden.
Die Freisprechung des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand. Die Auffassung des Landgerichts, dass eine Verletzung der durch und aufgrund des Transplantationsgesetzes getroffenen Regularien zur Allokation von postmortal entnommenen Lebern kein Tötungs- oder Körperverletzungsunrecht zu begründen vermag, trifft im Ergebnis jedenfalls für die „Wartelistenfälle“ zu. Hinsichtlich der „Manipulationsfälle“ enthält die durch das Landgericht vorgenommene Ablehnung eines Tötungs- bzw. Körperverletzungsvorsatzes keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten. Auch gegen den Freispruch bezüglich denkbarer Ordnungswidrigkeiten nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG ist rechtlich nichts zu erinnern.
1. Der Senat muss nicht abschließend entscheiden, ob eine Verurteilung des Angeklagten wegen Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten insgesamt bereits wegen einer fehlenden Zurechenbarkeit scheitert. Dies könnte der Fall sein, wenn § 12 Abs. 3 Satz 1 TPG sowie die damit in Zusammenhang stehenden Vorschriften (insbesondere § 10 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 5, § 13 Abs. 3 Satz 1, 3 TPG) lediglich Ausdruck eines Gerechtigkeitsprinzips bei der Organverteilung wären, mithin - wie vom Landgericht angenommen - nicht auf die Verhinderung von Körperverletzungs- und Tötungshandlungen zielten (so Bülte, StV 2013, 753, 755; Verrel, MedR 2014, 464, 467 f.). Gleiches könnte zu gelten haben, wenn die Verwirklichung von Tötungs- und Körperverletzungsdelikten voraussetzen würde, dass dem (den) aufgrund von Manipulationen „überholten“ Patienten ein rechtlich gesicherter Anspruch oder zumindest ein „Anwartschaftsrecht“ auf ein Organ zugestanden hätte, was das allein ein derivatives Teilhaberecht vermittelnde Transplantationsgesetz aber nicht gewährleiste (in diesem Sinne Schroth, NStZ 2013, 437, 443; Schroth/Hofmann, FS Kargl, 2015, S. 526, 530 ff.; Fateh-Moghadam, MedR 2014, 665).
Für eine solche Anschauung könnte über die durch das Landgericht im Anschluss an das Schrifttum angeführten Erwägungen hinaus allerdings sprechen, dass der Gesetzgeber des Transplantationsgesetzes Regelverstöße im Rahmen der Organverteilung in § 20 Abs. 1 Nr. 2 (später Nr. 4) TPG lediglich mit Geldbuße bewehren wollte (vgl. hierzu auch RLBÄK 2009, S. 60 unter Ziffer II 5; entspricht den heute geltenden Richtlinien unter Ziffer II 4). Sie könnten eine weitere Bestätigung durch den Umstand erhalten, dass zur strafrechtlichen Erfassung der in mehreren Transplantationszentren aufgedeckten „Manipulationen“ (vgl. BT-Drucks. 17/13947 S. 25), darunter die des Angeklagten, durch Art. 5d des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2423, 2430) in § 19 Abs. 2a TPG ein Sonderdelikt für Ärzte und von ihnen beauftragte Personen geschaffen worden ist. Nach § 19 Abs. 2a i.V.m. § 10 Abs. 3 Nr. 1 und 2 TPG kann der Arzt oder der von ihm Beauftragte mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft werden, der für eine Meldung des Transplantationszentrums gegenüber Eurotransplant gemäß § 13 Abs. 3 Satz 3 TPG absichtlich den Gesundheitszustand eines Patienten unrichtig erhebt oder dokumentiert oder bei der Meldung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 3 TPG absichtlich einen unrichtigen Gesundheitszustand übermittelt, um Patienten bei der Führung der einheitlichen Warteliste zu bevorzugen. Die damit verpönten, in der Absicht der Bevorzugung von Patienten erfolgten „Manipulationen“ entsprechen den durch das Landgericht festgestellten Taten des Angeklagten. Die Schaffung der neuen Strafvorschrift wäre unverständlich, wenn die Taten bei weitaus höheren Strafdrohungen wegen eines individualschützenden Charakters der Regeln des Allokationsverfahrens bereits als (versuchte) Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte angesehen werden könnten. Darauf kommt es jedoch letztlich nicht entscheidend an, weil der Freispruch aus anderen Gründen Bestand hat.
2. Soweit dem Angeklagten allein zur Last liegt, die Aufnahme von Patientinnen mit alkoholinduzierter Leberzirrhose in die Warteliste bewirkt zu haben, obwohl die in Ziffer II 2.1 Satz 1 RLBÄK 2009 enthaltene Ausschlussklausel betreffend eine Alkoholabstinenzzeit von sechs Monaten nicht eingehalten war (Patientinnen F. und V.), scheidet eine Bestrafung des Angeklagten wegen (versuchten) Totschlags oder (versuchter) Körperverletzung im Blick auf das in Art. 103 Abs. 2 GG garantierte Gesetzlichkeitsprinzip aus (dazu Buchst. a). Zudem vermag die Richtlinienbestimmung wegen Überschreitung der Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 2 Nr. 2 TPG sowie wegen inhaltlicher Mängel keine strafrechtsbegründende Wirkung zu entfalten (dazu Buchst. b).
a) Die Verletzung der genannten Richtlinienbestimmung ist jedenfalls auf der Grundlage des zur Tatzeit geltenden Transplantationsgesetzes einer strafrechtlichen Bewehrung nicht zugänglich (zur Beurteilung nach Inkrafttreten der Vorschrift des § 16 Abs. 3 Satz 1 TPG vgl. Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 678 f.).
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangen der strenge Gesetzesvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG sowie Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, dass der Gesetzgeber selbst die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe festlegt; diesen Anforderungen ist nicht genügt, wenn die Strafbarkeit ohne hinreichende Vorgaben in einer Ermächtigungsnorm an einen Verstoß gegen Verhaltenspflichten geknüpft wird, die erst durch einen Ausführungsakt (Rechtsverordnung oder Verwaltungsakt) begründet werden (vgl. etwa BVerfGE 75, 329, 341 ff.; 78, 374, 383 ff.; BVerfG, NJW 2016, 3648, 3651 Rn. 46 f.).
bb) Mit der wohl herrschenden Meinung im Schrifttum sind die Richtlinien der Bundesärztekammer trotz deren privatrechtlicher Organisation (nicht rechtsfähiger Verein) als eine Form exekutiver Rechtssetzung zu qualifizieren (vgl. Höfling, TPG, 2. Aufl., § 16 Rn. 5; Gutmann in Schroth/König/Gutmann/ Oduncu, TPG, 2005, § 16 Rn. 4; Bader, Organmangel und Organverteilung, 2010, S. 184, alle mwN; aM Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, TPG, 2001, § 16 Rn. 20: „antizipiertes Sachverständigengutachten“). Nach den Feststellungen des Landgerichts werden sie in der Praxis der Transplantationsmedizin auch so gehandhabt, indem Alkoholkranke trotz gegebener medizinischer Indikation für eine Leberübertragung bei Nichteinhaltung der Abstinenzzeit nicht in die Warteliste aufgenommen und so gegebenenfalls dem Tod überantwortet werden.
Als Ausfluss exekutiver Rechtssetzung wäre die Bestimmung zwar im Grundsatz mit repressiver Sanktion bewehrbar. Jedoch würde ein Blankettstrafgesetz, das die Verletzung der Richtlinie zur Aufnahme in die Warteliste unter Strafe stellt, den vorgenannten Erfordernissen offensichtlich nicht entsprechen. Denn das Transplantationsgesetz enthält keine annähernd bestimmten Vorgaben für die Ausgestaltung der Regeln (vgl. auch Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, 2001, S. 103). Die insoweit relevanten, in der Tendenz gegenläufigen Kriterien der „Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ einer Transplantation (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 TPG), die überdies nur beispielhaft genannt („insbesondere“) und in eine Vermutungsregel eingestellt sind (§ 16 Abs. 1 Satz 2 TPG), lassen bereits nicht erkennen, welche konkreten Handlungs- oder Unterlassungspflichten hieran geknüpft sein könnten (vgl. Schroth/Hofmann, FS Kargl, aaO, S. 539; Streng-Baunemann, FS Streng, 2017, S. 767, 777). Einen annähernd bestimmten gesetzgeberischen Auftrag für die Normierung eines strikten und mit repressiver Sanktion zu bewehrenden Ausschlusstatbestandes betreffend Alkoholkranke enthält die Regelung nicht. Ein solcher kann auch nicht aus § 16 Abs. 1 Satz 1 TPG abgeleitet werden, wonach die Bundesärztekammer den „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ festzulegen hat.
cc) Diese Umstände können bei der Interpretation des § 212 StGB nicht außer Acht bleiben. Zwar trifft es zu, dass das vorsätzliche Tötungsdelikt des § 212 Abs. 1 StGB (ebenso wie das vorsätzliche Körperverletzungsdelikt nach § 223 StGB) keine spezielle Form der Tatbegehung voraussetzt (vgl. Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 239; Bülte, aaO, S. 753). Da die „Alkoholkarenzklausel“ keinem medizinisch-naturwissenschaftlichen Erfahrungssatz entspringt, wonach die Lebertransplantation bei alkoholinduzierter Zirrhose vor Ablauf von exakt sechs Monaten Alkoholabstinenz medizinisch nicht sinnvoll ist (dazu auch unten Buchst. b), könnte eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen (versuchter) Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte vorliegend nur mit der formalen Verletzung der Richtlinien begründet werden. Es kann aber nicht in Betracht kommen, im Wege der Auslegung der §§ 212, 223 StGB eine allein an den Formalverstoß anknüpfende Bewehrung der - nach den vorbezeichneten Grundsätzen nicht strafrechtlich bewehrbaren - Richtlinienbestimmung herbeizuführen und insbesondere den Totschlagstatbestand hierdurch bei sehr hohen Strafdrohungen gleichsam als durch die Richtlinienbestimmung ausgefülltes Blankett auszugestalten (vgl. auch Schroth/Hofmann, FS Kargl, aaO, S. 539). Eine Auslegung in diesem Sinne würde Art. 103 Abs. 2 GG verletzen.
b) Das Landgericht hat ferner zutreffend inhaltliche Bedenken gegen die Ausschlussklausel geltend gemacht.
aa) Nach dessen rechtsfehlerfreien Feststellungen hat der Angeklagte bei den alkoholkranken und an einer alkoholinduzierten Leberzirrhose leidenden Patientinnen F. und V. die Aufnahme in die Warteliste bewirkt, obwohl diese, wie er wusste, noch nicht sechs Monate abstinent waren. In beiden Fällen war die Transplantation zur Lebensrettung dringend angezeigt. Die Patientinnen wären ohne sie binnen weniger Tage verstorben, hätten die Karenzfrist mithin nicht überlebt (UA S. 390, 486).
Die durch mehrere Gutachter sachverständig beratene Schwurgerichtskammer hat zu den medizinischen Gesichtspunkten festgestellt, dass die Lebertransplantation auch bei einem denkbaren Rückfall in die Alkoholsucht erfolgversprechend sei. Es sei relativ selten, dass Patienten mit alkoholinduzierter Zirrhose, die nach einer Lebertransplantation weiterhin Alkoholabusus betrieben, aus diesem Grund einen Transplantatverlust erlitten (UA S. 135, 442). Bei einer angenommenen Rückfallquote von 50 % erlitten nur etwa 4 % der untersuchten Patienten einen Transplantatverlust (UA S. 454). Das Sterberisiko nach Transplantation liege bei erneutem schwerem Alkoholkonsum unter 2 % (UA S. 454). Die Überlebensraten betrügen nach fünf Jahren 73 % und nach zehn Jahren 58 % (UA S. 442 f.). Bei einer Alkoholkarenz trete auch keine Besserung der Leberzirrhose ein. Bessern könne sich lediglich die Leberfunktion. Die Leberzirrhose selbst sei hingegen irreversibel und bleibe trotz Alkoholkarenz mit all ihren Risiken bestehen; so drohe jederzeit die Entwicklung einer akuten, lebensgefährlichen Dekompensation (UA S. 452 f.). Dementsprechend sei es europäischer Standard, dass zumindest dann transplantiert werde, wenn der Patient eine Abstinenzzeit voraussichtlich nicht überleben würde (UA S. 443).
Darüber hinaus wird - ohne Karenzzeit - auch in Deutschland bei Alkoholkranken eine medizinische Indikation für eine Leberteillebendspende angenommen (Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 492).
bb) Angesichts dieser Befunde, die durch zahlreiche Untersuchungen bestätigt werden (vgl. Bader, aaO, S. 247 ff.; Fateh-Moghadam, aaO, S. 666; Strassburg, Der Chirurg, 2013, 363, 367, alle mwN), ist die Schwurgerichtskammer mit Recht davon ausgegangen, dass keine medizinischen Gründe existieren, die den in den Richtlinien der Bundesärztekammer vorgenommenen strikten Ausschluss von Alkoholikern vor Ablauf einer sechsmonatigen Abstinenzzeit zu rechtfertigen vermögen. Daraus folgt zugleich, dass die „Karenzklausel“ die auf die Festlegung von „Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft“ zielende Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 1 TPG überschreitet und damit schon aus diesem Grunde nicht strafrechtsbegründend wirken kann (vgl. Gutmann, aaO, § 16 Rn. 15; Bader, aaO, S. 381; Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 492 mit Fn. 54; Dannecker/A. Streng, JZ 2012, 444, 451 mit Fn. 94; Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 675 f.; Sickor, GesR 2014, 204 f.; Lang, MedR 2005, 269, 275 ff.). Es bestehen überdies Zweifel, dass eine nicht durch eine Therapie begleitete Abstinenzzeit von exakt sechs Monaten eine wesentliche Verminderung der Rückfallgefahr und damit eine signifikante Steigerung der Erfolgschancen (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 TPG) zu bewirken geeignet wäre (vgl. Dannecker/Streng-Baunemann, aaO, S. 676 mwN; siehe auch Strassburg, aaO). Ungeachtet dessen ist die Karenzklausel wegen der auch bei einem Alkoholrückfall bestehenden Überlebenschancen jedenfalls insoweit durchgreifenden Bedenken unter dem Blickwinkel von Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 3 Abs. 1 GG ausgesetzt, als dadurch auch Patienten ausgeschlossen werden, die - wie die Patientinnen F. und V. - die Frist von sechs Monaten ohne Transplantation nicht überleben würden (vgl. Dannecker/Streng-Baunemann, aaO, S. 675 ff.).
cc) Da jedenfalls eine Norm im Rang unter dem förmlichen Gesetz in Frage steht, ist der Senat nicht durch das Normverwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts gehindert, deren Verfassungswidrigkeit in den Gründen seiner Entscheidung festzustellen (vgl. BVerfG, NVwZ-RR 2000, 473, 474 mwN). Die verfassungsrechtliche Nachprüfung obliegt in Fällen ihrer Entscheidungserheblichkeit vielmehr jedem Richter (vgl. BVerfGE 48, 40, 45; BVerfG, NVwZ-RR 2000, 473, 474; BGH, Urteil vom 11. Januar 2016 - AnwZ [Brfg] 49/14, BRAK-Mitt 2016, 139 Rn. 11, jeweils mwN; Dannecker/Streng-Baunemann, aaO, S. 678).
dd) Eine strafrechtsbegründende Bindungswirkung der Ausschlussklausel lässt sich entgegen der Meinung des Generalbundesanwalts auch nicht mit dem Gedanken einer „Schicksalsgemeinschaft“ rechtfertigen, der alle ein Organ benötigenden Patienten angehören sollen und innerhalb derer die Regeln bis zu einer gerichtlich festgestellten Verfassungswidrigkeit auch bei tatsächlich gegebener Verfassungswidrigkeit zu beachten seien, andernfalls eine Strafbarkeit wegen (versuchten) Totschlags oder (versuchter) Körperverletzung zwingend geboten sei, um einen „ungeregelten“ Zustand zu vermeiden (vgl. auch Rissing-van Saan, aaO, S. 244; hiergegen Schroth/Hofmann, FS Kargl, aaO, S. 540 ff.). Zunächst würde diese Auffassung im Blick auf nach wie vor völlig ungeklärte Fragen des Rechtsschutzes (dazu Lang in Höfling, aaO, Einführung IV Rn. 25 ff., Gutmann, aaO, § 12 Rn. 39 ff.; Schmidt-Aßmann, aaO, S. 109 ff., jeweils mwN) in Verbindung mit der Situation des vor einer lebensnotwendigen Operation stehenden Arztes - ungeachtet der insoweit verfassungsrechtlich gebotenen Gewährleistung eines Eilrechtsschutzes (vgl. BVerfG, NJW 2017, 545; 2013, 1727; Beschluss vom 18. August 2014 - 1 BvR 2271/14) - faktisch auf eine kaum zu begründende „Schicksalsgemeinschaft bis in den Tod hinein“ hinauslaufen. Zudem könnte durch diesen Gedanken jedenfalls nicht die Absicherung eines etwa verfassungswidrigen Systems gerade durch die Straftatbestände des Totschlags oder der Körperverletzung gerechtfertigt werden (vgl. Schroth/Hofmann, FS Kargl, aaO, S. 542). Der Gesetzgeber des Transplantationsgesetzes hat für Regelverstöße in diesem Bereich mit § 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG eine Bußgeldbestimmung normiert. Soweit sie Fälle der vorliegenden Art nach Ansicht des Senats nicht erfasst (dazu unten I. 4.), kann sich dies nicht dahin auswirken, dass der Normunterworfene aufgrund des gesetzgeberischen Defizits nunmehr wegen (versuchter) Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte bestraft werden müsste.
3. Auch die Freisprüche in den sechs „Manipulationsfällen“ halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
a) Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob eine Bestrafung des Angeklagten wegen der durch ihn veranlassten Falschangaben bereits aus den vorstehenden Gründen unter dem Aspekt des Art. 103 Abs. 2 GG oder wegen Unbeachtlichkeit der Richtlinienbestimmungen ausscheiden müsste. Dafür könnte sprechen, dass eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen (versuchten) Totschlags oder (versuchter) Körperverletzung hier gleichfalls nur mit der formalen Verletzung von Bestimmungen in den Richtlinien der Bundesärztekammer begründet werden könnte. Auch hinsichtlich der Falschangaben betreffend die zeitnahe Durchführung von Nierenersatztherapien geht der Vorwurf nicht dahin, Patienten mit höherer Dringlichkeit als die der eigenen Patienten benachteiligt zu haben. Die Frage der Dringlichkeit im konkreten Einzelfall spielt vielmehr, wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat (UA S. 573 f.), im formalisierten Match-Listenverfahren keine Rolle. Über den Rang auf der Match-Liste entscheidet allein der sich aus drei Blutwerten konstituierende MELD-Score, der die Dringlichkeit im Einzelfall nach den Ausführungen aller durch die Schwurgerichtskammer angehörten Sachverständigen aber nicht durchweg zuverlässig widerzuspiegeln vermag. Eurotransplant wäre daher zu einem Angebot und nach der Annahme durch den behandelnden Arzt zur Zuteilung des Organs an den den ersten Rang einnehmenden Patienten auch dann verpflichtet, wenn sicher feststünde, dass die Transplantation bei einem nachrangigen Patienten dringlicher wäre als bei diesem.
Das Landgericht hat ferner festgestellt, dass die für den MELD-Score ausschlaggebenden Blutwerte, die über die Rangstellung in der Match-Liste und damit auch für die Chance der Organerlangung entscheidend sind, derzeit nicht in einem standardisierten Verfahren ermittelt werden. Nach den durch die Schwurgerichtskammer zugrunde gelegten Ausführungen der Sachverständigen besteht namentlich bei der Messung des INR-Werts eine hohe Interlaborvariabilität (UA S. 589). In einschlägigen Studien hätten sich im Durchschnitt Unterschiede zwischen drei und fünf MELD-Punkten ergeben. Es könne aber auch zu Abweichungen von bis zu zwölf MELD-Punkten kommen (UA S. 590). Eine Standardisierung sei zwar möglich, jedoch derzeit nicht „verfügbar“ (UA S. 590). Zu Abweichungen aufgrund unterschiedlicher Messmethoden könne es auch bei der Messung des Bilirubin- und des Kreatininwerts kommen (bis zu sieben MELD-Punkten; UA S. 591). Weitere Verwerfungen entstünden etwa bei Patienten mit geringer Muskelmasse, weswegen Frauen und bettlägerige Patienten generell benachteiligt seien; bei 65 % der weiblichen Lebertransplantationskandidaten sei eine Differenz von zwei bis drei Punkten beobachtet worden (UA S. 591). Eine mangels - grundsätzlich möglichen - standardisierten Verfahrens zu verzeichnende „Interlaborvariabilität“ bis in den zweistelligen Bereich hinein auf dem lediglich bis zu 40 Punkten reichenden MELD-Score kann aber gewichtige Auswirkungen auf die zu ermittelnde Rangliste und damit zugleich auf die Chance der Organerlangung haben. Angesichts der hierdurch verursachten Verzerrungen und der damit verbundenen Beeinträchtigung der Chancengleichheit der betroffenen Patienten könnte es deshalb auch insoweit der Basis für eine strafrechtliche Absicherung der vorgegebenen Regularien ermangeln (vgl. auch Streng-Baunemann, aaO, S. 775).
b) Es kann ebenso offen bleiben, ob dem Landgericht darin beizutreten ist, dass die in Ziffer II 2.5 der RLBÄK 2009 enthaltene Bedingung einer Enzephalopathie des Grades 3 und 4 („Clichy-Kriterien“) für die Aufnahme in die Warteliste von Patienten mit einer Hepatitis B-Virusinfektion (Patient B.) materiell verfassungswidrig und deswegen unbeachtlich ist. Entsprechendes gilt für das Ausschlusskriterium eines extrahepatischen Tumorwachstums gemäß Ziffer II 2.3 der RLBÄK 2009 (Patient I.). Allerdings treffen die Erwägungen unter Ziffer 2 Buchst. a betreffend eine fehlende Ahndbarkeit unter dem Blickwinkel des Art. 103 Abs. 2 GG auch auf diese Ausschlussbestimmungen zu.
c) Der Senat muss diese Fragen nicht abschließend entscheiden, weil jedenfalls die durch die Schwurgerichtskammer vorgenommene Prüfung des Vorsatzes (Tatentschlusses) keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten aufweist. Die beweiswürdigenden Ausführungen des Landgerichts, mit denen es einen bedingten Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz verneint hat, halten im Ergebnis revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
aa) Bedingter Tötungsvorsatz setzt voraus, dass der Täter den Erfolg als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 344/16 Rn. 18; vom 16. September 2015 - 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Die Prüfung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 - 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216; Beschluss vom 9. Oktober 2013 - 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f.). Dabei sind insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582; vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 344/16, aaO).
(1) Die Schwurgerichtskammer hat zugrunde gelegt, dass der Angeklagte in sämtlichen Fällen handelte, um seinen Patienten zu helfen. In allen verfahrensgegenständlichen Fällen ging er berechtigterweise davon aus, dass die Transplantation bei ihnen hochdringlich war. Es bestand die Gefahr, dass die Patienten ohne Transplantation kurzfristig versterben würden. Ziel der durch den Angeklagten veranlassten Falschmeldungen zu zeitnah durchgeführten Nierenersatztherapien war es, den für das Organangebot und die Organzuteilung durch Eurotransplant maßgeblichen MELD-Score zu erhöhen. Hierdurch wollte er erreichen, dass seine Patienten in nachfolgenden Match-Verfahren andere Patienten „überholen“ würden, die bei wahrheitsgemäßen Angaben und damit regulärem Match-Verlauf auf den Match-Listen womöglich vor seinen Patienten gestanden hätten.
Ihm war dabei bekannt, dass zu den Tatzeiten etwa 400 bis 500 Patienten auf der Leberwarteliste stehende Patienten ohne rechtzeitiges Organangebot verstarben, darunter jedoch eine unbekannte Zahl, die selbst durch schnellstmögliche Transplantation nicht mehr hätten gerettet werden können, dass sich die jeweilige „Manipulation“ unter Umständen überhaupt nicht auswirken, regelmäßig jedoch einige wenige Patienten betreffen werde, dass sie sich für einen „überholten“ Patienten im Einzelfall sogar lebensverlängernd auswirken könne, dass tatsächlich „überholte“ Patienten weitere Erstangebote erhalten würden, ihr Risiko, aufgrund der Manipulation zu versterben, deshalb gering und zudem nicht sicher sei, ob das aufgrund der Täuschung ihnen nicht angebotene Organ für sie auch geeignet gewesen wäre.
Ob die Transplantation bei den unter Umständen „überholten“ Patienten dringlicher, vergleichbar dringlich oder weniger dringlich sein würde als bei seinen Patienten, wusste er nicht.
Davon ausgehend habe es der Angeklagte für denkbar gehalten, dass aufgrund der Falschangaben ein vielleicht ansonsten den ersten Rang auf der für eine bestimmte Leber durch Eurotransplant erstellten Match-Liste einnehmender Patient das vom Angeklagten später transplantierte Organ nicht erhalten und deswegen versterben werde. Jedoch habe er begründet darauf vertraut, dass dieser Erfolg nicht eintreten werde. Hingegen habe er hinsichtlich womöglich weiterer „überholter“ Patienten aufgrund der Unwägbarkeiten des Allokationsverfahrens den Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen nicht vorausgesehen und auch nicht voraussehen können, weswegen es insoweit bereits am Wissenselement des Vorsatzes gefehlt habe.
(2) Das Landgericht hat in seine Vorsatzprüfung sämtliche vorsatzrelevanten Umstände eingestellt und im Ergebnis in vertretbarer Weise gewürdigt. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei.
(a) Allerdings kommt in den durch die Schwurgerichtskammer angestellten Erwägungen ein für den Tatvorsatz entscheidender Bezugspunkt nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck. Wie das Landgericht in seiner Begründung zur Ablehnung vollendeter Totschlagstaten nämlich zutreffend ausführt, ist dafür maßgebend, ob ein aufgrund der Falschangaben „überholter“ und dann verstorbener Patient mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt hätte, wenn ihm das konkrete Organ entsprechend der ihm eigentlich gebührenden Rangstellung angeboten worden wäre (UA S. 291). Die Richtigkeit dieser Fragestellung wird ohne Weiteres daran deutlich, dass der „überholte“ Patient im Fall seines Versterbens nicht gerade aufgrund einer Handlung des Angeklagten verstorben wäre, sondern an den Folgen seiner Krankheit. Der insoweit für die strafrechtliche Beurteilung entscheidende Akt ist deshalb die durch die Falschangaben bewirkte Nichtzuteilung des Organs, mithin ein Unterlassen.
Ein Nichtgeschehen kann aber nicht Ursache eines Erfolgs sein, weswegen die Grundsätze der sogenannten „Quasi-Kausalität“ zur Anwendung kommen müssen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 4. September 2014 - 4 StR 473/13, BGHSt 59, 292, 301 mwN). Das gilt gewiss, wenn Fälle wie die vorliegenden als Unterlassungstaten gewertet werden (so Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 488 f.). Nichts anderes ergibt sich jedoch, sofern man etwa unter Annahme einer Konstellation des Abbruchs rettender Kausalverläufe ein positives Tun bejaht (so Rosenau, FS Schünemann, 2014, S. 689, 696; im Ergebnis auch Jäger in Kudlich/Jäger/Montiel, Aktuelle Fragen des Medizinstrafrechts, 2017, S. 11, 26 f.). Denn auch dann bleibt es dabei, dass die Nichtzuteilung eines Organs ein „Nichtgeschehen“, mithin ein Unterlassen darstellt. Anerkanntermaßen dürfen und müssen daher beim Eingriff in rettende Kausalverläufe hypothetische Kausalverläufe berücksichtigt werden (vgl. Rosenau, aaO; Schroth/Hofmann, NStZ 2014, aaO; allgemein Philipps, Der Handlungsspielraum, 1974, S. 120 f.; aM Rissing-van Saan, aaO, S. 241).
Mit Recht geht das Landgericht davon aus, dass der Nachweis einer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretenden Lebensverlängerung und damit eines vollendeten Totschlags vorliegend nicht geführt werden kann (UA S. 291). Das gilt bereits wegen des mit 5 bis 10 % (vgl. UA S. 585) beträchtlichen Risikos jedes Patienten, in oder unmittelbar nach der Transplantation zu versterben. Die in den Urteilsgründen im Einzelnen dargelegten Unwägbarkeiten des Allokationsverfahrens kommen hinzu (z.B. UA S. 594). Danach kann unter anderem nicht beurteilt werden, ob das konkrete Organ für den „überholten“ Patienten überhaupt geeignet und er zum maßgebenden Zeitpunkt transplantabel gewesen wäre sowie ob die Transplantation zum Zeitpunkt des Angebots im fraglichen Transplantationszentrum hätte durchgeführt werden können.
Diese Umstände müssen in die Prüfung des Tatentschlusses im Rahmen der Versuchsprüfung einbezogen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss dem Täter bewusst sein, dass der Rettungserfolg mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eintreten würde (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juli 1970 - 1 StR 175/70, MDR 1971, 361, 362 [bei Dallinger]; wohl auch Beschluss vom 6. März 2007 - 3 StR 497/06, NStZ 2007, 469; zust. z.B. SSW-StGB/Kudlich, 3. Aufl., § 13 Rn. 38; LK-StGB/Jescheck, 11. Aufl., vor § 13 Rn. 96; Rosenau, aaO, S. 699; aM etwa Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 15 Rn. 94 mwN; Verrel, aaO, S. 467; Haas, HRRS 2016, 384, 395 f.). Es lassen sich den Urteilsgründen aber keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass eine „Quasi-Kausalität“ im genannten Sinne vom Vorstellungsbild des in allen Belangen der Lebertransplantation versierten Angeklagten umfasst gewesen ist. Zwar hielt er es nach den Wertungen des Landgerichts für möglich, dass ein „erstüberholter“ Patient mangels Angebots des konkreten Organs und darauf folgender Transplantation versterben könnte. Er konnte jedoch schon wegen des ihm bekannten hohen Sterberisikos in oder unmittelbar nach der Transplantation und der weiteren Verwerfungen des Allokationsverfahrens nicht davon ausgehen, dass bei dem ihm unbekannten Patienten im Fall des Angebots bzw. der Zuteilung und dann der Übertragung der konkreten Leber mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eine Lebensverlängerung eintreten werde. Damit fehlt es bereits am kognitiven Vorsatzelement.
Der Senat ist - jedenfalls aufgrund der Besonderheiten des Falles - befugt, die Auswirkungen des Kriteriums der „Quasi-Kausalität“ auf die Beurteilung des Vorsatzes selbst zu würdigen. Die maßgebenden Gesichtspunkte hat die Schwurgerichtskammer im Ansatz nicht verkannt. Sie sind bei ihren Ausführungen zum voluntativen Vorsatzelement (insbesondere UA S. 584 f.) sowie zum (fehlenden) Wissenselement in Bezug auf die weiter „überholten“ Patienten (UA S. 593 ff.) - wenngleich in anderem Zusammenhang - allesamt dargetan und zwingen zur Ablehnung des Wissenselements des Vorsatzes. Danach ist auszuschließen, dass das Tatgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es seiner Vorsatzprüfung den zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hätte.
(b) Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass die Schwurgerichtskammer hinsichtlich der Patienten, die bei ordnungsgemäßer Allokation Rangstellen unterhalb des ersten Platzes, aber womöglich vor den Patienten des Angeklagten auf der Match-Liste eingenommen hätten, im Ergebnis zutreffend das kognitive Vorsatzelement abgelehnt hat.
(c) Aber auch die Prüfung des voluntativen Vorsatzelements in Bezug auf die „erstüberholten“ Patienten nach den durch die Schwurgerichtskammer angelegten Maßstäben wäre nicht durchgreifend rechtsfehlerhaft.
Das Landgericht hat maßgebend auf das Wissen des Angeklagten abgestellt, dass zu den Tatzeiten namentlich bei hohen MELD-Scores ein „Überangebot“ von Lebern bestand. Hierfür hat es beweiswürdigend insbesondere den Umstand herangezogen, dass nach den Verläufen der ursprünglich verfahrensgegenständlichen insgesamt elf Match-Listen-Verfahren lediglich eine Patientin ohne Organangebot verstorben ist. Diese war aber schon angesichts des Todeszeitpunkts unmittelbar nach Beginn des fraglichen Match-Verfahrens wahrscheinlich nicht mehr transplantabel (UA S. 536 f.). Für alle sonstigen Patienten hatte es bis zu 54 Organangebote gegeben. Soweit in oder nach der Transplantation Todesfälle eingetreten sind, besagt dies nichts über die Auswirkungen der „Manipulationen“. Der Umstand kann unter anderem durch die hohen Risiken jeder Lebertransplantation bedingt sein. Hinsichtlich der jeweils „erstüberholten“ Patienten hat das Landgericht ferner den Match-Listen-Verläufen in den verbliebenen „Manipulationsfällen“ entnommen, dass diese, teilweise nach bis zu 19 Erstangeboten, in fünf der sechs Fälle erfolgreich transplantiert wurden. Allein im Fall des Patienten We. verstarb der „erstüberholte“ Patient ohne Transplantation. Es waren ihm zuvor aber neun Erstangebote unterbreitet worden. Auch die gehörten medizinischen Sachverständigen haben die Einlassung des Angeklagten betreffend das „Überangebot“ von Spenderlebern bestätigt.
Anders als der Generalbundesanwalt besorgt der Senat nicht, das Landgericht könne im Rahmen seiner Vorsatzprüfung durch die Rechtsprechung entwickelte „Vorgaben zum vorsatzspezifischen Umgang mit statistischen Lebensgefahren“ verkannt haben. Zwar hat der Bundesgerichtshof in der durch den Generalbundesanwalt zitierten Entscheidung zu ungeschützten Sexualkontakten eines HIV-Infizierten die Auffassung vertreten, für die Annahme eines bedingten (Körperverletzungs-)Vorsatzes könnten auch statistisch gering zu veranschlagende Risiken herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 11 f.). Abgesehen davon, dass das Urteil wegen des hier anzulegenden Maßstabes einer „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ (dazu oben) nicht übertragbar ist, hat der Bundesgerichtshof darin nicht etwa einen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, dass bei bestimmten Wahrscheinlichkeitsgraden eines Erfolgseintritts stets vom Vorliegen bedingten Vorsatzes auszugehen sei. Zudem hat er im konkreten Fall die tatgerichtliche Ablehnung eines Tötungsvorsatzes wegen einer denkbaren Hoffnung des dortigen Angeklagten auf die Entwicklung eines geeigneten Medikaments gebilligt (vgl. BGH, aaO, S. 15 f.).
Das Landgericht hat die statistischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen zum Risiko zeitnahen Versterbens bei hohen MELD-Scores - unbeschadet deren aufgrund der bereits dargestellten Umstände verminderter Aussagekraft - nicht außer Acht gelassen. Es hat diese in Bezug gesetzt zu der (höheren) Wahrscheinlichkeit eines zeitnahen Organangebots und dem durch die Beweisaufnahme bestätigten breiten Erfahrungswissen des Angeklagten zu einem „Überangebot“ von Lebern vor allem bei hohen MELD-Scores. Im Rahmen seiner sorgfältigen Gesamtschau hat es diese sowie weitere Umstände bedacht und gegeneinander abgewogen. Im Ergebnis hat es kein deutliches Überwiegen der „negativen“ Faktoren gesehen, aufgrund dessen ein Vertrauen des Angeklagten in einen „guten Ausgang“ in den Bereich der vagen Hoffnung hätte verwiesen werden müssen. Dieser Schluss ist möglich, zwingend muss er nach allgemeinen Regeln nicht sein. Ihm steht auch nicht etwa die Sorge des Angeklagten um den eigenen Patienten entgegen, die als deren Kehrseite „zwingend“ den Tötungsvorsatz zu begründen geeignet sei (so OLG Braunschweig, NStZ 2013, 593, 595). Denn aus dem Bewusstsein der Gefährdung etwa „überholter“ Patienten (Wissenselement) folgt nicht notwendig auch das billigende Inkaufnehmen eines Tötungserfolges (Willenselement). Für den Angeklagten war eine hinreichende Vertrauensbasis vorhanden.
Angesichts des insoweit beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes wäre die tatgerichtliche Überzeugungsbildung im Übrigen selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 344/16 Rn. 17, vom 14. Januar 2015 - 5 StR 494/14, NStZ 2015, 460; vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87, alle mwN). Mit seiner gegenteiligen Würdigung derselben Umstände kann der Generalbundesanwalt im Revisionsverfahren kein Gehör finden.
bb) Aus den vorgenannten Gründen hält auch die Ablehnung versuchter Körperverletzungsdelikte rechtlicher Nachprüfung stand.
Nach den Feststellungen und Wertungen des Landgerichts spricht nichts dafür, dass der Angeklagte angenommen haben könnte, das Leiden eines aufgrund der Falschangaben „überholten“ Patienten werde sich wegen der Nichtzuteilung der jeweiligen Leber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verschlimmern oder jedenfalls verlängern. Das gilt schon wegen des hohen Sterberisikos in und unmittelbar nach der Transplantation. Hinzu kommen entsprechend den landgerichtlichen Darlegungen die jeweils nicht fernliegenden Möglichkeiten der Nichteignung des Organs, fehlender Operationsmöglichkeiten im jeweiligen Transplantationszentrum, eines stabilen Zustandes des Patienten oder der Notwendigkeit der Retransplantation wegen Abstoßung der übertragenen Leber. Selbst die Aussicht, dass es dem Patienten ohne die Übertragung der konkret betroffenen Leber besser gehen könne als bei Vornahme der Transplantation hat das sachverständig beratene Landgericht als nicht nur theoretisch bezeichnet. Mit diesen Gesichtspunkten war der Angeklagte aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen vertraut.
4. Letztlich mit Recht hat das Landgericht die Voraussetzungen des Bußgeldtatbestandes nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG in der Fassung vom 4. September 2007 als nicht erfüllt angesehen.
Es liegt sehr nahe, dass die Bußgeldbestimmung, sofern sie auf die umfassende Bewehrung der Richtlinienbestimmungen der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 TPG abzielen sollte, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung von Blanketttatbeständen nicht genügen würde (zu Bedenken gegen die Regelung König in Schroth/König/Gutmann/Oduncu, aaO, § 20 Rn. 9 ff.). Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, weil ein etwaiger gesetzgeberischer Wille in diese Richtung in der Bußgeldnorm keinen hinreichenden, dem im Grundsatz auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) genügenden Ausdruck gefunden hätte. Der Normbefehl der in § 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG - neben zahlreichen anderen Bestimmungen - mit Bußgeld bewehrten Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 2 TPG geht dahin, dass die Übertragung des Organs verboten ist, wenn die Vermittlungsstelle (Eurotransplant) das Organ vermittelt hat, ohne die Regelungen „nach § 12“ zu „beachten“. Die Bußgeldbewehrung setzt damit nach dem eindeutigen, nicht durch Auslegung korrigierbaren Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG ein normwidriges Verhalten durch Nichtbeachtung der Regeln gerade vonseiten der Vermittlungsstelle voraus (krit. Sickor/Bernsmann, in Höfling, TPG, aaO, § 20 Rn. 14; König, aaO, § 20 Rn. 11). Solches ist hier nicht ersichtlich. Auf die Erwägungen der Schwurgerichtskammer betreffend eine Bußgeldbewehrung der gesetzlichen Maßgaben der „Erfolgsaussicht und Dringlichkeit“ (§ 12 Abs. 3 Satz 1 TPG) und die damit verbundenen Verwerfungen kommt es deshalb nicht mehr an.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 968
Externe Fundstellen: BGHSt 62, 223; NJW 2017, 3249 ; NStZ 2017, 701 ; StV 2018, 278
Bearbeiter: Christian Becker