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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 726

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 80/15, Urteil v. 02.06.2015, HRRS 2015 Nr. 726


BGH 5 StR 80/15 - Urteil vom 2. Juni 2015 (LG Braunschweig)

Erpresserischer Menschenraub (stabilisierte Bemächtigungslage); Geiselnahme; Vergeltungsbedürfnis als Strafzumessungsgrund.

§ 239a StGB; § 239b StGB; § 46 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Strafbarkeit wegen erpresserischen Menschenraubs gem. § 239a Abs. 1 Var. 2 StGB setzt voraus, dass der Täter die physische Herrschaftsgewalt über das Opfer gewonnen, eine stabile Bemächtigungslage geschaffen und diese Lage zu einer Erpressung oder zum Raub ausgenutzt hat. Zwar muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf das Vermögensdelikt eigenständige Bedeutung zukommen. Damit ist aber nur gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weiter gehende Drucksituation aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben haben muss.

2. In einem menschlich verständlichen Vergeltungsbedürfnis nach einer Provokation kann ein Strafmilderungsgrund liegen. Der Beweggrund der Vergeltung ist jedoch nicht stets strafmildernd. Wer erst nach längerer Zeit Vergeltung übt, steht einem Täter, der auf der Stelle zur Vergeltungstat hingerissen worden ist, nicht gleich. Artet der Beweggrund in reine Rachsucht aus, so kann darin ein strafschärfender niedriger Beweggrund liegen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 18. November 2014, soweit es den Angeklagten T. betrifft, aufgehoben; jedoch bleiben die zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen bestehen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „schwerer räuberischer Erpressung im minder schweren Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung“ zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der mehrfach, auch wegen gefährlicher Körperverletzung vorbelastete, Angeklagte fuhr mit zwei Nichtrevidenten in seinem Fahrzeug durch Salzgitter. Auf seine Aufforderung stieg der Zeuge P. zu ihnen ein. Während der Fahrt wurde dem Angeklagten bewusst, dass es sich bei P. um den Cousin von Personen handelte, mit denen er - der Angeklagte - in der Vergangenheit körperliche Auseinandersetzungen gehabt hatte, in deren Folge er wochenlang stationär behandelt und mehrfach operiert werden musste. Aufgebracht und in dem Bestreben, P. für das Verhalten seiner Cousins zu bestrafen, fuhr der Angeklagte in ein Waldstück. Nachdem er dort mit dem Nichtrevidenten Ab. den P. bespuckt und Ab. diesem ins Gesicht geschlagen hatte, zog der Angeklagte dem Geschädigten die Hose herunter und schlug ihm mit einem Teleskopschlagstock auf Beine, Rücken und Gesäß. Zudem drohte er unter fortwährenden Beleidigungen, ihm „den Schlagstock in den Hintern zu stecken“; dann nahm er eine ungeladene Schreckschusspistole, lud sie demonstrativ durch und führte sie am Körper P. s vom Genitalbereich bis zwischen die Augen und äußerte, dass „es niemanden kümmern werde, wenn er ihn hier abknalle und in den Wald schmeiße“ (UA S. 7, 8). Im weiteren Verlauf würgte er P., so dass dieser keine Luft bekam und ihm schwindelig wurde. Zudem versetzte er ihm noch einen Kopfstoß. Während weiterer Beleidigungen und der vom Angeklagten erzwungenen Erklärung P. s, seine Mutter sei eine Hure und sein Vater ein Bastard, forderte der Angeklagte, einem plötzlichen Einfall folgend, P. auf, seine Taschen zu leeren, um Wertgegenstände wegzunehmen. Aus Todesangst kam P. der Aufforderung nach und übergab dem Angeklagten mehrere Gegenstände, darunter ein Handy sowie eine Armbanduhr und ein Armband. Anschließend fuhren alle wieder nach Salzgitter zurück, wo der Angeklagte P. aussteigen ließ. Während der Fahrt verteilte er die Uhr und das Armband an die Nichtrevidenten. Zuvor hatte er P. mit Ausnahme des Handys die restlichen Gegenstände wieder zurückgegeben.

P. trug schmerzhafte Verletzungen an beiden Oberschenkeln, am Gesäß und im Gesicht davon. Im Laufe des Strafverfahrens zahlte der Angeklagte an P. ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000 €. Damit war P. trotz ursprünglich weit höherer Forderung einverstanden.

b) Die Verbrechenstatbestände des erpresserischen Menschenraubs (§ 239a StGB) und der Geiselnahme (§ 239b StGB) hat die Jugendkammer nicht erkennbar erwogen. Im Rahmen der Strafzumessung hat sie schon aufgrund allgemeiner Strafzumessungserwägungen, namentlich auch des Umstandes, dass der Angeklagte aufgrund der früheren Auseinandersetzung mit Verwandten des Tatopfers zur Tat veranlasst worden sei, einen minder schweren Fall gemäß § 250 Abs. 3 StGB bejaht und darüber hinaus eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen.

2. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben.

a) Dazu hat der Generalbundesanwalt in Übernahme von Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig im Wesentlichen Folgendes angemerkt:

„Das Urteil erweist sich als rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht nicht erörtert hat, ob sich der Angeklagte T. nicht auch wegen erpresserischen Menschenraubs in Form der 2. Alternative des § 239 a Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat. Diese Tat begeht nicht nur ein Täter, der einen Menschen entführt oder sich seiner bemächtigt, um von Anfang an die Sorge des Opfers um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen, sondern auch derjenige, der die durch eine solche Handlung geschaffene Lage zu einer Erpressung ausnutzt.

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen legen nahe, dass sich der Angeklagte T. des Geschädigten bemächtigt hat. Dazu muss der Täter die physische Herrschaftsgewalt über das Opfer gewonnen, eine stabile Bemächtigungslage geschaffen und diese Lage zu einer Erpressung oder zum Raub ausgenutzt haben. Zwar muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf das Vermögensdelikt eigenständige Bedeutung zukommen. Damit ist aber nur gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weiter gehende Drucksituation aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben haben muss (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 StR 385/11, NStZ-RR 2012, 173, 174). … Die getroffenen Feststellungen legen nahe, dass es sich um ein über einen erheblichen Zeitraum andauerndes Geschehen handelte. Ein Verlassen des Tatorts war für den Geschädigten aufgrund der fortwirkenden Einschüchterung auf Grund der vorangegangenen Misshandlungen und der Anwesenheit von insgesamt drei Tätern vor Ort ausgeschlossen, so dass sich die Bemächtigungslage stabilisiert und eine eigenständige Bedeutung erlangt haben dürfte. Es liegt auch nahe, dass der Angeklagte T. diese ursprünglich zu anderen Zwecken geschaffene Lage zu einer räuberischen Erpressung ausnutzte, wobei er konkludent mit weiteren Gewalthandlungen drohte. …“

b) Dem stimmt der Senat zu. Die Tat stellt sich aus den durch den Generalbundesanwalt angeführten Gründen auch als erpresserischer Menschenraub in der Variante des Ausnutzens einer Bemächtigungslage dar (§ 239a Abs. 1 Alt. 2 StGB). Darüber hinaus liegt auch eine Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 Alt. 2 StGB) vor, weil der Angeklagte den Geschädigten dazu veranlasste, seine Eltern zu beleidigen. Eine Änderung des Schuldspruchs durch den Senat kommt im Blick auf § 265 StPO nicht in Betracht. Daher ist die Verurteilung aufzuheben. Die Aufhebung erstreckt sich auch auf die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichter gefährlicher Körperverletzung und (besonders) schwerer räuberischer Erpressung (vgl. KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 353 Rn. 12 mwN). In Anbetracht dessen, dass lediglich Wertungsfehler in Frage stehen, können anders als bei einem erstinstanzlichen Freispruch (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 23. April 2015 - 4 StR 607/14 Rn. 19) die zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen aufrecht erhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht ist nicht gehindert, ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zu treffen.

3. Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht dem Strafausspruch die Grundlage.

a) Dieser hätte indessen ohnehin keinen Bestand gehabt. Insoweit ist in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts ausgeführt:

„Zu Recht weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass das Landgericht bei der Erörterung des Vorliegens eines minder schweren Falles dem Umstand, dass Anlass der Tat eine frühere körperliche Auseinandersetzung zwischen Verwandten des Geschädigten und dem Angeklagten T. gewesen sei, wesentliches strafmilderndes Gewicht beigemessen hat. Zwar kann in einem menschlich verständlichen Vergeltungsbedürfnis nach einer Provokation ein Strafmilderungsgrund liegen. Ist der Täter vom Verletzten gereizt worden, so kann dies bei einer Körperverletzung zugunsten des Täters ins Gewicht fallen. Der Beweggrund der Vergeltung ist jedoch nicht stets strafmildernd. Wer erst nach längerer Zeit Vergeltung übt, steht einem Täter, der auf der Stelle zur Vergeltungstat hingerissen worden ist, nicht gleich. Artet der Beweggrund in reine Rachsucht aus, so kann darin ein strafschärfender niedriger Beweggrund liegen (Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage 2014, § 46 Rn. 13). Dies muss erst recht gelten, wenn sich die Tat nicht gegen den Täter der früheren Tat selbst, sondern gegen einen unbeteiligten Familienangehörigen richtet.

Vorliegend lassen die Strafzumessungserwägungen besorgen, dass die Strafkammer verkannt hat, dass der Geschädigte selbst keinen Anlass zu der Tat gegeben hat. An der Tat sollen vielmehr ausschließlich in den Urteilsgründen nicht näher bezeichnete ,Cousins‘ beteiligt gewesen sein. Die Tat richtete sich lediglich deshalb gegen den Geschädigten, weil dieser zur Familie der Personen gehört, mit denen der Angeklagte T. die frühere Auseinandersetzung hatte. Ein menschlich verständliches Vergeltungsbedürfnis für die Tat, das strafmildernd berücksichtigt werden könnte, ist somit nicht ersichtlich.“

b) Über die von der Revision beanstandete durchgreifend rechtsfehlerhafte strafmildernde Wertung des durch den Angeklagten T. behaupteten Anlasses der Tat hinaus liegt die Annahme eines minder schweren Falles auch wegen des brutalen und das Opfer in besonderem Maße erniedrigenden Tatbildes fern.

4. Für die neue Hauptverhandlung ist ferner auf Folgendes hinzuweisen:

a) Es handelt sich um eine Tat im Rechtssinne (vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 3 StR 115/10, NStZ 2011, 213).

b) Entgegen der Auffassung der Revision begegnet die durch das Erstgericht erfolgte Bejahung der Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB keinen rechtlichen Bedenken. Ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 25) hat der Geschädigte die Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 3.000 € als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Weitere Feststellungen musste die Jugendkammer hierzu nicht treffen.

c) Hingegen durfte die Verbüßung zweimonatiger Untersuchungshaft ohne Hinzutreten besonderer Umstände (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 6/15 Rn. 8 mwN) nicht - wie im angefochtenen Urteil geschehen (UA 11 12 13 14 15 S. 26) - als mildernder Umstand in Ansatz gebracht werden (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. August 2013 - 5 StR 248/13, NStZ 2014, 31 mwN).

5. Der Senat verweist die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück, weil die neue Hauptverhandlung nur noch gegen einen erwachsenen Angeklagten geführt werden wird (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2011 - 5 StR 44/11 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 726

Bearbeiter: Christian Becker