HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 722
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 456/15, Urteil v. 11.05.2016, HRRS 2016 Nr. 722
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. April 2015 im Fall 1 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten bei Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich nach teilweiser Revisionsrücknahme mit der Sachrüge lediglich gegen den Schuld- und Strafausspruch im Fall 1. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
1. a) Das Landgericht hat zu Fall 1 folgende Feststellungen getroffen:
An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Frühjahr 2012 begab sich der damals 13-jährige M. gemeinsam mit einem Spielkameraden zu dem Angeklagten in ein Speichergebäude. Der Angeklagte schickte den anderen Jungen nach draußen und schloss das Gebäude von innen ab, um ihn an einem erneuten Hineinkommen zu hindern. Sodann fragte er den Zeugen M., ob er - der Angeklagte - ihm „einen blasen“ könne. Der Zeuge gab dem Drängen des Angeklagten nach und zog sich die Hose herunter. Der Angeklagte vollzog an dem Zeugen, dessen Alter von unter 14 Jahren er zumindest billigend in Kauf nahm, den Oralverkehr bis zum Samenerguss und befriedigte sich dabei mit der Hand.
b) Das Landgericht hat die Tat als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet. Bei der Strafzumessung hat es einen minder schweren Fall gemäß § 176a Abs. 4 Halbsatz 2 StGB angenommen.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
a) Der Schuldspruch im Fall 1 kann keinen Bestand haben. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zu diesem Fall begegnet - auch eingedenk des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs - durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie erweist sich als lückenhaft, soweit neben der Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern eine tateinheitliche Verurteilung wegen Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3, Abs. 2 StGB nicht geprüft worden ist.
Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„Zwar belegen die Feststellungen (UA S. 3) die Tatbestandsvoraussetzungen des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB. Vor dem Hintergrund der Angaben des Geschädigten (UA S. 5), die die Strafkammer uneingeschränkt für glaubhaft erachtet hat (UA S. 9), fehlt es jedoch an einer hinreichenden Auseinandersetzung im Hinblick auf eine tateinheitliche Verwirklichung des § 177 Abs. 2 in Verbindung mit § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 StGB. Das Urteil ist insoweit lückenhaft und nicht nachvollziehbar. Insbesondere lassen sich die Feststellungen zu Tat 1 nicht mit der Beweiswürdigung in Übereinstimmung bringen. Im Einzelnen:
Nach den Feststellungen (UA S. 3) gab der Geschädigte dem Verlangen des Angeklagten, ihm „einen blasen“ zu können, nach und ließ deshalb den Oralverkehr an sich bis zum Samenerguss zu. Gewaltbehaftetes Vorgehen des Angeklagten ist hier nicht beschrieben. Der Geschädigte, ein damals 13-jähriger Junge, hat insoweit jedoch bekundet (UA S. 5), zuerst im abgeschlossenen Raum an die Fensterscheibe geklopft und um Hilfe gerufen zu haben, um auf diese Weise von außen Hilfe zu erlangen. Seinen sodann laut geäußerten entgegenstehenden Willen zum Oralverkehr habe der Angeklagte missachtet und ihn schließlich so fest angefasst, dass er sich gegen ihn nicht habe zur Wehr setzen können.
Dieser im Hinblick auf eine Gewaltkomponente wesentliche Handlungsabschnitt ist mit den Feststellungen auf Seite 3 des Urteils nicht in Übereinstimmung zu bringen. Das ist insbesondere deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Strafkammer keinen Zweifel an der Richtigkeit und Erlebnisbasiertheit der Angaben des Zeugen hatte (UA S. 9). Feststellungen und Beweiswürdigung sind hier offensichtlich inkongruent.
(…) Zwar könnte das Fehlen der Feststellung einer Gewaltkomponente (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und gegebenenfalls des Ausnutzens einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB) auf eine abweichende Einlassung des Angeklagten zu diesen Punkten zurückzuführen sein. In diesem Fall fehlte es jedoch an beweiswürdigenden Erwägungen zur Glaubhaftigkeit der 7 Einlassung des Angeklagten und derjenigen des Zeugen, die sich in diesem Punkt diametral widersprechen müssten. Die Feststellung der uneingeschränkten Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschädigten (UA S. 9) wäre damit im Übrigen unvereinbar.“
Dem schließt sich der Senat an.
b) Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 1 zieht die Aufhebung der für diese Tat festgesetzten Einsatzstrafe von einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe und damit auch der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
3. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird im Rahmen der Gesamtstrafenbildung den Vollstreckungsstand der an sich einbeziehungsfähigen Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 15. August 2013 zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils zu prüfen und gegebenenfalls § 55 StGB anzuwenden haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 722
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2016, 249
Bearbeiter: Christian Becker