HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1034
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 367/15, Beschluss v. 30.09.2015, HRRS 2015 Nr. 1034
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 16. März 2015
im Schuldspruch dahin berichtigt, dass der Angeklagte E. für die Tat II.1 der Urteilsgründe wegen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch verurteilt ist,
mit den zugehörigen Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
im Tatkomplex II.2 der Urteilsgründe,
in den gesamten Strafaussprüchen und
soweit Entscheidungen über eine Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben sind.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Dem Nebenkläger H. wird im Adhäsionsverfahren für die Revisionsinstanz Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Z. aus Brandenburg beigeordnet.
Das Landgericht hat den Angeklagten E. des „versuchten schweren Raubes in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch, des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung, sowie der gefährlichen Körperverletzung, der vorsätzlichen Körperverletzung und des Diebstahls“ schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung von Freiheitsstrafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Den Angeklagten G. hat es wegen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und mit Hausfriedensbruch, Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es eine Einziehungs- und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil richten sich die auf die Rügen der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend berichtigt der Senat hinsichtlich der Tat II.1 der Urteilsgründe in Bezug auf den Angeklagten E. den Schuldspruch, der insoweit auf einem offenkundigen Fassungsversehen der Strafkammer bei der Abfassung des schriftlichen Urteils beruht.
2. a) Nach den Feststellungen zum Tatkomplex II.2 der Urteilsgründe beschlossen die alkoholisierten Angeklagten mit einem unbekannt gebliebenen Mittäter, am Abend des 15. März 2013 die Geschädigte Ha. in ihrer Wohnung aufzusuchen und bei Gelegenheit nach stehlenswerten Gegenständen zu suchen. Die Angeklagten erwarteten, dass sie in der Wohnung auch den Geschädigten M. antreffen würden, einen Bekannten, mit dem sie gelegentlich Alkohol tranken. Die körperlich gebrechliche und hilfsbedürftige Ha. wurde bei alltäglichen Verrichtungen von M. unterstützt. Er hielt sich hierzu oft und auch am Tatabend in ihrer Wohnung auf und verwahrte dort persönliche Sachen. Beide sprachen regelmäßig in erheblichem Umfang dem Alkohol zu. M. öffnete dem Angeklagten E., der gemeinsam mit seinem unbekannt gebliebenen Begleiter auf den Balkon der Hochparterre-Wohnung gestiegen war, auf dessen Klopfen die Balkontür und ließ anschließend auch den über das Treppenhaus zur Wohnungstür gelangten Angeklagten G. in die Wohnung ein. Möglicherweise tranken zunächst alle Anwesenden Alkohol. Als der Angeklagte E. begann, Schränke nach Wertgegenständen abzusuchen, entstand ein Streit zwischen dem ebenfalls alkoholisierten M. und den drei „Besuchern“, die ihn beleidigten. Der Angeklagte E., der an diesem Abend ein Messer mit sich führte, schlug auf M. ein. Als er von ihm abließ, um weiter die Schränke zu durchsuchen, flüchtete M. auf den Balkon und rief um Hilfe. Daraufhin versuchte der Angeklagte E. vergeblich, ihn wieder in die Wohnung zu zerren. M. riss sich los und sprang von dem Balkon. Er fiel auf eine schneebedeckte Wiese vor dem Haus, wo er liegen blieb. Die Angeklagten und ihr Begleiter nahmen das Mobiltelefon der Geschädigten Ha. und mindestens 60 Euro Bargeld an sich und verließen die Wohnung. Bevor sich die Angeklagten endgültig vom Tatort entfernten, begaben sie sich zu dem noch regungslos vor dem Haus liegenden M. Aus Verärgerung über die vorherige Auseinandersetzung trat der Angeklagte E. auf ihn ein; sobald M. sich aufzurichten versuchte, trat E. erneut zu. Währenddessen stand der Angeklagte G. in unmittelbarer Nähe, um durch seine Anwesenheit M. von einer Gegenwehr abzuhalten und erforderlichenfalls zugunsten E. s eingreifen zu können.
b) Das Landgericht hat das Geschehen in der Wohnung als gemeinschaftlich begangenen - hinsichtlich des Angeklagten E. gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB qualifizierten - Raub (§ 249 StGB) bewertet, der in Tateinheit mit einer gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und hinsichtlich des Angeklagten E. zudem in Tateinheit mit versuchter Nötigung stehe. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die insoweit getroffenen Feststellungen tragen die Schuldsprüche nicht.
aa) Den Feststellungen lässt sich schon nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass der Angeklagte E. Gewalt als Mittel zur Wegnahme angewendet hat.
Nach ständiger Rechtsprechung muss zwischen dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme beim Raub eine finale Verknüpfung bestehen; die Gewalt muss - zumindest aus Sicht des Täters - das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. April 1989 - 4 StR 184/89, BGHR StGB § 249 Abs. 1 - Gewalt 3; vom 17. Juli 2002 - 2 StR 225/02, NStZ-RR 2002, 304; vom 25. September 2012 - 2 StR 340/12, NStZ-RR 2013, 45, und vom 18. Februar 2014 - 5 StR 41/14, NStZ 2015, 156). Die Anwendung von Gewalt oder Drohungen darf somit nicht als bloße „Begleiterscheinung“ gelegentlich der Entwendung einer fremden Sache erfolgen (vgl. MüKo-StGB/Sander, 2. Aufl., § 249 Rn. 24 mwN).
Zu der Frage, ob der Geschädigte M. überhaupt im Rahmen des „Streits“ während des von dem Angeklagten E. begonnenen Absuchens der Schränke eine Wegnahme eigener Gegenstände zu verhindern suchte oder als Gewahrsamshüter von Wertsachen der Geschädigten Ha. auftrat und E. daher mit seinen Schlägen erwarteten Widerstand des M. überwinden wollte, hat das Landgericht jedoch keine Feststellungen getroffen. Auch die zu den Geschehensabläufen in der Wohnung wiedergegebene Aussage des Geschädigten M. verhält sich hierzu nicht.
bb) Zudem lässt das angefochtene Urteil eine tragfähige Begründung für eine Verurteilung des Angeklagten G. hinsichtlich der gegen den Geschädigten M. in der Wohnung verübten Gewalthandlungen vermissen. Die vom Landgericht in der rechtlichen Würdigung (UA S. 41) zugrunde gelegte Annahme, dass beide Angeklagten auf den Geschädigten M. eingeschlagen hätten, deckt sich nicht mit den hierzu getroffenen Feststellungen (UA S. 17) und der diesen zugrunde gelegten Aussage des Geschädigten, wonach E. ihn geschlagen und getreten habe, während „G. und die andere Person sich nur an den Beleidigungen beteiligt und bei den Schlägen daneben gestanden“ hätten (UA S. 25). Soweit das Landgericht im Zusammenhang mit der Begründung einer tateinheitlich begangenen gemeinschaftlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB für die Zurechnung des Tatgeschehens auf einen gemeinschaftlichen Tatplan abgestellt hat, wonach „auf den Geschädigten M. mit Schlägen eingewirkt werden sollte, um diesen zur Duldung der Wegnahme von Wertgegenständen zu bewegen“ (UA S. 41), steht auch diese Annahme mit den getroffenen Feststellungen nicht in Einklang. Danach bestand der Plan der Angeklagten und ihres unbekannten Mittäters darin, nach ihrem Aufsuchen der Wohnung, „wenn sich die Gelegenheit ergibt, nach stehlenswerten Gütern zu suchen“ (UA S. 16). Eine etwaige sukzessive Erweiterung des ursprünglichen Tatplans, zu dessen Feststellung beweiswürdigende Erwägungen überhaupt fehlen, erörtert das Landgericht nicht. Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass die Gewaltausübung des Angeklagten E. dem Angeklagten G. zuzurechnen wäre, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
c) Auch die weitere tatmehrheitliche Verurteilung der Angeklagten im Hinblick auf das nachfolgende Tatgeschehen vor dem Wohnhaus wegen des Qualifikationstatbestands der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB (Angeklagter E.) bzw. der Beihilfe hierzu (Angeklagter G.) hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
aa) Zwar kann das gemeinsame Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei Begehung einer Körperverletzung zur Erfüllung der Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ausreichen (BGH, Urteil vom 3. September 2002 - 5 StR 210/02, BGHSt 47, 383, 386). Eine gemeinschaftliche Begehung in dieser Beteiligungsform setzt allerdings - wie auch das Landgericht im Ansatz nicht verkannt hat - voraus, dass der am Tatort anwesende Gehilfe die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist. Eine verstärkte Gefährlichkeit der Körperverletzung für das Tatopfer wird vor allem durch eine Schwächung der Abwehrmöglichkeiten verwirklicht, wenn es durch die Präsenz mehrerer Personen auf der gegnerischen Seite insbesondere auch wegen des möglichen Eingreifens des anderen Beteiligten in seinen Chancen beeinträchtigt wird, dem Täter der Körperverletzung Gegenwehr zu leisten, ihm auszuweichen oder zu flüchten (vgl. BGH, Urteile vom 3. September 2002, aaO, S. 387, und vom 22. Dezember 2005 - 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572; Beschluss vom 17. Juli 2012 - 3 StR 158/12, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 - Gemeinschaftlich 4).
bb) Die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts, die Anwesenheit des Angeklagten G. habe dazu gedient, „die Bedrohungswirkung auf den am Boden liegenden Geschädigten M. aufrecht zu erhalten und diesen von einer Gegenwehr abzuhalten sowie erforderlichenfalls zugunsten seines Begleiters E. einzugreifen“ (UA S. 17), werden durch die Beweiswürdigung nicht belegt (UA S. 33). Eine derart erhöhte Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation ergab sich auch nicht aus deren Gesamtumständen: Das erheblich alkoholisierte Tatopfer lag schon zu Beginn der vom Angeklagten E. ausgeführten Tritte regungslos am Boden und war für beide Angeklagten ersichtlich nicht in der Lage, Gegenwehr zu leisten oder zu fliehen.
d) Die Verurteilung im Tatkomplex II.2 kann daher keinen Bestand haben. Da der Senat nicht ausschließen kann, dass weitergehende Feststellungen sowohl zum Inhalt des „Streits“ in der Wohnung und damit möglicherweise zur inneren Tatseite im Augenblick der dortigen Gewaltanwendung als auch zum anschließenden äußeren Tatgeschehen außerhalb der Wohnung getroffen werden können, verweist der Senat die Sache hinsichtlich dieses Tatkomplexes insgesamt zur näheren Sachaufklärung zurück, ohne Teile der getroffenen Feststellungen aufrecht zu erhalten.
Die Aufhebung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der für diesen Tatkomplex jeweils verhängten Einzelstrafen und bedingt schon deshalb die Aufhebung der Aussprüche über die Gesamtstrafen.
3. Weiter begegnet es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht nicht erörtert hat, ob die Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterzubringen sind (§ 64 StGB).
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der 30-jährige Angeklagte E., der sich selbst für einen Alkoholiker hält, vor seiner Inhaftierung regelmäßig in erheblichen Mengen Alkohol. Der Angeklagte verübte seine Taten in zumindest drei der vier hier verfahrensgegenständlichen Tatkomplexe jeweils alkoholisiert, wobei das Landgericht einen Einfluss auf die Schuldfähigkeit teilweise unter Hinweis auf dessen Alkoholgewöhnung verneint hat (UA S. 19). Jedenfalls die gemeinsam mit dem Angeklagten G. begangenen Raubtaten vom 19. Februar 2013 und vom 15. März 2013 spielten sich im „Trinkermilieu“ ab (UA S. 15, 16). Auch die Taten vom 25. August 2012, die den einbezogenen Strafen aus einer Verurteilung vom 9. April 2013 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen und räuberischer Erpressung zugrunde lagen, hatte der Angeklagte E. alkoholisiert begangen; ein für die Schuldfähigkeit relevantes Maß hat das Tatgericht auch dort im Hinblick auf seine Alkoholgewöhnung verneint (UA S. 9).
Der 35-jährige Angeklagte G. konsumierte vor seiner Inhaftierung ebenfalls regelmäßig in erheblichen Mengen Alkohol und verübte die verfahrensgegenständlichen Taten jeweils alkoholisiert. Hinsichtlich der Raubtat vom 19. Februar 2013 (Tat II.1 der Urteilsgründe) stellte das Landgericht bei ihm eine Tatzeitalkoholisierung von 1,64 Promille fest (UA S. 24), hinsichtlich der Taten vom 15. März 2013 (Tatkomplex II.2 der Urteilsgründe) eine solche von 2,32 Promille. Im Tatkomplex II.2 hat ihm das Landgericht bei der Strafzumessung eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB zugutegehalten (UA S. 45). Auch die Taten, die seinen beiden letzten Vorverurteilungen zugrunde lagen, beging G. jeweils erheblich alkoholisiert: Bei einer der von dem Angeklagten E. am 25. August 2012 begangenen vorsätzlichen Körperverletzungen leistete er Beihilfe; eine für die Schuldfähigkeit relevante Alkoholisierung hat das Tatgericht im Urteil vom 9. April 2013 auch bei ihm im Hinblick auf seine Alkoholgewöhnung verneint. Bei einer mit Urteil vom 19. November 2012 geahndeten Nötigung vom 30. Dezember 2011 zum Nachteil eines Trinkkumpanen, bei der wiederum der Angeklagte E. „ebenfalls sehr betrunken daneben stand“, war der Angeklagte G. erheblich angetrunken (UA S. 13).
b) Angesichts dieser Feststellungen zu den Alkoholproblemen, die bei beiden jeweils vielfach vorbestraften Angeklagten auch schon zu Zeiten früherer Straftaten erkennbar waren, liegt es nahe, dass die hier abgeurteilten Taten auf einen Hang der Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Dies drängte zu der Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB gegeben sind. Über eine Anordnung der Unterbringung der Angeklagten muss deshalb - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden.
c) Dies führt auch zur Aufhebung der Strafaussprüche hinsichtlich der Taten, die nach der Aufhebung der Verurteilung im Tatkomplex II.2 noch verblieben sind. Der Senat kann auch mit Blick auf die ohnehin hohen Einzelstrafen nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Strafen erkannt hätte.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1034
Externe Fundstellen: NStZ 2015, 698
Bearbeiter: Christian Becker