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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 732

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 215/15, Beschluss v. 30.06.2015, HRRS 2015 Nr. 732


BGH 5 StR 215/15 - Beschluss vom 30. Juni 2015 (LG Göttingen)

Lückenhafte Beweiswürdigung (Aussage-gegen-Aussage-Konstellation; inkonstante Angaben der einzigen Belastungszeugin zum Kern- und Randgeschehen; mögliche unbewusste Falschbelastung durch Auto- oder Fremdsuggestion bei Borderline-Persönlichkeitsstörung); Hang zum Konsum alkoholischer Getränke.

§ 261 StPO; § 64 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 14. Januar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Die landgerichtliche Beweiswu?rdigung (§ 261 StPO) hält in der hier vorliegenden Aussage-gegen-Aussage-Konstellation auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2015 - 5 StR 79/15 mwN) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand; sie ist in mehreren Punkten lückenhaft.

a) Nach den Feststellungen wurde die Nebenklägerin vom Angeklagten zweimal zu Boden gestoßen und einmal mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Sie wurde nur wenige Stunden nach der Tat in einem Krankenhaus untersucht. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, ob und gegebenenfalls welche Verletzungen hierbei diagnostiziert wurden. Angesichts der inkonstanten Angaben der Nebenklägerin sowohl zum Kern- als auch zum Randgeschehen hätte das Untersuchungsergebnis jedoch näher erörtert werden müssen. Dasselbe gilt für den ebenfalls erhobenen gynäkologischen Befund, der vom Landgericht lediglich als „unauffällig“ bezeichnet wird (UA S. 25). Indessen hat die Nebenklägerin u.a. davon berichtet, dass „irgendetwas in ihre Scheide hineingerammt“ worden sei (UA S. 13) bzw. sie „den Fingernagel noch spu?ren könne“ (UA S. 17).

b) Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht zudem darauf abgestellt, dass der psychische Zustand der Nebenklägerin, der nach der Tat zur Überweisung in eine psychiatrische Fachklinik geführt hatte, zu deren Schilderungen „passe“ (UA S. 28). Einzelheiten zu diesem ca. zweiwöchigen Aufenthalt (UA S. 9) in der psychiatrischen Klinik werden nicht mitgeteilt. In die erforderliche Gesamtwürdigung hätte jedoch etwa eingestellt werden müssen, in welchem Zustand die Nebenklägerin aufgenommen und welche Diagnose gestellt wurde, wie sich der Verlauf der Behandlung gestaltete und welche Angaben die Nebenklägerin zum Tatgeschehen gegenüber den dortigen Mitarbeitern gemacht hat.

c) Das Landgericht hat bei der Verneinung eines Falschbelastungsmotivs u.a. darauf abgestellt, dass die Nebenklägerin keinen Anlass gehabt habe, erzwungene sexuelle Handlungen wahrheitswidrig zu behaupten, um möglichen Vorwürfen ihres Freundes, des Zeugen K., zu begegnen; denn sie habe ihn bei ihrer Rückkehr in die Wohnung zunächst schlafend angetroffen und ihm dann spontan von der Vergewaltigung berichtet (UA S. 22). Aus den Urteilsgründen ergibt sich aber schon nicht, ob diese Schilderung durch die weitere Beweisaufnahme, insbesondere durch den Zeugen, bestätigt worden ist. Soweit dieser im Übrigen angegeben hat, die Nebenklägerin habe sich bereits mit ihm in der Wohnung befunden, als der Angeklagte an die Tür geklopft und die Nebenklägerin gebeten habe, ihm bei der Suche nach seinem Schlüssel zu helfen (UA S. 19), entspricht dies nicht ihrer eigenen Darstellung, ohne dass dieser Widerspruch vom Landgericht hinreichend erörtert wird.

2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Das neue Tatgericht wird vor dem Hintergrund der Borderline-Persönlichkeitsstörung der Nebenklägerin die Frage einer unbewussten Falschbelastung durch Auto- oder Fremdsuggestion eingehend zu prüfen haben. Auch ihre erhebliche Alkoholisierung wird in die Beweiswürdigung einzubeziehen sein.

b) Nach den Feststellungen trinkt der Angeklagte, der bereits in der Vergangenheit gemäß § 64 StGB untergebracht war, seit zwei Jahren wieder verstärkt Alkohol. Die psychiatrische Sachverständige ist auf der Grundlage der Auswertung der Verfahrens- und Vorstrafenakten sowie der Erkenntnisse der Hauptverhandlung zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem eine Exploration ablehnenden Angeklagten zum Tatzeitpunkt ein Alkoholabhängigkeitssyndrom vorgelegen habe. Vor diesem Hintergrund ist die landgerichtliche Wertung, ein Hang des zur Tatzeit ebenfalls alkoholisierten Angeklagten könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, bisher nicht nachvollziehbar dargelegt worden. Der Umstand, dass durch den Alkohol- und sonstigen Rauschmittelkonsum weder die Gesundheit noch die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Angeklagten erheblich beeinträchtigt worden sind, schließt die Bejahung eines Hangs nicht notwendigerweise aus (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13 mwN). Angesichts der in der Vergangenheit bereits erfolglos durchlaufenen Maßregel des § 64 StGB würde jedoch die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) besonderer Prüfung bedürfen.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 732

Bearbeiter: Christian Becker