HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 341
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 601/14, Beschluss v. 28.01.2015, HRRS 2015 Nr. 341
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 30. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen und in Höhe von 980 € den erweiterten Verfall angeordnet. Die gegen diese Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Rüge der Verletzung der § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2, § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO Erfolg.
1. Dem liegt folgendes - von der Staatsanwaltschaft in der Gegenerklärung als "vollständig und richtig" bestätigtes - Verfahrensgeschehen zugrunde:
Noch vor Beginn der Hauptverhandlung am 3. März 2014 erfolgte am 7. Februar 2014 eine Erörterung gemäß § 212 StPO, an welcher der Vorsitzende, der Beisitzer, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und ein Verteidiger des Angeklagten teilnahmen. Der Angeklagte selbst war bei diesem Gespräch nicht anwesend. Von Seiten des Gerichts wurde im Falle eines Geständnisses ein Strafrahmen von sechs Jahren drei Monaten bis zu sechs Jahren zehn Monaten in Aussicht gestellt. Die Staatsanwältin erklärte, sie könne sich einen Strafrahmen von sechs Jahren fünf Monaten bis zu sechs Jahren elf Monaten vorstellen, ohne Geständnis eine Freiheitstrafe von neun bis zehn Jahren. Bei Aufklärungshilfe im Hinblick auf einen gesondert Verfolgten "könne es noch einen Rabatt von einem Jahr geben". Von Seiten des Verteidigers wurden keine Vorstellungen eingebracht, da er die Strafvorstellungen zunächst mit dem Angeklagten und dem Mitverteidiger erörtern wollte. Über den Inhalt dieses Gesprächs teilte der Vorsitzende in der Hauptverhandlung nach Verlesung des Anklagesatzes nichts mit, sondern verwies lediglich auf einen bei der Akte befindlichen hierüber erstellten Vermerk.
Zu Beginn des Hauptverhandlungstermins vom 9. April 2014 bat ein Verteidiger um ein Rechtsgespräch, da sich aus Sicht der Verteidigung die Beweislage entscheidend zugunsten des Angeklagten verändert habe. Die Hauptverhandlung wurde sodann von 9.15 Uhr bis 11.15 Uhr zur Durchführung des Rechtsgesprächs unterbrochen. An diesem nahmen die Berufsrichter, die Schöffen, die Staatsanwältin und die Verteidiger teil. Nachdem die Verteidiger auf die aus ihrer Sicht geänderte Beweislage hingewiesen hatten, teilte der Vorsitzende auf Nachfrage mit, dass die Kammer auch unter Berücksichtigung der bisherigen Beweisergebnisse an ihrem Verständigungsvorschlag festhalte. Der Inhalt des - von den Verteidigern in anwaltlichen Erklärungen im Revisionsverfahren mitgeteilten - Rechtsgesprächs wurde vom Vorsitzenden in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt und dementsprechend auch nicht protokolliert. Eine Verständigung (§ 257c StPO) erfolgte nicht.
2. Mit dieser Vorgehensweise hat das Landgericht gegen die ihm obliegenden Mitteilungs- und Dokumentationspflichten von außerhalb der Hauptverhandlung geführten Rechtsgesprächen (§ 243 Abs. 4 Satz 1 und 2, § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO) verstoßen. Nach dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes wird durch diese Schutzmechanismen das Ziel verfolgt, eine wirksame vollumfängliche revisionsgerichtliche Kontrolle verständigungsbasierter Urteile zu ermöglichen und sogenannte informelle Absprachen zu verhindern (vgl. BVerfGE 133, 168, 221 ff.). Neben der Gewährleistung des Transparenzgebotes (vgl. BVerfGE, aaO, S. 214 ff.) soll die Mitteilung des wesentlichen Inhalts solcher Gespräche es dem Angeklagten ermöglichen, autonom - aufgrund umfassender Unterrichtung durch das Gericht über die regelmäßig in seiner Abwesenheit durchgeführten Erörterungen - darüber zu entscheiden, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgibt und sich mit einer geständigen Einlassung des Schweigerechts begibt (vgl. BVerfGE, aaO, S. 231 f.).
Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten führt grundsätzlich nicht nur zur Rechtswidrigkeit einer gleichwohl getroffenen Verständigung (vgl. BVerfGE, aaO, S. 223). Er führt auch zur Fehlerhaftigkeit von nicht verständigungsbasierten Urteilen, bei denen nicht auszuschließen ist, dass sie auf eine gesetzeswidrige informelle Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgehen (BVerfGE, aaO, S. 223).
Vorliegend kann - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausgeschlossen werden, weil das Aussageverhalten des Angeklagten durch die unterlassene Mitteilung beeinflusst worden sein könnte. Die Konstellation eines in der Hauptverhandlung nicht durchgehend schweigenden sich des Schutzes seiner Selbstbelastungsfreiheit mithin nicht begebenden Angeklagten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 29. November 2013 - 1 StR 200/13, NStZ 2014, 221) liegt hier nicht vor. Denn der Angeklagte hat sich in seinem letzten Wort für die von ihm begangenen Taten entschuldigt, ohne dies näher auszuführen, wobei das Landgericht diese Äußerung im Rahmen der Beweiswürdigung zur Stützung ihrer Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten herangezogen hat (UA S. 33).
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass im Falle der Einziehung (§ 74 StGB) die Gegenstände näher zu konkretisieren sind und gegebenenfalls ihr Wert festzustellen ist. Bei Anordnung eines Verfalls der beim Angeklagten sichergestellten 980 € werden die gegenüber § 73d StGB (erweiterter Verfall) vorrangigen Vorschriften des Wertersatzverfalls (§§ 73, 73a StGB) in den Blick zu nehmen sein.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 341
Externe Fundstellen: NStZ 2015, 178
Bearbeiter: Christian Becker