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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 677

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 239/13, Beschluss v. 30.05.2013, HRRS 2013 Nr. 677


BGH 5 StR 239/13 - Beschluss vom 30. Mai 2013 (LG Braunschweig)

Lückenhafte Beweiswürdigung in Aussage-gegen-Aussage-Konstellation (fehlende Einbeziehung aller Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können).

§ 261 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 9. Januar 2013 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, einen Audi A 8 eingezogen und einen Geldbetrag in Höhe von 5.000 € für verfallen erklärt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen verkaufte der Angeklagte in 16 Fällen Heroin - dabei dreimal zudem Kokain - an den drogenabhängigen L. (II.1. bis 16. der Urteilsgründe); diesem sollte er in einem weiteren Fall Heroin liefern, wozu es infolge seiner Festnahme aber nicht mehr kam (II.17. der Urteilsgründe).

Der Angeklagte hat zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen geschwiegen. Das Landgericht hat sich von den festgestellten Taten im Wesentlichen aufgrund der Angaben des als Zeugen gehörten L. überzeugt, "die durch das Beweisergebnis im Übrigen gestützt und ergänzt" würden (UA S. 8).

2. Die tatgerichtliche Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ihre revisionsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht namentlich der Fall, wenn die Beweiswürdigung - wie hier - lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2013 - 3 StR 37/13), weil sich aus den Urteilsgründen Erörterungsmängel ergeben.

b) Da bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten, seines Pkw und seiner Garage weder Betäubungsmittel noch sonstige Hinweise auf entsprechende Geschäfte (UA S. 7) noch andere unmittelbar tatbezogene Indizien gefunden worden waren, bestand zumindest in den Fällen II.1. bis 16. der Urteilsgründe die Konstellation Aussage gegen Aussage (vgl. zum schweigenden Angeklagten BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 2 StR 591/97, StV 1998, 250). Denn die Entscheidung hing insofern allein davon ab, ob die Rauschgiftgeschäfte mit dem Angeklagten schildernden Angaben des Belastungszeugen L. glaubhaft waren.

Bei dieser Beweislage müssen die Urteilsgründe ersehen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Im Rahmen der Beweiswürdigung hätten zumindest noch folgende Umstände erörtert werden müssen:

aa) Der Zeuge L. hat bekundet, in einem fortgeschrittenen Stadium der "Geschäftsbeziehung" sei das Rauschgift in der Regel nach vorheriger telefonischer Verabredung im Pkw des Angeklagten übergeben worden (UA S. 6). Bei den Bestellungen habe er Heroin als "alte Freundin" und Kokain als "neue Freundin" bezeichnet (UA S. 8). Angesichts dessen hätten die Ergebnisse der Überwachung der Telekommunikation des Angeklagten, die nach den Urteilsgründen von einem nicht näher spezifizierten Zeitpunkt bis zur Festnahme andauerte (UA S. 4), mitgeteilt werden müssen; hieran fehlt es.

bb) Im Rahmen der Ermittlungen konnten im Keller des gesondert verfolgten S. Heroin, Kokain sowie Streckmittel aufgefunden werden. Der Zeuge Luranc hat insoweit angegeben, die Betäubungsmittel hätten dem Angeklagten gehört, der diese von S. habe strecken und verpacken lassen (UA S. 5). Obwohl dieser im Urteil als Zeuge bezeichnet wird, teilt das Landgericht nicht mit, ob und gegebenenfalls in welchem Maße S. bei seiner Vernehmung L. s Angaben bestätigt hat.

cc) Bei der Bewertung der belastenden Aussage ist stets zu prüfen, ob die Möglichkeit besteht, dass der Zeuge sich oder auch einen anderen durch falsche Angaben entlasten will (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2009 - 5 StR 578/08), oder ob sonst eine Motivation für eine Falschbelastung vorliegt, dieser sich beispielsweise eine Strafmilderung nach § 31 BtMG "verdienen" will (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2007 - 5 StR 94/07). Letzteres hat das Landgericht zwar erkannt. Da es aber hinsichtlich der rechtskräftigen Verurteilung L. s weder Schuld- noch Strafausspruch mitteilt, vermag der Senat nicht zu überprüfen, welche Bedeutung den für den Angeklagten belastenden Angaben in dem gesondert geführten Verfahren zukam.

dd) Schließlich bleibt unerklärt, weshalb der Angeklagte nach der Schilderung des Zeugen L. bei einem Treffen Anfang Mai 2012 einen Begleiter als seinen Bruder vorgestellt haben soll (UA S. 11), obwohl der Zeuge nach den Feststellungen bereits vor den verfahrensgegenständlichen Taten Betäubungsmittelgeschäfte gerade mit "dem Bruder des Angeklagten" abgewickelt hat (UA S. 5).

3. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts bezüglich der Taten II.1. bis 16. der Urteilsgründe zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, wenn die genannten Umstände in die gebotene Gesamtschau einbezogen worden wären. Da der Angeklagte nach den Feststellungen auch bei der Tat II.17. der Urteilsgründe Heroin an den Zeugen L. liefern sollte, hebt der Senat trotz insofern weiterer belastender Indizien den Schuldspruch insgesamt mit den zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) auf.

4. Im Hinblick auf die neu zu treffende Entscheidung bemerkt der Senat:

a) Nach den landgerichtlichen Feststellungen handelte es sich bei den 17 Geschäften (innerhalb des etwa sechsmonatigen Tatzeitraums) jeweils um Mengen von zehn bis 20 Gramm Heroin. Dabei entnahm der Angeklagte in zwei Fällen Heroin "aus einer Gesamtmenge von jeweils 250 Gramm"; in je einem weiteren Fall "erfolgte der Verkauf aus einem Beutel mit 150 Gramm Heroin" (UA S. 5) und "übergab der Angeklagte dem Zeugen L. ... insgesamt 140 Gramm Heroin zur vorübergehenden Aufbewahrung" (UA S. 6). Angesichts dessen weist der Senat darauf hin, dass mehrere Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln eine einheitliche Tat bilden, sofern sie dieselbe Rauschgiftmenge betreffen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1994 - 1 StR 720/94, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 1).

b) Sollte das bei den Betäubungsmittelgeschäften verwendete Fahrzeug des Angeklagten, ein Audi A 8, wiederum eingezogen werden, wird dessen Wert festzustellen sein, um prüfen zu können, ob alle ausgesprochenen Rechtsfolgen einschließlich der Einziehung einen gerechten Schuldausgleich darstellen (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 369 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 677

Bearbeiter: Christian Becker