HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 457
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 145/13, Beschluss v. 23.04.2013, HRRS 2013 Nr. 457
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Dezember 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen acht Vergehen der Körperverletzung und Nötigung zum Nachteil der Nebenklägerinnen, seiner Ehefrau und seiner 2003 und 2007 geborenen Töchter, darunter fünf Fälle der gefährlichen Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die Ehefrau hat den Angeklagten am Morgen nach der schwersten, in der Nacht zu ihrem Nachteil begangenen, mit der Einsatzstrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe geahndeten Tat angezeigt. Bei dieser presste er sie nach den auf ihren Angaben beruhenden Urteilsfeststellungen unter Todesdrohungen bis zur Bewusstlosigkeit auf die Matratze des Ehebettes. Seitdem lebt sie mit ihren Töchtern getrennt von dem zwei Wochen später in Untersuchungshaft genommenen Angeklagten. Dessen Revision hat - im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts - mit einer Verfahrensrüge, die Ablehnung eines Beweisantrages betreffend, Erfolg.
1. Die Verteidigung hat die Vernehmung der Leiterinnen der von den Töchtern des Angeklagten besuchten Kindertagesstätte beantragt und u. a. in ihr Wissen gestellt, die Ehefrau des Angeklagten habe ihnen den nächtlichen Übergriff geschildert, der sie zur Anzeige veranlasst hatte, und dabei berichtet, der Angeklagte habe ihr unter Tötungsdrohung ein Messer an den Hals gehalten. Das Landgericht hat den Antrag nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt; selbst wenn die Nebenklägerin den Zeuginnen einen teilweise abweichenden Geschehensablauf geschildert haben sollte, würde es aufgrund der Qualität ihrer polizeilichen Aussagen nicht den Schluss ziehen, dass sie insgesamt die Unwahrheit gesagt habe. Im Urteil erwägt das Landgericht, ob die Ehefrau des Angeklagten vor dem Hintergrund ihres Trennungswunsches versucht gewesen sein könne, durch partiell falsche mehrbelastende Angaben eine härtere Strafe gegen ihn zu erreichen, verwirft dies aber angesichts des Detailreichtums und der Konstanz ihrer Angaben und mangelnder Erkennbarkeit auffälligen Belastungseifers vor dem Hintergrund der Verneinung eines sexuellen Übergriffs (UA S. 24 f.).
a) Die Behandlung des Beweisantrages erweist sich als fehlerhaft, weil sie die Beweiswürdigung im Urteil inhaltlich in Frage stellt. Wenn das Landgericht die Beweisbehauptung einer nachhaltig übertriebenen Darstellung dieses gewichtigsten Vergehens durch die für dieses Tatgeschehen einzige Belastungszeugin ("Aussage gegen Aussage"-Konstellation) gegenüber Dritten als für die Glaubhaftigkeit der Angaben bedeutungslos erachtete und eine Beweiserhebung zu diesem Punkt und eine ergänzende Befragung der Nebenklägerin hierzu ablehnte, musste es die behaupteten wesentlich widersprüchlichen Angaben der Nebenklägerin gegenüber Dritten folglich in der Aussageanalyse unterstellen. Dann war es aber unerlässlich, eine solche Auffälligkeit, deren Unerheblichkeit für die Beurteilung der Zuverlässigkeit ihrer Schilderung des Schwerpunktgeschehens sich nicht von selbst versteht, im Zusammenhang mit der erwähnten, hiermit zu hinterfragenden Beweiswürdigung ausdrücklich zu erörtern. Solches ist weder in dem den Antrag ablehnenden Beschluss noch im Urteil ausreichend geschehen.
b) In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Verteidigung ausweislich der Revisionsbegründung im Rahmen eines anderen Antrags behauptet hat, eine andere als Zeugin vernommene Kindergärtnerin habe bekundet, die Ehefrau des Angeklagten habe ihr von einem derartigen Messereinsatz berichtet, ohne dass ersichtlich ist, dass das Landgericht dieser Erklärung entgegengetreten wäre, und ohne dass eine solche Zeugenaussage im Urteil gewürdigt worden wäre.
c) Die verfahrensfehlerhafte Behandlung des Beweisantrages führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Angesichts des Einflusses der Ehefrau des Angeklagten auf ihre Töchter müsste die Zuverlässigkeit von deren Angaben für den Fall einer nicht tragfähigen Beweisgrundlage für den schwersten Tatvorwurf ebenfalls neu geprüft werden.
2. Bei dieser Sachlage kann der Senat dahinstehen lassen, ob er auch mit dem Generalbundesanwalt die Rüge der Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages für durchgreifend halten würde. Dieser war auf Vernehmung der Schwester des Zeugen R. zu dessen Beziehungen zu den Nebenklägerinnen auf der Grundlage behaupteten gemeinsamen Wohnens gerichtet. An der Zulässigkeit der Rüge könnten im Blick auf die mangelhafte Angabe einer ladungsfähigen Anschrift dieser Zeugin in der Revisionsbegründung Zweifel bestehen. Darüber hinaus lässt die überaus wortreiche, aber wenig strukturierte und fast wie eine Kollage zusammengestellte Revisionsbegründungsschrift nicht ganz eindeutig erkennen, ob die Behandlung dieses Hilfsbeweisantrags überhaupt gesondert beanstandet werden soll.
Wäre die Rüge zulässig, hätte auch sie indes entsprechend der Auffassung des Generalbundesanwalts Erfolg: Die Annahme mangelnder Konnexität der ersichtlich nicht im Einklang mit den Zeugenaussagen der Nebenklägerinnen und des Zeugen R. stehenden Behauptung zu den Wohnverhältnissen ist von den Voraussetzungen des Senatsurteils vom 10. Juni 2008 - 5 StR 38/08 (BGHSt 52, 284) nicht gedeckt, da eine spezifische Befragung der vernommenen Zeugen zu gemeinsamem Wohnen im Gartenhaus der benannten Zeugin nicht belegt ist; für eine andere tragfähige Ablehnung des Hilfsbeweisantrags ist nichts ersichtlich.
3. Der Senat weist ferner darauf hin, dass auch die Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung des Zeugen Mo. wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit Bedenken begegnet, wenn die Nebenklägerin den Bruch des Lattenrostes des Ehebettes als Beleg für die Gewalttätigkeit des Angeklagten angeführt hat, dieser aber zuvor schon gebrochen gewesen wäre.
4. Für die neue Verhandlung weist der Senat schließlich darauf hin, dass die Einlassung des Angeklagten durch dessen eigene mündliche Darstellung und die Zulassung einer Befragung gegenüber dem bisherigen Prozessverhalten (UA S. 7) deutlich mehr Gewicht erlangen könnte (vgl. Pfister in NStZ-Sonderheft für Miebach, 2009, S. 25, 29). Sollte der Angeklagte die Vorwürfe zum Nachteil seiner Töchter weiterhin gänzlich in Abrede stellen, könnte eine Glaubhaftigkeitsbegutachtung angezeigt sein. Die hierzu erhobene Verfahrensrüge entbehrt indes schon mangels vollständiger Dokumentation der Aussagen der Kinder der Zulässigkeit.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 457
Externe Fundstellen: NStZ 2013, 478
Bearbeiter: Christian Becker