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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 659

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 143/13, Beschluss v. 14.05.2013, HRRS 2013 Nr. 659


BGH 5 StR 143/13 - Beschluss vom 14. Mai 2013 (LG Bautzen)

Anforderungen an die Ablehnung eines Beweisantrags wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit (Erforderlichkeit der Einfügung der Beweistatsache in das bisher gewonnene Beweisergebnis; Verbot von Widersprüchen zu den Ablehnungsgründen im Urteil); Umfang der Wiedergabe von Zeugenaussagen im Urteil.

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 267 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bautzen vom 13. Dezember 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Görlitz zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

1. Folgendes Geschehen liegt zugrunde:

a) Die Schwurgerichtskammer hat einen Beweisantrag der Verteidigung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Mit diesem hatte der Angeklagte unter anderem die Vernehmung der Zeugin Z. zum Beweis der Tatsache begehrt, dass die Zeugin Wi., die Freundin des Angeklagten, ihr am Morgen nach der Tatnacht - in Übereinstimmung mit späteren Angaben gegenüber der Polizei - von dem Tatgeschehen berichtet und hierbei kundgetan habe, der Angeklagte sei von den Zeugen A. und B. angegriffen worden, habe sich rückwärts von diesen wegbewegt und die ihn weiter verfolgenden Zeugen aufgefordert, sich ihm nicht weiter zu nähern. Er habe dabei mit einem abgebrochenen Flaschenhals in der Hand wild um sich geschlagen und gestikuliert. Der Zeuge B. habe sich gleichwohl weiter genähert und sei schließlich vom Angeklagten am Hals getroffen worden.

b) Zur Begründung der Ablehnung dieses Beweisantrags hat das Landgericht ausgeführt, es halte die Einvernahme der Zeugin Z. zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin Wi. für nicht erforderlich. Falls die Zeugin Z. inhaltlich die Angaben der Zeugin Wi. gegenüber der Polizei wiedergebe, wäre als weitergehender Erkenntnisgewinn lediglich festzustellen, dass die Zeugin Wi. innerhalb von ca. zwei Wochen zwei gleichlautende Aussagen getroffen habe. Die Strafkammer habe die Zeugen F. (den Polizeibeamten, der im Ermittlungsverfahren die Zeugin Wi. vernommen hatte) und Wi. bereits vernommen. Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben von Zeugen treffe die Kammer aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme. Im Urteil hat die Schwurgerichtskammer die die Einlassung des Angeklagten stützende Aussage der Zeugin Wi. als unglaubhaft bewertet und insoweit unter anderem ausgeführt, die Zeugin habe zwischen dem Abtauchen des Angeklagten und ihrem eigenen Verschwinden am 2. Dezember 2011 (dem Tattag) bis zu ihrer Vernehmung am 17. Dezember 2011 genügend Zeit gehabt, ihre Aussage mit derjenigen des Angeklagten abzustimmen (UA S. 25).

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Bereits die Begründung, mit der das Landgericht den auf eine Indiztatsache gerichteten Beweisantrag abgelehnt hat, genügt nicht den insoweit bestehenden Anforderungen. Der Beschluss, mit dem die Erhebung eines Beweises wegen Unerheblichkeit der Beweistatsache abgelehnt wird, ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Entscheidungsbildung ohne Einfluss blieb. Dies nötigt zu einer Einfügung der Beweistatsache in das bisher gewonnene Beweisergebnis (BGH, Beschluss vom 27. November 2012 - 5 StR 426/12 mwN). Das Landgericht hätte sich daher in der Beschlussbegründung ausdrücklich damit auseinandersetzen müssen, weshalb der für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit jedenfalls nicht von vornherein unerhebliche Umstand der Übereinstimmung kurz nach der Tat gegenüber einer Bekannten getätigter Angaben mit einer zwei Wochen später stattfindenden Aussage bei der Polizei im konkreten Fall keinen Einfluss auf die Bewertung der das Tatgeschehen weitgehend im Einklang mit der Einlassung des Angeklagten darstellenden Angaben der Zeugin Wi. haben kann, sei es, weil es der Zeugin ohnehin Glauben schenkt, sei es, weil es deren Angaben auch bei einer zu unterstellenden Richtigkeit der Beweisbehauptung aus bestimmten Gründen als unglaubhaft bewerten würde. Demgegenüber erweckt die Beschlussbegründung den Eindruck, das Landgericht halte den - tatsächlich bestehenden - Zusammenhang der Beweistatsache mit dem Gegenstand der Urteilsfindung nicht für gegeben.

b) Ob dieser Begründungsmangel im vorliegenden Fall bereits für sich genommen geeignet wäre, die Revision des Angeklagten zu begründen, kann indessen letztlich dahinstehen, da sich die Ablehnung des Beweisantrags jedenfalls aus einem anderen Grund als rechtsfehlerhaft erweist.

An der dem Ablehnungsbeschluss zugrunde liegenden Annahme tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache muss sich das Gericht festhalten lassen; es darf sich nicht im Urteil zu der Ablehnungsbegründung in Widerspruch setzen, insbesondere die Urteilsgründe nicht auf das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache stützen (BGH, Beschlüsse vom 27. November 2012 - 5 StR 426/12 - und vom 20. Juli 2010 - 3 StR 250/10, StraFo 2010, 466; Urteil vom 19. September 2007 - 2 StR 248/07, 7 8 StraFo 2008, 29; Beschluss vom 20. August 1996 - 4 StR 373/96, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 22). Indem die Strafkammer die die Einlassung des Angeklagten bestätigende Aussage der Zeugin Wi. unter anderem mit der Begründung als unglaubhaft bewertet hat, die Zeugin habe zwischen dem Abtauchen des Angeklagten und ihrem eigenen Verschwinden am 2. Dezember 2011 bis zu ihrer Vernehmung am 17. Dezember 2011 genügend Zeit gehabt, ihre Aussage mit derjenigen des Angeklagten abzustimmen, hat sie jedoch einen mit der im Ablehnungsbeschluss als bedeutungslos erachteten Tatsache unvereinbaren Umstand zur Stützung seiner Überzeugung herangezogen. Hätte die Zeugin Wi. nämlich bereits am Morgen nach der Tat identische Angaben gemacht, könnte nicht auf den im Urteil genannten für eine Abstimmung der Aussagen zur Verfügung stehenden Zeitraum von zwei Wochen abgestellt werden, sondern lediglich auf einen solchen von wenigen Stunden, in dem der Angeklagte und die Zeugin noch unmittelbar unter dem Eindruck des Erlebten gestanden haben dürften und eine polizeiliche Aussage noch nicht unmittelbar bevorstand.

c) Auf dem Verfahrensfehler beruht das Urteil. Zwar führt das Landgericht noch weitere Gründe für die Unglaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin Wi. an. Das Abstellen auf den zur Abstimmung der Aussage zur Verfügung stehenden Zeitraum kann gleichwohl nicht als die Entscheidung nicht tragende Hilfserwägung verstanden werden. Vielmehr kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer unter Berücksichtigung einer inhaltlich deckungsgleichen Schilderung Wi. s bereits am Morgen nach der Tat insoweit zu einem anderen Ergebnis gelangt und die Aussage der Zeugin sowie die durch sie gestützte Einlassung des Angeklagten anders bewertet und im Ergebnis abweichende tatsächliche Feststellungen getroffen hätte.

d) Dieser Rechtsfehler nötigt zur umfassenden Aufhebung des Urteils. Zwar lässt die in der Hauptverhandlung abgegebene Einlassung des Angeklagten einen die Voraussetzungen des § 32 StGB erfüllenden unmittelbar bevorstehenden Angriff der Zeugen A. und B. nicht erkennen, so dass ihr entsprechende Feststellungen entgegen der Ansicht der Revision dem Schuldspruch nicht ohne weiteres die Grundlage entzögen. Es ist dem Revisionsgericht jedoch verwehrt, die rechtsfehlerhaft zustande gekommenen Feststellungen des Tatgerichts durch anderweitige zu ersetzen.

3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Die Notwendigkeit und der Umfang der Wiedergabe von Zeugenaussagen und der Auseinandersetzung mit ihnen bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalls (näher Engelhardt in KK, StPO, 6. Aufl., § 267 Rn. 15 mwN). So muss etwa die Entwicklung einer Zeugenaussage in der Beweiswürdigung dann nicht abgehandelt werden, wenn dieser Gesichtspunkt zur Überzeugung der Strafkammer geklärt ist und das Urteil selbst von Widersprüchen oder Lücken frei ist (BGH, Urteil vom 27. Juli 2005 - 2 StR 203/05, NStZ 2006, 55). Das neue Tatgericht wird sich jedoch eingehender als bisher geschehen mit den verschiedenen Zeugenaussagen auseinanderzusetzen haben, die im angefochtenen Urteil zur Widerlegung der Einlassung des Angeklagten herangezogen worden sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass etwa die im Urteil wiedergegebenen Aussagen der Zeuginnen Bü. und Al. in Teilbereichen inhaltlich nicht mit den Feststellungen des Landgerichts in Einklang stehen.

b) Die im Urteil vorgenommene Trinkmengenberechnung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. zur Berechnung König in LK, 12. Aufl., § 316 Rn. 37 ff.).

4. Der Senat verweist die Sache - nach "Aufhebung" des Landgerichts Bautzen - an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Görlitz zurück (§ 71 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3 SächsJG).

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 659

Externe Fundstellen: NStZ 2013, 611; StV 2014, 260

Bearbeiter: Christian Becker