HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 684
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 646/12, Urteil v. 15.05.2013, HRRS 2013 Nr. 684
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 8. Mai 2012 werden verworfen.
Die Kosten der Rechtsmittel und die dadurch den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Das Landgericht hat die Angeklagte W. wegen schwerer Brandstiftung, wegen Betruges und wegen versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt; jeweils wegen schwerer Brandstiftung hat es die Angeklagte F. S. zu einer Jugendstrafe von neun Monaten und den Angeklagten S. S. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung sämtlicher Strafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil richten sich jeweils auf eine Verfahrensrüge und die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revisionen der Staatsanwaltschaft. Die nur hinsichtlich der Verfahrensrügen vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Die Angeklagte W. übernahm im Jahr 2004 von ihrer Mutter den Betrieb eines Kinderheims und kaufte von ihr das zugehörige Grundstück mit Haus für 300.000 €. Da sie über kein Eigenkapital verfügte, betrug die monatliche Kreditrate 1.700 €. Von der Mutter wurden ferner ein Gebäude- und ein Hausratversicherungsvertrag übernommen.
Im Kinderheim wurden bis zu sechs Kinder oder Jugendliche betreut, die von einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe zugewiesen wurden. Die Angeklagte W. erhielt pro Tag für jede betreute Person 70 € zuzüglich Taschen- und Bekleidungsgeld.
Ende des Jahres 2006 wurde die Lage schwierig. Der Lebensgefährte der Angeklagten, der zuvor Hausmeistertätigkeiten verrichtet und bei der Betreuung der Kinder mitgeholfen hatte, begann im Übermaß zu trinken und die Kinder zum Mittrinken zu animieren; er zog sich von sämtlichen Aufgaben zurück. Zudem verbrauchte er viel Geld für Spielen und Trinken. Die ohnehin nicht guten finanziellen Verhältnisse verschlechterten sich. Das Haus geriet in einen desolaten baulichen Zustand. Die Angeklagte verlor die Kontrolle über die Kinder, die fortan "machten, was sie wollten".
Einige Wochen nach der im Juli 2007 erfolgten Trennung von ihrem Lebensgefährten verschlimmerte sich die Situation nochmals deutlich. Der Angeklagten gelang es überhaupt nicht mehr, sich bei den Kindern und Jugendlichen durchzusetzen. Diese gingen nur noch in die Schule, wenn sie das wollten, beschädigten Inventar und konsumierten illegale Drogen. Überdies musste die Angeklagte für Schulden aufkommen, die ihr ehemaliger Lebensgefährte verursacht hatte. Die überweisende Einrichtung drohte mit der Kündigung des Betreuungsvertrages.
Die Angeklagte war völlig überfordert. Sie hielt sich nachts und auch tagsüber teilweise stundenlang vom Haus fern, nur um den Kindern und Jugendlichen nicht gegenübertreten zu müssen. Ursache für die Antriebslosigkeit war eine Anpassungsstörung mit mindestens mittelgradiger depressiver Reaktion. Für ihre verzweifelte Situation machte die Angeklagte dabei das von ihr als "Horror-Haus" empfundene Kinderheim verantwortlich. Ihrer dominanten Mutter vermochte sie sich nicht zu offenbaren, weil sie ihr Scheitern nicht eingestehen wollte.
In Gesprächen mit ihrem Halbbruder, dem Mitangeklagten S. S., und dessen Ehefrau, der Mitangeklagten F. S., gab die Angeklagte mehrfach Selbstmordgedanken kund. Im Oktober 2007 fassten die Angeklagten dann den Entschluss, das "Horror-Haus" durch Brandlegung zu zerstören, um die als ausweglos empfundene Situation zu beenden. Die Tat sollte durch S. und F. S. ausgeführt werden. Die Aussicht auf etwaige Entschädigungszahlungen von Seiten der Versicherungsunternehmen spielte für das Vorhaben keine Rolle. Den Entschluss, den "Schadensfall" über ihre Versicherer abzuwickeln, fasste die Angeklagte W. vielmehr erst nach der Brandstiftung. S. und F. S. waren sich im Groben über die angespannte finanzielle Lage der Angeklagten W. im Klaren. Sie machten sich jedoch keine Gedanken darüber, ob Gebäude und Hausrat gegen Feuer versichert waren.
Der Plan wurde in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 2007 umgesetzt. S. und F. S. legten mit Hilfe von Propangas und Benzin einen Brand, durch den Haus und Inventar vollständig zerstört wurden. Die Angeklagten hatten zuvor Maßnahmen getroffen, damit sich niemand im Haus befand. Zu einer konkreten Gefährdung von Menschen kam es nicht.
Die Angeklagte W. hatte für die Zeit nach dem Feuer keine Planungen getroffen. Ihrer Freundin erschien sie antriebslos, unter Schock stehend und unfähig, sich um ihre Belange zu kümmern. Die Freundin übernahm deshalb die Verhandlungen mit den Versicherungen. Da der wahre Sachverhalt aufgedeckt wurde, blieb es bei einer zuvor geleisteten Abschlagszahlung von 5.000 €.
2. Die Jugendkammer vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die Angeklagten in der in § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB bezeichneten Absicht der Ermöglichung einer anderen Straftat (Betrug gegenüber den Versicherungsunternehmen) handelten. Da auch der Qualifikationstatbestand des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB (konkrete Lebensgefahr für einen anderen Menschen) nicht gegeben sei, seien die Angeklagten, was die Zerstörung des Hauses anbelange, lediglich der schweren Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig. Sachverständig beraten ging die Jugendkammer ferner davon aus, dass die Schuldfähigkeit der Angeklagten W. trotz der bei ihr diagnostizierten Anpassungsstörung zur Tatzeit nicht vermindert gewesen sei.
3. Mit ihren Verfahrensrügen beanstandet die Beschwerdeführerin, dass das Landgericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Ermöglichungsabsicht nach § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht die gebotenen Schritte zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen habe. Der Rüge bleibt der Erfolg versagt.
a) Folgendes Geschehen liegt zugrunde:
Bereits im Jahr 2009 hat das Landgericht die Hauptverhandlung gegen die Angeklagten durchgeführt. Nach Beendigung der Beweisaufnahme hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ausweislich der von der Beschwerdeführerin mitgeteilten - vom Bundesverfassungsgericht am 16. November 2010 als unzulässig verworfenen (BVerfGK 18, 222) - Vorlage vom 12. März 2009 hat die seinerzeit entscheidende Jugendkammer auf der Grundlage von Geständnissen aller Angeklagten angenommen, dass sich die Angeklagte W. durch die Tat die Entschädigungsleistungen aus den Versicherungen verschaffen wollte und dass die Angeklagten S. handelten, um ihr die Erlangung des Geldes zu ermöglichen. Der mithin verwirklichte § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB schreibe eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vor, ohne dass er - anders als eine Vielzahl vergleichbarer Qualifikationstatbestände - einen Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle bereithalte. Angesichts zahlreicher gewichtiger Milderungsgründe verstoße die vom Gesetzgeber strikt angeordnete Mindeststrafe von fünf Jahren gegen das Gebot schuldangemessenen Strafens.
b) Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, die Jugendkammer habe es unter Verstoß des § 244 Abs. 2 StPO unterlassen, den auch die neue Hauptverhandlung führenden Vorsitzenden Richter, den seinerzeitigen Beisitzer oder den damals tätigen Vertreter der Staatsanwaltschaft als Zeugen zum Inhalt der im ersten Durchgang abgegebenen Geständnisse der Angeklagten zu vernehmen. Damit vermag sie nicht durchzudringen.
aa) Die Aufklärungsrüge ist bereits nicht zulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben.
Die Urteilsgründe befassen sich zentral mit der Frage der Ermöglichungsabsicht (UA S. 20 ff.). In diesem Zusammenhang hat das Landgericht, wozu die Revision freilich nichts vorträgt, außerhalb der Hauptverhandlung gemachte Einlassungen jedenfalls der Angeklagten F. und S. S. in ihre Beweiswürdigung einbezogen und im Einzelnen erörtert (UA S. 22 f.). Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich, dass zum Zweck der Beweisaufnahme über ein Geständnis Erklärungen (wohl aller) Angeklagten vom 20. Juni 2008 vor dem Ermittlungsrichter nach § 254 StPO verlesen wurden (Bl. 730 der Sachakten). Ob sich die in den Urteilsgründen inhaltlich wiedergegebenen, von der Beschwerdeführerin jedoch nicht im Wortlaut vorgelegten Erklärungen der Angeklagten S. und F. S. mit den in der seinerzeitigen Hauptverhandlung abgegebenen Geständnissen decken, ist der Revisionsbegründung dabei ebenso wenig zu entnehmen wie der Inhalt der Erklärung der Angeklagten W. Ferner ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss vom 12. März 2009, dass polizeiliche Vernehmungen stattgefunden haben, in denen sich die Angeklagten gleichfalls erklärt haben (Beschluss S. 12). Auch die diesbezüglichen Protokolle teilt die Beschwerdeführerin nicht mit. Dem Senat fehlt ohne Kenntnis vom Inhalt dieser früheren Angaben der Angeklagten ein vollständiger Erkenntnisstand, der eine sichere Beurteilung zuließe, ob sich die Jugendkammer tatsächlich zur Einvernahme der von der Staatsanwaltschaft genannten Amtspersonen gedrängt sehen musste. Auf die in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgeworfene Frage, ob das Begehren der Beschwerdeführerin genügend bestimmt bezeichnet worden ist, kommt es daher nicht mehr an.
bb) Im Übrigen liegt folgendes Verfahrensgeschehen nahe, aus dem sich die Haltlosigkeit der Aufklärungsrüge in der Sache ergibt: Der - personengleiche - Vorsitzende dürfte Vorhalte, etwa bei der Erörterung früherer Einlassungen aus den - nicht mitgeteilten - jeweiligen Niederschriften oder aus seiner Erinnerung von Einlassungen der Angeklagten in der ersten Hauptverhandlung, gemacht haben, zu denen die Angeklagten Stellung genommen haben. Hiernach kann sich für die Jugendkammer ein gegenüber der ersten Hauptverhandlung klar abweichendes Bild von der Beweislage zu den Tatvorstellungen der Angeklagten ergeben haben, ohne dass es sich hätte aufdrängen müssen, die korrigierte Feststellung zu dieser Beweislage anhand der Erinnerung anderer damaliger Prozessbeteiligter weiter zu hinterfragen.
Die Überprüfung des Urteils anhand der Sachrüge, die selbstverständlich nicht mit urteilsfremdem Vorbringen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zum Inhalt der Hauptverhandlung begründet werden kann, deckt in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das gilt namentlich für die von der Beschwerdeführerin als lückenhaft beanstandete Beweiswürdigung.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 684
Bearbeiter: Christian Becker