HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 625
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 92/11, Beschluss v. 13.04.2011, HRRS 2011 Nr. 625
Das Verfahren ruht bis zur Erledigung des mit Anfragebeschluss des Senats vom 9. November 2010 - 5 StR 394, 440 und 474/10 - eingeleiteten Verfahrens nach § 132 GVG.
Bis dahin werden die Akten an das Oberlandesgericht München zur Fortführung der nach § 67e Abs. 1 Satz 1, § 67d Abs. 3 Satz 1, Abs. 2, § 67a Abs. 4 Satz 1 StGB gebotenen Überprüfungen zurückgegeben.
Gegen den Verurteilten wird die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus dem Urteil des Landgerichts Regensburg vom 29. September 1988 vollstreckt, in dem gegen ihn u.a. wegen versuchter Vergewaltigung eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verhängt worden war. Seit dem 5. Januar 1994 wird gegen den Verurteilten die Sicherungsverwahrung - seit 2008 in einem psychiatrischen Krankenhaus - vollzogen.
Nach Rechtskraft des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (Individualbeschwerde 19359/04, EuGRZ 2010, 25) zur rückwirkenden Anwendung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB hat das Landgericht Deggendorf durch Beschluss vom 10. Januar 2011 die Fortdauer der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten angeordnet. Gleichzeitig hat es den nächsten Termin zur Prüfung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf den 10. Juli 2011 bestimmt und die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Gefährlichkeit des Verurteilten unter Zugrundelegung der vom Senat im Beschluss vom 9. November 2010 (5 StR 394, 440, 474/10, NJW 2011, 240; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) aufgestellten Grundsätze angeordnet. Das Oberlandesgericht München möchte die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten verwerfen. Im Blick auf entgegenstehende Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 - 4 StR 577/09, NStZ 2010, 567) und die Rechtsauffassungen des 3. und 4. Strafsenats (BGH, Beschlüsse vom 17. Februar 2011 - 3 ARs 35/10 und 18. Januar 2011 - 4 ARs 27/10) hat es die Sache dem Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 GVG vorgelegt.
Mit seinem Anfragebeschluss hat der Senat eine rückwirkende Anwendbarkeit des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB grundsätzlich bejaht und wegen divergierender Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zur identischen Rechtsfrage sowie wegen grundsätzlicher Bedeutung dieser Rechtsfrage das Verfahren nach § 132 GVG eingeleitet. Dabei hat der Senat § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB allerdings weiter einschränkend dahin ausgelegt, dass die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug für erledigt zu erklären ist, sofern nicht eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist (Leitsatz 2 des genannten Beschlusses); bei diesem Maßstab kommt in Ausnahmefällen auch eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung in Betracht (Anfragebeschluss Rn. 47).
Bis zur Erledigung des Verfahrens nach § 132 GVG sind die Akten - nicht anders als in den Ausgangsverfahren und weiteren Parallelsachen - dem vorlegenden Oberlandesgericht zurückzugeben. Dies gilt auch, soweit die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung - wie hier - nach § 67a Abs. 2 Satz 1 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus vollzogen wird (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2011 - 5 StR 471/10).
2. Das Verfahren nach § 132 GVG und damit das Ruhen der Parallelsachen wird auch nach Eingang der Antworten der anderen Senate voraussichtlich noch längere Zeit andauern. Im Hinblick darauf müssen die Oberlandesgerichte - vor Klärung der Vorlegungsfrage und ihrer ungeachtet - aktuell überprüfen, ob die Freiheitsentziehung gegen den Verurteilten zu beenden ist. Sie haben nach den vorstehend bezeichneten, für sie wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des Senats (§ 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG) verbindlichen Maßstäben des Anfragebeschlusses zu verfahren.
Hierfür ist zunächst - wie vom Landgericht Deggendorf beabsichtigt - eine neue Sachentscheidung nach § 67e Abs. 1 Satz 1 StGB zwingend notwendig. Ihr ist ein aktuelles Sachverständigengutachten nach § 463 Abs. 3 Satz 4 StPO zugrunde zu legen, das sich an dem modifizierten engeren Gefahrenbegriff zu orientieren hat; ein solches wird im vorgelegten Fall derzeit eingeholt. Sollte danach wegen konkreter höchster Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit (vgl. insbesondere Rn. 42 bis 46 des Anfragebeschlusses) eine weitere Vollstreckung der Maßregel unerlässlich sein, gelten die Maßgaben unter Ziffer VII 3 (Rn. 65) des Anfragebeschlusses.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 625
Bearbeiter: Ulf Buermeyer