HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 515
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 442/11, Beschluss v. 13.04.2012, HRRS 2012 Nr. 515
Auf die Revisionen der Angeklagten W., Ü., B. und G. wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Juli 2010 mit den zugehörigen Feststellungen nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit diese Angeklagten verurteilt worden sind; aufrecht erhalten bleiben jedoch die Feststellungen zu den äußeren Umständen der Kreditgewährungen, zu den Beziehungen der Beteiligten untereinander sowie zur inneren Tatseite beim Angeklagten G.; insoweit werden die Revisionen als unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten W. und Ü. wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges in 15 bzw. 14 Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren bzw. zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Den Angeklagten B. hat es wegen Betrugs in vier Fällen schuldig gesprochen und mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten belegt, wobei die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen den Angeklagten G. hat das Landgericht wegen Beihilfe zum Betrug in elf Fällen eine - gleichfalls zur Bewährung ausgesetzte - Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt. Daneben hat es als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bei den Angeklagten zwei bis sechs Monate auf die ausgeurteilten Freiheitsstrafen als vollstreckt angerechnet.
Die Revisionen der Angeklagten haben in dem sich aus dem Beschlusstenor ergebenden Umfang mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrüge, mit der die ordnungsgemäße Durchführung des Selbstleseverfahrens III beanstandet wird, kommt es mithin nicht mehr an. Im Übrigen sind die Verfahrensrügen im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO erfolglos.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Die Angeklagten W. und Ü. entwickelten zusammen mit dem bereits verstorbenen O. den Plan, bei Immobilienverkäufen einen wesentlich höheren Betrag als tatsächlich vereinbart als Kaufpreis auszuweisen, der dann von der LBS als der kreditgewährenden Bank - gegebenenfalls mit Abschlägen bis zu 30 % - finanziert wurde, wobei Ausfallbürgschaften der Bremer Landesbank beigebracht wurden, soweit die Kreditsumme die Beleihungsgrenze überstieg. Den Plan setzten sie in den 15 Verurteilungsfällen auch um. Auf diese Art sollten auf dem stagnierenden Berliner Wohnungsmarkt Immobilien auch an Personen ohne Eigenkapital oder an Bezieher geringerer Einkommen veräußert werden. Zum Teil wurden aus der im Vergleich zum tatsächlich vereinbarten Kaufpreis überschießenden Kreditsumme auch Altschulden der Kunden abgelöst.
Der Angeklagte B. warb in vier Fällen als freiberuflich tätiger Kreditvermittler die Kunden. Der Angeklagte G. nahm als Notar in elf Fällen die Beurkundungen vor. Er teilte der finanzierenden LBS dann mit, dass ihm gegenüber das (tatsächlich nicht vorhandene) Eigenkapital nachgewiesen sei. Tatsächlich lag ihm zu diesem Zeitpunkt lediglich ein von der Verkäuferseite ausgestellter (gedeckter) Scheck vor, den er bei Auszahlungsreife des Kaufpreises an den Aussteller zurückgab. Die Darlehen zum Kauf der Immobilien, für die Grundschulden zugunsten der LBS eingetragen wurden, konnten von den Erwerbern teilweise nicht zurückgeführt werden.
2. Das Landgericht geht ersichtlich von einem Eingehungsbetrug aus, den Ü., W. und O. als Bande begangen hätten. Täuschungsbedingt sei die LBS bei der Kreditgewährung ein höheres Wagnis eingegangen. Den Schaden berechnet das Landgericht aus der Differenz der Kreditsumme zum tatsächlichen Verkehrswert der Grundstücke, wobei es - zugunsten der Angeklagten - den Verkehrswert mit dem tatsächlich bezahlten Kaufpreis gleichsetzt. Gestellte Bürgschaften hat es hiervon in Abzug gebracht. Auf dieser Grundlage hat das Landgericht einen Gesamtschaden in Höhe von über 170.000 Euro festgestellt.
Die Schadensberechnung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Schuldsprüche.
1. Unter Beachtung des - nach Erlass der angefochtenen Entscheidung ergangenen - Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 2011 (NJW 2012, 907 ff.) bedarf es im Falle der Annahme eines Eingehungsbetrugs einer ausreichenden Beschreibung und Bezifferung der täuschungsbedingten Vermögensschäden. Da speziell beim Eingehungsbetrug die Schadenshöhe entscheidend von der Wahrscheinlichkeit und vom Risiko eines zukünftigen Verlusts abhängt, setzt die Bestimmung eines Mindestschadens voraus, dass die Verlustwahrscheinlichkeit tragfähig eingeschätzt wird (BVerfG aaO, 915 ff.). Hierbei können die banküblichen Bewertungsansätze für Wertberichtigungen Anwendung finden (vgl. § 253 Abs. 4; § 340f HGB). Denn ist aufgrund der fehlenden Bonität des Schuldners und nicht ausreichender Sicherheiten konkret erkennbar, dass mit einem teilweisen Forderungsausfall zu rechnen ist, müssen entsprechende bilanzielle Korrekturen vorgenommen werden, die ihrerseits - ungeachtet der praktischen Schwierigkeiten ihrer Ermittlung - auch im Rahmen der Schadensberechnung zugrunde gelegt werden können (vgl. auch BVerfGE 126, 170, 226 ff.).
2. Diesen Maßstäben wird das landgerichtliche Urteil nicht gerecht, wenn es die Schadensbezifferung allein auf die Differenz zwischen Kredithöhe und tatsächlichem Kaufpreis (als von ihm angenommenen maximalen Verkehrswert) stützt. Wie die Strafkammer im Ansatz richtig erkannt hat, ist die Darlehensgewährung ein Risikogeschäft. Der im Sinne des § 263 StGB relevante Vermögensschaden liegt deshalb bei diesen Fallgestaltungen immer in der Bewertung des täuschungsbedingten Risikoungleichgewichts (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - 5 StR 508/02, StV 2003, 446; vgl. auch BGH, Urteil vom 15. Dezember 2006 - 5 StR 181/06, BGHSt 51, 165, 174 f.). Für dessen Berechnung ist maßgeblich, ob und in welchem Umfang die das Darlehen ausreichende Bank ein höheres Ausfallrisiko trifft, als es bestanden hätte, wenn die risikobestimmenden Faktoren zutreffend gewesen wären. Dann verschiebt sich zu ihren Lasten der synallagmatische Zusammenhang.
So hätte die kreditgewährende Bank in Kenntnis dieser Umstände die von ihr verlangte Gegenleistung, die Zinshöhe des Darlehens, entsprechend angepasst oder weitergehende Sicherheiten verlangt. Nur in diesem Zusammenhang sind die bestellten Sicherheiten hier von Bedeutung. Deshalb hat die Rechtsprechung schon immer einen Vermögensschaden dann verneint, wenn der Rückzahlungsanspruch aufgrund der Vermögenslage des Darlehensnehmers oder sonstiger Umstände, die den Gläubiger vor einem Verlust seines Geldes schützen, wirtschaftlich gesichert ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2009 - 3 StR 475/08, wistra 2009, 350; vom 12. Juni 2001 - 4 StR 402/00, StV 2002, 133).
Die Schadensfeststellung hätte deshalb - naheliegend mit sachverständiger Beratung - bei einem solchen Sachverhalt in einem Vergleich und einer bilanziellen Bewertung der von der Bank zugrunde gelegten Vertragsgestaltung - im Gegensatz zu der tatsächlich durchgeführten - bestehen müssen. Die Verlustwahrscheinlichkeiten dürfen allerdings nicht so diffus sein oder sich in so geringen Bereichen bewegen, dass der Eintritt eines realen Schadens letztlich ungewiss bleibt (vgl. BVerfGE 126, 170, 229; BVerfG NJW 2012, 907, 916). Im Rahmen der wirtschaftlichen Bewertung des täuschungsbedingt veränderten Kreditrisikos kann auch dem Umstand Gewicht zukommen, dass die LBS als kreditgewährende Bank der Ermittlung der Verkehrswerte der einzelnen Grundstücke wohl keinen wesentlichen Stellenwert beigemessen hat, weil sie die Beleihungsgrenze nur im Wege von prozentualen Abschlägen bestimmt hat, deren Höhe ersichtlich im Belieben des jeweiligen Kreditsachbearbeiters gestanden hat.
Dieser Mangel führt zur Aufhebung des Schuldspruchs in sämtlichen Fällen, weil der Senat in keinem Fall mit letzter Sicherheit auszuschließen vermag, dass sich gar kein ansatzfähiger Vermögensschaden ergibt. Bestehen bleiben können jedoch - wobei insoweit ergänzende, den bisher getroffenen nicht widersprechende Feststellungen zulässig sind - die Feststellungen zu den äußeren Umständen der Kreditgewährungen wie auch zu den Beziehungen der Beteiligten untereinander, weil sie von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler nicht berührt sind. Gleichfalls aufrechterhalten werden die Feststellungen zur subjektiven Tatseite beim Angeklagten G. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht aus dem Umstand, dass er von Verkäuferseite eingereichte Schecks entgegengenommen hat - die er später zurückgeschickt hat -, rechtsfehlerfrei auf den Gehilfenvorsatz dieses Angeklagten geschlossen. Die hierzu vorgebrachten Einwände der Revision sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Für das neue tatrichterliche Verfahren weist der Senat - sollte es erneut zu Schuldsprüchen kommen - im Hinblick auf die vom Landgericht festgestellte Verfahrensverzögerung auf Folgendes hin: Bei der Bemessung der Höhe der im Wege der Anrechnung auf die vollstreckte Strafe vorzunehmenden Kompensation sind in einer einzelfallbezogenen Abwägung der Umfang der staatlicherseits zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die konkreten Auswirkungen auf die Angeklagten zu würdigen. Auf die Höhe der verwirkten Strafe kommt es dabei grundsätzlich nicht an (BGH, Beschluss vom 30. September 2010 - 5 StR 259/10, wistra 2011, 22; Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135, 138). Es ist deshalb grundsätzlich bedenklich, die Kompensation mit einem Sechstel der verhängten Strafe zu begründen. Im neuen tatgerichtlichen Verfahren wird in diesem Zusammenhang zudem weiter aufzuklären sein, warum die Verfahrensakten erst knapp 15 Monate nach Urteilsverkündung beim Generalbundesanwalt eingegangen sind.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 515
Externe Fundstellen: NJW 2012, 2370; NStZ 2012, 698
Bearbeiter: Christian Becker