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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 14

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 328/11, Urteil v. 09.11.2011, HRRS 2012 Nr. 14


BGH 5 StR 328/11 - Urteil vom 9. November 2011 (LG Berlin)

Überzeugungsbildung; lückenhafte Beweiswürdigung; Notwehr (Überschreiten der Grenzen; extensiver Notwehrexzess; Würgen; Erdrosseln; nahezu fehlender Verteidigungswillen); Rücktritt vom Versuch (unbeendeter Versuch; Aufgeben; Verhinderung der Rettung des Opfers); Tateinheit (verschiedene Angriffsmittel auf dasselbe Rechtsgut; einheitlicher Angriffswille; einheitlicher Entschluss).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 3 StPO; § 32 StGB; § 33 StGB; § 24 Abs. 1 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden oder die Annahme der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes nicht auszuschließen vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts.

2. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt.

3. Die Tötung eines Menschen durch Erwürgen oder Erdrosseln ist in aller Regel nicht als Notwehrhandlung gerechtfertigt, selbst wenn vom Opfer zunächst ein Angriff ausging, aus dem eine Notwehrlage resultierte. Denn beim Würgen oder Erdrosseln verstreicht bis zum Todeseintritt in der Regel ein ganz erheblicher Zeitraum der Gewaltanwendung. Vor Eintritt des Todes kommt es zu körperlichen Reaktionen des gewürgten Opfers, die eine Verminderung der Handlungsfähigkeit bewirken. Damit ist der frühere Angriff auf den nunmehr in Notwehr Würgenden durch fortschreitende Anzeichen der Ermattung des (ehemaligen) Angreifers regelmäßig als sicher beendet zu erkennen.

4. Ein trotz erkennbarer Ermattung des ursprünglichen Angreifers fortgesetztes, zum Tode führendes Würgen bzw. Drosseln ist regelmäßig als ein Überschreiten der gebotenen Notwehr in zeitlicher Hinsicht (nachzeitiger extensiver Notwehrexzess) zu qualifizieren. Damit kann der Täter allenfalls unter den Voraussetzungen des § 33 StGB ohne Schuld gehandelt haben. Er ist jedoch nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt.

5. Wer die baldige Rettung des von ihm verletzten, stark blutenden Opfers durch Freiheitsberaubung zu verhindern sucht, gibt die weitere Ausführung eines Tötungsversuchs in aller Regel gar nicht auf, auch wenn er auf weitere unmittelbare Verletzungshandlungen verzichtet.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat vom 7. Juni 2009 freigesprochen worden ist, ferner, soweit der Angeklagte wegen Unterschlagung verurteilt worden ist, und im Gesamtstrafausspruch.

2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das genannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat vom 20. Juni 2009 verurteilt worden ist; davon ausgenommen bleiben die Feststellungen zu den objektiven Umständen des Tatkerngeschehens (vom Würgen des Angeklagten bis zur Rettung des Nebenklägers); diese bleiben aufrecht erhalten.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Jugendlichen, mit (zweifacher) gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung (Tat vom 20. Juni 2009 zum Nachteil des Nebenklägers W.; Einsatzstrafe: acht Jahre sechs Monate Freiheitsstrafe), ferner wegen Unterschlagung und wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und hat ihn im Übrigen freigesprochen; dem Nebenkläger W. hat es im Adhäsionsverfahren einen Schmerzensgeld- und Feststellungsanspruch zugesprochen.

Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision gegen den Teilfreispruch, der die Tötung des Ba. am 7. Juni 2009 betrifft. Ferner wendet sich die Staatsanwaltschaft - wie auch der Nebenkläger W. mit seiner Revision - gegen den Schuldspruch wegen des Tatgeschehens vom 20. Juni 2009. Die Beschwerdeführer beanstanden insbesondere, das Landgericht habe dem Angeklagten zu Unrecht einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Totschlags - nach Auffassung des Nebenklägers bei richtiger Bewertung der Konkurrenzen vom versuchten Verdeckungsmord - zugebilligt. Auch die Staatsanwaltschaft beanstandet - namentlich im Blick auf die von ihr weiter erstrebte Verhängung der Maßregel der Sicherungsverwahrung - die fehlerhafte Annahme von Tateinheit für diesen Tatkomplex. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Zur Person des Angeklagten:

Der in desolaten Familienverhältnissen aufgewachsene Angeklagte beging seit 1993 Straftaten, vornehmlich Gewaltdelikte (Raub- und Körperverletzungstaten), und verbüßte bis 2004 mehrere Jugend- und Freiheitsstrafen. Später folgten eine kürzere gefahrenabwehrrechtliche Unterbringung in der Psychiatrie, Untersuchungshaft wegen des Verdachts der Brandstiftung und eine Drogenentzugstherapie. Im Jahr 2009 trank der Angeklagte jedoch wieder regelmäßig Alkohol; er nahm eine schon früher ausgeübte Prostitutionstätigkeit im homosexuellen Milieu wieder auf.

Der körperlich gesunde Angeklagte "ist sehr leicht kränkbar, fühlt sich schnell benachteiligt und von anderen Menschen zurückgestoßen. Dies führt häufig dazu, dass unverarbeitete Erfahrungen aus der Vergangenheit in ihm hochkommen und er sich durch unkontrollierte Handlungen Erleichterung verschafft. Er ist stark zuwendungsbedürftig und neigt dazu, in krisenhaften Situationen mit Selbstmord zu drohen, um Hilfe zu erzwingen" (UA S. 19). Diagnostisch besteht bei ihm eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, ferner eine neurotischdepressive Störung, ein beginnendes Abhängigkeitssyndrom vom Alkohol sowie eine leichte Intelligenzminderung.

b) Zur Tat vom 7. Juni 2009 (Tötung von Ba.):

aa) Der Angeklagte traf gegen 1.30 Uhr auf der Suche nach einem Freier in einem Lokal auf den 63-jährigen Beamten Ba., der seit 2002 homosexuelle Kontakte pflegte. Dabei fiel dieser durch "extreme Anhänglichkeit" auf, konnte unter Alkoholeinfluss verbal aggressiv werden und geriet gelegentlich auch in gewalttätige Auseinandersetzungen (UA S. 51, 24). Der bereits alkoholisierte Ba. spendierte dem Angeklagten ein Bier und einige Jägermeister und verpflichtete sich, dem Angeklagten für "Küssen und Oralsex" 70 € zu zahlen (UA S. 24). Beide fuhren in die Wohnung des Angeklagten.

bb) Aufgrund der als unwiderlegbar bewerteten Angaben des Angeklagten hat das Landgericht folgendes Tatgeschehen angenommen und dieses als durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt angesehen:

In seiner Wohnung geriet der Angeklagte mit Ba. in Streit, da dieser sich entgegen üblichen Gepflogenheiten weigerte, vor den sofort verlangten sexuellen Handlungen das vereinbarte Geld zu bezahlen. Nach verbalen Auseinandersetzungen wollte der bereits weitgehend entkleidete Ba. den Angeklagten anfassen. Als dieser zurückwich, begann Ba., ihn zu schubsen. Der Angeklagte wehrte sich erfolgreich. Nach einigen wechselseitigen Schlägen packte Ba. den Angeklagten mit beiden Händen am Hals. Der Angeklagte griff seinerseits Ba. an den Hals, damit dieser ihn losließ. Ba. warf sodann zunächst mit einer Pflanze nach dem Angeklagten, packte ihn sodann erneut am Hals und drückte so kräftig zu, dass der Angeklagte keine Luft mehr bekam, großen Druck im Kopf verspürte und das Gefühl hatte, Ba. werde ihn umbringen. Als es ihm nicht gelang, dessen Griff zu lockern, griff er seinerseits Ba. mit beiden Händen an den Hals, wobei beide Daumen an dessen Kehlkopf lagen. Er wollte sein eigenes Leben retten, erkannte, dass er dadurch möglicherweise Ba. würde töten müssen, und drückte nun so lange kräftig zu, bis der Griff von Ba. an seinem Hals lockerer wurde. In diesem Moment beendete der Angeklagte das Würgen und stieß Ba. mit aller Kraft nach hinten, der daraufhin schräg auf das Bett fiel, wo er tot liegen blieb. Der Angeklagte verließ anschließend seine Wohnung.

cc) Am 8. Juni 2009 kehrte er alkoholisiert zurück. Er entnahm dem Portemonnaie des Ba. etwas Bargeld, ferner nahm er ein Armband und eine Halskette des Toten an sich. Aufgrund dieser vom Angeklagten im Wesentlichen eingestandenen Feststellungen ist er wegen Unterschlagung schuldig gesprochen worden.

Den Leichnam legte er in einen Bettbezug, schleppte ihn zum Kleiderschrank und verstaute ihn dort. Die Leiche wurde durch die wegen Verwesungsgeruchs alarmierte Polizei am Morgen des 20. Juni 2009 in der Wohnung des Angeklagten entdeckt.

c) Zur Tat vom 20. Juni 2009 (Tat zum Nachteil des Nebenklägers J. W.):

aa) Der Angeklagte traf nach mehreren Gaststättenbesuchen gegen 4.30 Uhr auf die ihm bekannte C. W., die Mutter des damals 14 Jahre alten J. W. Nach weiterem Alkoholgenuss kam es zum Streit des Angeklagten mit seinem Zwillingsbruder, für dessen Schlichtung die Polizei herbeigerufen wurde. Bis 7 Uhr tätigte der Angeklagte vier Notrufe, in denen er von Suizid sprach. Er beschloss nunmehr, sich in der Wohnung der abwesenden C. W. schlafen zu legen. Er stieg über ein angelehntes Fenster in die Wohnung ein und traf auf den dort schlafenden J. Der Angeklagte, der den Schlafenden in dem abgedunkelten Raum zunächst für einen der zahlreichen afrikanischen Drogenhändler hielt, die bei der betäubungsmittelabhängigen C. W. ständig zu Besuch waren, empfand Wut auf C. W., die er, gepaart mit Rachegedanken und Verzweiflung, an dem schlafenden J. ausließ.

Er legte dem Jungen die Hände um den Hals und drückte einige Sekunden kräftig zu. J. wurde wach und konnte den Griff des Angeklagten etwas lockern. Der Angeklagte ließ von dem Jungen zunächst ab und sagte, dass ihm die Sache leid tue. Er hegte aber weiter Rache- sowie Zerstörungsgefühle und nahm J. das Handy ab, um zu verhindern, dass dieser damit Hilfe hole. Der Junge kühlte die roten Stellen seines Halses im Bad mit Wasser. Der Angeklagte folgte ihm anschließend wieder zu seinem Schlafplatz und fasste ihm ans Gesäß. Er brachte J. durch eine Drohung dazu, sich wieder hinzulegen, und vollzog an ihm zweifach den - als lang und schmerzhaft empfundenen - Analverkehr, unterbrochen von gegenseitigem Oralverkehr. Schließlich führte der Angeklagte eine Getränkeflasche aus Plastik in den Anus von J. ein. Nach weiteren sexuellen Zudringlichkeiten, bei denen sich der Junge auf Geheiß des Angeklagten die Augen verbinden musste, stach ihm der Angeklagte unvermittelt mit einem aus der Wohnung stammenden Küchenmesser (20 cm Klingenlänge) in den Hals.

Die Stichwunde war 3 bis 4 cm lang, der Stichkanal hatte eine Tiefe von 7 cm, verlief in unmittelbarer Nähe zur Halsschlagader und verletzte den rechten Schilddrüsenlappen.

J. nahm die Augenbinde ab. Der Angeklagte untersagte dem Jungen, sich zu duschen, gab ihm ein Kissen und forderte ihn auf, sich auf den Bauch zu legen, liegen zu bleiben und das Kissen gegen die Wunde zu drücken. Er äußerte einerseits, er werde im Wohnungsflur auf J.s Mutter warten und diese dann umbringen, andererseits trug er J. auf, seiner Mutter nach deren Rückkehr auszurichten, dass "Ja." dagewesen sei. Schließlich verließ er die Wohnung. J., der das nicht bemerkt hatte, wagte erst zehn Minuten nach dem Stich die Flucht, drückte mit einer Hand ein T-Shirt auf seine Wunde, sprang nackt aus dem Fenster und fand Schutz in einem nahegelegenen Kiosk. Die - ohne ärztliche Versorgung - potentiell lebensbedrohliche Stichverletzung wurde notoperiert (UA S. 39). Auch aufgrund des kräftigen Würgens, das Würgemale und Stauungsblutungen verursacht hatte, bestand potentielle Lebensgefahr.

bb) Diese Feststellungen zum Tatkerngeschehen hat das Landgericht auf die glaubhafte Aussage des Nebenklägers und ärztliche Gutachten gestützt. Dass der Angeklagte - vor dem ersten Würgen - geglaubt habe, angegriffen zu werden, und dass er J. nicht habe töten wollen, hat die Schwurgerichtskammer als widerlegt angesehen.

Hingegen hat das Landgericht einen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch für unwiderlegbar erachtet. Es hat dem Angeklagten abgenommen, er habe geglaubt, J. sei nicht schlimm verletzt gewesen, und sei zudem beim Verlassen der Wohnung davon ausgegangen, dass der Junge alsbald die Polizei rufen und so auch ärztliche Hilfe erhalten werde.

2. Die gegen den Freispruch wegen der Tötung des Ba. gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden oder die Annahme der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes nicht auszuschließen vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928, insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt, und vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401). Solche Rechtsfehler liegen hier vor.

a) Insbesondere beruht die allein der Einlassung des Angeklagten folgende, angesichts der gesamten festgestellten Begleitumstände letztlich nahezu lebensfremd anmutende Annahme des Landgerichts, das Opfer habe den Angeklagten seinerseits durch heftiges Würgen zur Notwehr durch Erwürgen veranlasst, in mehrfacher Hinsicht auf lückenhaft gebliebenen Erwägungen.

aa) Die Schwurgerichtskammer hat es schon unterlassen, die sich aus den persönlichen Umständen des Getöteten ergebende Interessenlage in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 4. Dezember 2007 - 5 StR 324/07, StV 2008, 182, 184, und vom 29. April 2010 - 5 StR 18/10, BGHSt 55, 121, 137). Das erheblich ältere Opfer erstrebte die Vornahme homosexueller Handlungen durch den Angeklagten. Sein Ziel wäre indes durch die vom Landgericht angenommenen, sogar mehrfachen körperlichen Angriffe auf den Angeklagten offensichtlich unerreichbar geworden. Die Annahme derartiger Gewalt stand zudem im Widerspruch zu der festgestellten - wenn auch übersteigerten, homosexuell geprägten - Anhänglichkeit des Opfers gegenüber jüngeren Männern.

bb) Das Landgericht hat ferner eine aus festgestellten Umständen sich aufdrängende Neigung des Angeklagten zur Vornahme willkürlicher Würgeangriffe aus Wut nicht konkret erwogen (vgl. BGH NStZ 2009 aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. September 2006 - 5 StR 140/06, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 16). Unter den zahlreichen Gewalthandlungen des Angeklagten, die Gegenstand seiner Vorverurteilungen waren, finden sich - neben einer Vielzahl wutbedingter Angriffe gegen Kopf und Gesicht der Opfer - Würgeangriffe vom 20. Juni 1994 (UA S. 9) und vom 14. Februar 2003 (UA S. 16). Daneben hat sich das Landgericht - unter Überwindung der Einlassung des Angeklagten - selbst davon überzeugt, dass der Angeklagte 13 Tage nach der Tötung von Ba. aus Wut, Rache und Verzweiflung den Nebenkläger J. W. lebensgefährlich gewürgt hat. Die Indizwirkung dieser drei bewiesenen Taten hätte, um die erhobenen Beweise erschöpfend zu würdigen, mit in die wertende Betrachtung einbezogen werden müssen (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 2002 - 5 StR 566/01, wistra 2002, 260, und vom 22. August 2002 - 5 StR 240/02, NStZRR 2002, 338). Hinzu kommt, dass das widerlegte Verteidigungsvorbringen des Angeklagten im Fall W. zu einer vermeintlichen Notwehrlage mit zu bedenken gewesen wäre.

cc) Soweit das Landgericht (UA S. 48 und 49) Angaben des Angeklagten hinsichtlich seines Nachtatverhaltens (Telefongespräche, Erbrechen, Verschenken der Schmuckstücke, übermäßiger Alkoholgenuss) durch Zeugenaussagen bestätigt sieht und dieses ersichtlich als Stütze der Einlassung zum Tatkerngeschehen heranzieht, ist dies durchgreifend bedenklich. Das durch Außenumstände erwiesene Verhalten des Angeklagten steht in keinem Wertungszusammenhang mit der zu prüfenden Frage, ob eine Notwehrlage bestanden hat. Dagegen steht - wenn auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Persönlichkeit des Angeklagten - das bewiesene, eher notwehruntypische Nachtatverhalten der Verwahrung der Leiche bis zur zwangsläufigen Entdeckung durch sich verbreitenden Verwesungsgeruch.

b) Abgesehen davon beruht auch die Wertung des Landgerichts, die - angenommene - Verteidigungshandlung des Angeklagten sei erforderlich gewesen (§ 32 Abs. 2 StGB), auf lückenhaft gebliebenen Erwägungen.

aa) Die Schwurgerichtskammer hat die Fähigkeiten der Kontrahenten zur Vornahme von Angriffs- und Verteidigungshandlungen nicht - was geboten gewesen wäre (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 32 Rn. 30 mwN) - konkret bewertet und ist lediglich zu der eher vagen Annahme gelangt, dass der Angeklagte "kaum" in der Lage gewesen wäre, den Angriff auf mildere Weise zu beenden (UA S. 67). Dabei hat es nicht bedacht, dass ihm das bei einem ersten gleichartigen Angriff nach seiner eigenen Einlassung ohne Weiteres gelungen war.

bb) Daneben hat das Landgericht mit der Tötungshandlung zusammenhängendes medizinisches Erfahrungswissen nicht in seine Bewertung einbezogen (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401). Solches wäre geeignet gewesen, die angenommene Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung - Würgen bis zur Beendigung des Angriffs, damit auch bis zum Todeseintritt (UA S. 26) - grundlegend in Frage zu stellen.

Bei Würgen oder Erdrosseln als Tötungshandlung verstreicht bis zum Erfolgseintritt in der Regel ein ganz erheblicher Zeitraum der Gewaltanwendung, wie auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Fällen problematischer Begründung des Tötungsvorsatzes zu entnehmen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juli 1996 - 4 StR 275/96, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 48; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2003 - 5 StR 458/03, BGHR aaO Vorsatz, bedingter 57; vgl. ferner Eisen, Handwörterbuch der Rechtsmedizin, Bd. 1, 1973, S. 213, 217). Vor Eintritt des Todes kommt es jedenfalls zu körperlichen Reaktionen des gewürgten Opfers, die eine Verminderung von dessen Handlungsfähigkeit bewirken (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juni 1992 - 4 StR 308/92, BGHR aaO Vorsatz bedingter 30; Eisen 24 25 26 27 aaO S. 213) und hierdurch einen Angriff auf den in Notwehr Würgenden durch fortschreitende äußere Anzeichen der Ermattung des Angreifers als sicher beendet und ein noch längeres Würgen als zweckverfehlend erscheinen lassen. Hiernach hätte das Landgericht auch bei Prüfung der erforderlichen Verteidigung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB eine mit der angriffsbeendenden Würgehandlung des Angeklagten einhergehende, den Tod des Angreifers indes vermeidende Handlungsalternative erwägen müssen.

Ausgehend hiervon wäre die vom Landgericht fehlerfrei festgestellte Todesverursachung durch Erwürgen unter Beschädigung der Schildknorpel des Opfers, was jedenfalls zum Tod führen musste (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 1994 - 4 StR 267/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 40), als ein Überschreiten der gebotenen Notwehr zu qualifizieren und allenfalls unter die Voraussetzungen des § 33 StGB zu subsumieren gewesen.

c) Die Tat bedarf demnach umfassend neuer Aufklärung und Bewertung. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Annahme von Notwehr auch bei völlig zurücktretendem Verteidigungswillen ausgeschlossen sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 1991 - 2 StR 360/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1). Ferner müsste auch der festgestellten Wahrnehmung mehrerer Zeugen, die allesamt Würgemale des Angeklagten nicht zur Kenntnis genommen haben, mehr Aufmerksamkeit als bisher (UA S. 46) gewidmet werden. Soweit - bisher im Einzelnen nicht dargelegte und erwogene - Mitteilungen des Angeklagten gegenüber Dritten über das Vorliegen einer Notwehrlage zu würdigen wären (vgl. UA S. 38), könnten diese im Grundsatz - ähnlich einem von einem Verdächtigen selbst bekundeten Alibi (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 5 StR 259/11) - kaum Bedeutung für eine Bestätigung der Notwehreinlassung haben.

Die Aufhebung auf Revision der Staatsanwaltschaft muss auch den Schuldspruch wegen Unterschlagung erfassen. Die tatnahe Ansichnahme von Wertgegenständen des Getöteten steht mit dem zu prüfenden Tötungsverbrechen in untrennbarem Zusammenhang. Die Prüfung eines daraus resultierenden - eventuell auch nur mitbestimmenden - Tötungsmotivs ist unerlässlich. Im Zweifel kommt bei Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung ohne nachgewiesenen Raubmord Tateinheit zwischen Totschlag und Unterschlagung in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 1987 - 4 StR 400/87, BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 4).

3. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers ist der Schuldspruch hinsichtlich der Tat vom 20. Juni 2009 zum Nachteil des Nebenklägers W. ebenfalls aufzuheben.

a) Das Landgericht hat dem Angeklagten mit durchgreifend bedenklichen Erwägungen einen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch zugebilligt. Es hat die - in der Hauptverhandlung vom Angeklagten vorgetragenen - Einschätzungen hinsichtlich der Schwere und der weiteren Entwicklung der Verletzungen des Nebenklägers seiner Entscheidung ohne weiteres zugrunde gelegt. Solches stößt hier schon im Ansatz auf mehrere Bedenken.

aa) Der Angeklagte hat wesentliche Einzelheiten des ihn stark belastenden Tatgeschehens nicht aus eigener Erinnerung bestätigt. Dieser Umstand hätte bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit der bekundeten günstigen, für den Rücktrittshorizont als maßgeblich betrachteten Vorstellungen kritischer Prüfung dergestalt bedurft, warum vom Angeklagten lediglich ihn Begünstigendes, aber nicht Belastendes erinnert wird.

Daneben lässt die Würdigung der Einlassung nicht erkennen, dass sich die Schwurgerichtskammer in jeder Beziehung des schuldmindernden Charakters der Angaben des Angeklagten bewusst war. Das Landgericht hat wesentliche Angaben des Angeklagten zutreffend als widerlegt angesehen, nämlich dass er sich angegriffen glaubte und dass er J. W. nicht töten wollte. Die so vollzogene Bewertung zentralen Verteidigungsvorbringens als Schutzbehauptung hätte es indes erfordert, auch bei der Würdigung weiterer vom Angeklagten vorgetragener Umstände deren Charakter als kritisch zu betrachtendes Verteidigungsvorbringen zu beachten. Erst danach hätte von dessen partieller Glaubhaftigkeit - wie es das Landgericht indes durchgehend wie selbstverständlich getan hat - ausgegangen werden dürfen (BGH, Urteil vom 8. April 2009 - 5 StR 65/09, NStZ-RR 2009, 290 mwN; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2009 - 5 StR 182/09).

bb) Daneben sind die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es auf der Grundlage der Einlassungen des Angeklagten den Rücktritt bejaht hat, zum Teil widersprüchlich und lückenhaft, und zwar selbst bei der hier wegen der Wahrnehmung der "stark blutenden Wunde" am Hals durch den Angeklagten eher fernliegenden Anerkennung eines Rücktritts vom unbeendeten Versuch. Die Einlassungen sind auch nicht der gebotenen Gesamtwürdigung unterzogen worden (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2005 - 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 85).

Die von der Schwurgerichtskammer gebilligte Erwartung des Angeklagten, dass der Nebenkläger nach dem Verlassen der Wohnung durch den Angeklagten die Polizei rufen würde, setzt sich nicht mit der dem widersprechenden Feststellung auseinander, dass der Angeklagte das Mobiltelefon des J. W. an sich genommen hatte, um zu verhindern, dass dieser damit Hilfe hole (UA S. 33).

Nicht in die Erwägungen einbezogen worden ist der gegen die Möglichkeit der Selbstrettung und für die - freilich bisher nicht begründete (UA S. 70) - Annahme des Vorsatzes der Freiheitsberaubung sprechende Umstand, dass der Angeklagte durch wiederholte Kontrolle des auf der Matratze liegenden blutenden Nebenklägers und durch die Ankündigung, im Flur auf dessen Mutter zu warten und diese umzubringen, ein Fluchthindernis und hierdurch eine Erhöhung der Gefahr für das Leben des Nebenklägers geschaffen hat. Wer - wie der Angeklagte - die baldige Rettung des von ihm verletzten, stark blutenden Opfers durch Freiheitsberaubung zu verhindern sucht, gibt die weitere Tatausführung naheliegend gar nicht auf. Der von § 24 Abs. 1 Satz 1 (erste Alternative) StGB honorierte Verzicht auf ein mögliches Weiterhandeln (vgl. BGH [GS], Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 231) wird dem Angeklagten nicht zugute gebracht werden können, weil er einen Erfolgseintritt zusätzlich durch Einwirkung auf sein - quasi als Tatmittler eingesetztes - Opfer weiter gefördert hat.

b) Nicht unbedenklich ist zudem die Annahme von Tateinheit in Gestalt einer natürlichen Handlungseinheit hinsichtlich des Würgevorgangs und des Messerangriffs. Diese Handlungen sind nach den getroffenen Feststellungen nicht durch eine notwendige einheitliche fortwirkende Gewaltanwendung verbunden (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2007 - 4 StR 572/06, NStZ-RR 2007, 235). Soweit das Landgericht für den erforderlichen einheitlichen Tatwillen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 1962 - 1 StR 524/61, BGHSt 16, 397, 398) auf das Vorliegen einer einzigen Macht- und Rachedemonstration sowie Demütigung (UA S. 70) abstellt, bestehen Bedenken gegen eine durch Tatsachen gestützte Schlussfolgerung. Der Angeklagte hat eigene Erklärungen lediglich zu seinen Rücktrittsvorstellungen abgegeben. Die aus der Aussage des Nebenklägers und aus weiteren Beweismitteln gewonnenen Feststellungen zum Tatkerngeschehen belegen vielmehr eher mehrere willensgetragene Handlungsabschnitte nach separaten Entschließungen des Angeklagten. Hierdurch hat sich das Landgericht auch unzutreffenderweise gehindert gesehen, den festgestellten Sachverhalt in der letzten Geschehensphase, wie aus Sicht der Revision des Nebenklägers angezeigt und auch ursprünglich angeklagt, als versuchten Verdeckungsmord zu würdigen.

c) Im Hinblick auf die vom Landgericht angenommene Tateinheit nötigt schon die fehlerhafte Annahme eines Rücktritts vom Totschlagsversuch zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, NJW 2011, 2895, 2897 mwN).

Im Übrigen begegnet angesichts des Mangels in der Behandlung der Konkurrenzen auch die Verurteilung wegen der Qualifikation einer besonders schweren Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 4 Nr. 1, 2 lit. a und b StGB Bedenken (vgl. § 301 StPO). Die Feststellungen belegen nicht zweifelsfrei, dass das Messer bei der zur Vergewaltigung führenden Nötigung oder bei dem sexuellen Geschehen eingesetzt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, BGHSt 46, 225, 229). Das Messer wurde mit bedingtem Tötungsvorsatz zur Herbeiführung einer Verletzung verwendet. Dies geschah nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den früher vollzogenen sexuellen Handlungen.

d) Das Tatgeschehen vom 20. Juni 2009 bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Allerdings können die Feststellungen zum objektiven Tatkerngeschehen - vom Würgen des Angeklagten bis zur Rettung des Nebenklägers - aufrechterhalten bleiben. Diese sind von den Mängeln der Würdigung der Einlassung des Angeklagten und den weiteren Rechtsfehlern unbeeinflusst.

Demnach wird das neu berufene Tatgericht in erster Linie - ausgehend von den feststehenden objektiven Tatumständen und den Einlassungen des Angeklagten - sämtliche subjektiven Rücktrittsvoraussetzungen einschließlich der für die gebotene Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch notwendigen (vgl. BGH, Urteile vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 300, und vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 305 f. sowie BGH [GS], Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 231 f.) neu festzustellen und zu bewerten haben, aber auch zum Tötungsvorsatz, zu den Konkurrenzen und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten neu zu befinden haben.

4. Bestehen bleiben der nicht angefochtene Schuldspruch wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zum Nachteil des Zeugen Sch. und der weitere nicht angefochtene Teilfreispruch. Die Aufhebung der verbleibenden Schuldsprüche zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich (vgl. zur Adhäsionsentscheidung BGH, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96).

Sollten die neuen Schuldsprüche eine Prüfung der Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB a. F. veranlassen, verweist der Senat auf die wegen des anzuwendenden Übergangsrechts zu beachtenden Beschränkungen (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 5 StR 189/11; ferner Urteile vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11 und - 5 StR 192/11 - sowie vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11).

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 14

Externe Fundstellen: NStZ 2012, 206; NStZ-RR 2012, 84

Bearbeiter: Ulf Buermeyer