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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 406

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 501/10, Beschluss v. 08.02.2011, HRRS 2011 Nr. 406


BGH 5 StR 501/10 - Beschluss vom 8. Februar 2011 (LG Dresden)

Begründung der Verfahrensrüge; Protokollverlesung; Vernehmung eines Zeugen (Gliederung der Zeugenvernehmung in Themenkomplexe); Zwischenrechtsbehelf.

§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 69 StPO; § 253 StPO; § 238 Abs. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Im Sinne bestmöglicher Wahrheitsermittlung ist ein Zeuge zunächst zu veranlassen, im Zusammenhang anzugeben, was ihm von dem Gegenstand seiner Vernehmung bekannt ist (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StPO). Erst daran anschließend ist er zu vernehmen (§ 69 Abs. 2 StPO).

2. Diese Vorgaben verbieten es aber nicht, die Zeugenvernehmung im Interesse des Zeugen sowie einer zügigen Verfahrensführung angemessen zu strukturieren, namentlich komplexen Verfahrensstoff in einzelne Abschnitte zu gliedern. Umfasst eine Anklageschrift mehrere Taten im prozessualen oder materiellrechtlichen Sinne und damit naheliegenderweise verschiedene Beweisthemen im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StPO, so ist eine daran orientierte Vernehmungsgestaltung regelmäßig sogar geboten. Der Zeuge hat dann sein Wissen jeweils für das einzelne Beweisthema im Zusammenhang vorzutragen.

3. Kann ein Zeuge sich nach einer vollständigen, auch unter Einsatz von Vorhalten durchgeführten Vernehmung an einzelne Tatsachen nicht erinnern, so begründet eine daran anknüpfende Protokollverlesung einen Verstoß gegen § 253 Abs. 1 StPO grundsätzlich auch dann nicht, wenn anschließend die Vernehmung - bezogen auf weitere Beweisthemen - fortgeführt wird.

4. Vor diesem Hintergrund ist Voraussetzung einer zulässigen Verfahrensrüge, die eine Verletzung des § 253 Abs. 1 StPO geltend machen will, auch der Vortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), ob und in welcher Weise die Vernehmung durch die Strafkammer gegliedert wurde. Anderenfalls ist dem Revisionsgericht eine Überprüfung verschlossen, ob das Erfordernis einer der Verlesung vorangehenden vollständigen Zeugenvernehmung durch das Tatgericht erfüllt worden war.

5. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob der Revisionsführer zum Erhalt seiner Verfahrensrüge bei sämtlichen einzelnen Anordnungen nach § 253 Abs. 1 StPO vom Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch machen muss und ob auf einem etwaigen Verstoß mit dieser Zielrichtung ein Urteil überhaupt beruhen könnte.

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 5. Mai 2010 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts, die durch das weitere Revisionsvorbringen nicht entkräftet werden, bemerkt der Senat:

Die von dem Angeklagten beanstandeten Verletzungen des § 253 StPO sind nicht in zulässiger Weise ausgeführt. Die rügebegründenden Tatsachen werden jeweils durch den Beschwerdeführer nicht vollständig vorgetragen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Den Verfahrensbeanstandungen liegen vier durch den Vorsitzenden der Strafkammer nach § 253 Abs. 1 StPO angeordnete Verlesungen von Niederschriften über polizeiliche Zeugenvernehmungen zum Zwecke der Gedächtnisunterstützung zugrunde. Die Verlesungen erfolgten jeweils, nachdem die Zeugin T. erklärt hatte, sie könne sich auch auf Vorhalt nicht an einzelne ihrer Angaben im Rahmen früherer polizeilicher Vernehmungen erinnern. Ausweislich des Revisionsvortrags - und mangels staatsanwaltschaftlicher Gegenerklärung unwiderlegt - wurde die Zeugin nach jeder einzelnen Verlesung weiter vernommen und machte jeweils "weitere Angaben zur Sache". Der Beschwerdeführer erblickt in diesem sukzessiven Vorgehen der Strafkammer eine rechtsfehlerhafte Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch den Urkundenbeweis.

Im Grundsatz zutreffend hebt die Revision darauf ab, dass ein Zeuge vor Anordnung der Protokollverlesung nach § 253 Abs. 1 StPO vollständig, gegebenenfalls auch unter Einsatz von Vernehmungsbehelfen - die regelmäßig ausreichen werden - vernommen werden muss (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 1965 - 1 StR 4/65, BGHSt 20, 160, 162; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 253 Rn. 3; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 5. Aufl., S. 277 mN). Im Sinne bestmöglicher Wahrheitsermittlung ist der Zeuge dabei zu veranlassen, im Zusammenhang anzugeben, was ihm von dem Gegenstand seiner Vernehmung bekannt ist (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StPO); daran anschließend ist er zu vernehmen (§ 69 Abs. 2 StPO).

Diese Vorgaben verbieten es indes nicht, die Zeugenvernehmung im Interesse des Zeugen, aber auch einer zügigen Verfahrensführung angemessen zu strukturieren, namentlich komplexen Verfahrensstoff in einzelne Abschnitte zu gliedern (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 1965 - 4 StR 343/65, bei Dallinger MDR 1966, 25; E. Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozessordung und zum Gerichtsverfassungsgesetz Teil II, § 69 Rn. 4; zur Strukturierung der Sachvernehmung des Angeklagten vgl. KK-Schneider, StPO, 6. Aufl., § 243 Rn. 39). Umfasst eine Anklageschrift mehrere Taten im prozessualen oder materiellrechtlichen Sinne und damit naheliegenderweise verschiedene Beweisthemen im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. Rogall in SKStPO, 45. Lfg., § 69 Rn. 12), ist eine daran orientierte Vernehmungsgestaltung regelmäßig sogar geboten. Der Zeuge hat sein Wissen jeweils für das einzelne Beweisthema im Zusammenhang vorzutragen. Kann er sich dabei nach einer vollständigen auch unter Einsatz von Vorhalten durchgeführten Vernehmung an einzelne Tatsachen nicht erinnern, so begründet eine daran anknüpfende Protokollverlesung einen Verstoß gegen § 253 Abs. 1 StPO grundsätzlich auch dann nicht, wenn anschließend die Vernehmung bezogen auf weitere Beweisthemen fortgeführt wird. Daher ist zum Gegenstand einer zulässigen Verfahrensbeanstandung nach § 253 Abs. 1 StPO namentlich bei umfangreichen Anklagevorwürfen auch zu machen, ob und in welcher Weise die Vernehmung durch die Strafkammer gegliedert wurde. Anderenfalls ist dem Revisionsgericht eine Überprüfung verschlossen, ob das Erfordernis einer der Verlesung vorangehenden vollständigen Zeugenvernehmung durch das Tatgericht erfüllt worden war. Dazu verhält sich das Revisionsvorbringen hier nicht.

Der Senat kann mit Blick auf diesen Zulässigkeitsmangel es dahin stehen lassen, ob der Revisionsführer zum Erhalt seiner Verfahrensrüge bei sämtlichen einzelnen Anordnungen nach § 253 Abs. 1 StPO vom Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO hätte Gebrauch machen müssen (vgl. Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 253, Rn. 26) und ob auf einem etwaigen Verstoß mit der hier gegebenen Zielrichtung ein Urteil überhaupt beruhen könnte.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 406

Externe Fundstellen: NStZ 2011, 422

Bearbeiter: Ulf Buermeyer