HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 42
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 414/10, Beschluss v. 23.11.2010, HRRS 2011 Nr. 42
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 6. April 2010, soweit es diesen Angeklagten betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO
a) dahin ergänzt, dass der Angeklagte im Übrigen freigesprochen wird; insoweit hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen;
b) ferner mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zu den Tatgeschehen gemäß Ziffer II d und f der Urteilgründe, die bestehen bleiben; insoweit wird die weitergehende Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen Einschleusens von Ausländern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zur Entschädigung für überlange Verfahrensdauer hat es drei Monate der Freiheitsstrafe für vollstreckt er klärt. Die mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen weitgehenden Teilerfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts unternahm es der Angeklagte in den Jahren 2002 bis 2004, durch vier Einzelakte Scheinehen zwischen deutschen Staatsangehörigen und einer Weißrussin bzw. Schwarzafrikanerinnen zu vermitteln, um diesen einen Aufenthaltstitel in Deutschland zu verschaffen. Für die Eingehung der Ehen entlohnte er die deutschen Staatsangehörigen mit Geld oder Sachmitteln bzw. bot solche Entlohnungen an. Lediglich im Fall II b der Urteilsgründe kam es zur Eheschließung und - nach entsprechender Antragstellung durch die betroffene Frau - zur Erteilung eines Aufenthaltstitels. Hingegen wurden in den Fällen II d, f und h keine Ehen geschlossen, weil die Frauen ihre ursprünglich gefassten Absichten nicht weiter verfolgten (Fälle II d, f) bzw. der betroffene "Scheinehemann" unmittelbar vor der Eheschließung "kalte Füße" bekam (Fall II h). Jedenfalls von Seiten der (potentiellen) "Scheinehemänner" war in keinem Fall die Begründung einer Lebensgemeinschaft geplant; sie handelten sämtlich, um den jeweiligen Frauen - in Aussicht auf die versprochene Entlohnung - unrechtmäßig zu einem Aufenthaltstitel zu verhelfen. Dies war dem Angeklagten bewusst.
2. Im Ausgangspunkt hält die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich auf der Basis der Feststellungen wegen einer Tat des Einschleusens von Ausländern nach dem hier gemäß § 2 Abs. 1 und 3 StGB anzuwendenden § 92a Abs. 1 Nr. 2 AuslG strafbar gemacht, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Zu Unrecht hat die Strafkammer eine (tatbestandliche) Handlungseinheit angenommen (zu den Voraussetzungen Rissing-van Saan in LK, 12. Aufl. Vor § 52 Rdn. 20 ff.). Entgegen ihrem Standpunkt verbindet das in § 92a Abs. 1 Nr. 2 AuslG - nunmehr § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - verwendete Tatbestandsmerkmal "wiederholten" Handelns nicht mehrere Verstöße - einschließlich des Erstverstoßes - zu einer Tat des Einschleusens von Ausländern. Vielmehr stellt jeder Verstoß eine selbständige Straftat dar, wobei der Tatbestand zwingend eine zuvor begangene Anstiftung oder Beihilfe zu einer der in § 92 Abs. 2 AuslG bezeichneten Handlungen voraussetzt (vgl. BGH NJW 1999, 2829; siehe zu § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG auch Mosbacher in GK-AufenthG § 95 Rdn. 201). Es wäre daher von vier Taten auszugehen gewesen, wobei der Angeklagte durch seine erste vom Landgericht als strafbar erachtete Handlung (Fall II b) kein Vergehen des Einschleusens von Ausländern nach § 92a Abs. 1 Nr. 2 AuslG begangen haben kann. Mangels einschlägiger Vortat und damit mangels "wiederholten" Handelns kommt insoweit allenfalls eine Beihilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) zu einem Vergehen nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG in Betracht.
Die Notwendigkeit der Ergänzung von Teilfreisprüchen ergibt sich unter diesen Voraussetzungen bereits aus der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
3. Ob sich der Angeklagte strafbar gemacht hat, kann aufgrund ordnungsgemäß gerügter Verfahrensmängel derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Denn das Landgericht hat in den Fällen II b und h Hilfsbeweisanträge der Verteidigung unter Wahrunterstellung nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt, die Konsequenzen der Wahrunterstellung für seine rechtliche Bewertung dann aber nicht gezogen. Der Rechtsfehler im Fall II b erstreckt sich auf die Taten gemäß II d und f. Denn bei Nichterweislichkeit einer Beihilfestrafbarkeit des Angeklagten im Fall II b (unten a) ginge dieser insgesamt straflos aus, weil in den Fällen II d, f und h mangels einschlägiger Vortat jeweils das Merkmal "wiederholten" Handelns und damit der Tatbestand des § 92a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 AuslG nicht erfüllt wäre. Das nur in § 92a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 AuslG, nicht aber im Rahmen des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG pönalisierte Stadium der versuchten Teilnahme hat der Angeklagte in diesen Fällen nicht überschritten.
a) Zu Fall II b hatte der Angeklagte durch Benennung der Zeugin K. unter Beweis gestellt, diese sei in den Zeugen S. "unsterblich verliebt" gewesen und habe ihn heiraten wollen, wobei sie sich eine auf Dauer angelegte eheliche Lebensgemeinschaft vorgestellt habe. Das Landgericht hat als wahr unterstellt, dass K. an S. "echtes Interesse" gehabt habe. Dieser Umstand sei jedoch rechtlich irrelevant, weil der Angeklagte "auch die andere Seite" gekannt habe, nämlich die Geldforderung des S. (UA S. 16).
Der Senat geht davon aus, dass die Strafkammer ungeachtet der von ihr verwendeten undeutlichen Formulierungen die Beweisbehauptungen des Angeklagten - wie geboten (vgl. etwa BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 6, 14 und 18) - ohne Einengung, Umdeutung oder sonstige dem Antragsteller nachteilige inhaltliche Änderung als wahr unterstellt hat. Auf der Grundlage des von ihr danach als erwiesen zu betrachtenden Sachverhalts hätte der Angeklagte jedoch keine Straftat begangen. § 92a Abs. 1 Nr. 2 AuslG scheidet mangels wiederholten Handelns aus (oben 2.). Für eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zu einem Vergehen der Zeugin K. nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG fehlt es an einer beihilfefähigen Haupttat. Denn K. hat jedenfalls nach ihrem Vorstellungsbild keine unwahren oder unvollständigen Angaben im Sinne des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG gemacht. Die geschlossene Ehe war rechtsgültig, wobei sie mit S. auch eine Lebensgemeinschaft in Deutschland begründen wollte. Damit handelte sie ohne den erforderlichen Vorsatz.
Dass S. an der Antragstellung mitgewirkt hat und durch die Vorspiegelung, mit K. eine Lebensgemeinschaft eingehen zu wollen, unwahre Angaben zu deren Gunsten gemacht hat (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG: "für sich oder einen anderen"), ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Demgemäß liegt auch keine Beihilfe des Angeklagten zu einer durch S. begangenen Tat nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG vor.
Der Senat schließt nicht aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die eine Beihilfestrafbarkeit des Angeklagten ergeben.
b) Im Fall II h liegt dem Angeklagten zur Last, die Vermittlung einer Scheinehe zwischen der Zeugin Sa. und dem Zeugen Re. versucht zu haben. Der Verteidiger hatte hierzu durch Benennung der Zeugin Sa. unter Beweis gestellt, dass diese sich mit Re. über Wochen getroffen und mit ihm geplant habe, zu heiraten und eine gemeinsame Wohnung zu nehmen. Die beiden hätten auch schon über die Aufteilung der Zimmer gesprochen und dem Angeklagten erzählt, sie wollten gemeinsam dort wohnen und dann heiraten.
Das Landgericht hat als wahr unterstellt, dass die Zeugin vorhatte, mit Re. eine Beziehung aufzubauen und beide auch schon über die Aufteilung einer Wohnung gesprochen hatten; das ändere aber nichts an der Tatsache, dass dem Angeklagten die wahren Hintergründe durch Re. bekannt gewesen seien, worauf allein es ankomme (UA S. 24). Auch dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Abermals nimmt der Senat an, dass das Landgericht sämtliche unter Beweis gestellten Tatsachen als wahr unterstellt hat. Das Landgericht hatte danach als erwiesen zu betrachten, dass der Angeklagte um die "ernsten" Absichten der Zeugin Sa. im vorgenannten Sinne wusste. Nach dem Vorstellungsbild des Angeklagten würde dann aber jedenfalls die Zeugin Sa. § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG nicht vorsätzlich verwirklicht haben. Dass sich der Angeklagte eine Mitwirkung des - in Wahrheit nicht zur Eingehung einer Lebensgemeinschaft bereiten - Zeugen Re. beim Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vorgestellt haben könnte, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht.
Ferner zielte die beantragte Beweiserhebung erkennbar auch darauf ab, die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Re. zu erschüttern. Die genannten Tatsachen hätten uneingeschränkt in die Beweiswürdigung, namentlich in die Beurteilung von dessen Aussage einbezogen werden müssen. Der Zeuge Re. hat indessen gemeinsam getroffene konkrete Vorbereitungshandlungen zur Eingehung einer Lebensgemeinschaft mit der Zeugin Sa. ausweislich der Urteilsgründe gerade nicht bekundet. Mit diesem zentralen Widerspruch hätte sich die Strafkammer im Einzelnen auseinandersetzen müssen.
4. Die Feststellungen zu den Tatgeschehen gemäß II d und f der Urteilsgründe können bestehen bleiben. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann dabei entgegen der Auffassung der Revision noch hinreichend deutlich entnommen werden, dass sich der Angeklagte insoweit des versuchten Einschleusens von Ausländern nach § 92a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 AuslG schuldig gemacht haben kann, sofern die Tat im Fall II b in einer neuen Hauptverhandlung erweislich sein sollte. Dass die letztgenannte Tat nur als Beihilfe zu einem Vergehen des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG angesehen werden könnte (oben 2.), stünde nicht entgegen. Denn die Vortat muss keines der qualifizierenden Merkmale des § 92a Abs. 1 AuslG erfüllen (BGH NJW 1999, 2829). Neue Feststellungen können getroffen werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
5. Schon weil der maßgebliche Aufhebungsgrund verfahrensrechtlicher Art ist, kommt eine Revisionserstreckung nach § 357 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten P., nicht in Betracht.
6. Im Hinblick darauf, dass eine Freisprechung des Angeklagten in einem neuen Verfahren nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, war auch der Ausspruch über den für vollstreckt erklärten Teil der Freiheitsstrafe aufzuheben. Hierzu bemerkt der Senat ergänzend, dass das angefochtene Urteil die Dauer der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht wie erforderlich (BGHSt - GS - 52, 124, 147) konkret feststellt. Dies wird das neue Tatgericht bei einer Verurteilung nachzuholen haben. Für den Fall der Gesamtstrafenbildung ist ein bezifferter Teil auf die Gesamtstrafe anzurechnen (BGH aaO). Der im angefochtenen Urteil eher pauschal bemessene Abschlag von 25 % auf die Freiheitsstrafe von einem Jahr (vgl. auch dazu BGH aaO), mithin drei Monate, darf im Hinblick auf § 358 Abs. 2 StPO nicht unterschritten werden.
7. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Das angefochtene Urteil teilt den Vollstreckungsstand hinsichtlich der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Wolfsburg vom 27. August 2007 nicht mit. Sofern diese zur Zeit des angefochtenen Urteils noch nicht erledigt war, liegen die Voraussetzungen des § 55 StGB vor, weswegen bei einer Verurteilung des Angeklagten eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden wäre.
b) Zur Fassung der Urteilsformel wird Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 42
Bearbeiter: Ulf Buermeyer