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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 708

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 195/09, Urteil v. 23.06.2009, HRRS 2009 Nr. 708


BGH 5 StR 195/09 - Urteil vom 23. Juni 2009 (LG Berlin)

Besonders schwerer Raub; gefährliche Körperverletzung (Zurechnung einer das Leben gefährdenden Behandlung eines Mittäters); Beweiswürdigung; Strafzumessung; Härteausgleich.

§ 250 StGB; § 224 StGB; § 261 StPO; § 46 StGB; § 55 StGB

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. November 2008 werden verworfen.

Die Kosten der Rechtsmittel und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten Ö. - unter teilweisem Freispruch - wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Einzelfreiheitsstrafe: drei Jahre und drei Monate) und wegen vorsätzlicher Körperverletzung (Einzelfreiheitsstrafe: sechs Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten R. wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen erstrebt die Staatsanwaltschaft eine höhere Bestrafung der Angeklagten. Dabei beanstandet sie insbesondere die der Verneinung des § 250 Abs. 2 Nr. 3a StGB zugrunde liegende Beweiswürdigung des Landgerichts und wendet sich gegen die Strafzumessung für die von den Angeklagten gemeinsam begangene räuberische Erpressung (Fall II. 1 der Urteilsgründe). Die Rechtsmittel, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten werden, haben keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Gemeinschaftliche Tat vom 9. Februar 2009 (II. 1 der Urteilsgründe):

Auf dem Rückweg von einer Diskothek trafen die Angeklagten, die "beide angetrunken und in einer latent schlechten Stimmung" waren, kurz vor 6.00 Uhr am Tatmorgen auf einem menschenleeren U-Bahnsteig den damals 19-jährigen späteren Geschädigten an. Er saß schlafend auf einer Bank, nachdem er die Nacht auf einer Geburtstagsfeier verbracht und dabei erhebliche Mengen Alkohol getrunken hatte. Der Angeklagte Ö. sprach den Geschädigten an und schlug ihm mit der Faust auf den Kopf, ohne dass eine Provokation seitens des weiterhin verschlafenen Zeugen erfolgt wäre. Anschließend schlugen beide Angeklagten auf dem Bahnsteig mehrfach auf den Kopf des Geschädigten, der zu einer Gegenwehr nicht imstande war. Nachdem er auf den Bahnsteig gestürzt war, schlug der Angeklagte Ö. mit der Faust auf das Gesicht des am Boden Liegenden ein, während der Angeklagte R. "an dessen Kleidung nestelte und zerrte". Durch das Zerren löste sich die Kapuze von der Jacke des Geschädigten, und der Angeklagte R. taumelte einige Schritte nach hinten. Währenddessen versetzte der Angeklagte Ö. dem Geschädigten in kurzer Folge mehrere Fußtritte gegen den Kopf. Nachdem es diesem gleichwohl gelungen war aufzustehen, wurde er von den Angeklagten durch Handbewegungen zum Mitkommen aufgefordert. Er ging mit ihnen bis zu der Treppe, die zum Ausgang der U-Bahnstation führt. Dort forderte einer der Angeklagten, vermutlich R., aufgrund eines nunmehr gefassten Tatentschlusses und in spontan und situativ zwischen den Angeklagten entstandenem Einvernehmen den Geschädigten auf, ihnen Geld zu geben. Dieser gab ihnen unter dem Eindruck der vorangegangenen Schläge seine Geldbörse heraus. Die Angeklagten verließen mit der Geldbörse den U-Bahnhof. Auf der Straße entnahmen sie ihr das Bargeld (7 €) und warfen sie mit dem übrigen Inhalt weg.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagten wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung schuldig gesprochen, jedoch eine Verurteilung wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung nach § 250 Abs. 2 Nr. 3a StGB abgelehnt. Denn die schwere körperliche Misshandlung des Geschädigten sei bereits abgeschlossen gewesen, bevor der Wegnahmevorsatz gefasst worden sei, und sei daher nicht während der Begehung der räuberischen Erpressung erfolgt, was die Anwendung des Qualifikationstatbestandes ausschließe. Darüber hinaus nimmt das Landgericht eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB an, weil die Angeklagten den Verletzten wechselseitig geschlagen und getreten und hierbei am Tatort bewusst zusammengewirkt hätten. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB sieht das Landgericht demgegenüber nur durch den Angeklagten Ö. (Tritte gegen den Kopf und gegen das Gesicht) verwirklicht.

b) Tat des Angeklagten Ö. vom 19. Mai 2009 (II. 2 der Urteilsgründe):

Anlässlich eines Streits mit seiner damaligen Lebensgefährtin schlug der Angeklagte heftig mit der flachen Hand auf ihr Gesicht und - auch mit der Faust - auf ihren Körper ein.

2. Die Revisionen sind insoweit beschränkt, als sie den Teilfreispruch des Angeklagten Ö. und den zweiten Schuldspruch von den Revisionsangriffen ausnehmen. In diesem Umfang hält das Urteil der sachlichrechtlichen Überprüfung stand.

a) Die Feststellungen, welche die Verneinung des § 250 Abs. 2 Nr. 3a StGB tragen (vgl. BGH StV 2006, 418; NStZ 2004, 556), beruhen auf einer revisionsgerichtlich nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung. Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt allein dem Tatgericht. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen; es kann sie nur auf Rechtsfehler überprüfen. Die Revisionsbegründung zeigt solche indes nicht auf. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, erschöpfen sich die Überlegungen der Staatsanwaltschaft zur Würdigung der Aussage des Geschädigten und der Einlassung des Angeklagten R. vielmehr darin, die tatsachenfundierten Beweiserwägungen des Landgerichts durch eine hiervon abweichende eigenständige Sicht der Dinge zu ersetzen. Die Schlussfolgerungen des Landgerichts sind indes möglich und nachvollziehbar, mithin nicht rechtsfehlerhaft (vgl. BGHSt 36, 1, 14).

Das Landgericht ist der Einlassung des Angeklagten R. gefolgt, nach der es zur Übergabe der Geldbörse erst am Fuße der zum Ausgang führenden Treppe gekommen sei. Die Idee, etwas herauszuverlangen, sei spontan erst dort entstanden. Diese Einlassung wird nach Auffassung des Landgerichts gestützt durch die in Augenschein genommenen Videoaufnahmen der Überwachungskameras auf dem U-Bahnhof, auf denen die Gewalthandlungen der Angeklagten gegen den Geschädigten auf dem Bahnsteig aufgezeichnet seien; demgegenüber seien Handlungen am Fuße der Treppe nicht festgehalten, da dieser Bereich außerhalb des Blickfeldes der Kamera liege. Bei Inaugenscheinnahme der Videoaufnahmen konnte die Strafkammer nicht erkennen, dass bereits im Zusammenhang mit den schweren Gewalthandlungen auf dem Bahnsteig eine Übergabe der Geldbörse oder auch nur irgendwelche darauf gerichtete Handlungen des Geschädigten stattgefunden hatten. Das Landgericht setzt sich in nachvollziehbarer Weise mit der entgegenstehenden Aussage des Geschädigten auseinander, nach seiner Erinnerung habe er am Boden gelegen, als die Angeklagten ihn zur Herausgabe des Portemonnaies aufgefordert hätten und er es übergeben habe; dies müsse daher wohl auf dem Bahnsteig gewesen sein (UA S. 14). Das Landgericht vermochte dies auf den Videoaufnahmen nicht zu sehen. Bei seinen Feststellungen zum Zeitpunkt und Ort der Übergabe hat es vor diesem Hintergrund in nicht zu beanstandender Weise dargelegt und berücksichtigt, dass die Erinnerung des Geschädigten an den genauen Tatablauf wegen der von ihm selbst eingeräumten starken Alkoholisierung und Übermüdung nicht als zuverlässig angesehen werden konnte.

Der Annahme, der Entschluss zur Wegnahme der Geldbörse sei erst nach Abschluss der schweren Gewalthandlungen gegen den Geschädigten spontan entstanden, widerspricht auch nicht - wie die Staatsanwaltschaft meint - die Feststellung, der Angeklagte R. habe an der Kleidung des Geschädigten "genestelt und gezerrt", während der Angeklagte Ö. auf den am Boden Liegenden einschlug. Diese Handlungen des Angeklagten R. lassen nämlich nicht zwingend auf eine Wegnahmeabsicht schließen. Sie können sich vielmehr als eine bloße Ausformung der Gewalttätigkeiten gegen den Geschädigten darstellen. Dieser Schluss liegt angesichts des heftigen Zerrens an der Kapuze, das zu deren Ablösung von der Jacke des Opfers führte, sogar nahe.

b) Auch die Strafaussprüche halten rechtlicher Prüfung stand.

Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts, dessen Aufgabe darin besteht, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von Tat und Täter gewonnen hat, die wesentlichen be- und entlastenden Umstände festzustellen, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen; das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn sie gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Strafhöhe 10 m.w.N.).

In diesem Sinne weisen die Urteilsausführungen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten der Angeklagten auf. Die für die gemeinschaftliche Tat verhängten Freiheitsstrafen mögen milde sein; sie sind jedoch - ebenso wie die Freiheitsstrafe für die von dem Angeklagten Ö. zum Nachteil seiner Lebensgefährtin begangenen Körperverletzung - nicht unvertretbar und entfernen sich nicht in unzulässiger Weise von ihrer Bestimmung des gerechten Schuldausgleichs.

Das Landgericht hat allerdings rechtsfehlerhaft nicht bedacht, dass sich der Angeklagte R. nicht nur nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar gemacht, sondern - ebenso wie der Mitangeklagte Ö. - jedenfalls durch mittäterschaftliche Zurechnung zusätzlich auch den in Nr. 5 in dieser Strafbestimmung normierten Qualifikationstatbestand der Vornahme einer das Leben des Opfers der Körperverletzung gefährdenden Behandlung verwirklicht hat. Dieser Rechtsfehler, der nicht den strafrahmenbestimmenden Tatbestand betrifft, führt indes nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht, welches sich bei der Strafzumessung im Detail rechtsfehlerfrei am unterschiedlichen individuellen Gewalteinsatz der beiden Angeklagten orientiert hat, ohne den Fehler zu einem anderen Strafausspruch gelangt wäre. Dies gilt umso mehr (vgl. § 301 StPO), als das Landgericht nicht erkennbar beachtet hat, dass dem Angeklagten R. wegen der an sich gesamtstrafenfähigen Verurteilung durch das Amtsgericht Tiergarten vom 15. Februar 2008 zu einer Geldstrafe, die in Unterbrechung der Untersuchungshaft in dieser Sache im Wege der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe erledigt wurde, ein Härteausgleich zu gewähren gewesen wäre (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 55 Rdn. 21 f. m.w.N.).

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 708

Bearbeiter: Ulf Buermeyer