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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 281

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 12/09, Beschluss v. 10.02.2009, HRRS 2009 Nr. 281


BGH 5 StR 12/09 - Beschluss vom 10. Februar 2009 (LG Braunschweig)

Vergewaltigung; Beweiswürdigung (Aussage gegen Aussage; Gesamtwürdigung der für und gegen die Glaubhaftigkeit einer Aussage sprechenden Umstände).

§ 177 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die tatrichterliche Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, wenn sie sich darauf beschränkt, die Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Angaben eines Zeugen sprechen, gesondert und einzeln zu erörtern, getrennt voneinander zu prüfen und festzustellen, dass sie jeweils nicht geeignet seien, die Glaubwürdigkeit des geschädigten Zeugen in Zweifel zu ziehen. Denn in diesem Fall fehlt es an der gebotenen Gesamtwürdigung aller Beweisanzeichen, die gegen die Richtigkeit der Bekundungen des Zeugen sprechen könnten. Selbst wenn nämlich jedes einzelne seine Glaubwürdigkeit möglicherweise in Frage stellende Indiz noch keine Bedenken gegen die den Angeklagten belastende Aussage aufkommen lassen mag, so kann doch eine Häufung von Fragwürdigkeiten bei einer Gesamtschau zu durchgreifenden Zweifeln an der Richtigkeit der erhobenen Vorwürfe Anlass geben.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 4. September 2008 mit den zugehörigen Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Das Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, weil die Beweiswürdigung Rechtsfehler aufweist. Auf die Verfahrensrüge kommt es daher nicht mehr an.

Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte in seiner Wohnung mit Gewalt und gegen den erkennbar zum Ausdruck gebrachten Willen der Nebenklägerin mehrmals mit ihr den Vaginal- und Oralverkehr vollzogen hat.

Die Strafkammer hat den Angeklagten, der die Tat bestritten hat, auf Grund der Bekundungen der Nebenklägerin, die "durch das Ergebnis der Beweisaufnahme im Übrigen" gestützt werden (UA S. 10), als überführt angesehen.

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 29. Januar 2009 Folgendes ausgeführt:

"Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtlicher Nachprüfung nicht standhält. Sie genügt nicht den Anforderungen, die an die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussage eines Hauptbelastungszeugen zu stellen sind, wenn - wie vorliegend - Aussage gegen Aussage steht und objektive Beweisanzeichen fehlen. Bei einer solchen Beweissituation muss sich der Tatrichter bewusst sein, dass die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen zur Sachlage besitzt (BGH StV 1998, 580, 581).

Um die revisionsrechtliche Nachprüfung der Überzeugungsbildung des Tatrichters von der Täterschaft des Angeklagten zu ermöglichen, wäre es hier geboten gewesen, näher auf die Aussageentstehung und alle Umstände, die zur Anzeigeerstattung geführt haben, einzugehen sowie darzulegen und zu erörtern, was die Nebenklägerin dem Zeugen K., zu dem die Nebenklägerin vor und nach dem Vorfall mit dem Angeklagten eine Beziehung unterhielt, bei ihrem zufälligen Zusammentreffen mitgeteilt hat (UA S. 8) und wie die Nebenklägerin ,erst auf sein Drängen bereit war, die Polizei aufzusuchen' (UA S. 12). Diese Hinweise auf möglicherweise durch den Zeugen K. ausgelöste suggestive Prozesse für die Entstehung der Aussage der Nebenklägerin hätten Anlass zu näherer Erörterung sich aufdrängender Falschbelastungshypothesen gegeben. ...

Jedenfalls aber entbehrt die Würdigung des Landgerichts, die Bekundungen der Nebenklägerin ‚werden gestützt durch das Ergebnis der Beweisaufnahme im Übrigen' (UA S. 10), einer nachvollziehbaren Tatsachengrundlage, da die Anknüpfungspunkte für diese Bewertung nicht mitgeteilt werden.

Soweit sich die Beweiswürdigung der Strafkammer darauf beschränkt, die Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Angaben der Nebenklägerin und der Einlassung des Angeklagten sprechen, gesondert und einzeln zu erörtern, getrennt voneinander zu prüfen und festzustellen, dass sie jeweils nicht geeignet seien, die Glaubwürdigkeit der Geschädigten in Zweifel zu ziehen, ist dies unzureichend und hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Es fehlt eine Gesamtwürdigung aller Beweisanzeichen, die gegen die Richtigkeit der Bekundungen der Nebenklägerin sprechen könnten. Selbst wenn nämlich jedes einzelne, die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin möglicherweise in Frage stellende Indiz noch keine Bedenken gegen die den Angeklagten belastende Aussage aufkommen ließe, so kann doch die Häufung der - jeweils für sich noch erklärbaren - Fragwürdigkeiten bei einer Gesamtschau zu durchgreifenden Zweifeln an der Richtigkeit der erhobenen Vorwürfe Anlass geben (vgl. BGHR StPO § 261 Indizien 7, fehlende Gesamtwürdigung).

Diesem Fehler kommt hier deshalb besondere Bedeutung zu, soweit die Strafkammer ihre Entscheidung, mit der sie Zweifel an der Aussage der Zeugin ausschließt, nicht auf konkrete Tatsachen, sondern auf abstrakte Deutungsmöglichkeiten stützt" (vgl. UA S. 10 - 12).

Dem tritt der Senat bei.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 281

Externe Fundstellen: StV 2009, 230

Bearbeiter: Ulf Buermeyer