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HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 552

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 92/08, Beschluss v. 06.05.2008, HRRS 2008 Nr. 552


BGH 5 StR 92/08 - Beschluss vom 6. Mai 2008 (LG Braunschweig)

Heimtückemord nach vorherigem Angriff auf das Opfer (Arglosigkeit und Wehrlosigkeit bei mehraktigen Tatgeschehen; fortwirkender Entzug von Verteidigungsmöglichkeiten); besondere Schwere der Schuld (Wertungsfehler hinsichtlich des Nachtatverhaltens).

§ 211 StGB; § 57a StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Zwar steht es der Annahme von Arglosigkeit in der Regel entgegen, wenn sich das Opfer zum Zeitpunkt der Tathandlung im Zustand der Bewusstlosigkeit befindet (BGHSt 23, 119, 120; BGH StV 2000, 309 m.w.N.). Dies gilt aber dann nicht, wenn der Angeklagte die Bewusstlosigkeit durch einen von Tötungsvorsatz getragenen - sogar todestauglichen - Schuss bereits unter Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers selbst herbeigeführt hat. Bei dieser Sachlage stellt die unmittelbare Herbeiführung des Todes durch eine weitere Tötungshandlung im Zustand der Bewusstlosigkeit des Opfers immer noch ein Ausnutzen der vom Täter zuvor hervorgerufenen und noch fortwirkenden Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers dar. Eine Aufspaltung des vom einheitlichen Tötungsvorsatz getragenen Geschehens in einen versuchten Heimtückemord in Tateinheit mit Totschlag wegen Wegfalls des Mordmerkmals während der weiteren Tatausführung kommt nicht in Frage.

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. Oktober 2007 wird mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, dass die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld entfällt.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen; jedoch wird die Gebühr um ein Zehntel ermäßigt, und es werden je ein Zehntel der entstandenen Auslagen und der notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt. Ferner hat der Angeklagte die durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt.

Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Das Rechtsmittel ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts wurde der Angeklagte, ein wohlhabender Metzgermeister, von dem Bordellbetreiber T. im November 2006 um 300.000 Euro betrogen. Der Angeklagte erstrebte die Rückzahlung dieses Betrages und vereinbarte mit T. für den späten Abend des 20. Februar 2007 einen Besuch in seinen Geschäftsräumen zur Übergabe einer Darlehenssumme von 25.000 Euro. Diesen Betrag wollte der Angeklagte als Teilrückzahlung behalten und T. zur Zahlung der restlichen 275.000 Euro nötigen, widrigenfalls er den Betrüger zu erschießen beabsichtigte.

T. weigerte sich indes auch unter Vorhalt eines Revolvers durch den Angeklagten, dessen Forderungen nachzukommen. Nach einer sich aus dem Arbeitszimmer in den Flur verlagernden Auseinandersetzung schoss der Angeklagte T. in den rechten Unterbauch. Das Opfer sackte lebensgefährlich verletzt zusammen, der Tod wäre spätestens nach 30 Minuten eingetreten.

Der Angeklagte verbrachte sein Opfer in den Zerlegeraum der Metzgerei und tötete es durch einen kräftigen Stich ins Herz. Nach Beseitigung des PKW des T. zerlegte der Angeklagte den Leichnam, fügte innere Organe den Schlachtabfällen hinzu, um ein späteres Auftreiben der Leichenteile zu verhindern und versenkte diese in einem See.

2. Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke ist vorliegend nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHSt 22, 77, 79; 32, 382, 384; BGH NJW 1991, 1963, 1964) für den Zeitpunkt der Schussabgabe nicht zu beanstanden. Der Angeklagte war nach den letztlich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Tötung des Betrügers entschlossen, falls dieser den Schaden nicht wiedergutmachen wollte. Er täuschte T. den Abschluss eines für diesen gewinnbringenden Darlehensvertrages vor, lockte ihn, das Vertrauen des Opfers hierdurch missbrauchend, zu einer günstigen Tatzeit in die zur Tatausführung sehr gut geeigneten Geschäftsräume und hielt dort die Tatwaffe bereit. Diese vom Angeklagten getroffenen Vorkehrungen für die Tatausführung führten beim Opfer zu einem vorgreifenden und noch im Tatzeitpunkt fortwirkenden Entzug von Verteidigungsmöglichkeiten (vgl. BGHSt 22, 77, 79; Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 211 Rdn. 7).

Der Angeklagte hat darüber hinaus die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers auch noch während der Ausführung des tödlichen Messerstichs ausgenutzt. Zwar befand sich sein Opfer zu diesem Zeitpunkt im Zustand der Bewusstlosigkeit, der nach der - freilich vom Schrifttum angegriffenen (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 42 m.w.N.) - Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einer Annahme von Arglosigkeit in der Regel entgegensteht (BGHSt 23, 119, 120; BGH StV 2000, 309 m.w.N.). Diesen Zustand hatte der Angeklagte indes durch einen von Tötungsvorsatz getragenen - sogar todestauglichen - Schuss bereits unter Ausnutzung der Argund Wehrlosigkeit des Opfers selbst herbeigeführt. Bei dieser Sachlage stellt die unmittelbare Herbeiführung des Todes durch eine weitere Tötungshandlung im Zustand der Bewusstlosigkeit des Opfers immer noch ein Ausnutzen der vom Täter zuvor hervorgerufenen und noch fortwirkenden Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers dar. Eine Aufspaltung des vom einheitlichen Tötungsvorsatz getragenen Geschehens in einen versuchten Heimtückemord in Tateinheit mit Totschlag wegen Wegfalls des Mordmerkmals während der weiteren Tatausführung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 1963 - 5 StR 128/63; Fischer aaO Rdn. 106) kommt demnach nicht in Frage. Der Angeklagte ist des Heimtückemordes schuldig.

3. Jedoch hat die Annahme der besonderen Schwere der Schuld - auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGHSt [GS] 40, 360, 370) - keinen Bestand. Sie beruht auf Wertungsfehlern (vgl. BGHSt 42, 226, 227).

Der Umstand, dass der Angeklagte mehrere Monate nach der Tat im Rahmen der psychiatrischen Exploration erklärt hatte, die Person, die den Herzstich ausgeführt habe, komme aus der Familie des Opfers, erscheint angesichts der Offenbarungssituation und der erdrückenden Beweislage als bloßer Ausdruck verzweifelt untauglicher Verteidigungsbemühungen vor einer drohenden Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe und offenbart keine besondere Missachtung der Angehörigen des Opfers. Der auf die Beseitigung von Tatspuren ausgerichtete Umgang des Angeklagten mit der Leiche des Tatopfers, der die Voraussetzungen des Vergehenstatbestandes des § 168 StGB noch nicht erfüllt (vgl. BGH NStZ 1981, 300; Fischer aaO 6 § 168 Rdn. 17), kann für sich allein nicht als wesentlich schuldsteigernd betrachtet werden (vgl. demgegenüber - im Sachverhalt anders - BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 11).

Weitere schuldsteigernde Umstände hat das Landgericht nicht benannt (UA S. 45); sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld hat demnach zu entfallen.

HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 552

Externe Fundstellen: NStZ 2008, 569

Bearbeiter: Karsten Gaede