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HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 886

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 315/08, Beschluss v. 04.09.2008, HRRS 2008 Nr. 886


BGH 5 StR 315/08 - Beschluss vom 4. September 2008 (LG Bremen)

Erforderliche Gesamtwürdigung bei der Prüfung eines minder schweren Falles des Totschlages nach § 213 StGB (verminderte Schuldfähigkeit).

§ 213 StGB; § 46 StGB; § 21 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Auch bei einem "verheerenden Tatbild" ist eine umfassenden Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände mit Blick auf einen möglichen minder schweren Fall nach § 213 geboten (BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall Gesamtwürdigung 8 und Prüfungspflicht 1).

2. Bei der Bewertung der Handlungsintensität darf nicht unerörtert bleiben, ob und in welchem Maße das brutale Vorgehen gerade durch die verminderte Schuldfähigkeit beeinflusst war. Denn in dem Umfang, in dem das "verheerende Tatbild" und die massive Vorgehensweise auf die erheblich verminderte Schuldfähigkeit zurückgehen, dürfen sie ihm nicht uneingeschränkt zum Vorwurf gemacht und straferschwerend angelastet werden (vgl. BGHR StGB § 21 Strafzumessung 1 bis 5).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 21. Mai 2007 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg, zum Schuldspruch ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der Angeklagte seinen Mitbewohner, den Vater seiner bisherigen Lebensgefährtin, indem er ihm u. a. einen etwa sieben Zentimeter tiefen Messerstich in die Brust versetzte. Dabei war der Angeklagte aufgrund des Zusammenwirkens einer Alkoholintoxikation und einer posttraumatischen Belastungsstörung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert.

1. Der Schuldspruch hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Die teilweise missverständlichen und sich nicht stets deckenden Ausführungen zum psychischen Zustand des Angeklagten bei der Tat und dessen rechtlicher Einordnung beschweren den Angeklagten nicht. Jedenfalls der Ausschluss der Schuldunfähigkeit ist tragfähig belegt.

2. Der Strafausspruch kann jedoch nicht bestehen bleiben. Die Strafzumessung des Landgerichts weist sowohl bei der Strafrahmenbestimmung als auch bei der konkreten Strafzumessung Fehler auf.

a) Das Landgericht hat die Annahme eines minder schweren Falls im Sinne des § 213 2. Alt. StGB abgelehnt. Dies hat es maßgeblich mit dem fehlenden Anlass für die massive Vorgehensweise, dem "gesamten verheerenden Tatbild" und der Folgen für die Hinterbliebenen des Getöteten begründet.

Im Hinblick auf das Erfordernis einer umfassenden Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände (BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall Gesamtwürdigung 8 und Prüfungspflicht 1) begegnet es schon Bedenken, dass das Landgericht bei der Prüfung, ob die Tat als minder schwerer Fall zu bewerten ist, nicht auch weitere bei der Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigte zugunsten des Angeklagten sprechende Umstände, wie z. B. die bedrängte persönliche Lebenssituation, in seine Erwägungen einbezogen hat. Zudem lassen die Urteilsgründe die Bewertung der sich aus den Feststellungen zum unmittelbaren Nachtatgeschehen ergebenden Reue und Betroffenheit über die Tat vermissen.

Jedenfalls aber kann die Strafrahmenwahl keinen Bestand haben, weil das Landgericht bei der für die Ablehnung des milderen Strafrahmens entscheidenden Bewertung der Handlungsintensität unerörtert gelassen hat, ob und gegebenenfalls in welchem Maße das brutale Vorgehen gerade durch die verminderte Schuldfähigkeit beeinflusst war. Denn in dem Umfang, in dem das "verheerende Tatbild" und die massive Vorgehensweise auf die erheblich verminderte Schuldfähigkeit zurückgehen, dürfen sie ihm nicht uneingeschränkt zum Vorwurf gemacht und straferschwerend angelastet werden (vgl. BGHR StGB § 21 Strafzumessung 1 bis 5). Eine Erörterung drängte sich auch deswegen auf, weil der Angeklagte vor der Tat noch nicht wegen gewalttätigen Verhaltens auffällig geworden war. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht der Art der Tatausführung ein zu großes Gewicht bei der Strafrahmenwahl beigemessen hat.

b) Aber auch die Begründung der konkreten Strafzumessung weist für sich genommen Rechtsfehler auf.

Die strafschärfende Bewertung des Umstands, das Opfer habe den Angeklagten nicht angegriffen, lässt besorgen, dass das Landgericht das Fehlen eines möglichen Milderungsoder gar eines unrechtsausschließenden Rechtfertigungsgrundes dem Angeklagten angelastet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2007 - 5 StR 305/07; BGH StV 1995, 584). Die strafschärfende Gewichtung des Tatmotivs kann ebenfalls keinen Bestand haben, da dies im Widerspruch zu den Feststellungen steht, wonach die Beweggründe des Angeklagten nicht geklärt werden konnten. Angesichts der nicht geringes Gewicht aufweisenden Strafmilderungsgründe vermögen die zusätzlich angeführten belastenden Umstände jedenfalls nicht die Verhängung einer Strafe aus dem oberen Bereich des nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens zu rechtfertigen.

3. Da der Strafausspruch aufgrund von Begründungs- und Wertungsfehlern keinen Bestand hat, konnten die zugrunde liegenden Feststellungen bestehen bleiben. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, weitergehende Feststellungen zu treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

Wie vom Generalbundesanwalt ausgeführt, wird zu berücksichtigen sein, dass das Verfahren nach Urteilsverkündung bis zum Eingang der Akten beim Generalbundesanwalt aus im Verantwortungsbereich der Justiz liegenden Gründen verzögert worden ist. Nach Ermittlung von Art und Ausmaß dieser rechtsstaatswidrigen Verzögerung wird der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK dadurch zu kompensieren sein, dass ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe für vollstreckt zu gelten hat (vgl. BGH NJW 2008, 860).

HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 886

Bearbeiter: Karsten Gaede