HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 735
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 139/07, Beschluss v. 05.07.2007, HRRS 2007 Nr. 735
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hagen vom 29. November 2006 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Eine gegen Art. 6 Abs. 1 MRK verstoßende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, die das Landgericht in den Urteilsgründen hätte erörtern und auf die es einen genau bestimmten kompensatorischen Strafabschlag hätte vornehmen müssen, liegt nicht vor.
a) Ob eine mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes nicht im Einklang stehende Verfahrensverzögerung vorliegt, richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls, die in einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen werden müssen. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen (st. Rspr.; vgl. nur BVerfG - Kammer - NStZ-RR 2005, 346 sowie Beschluss vom 2. Mai 2007 - 2 BvR 539/07, jeweils m.w.N.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen decken die Verfahrensrügen und sachlichrechtlichen Einwände des Angeklagten keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung auf. Dies gilt hier ungeachtet der überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer.
Dass bereits im Jahr 2000 gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, steht dem nicht entgegen. Denn erst im April 2002 ergaben sich aus einer Vielzahl gleichzeitig vorgenommener Durchsuchungen konkretere Erkenntnisse zu den abgeurteilten Steuerstraftaten und Beihilfehandlungen des Angeklagten. Sie waren Teilergebnis eines groß angelegten Ermittlungsverfahrens gegen mehr als 100 Beschuldigte. Das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten war damit Teil einer komplexen Wirtschaftsstrafsache mit einer großen Anzahl von Beteiligten. Der Beurteilung steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte ausweislich der Urteilsgründe schon im Ermittlungsverfahren ein Geständnis hinsichtlich seiner eigenen Steuerhinterziehungen abgelegt hat.
Die Steuerstrafsache war damit nicht etwa bereits im Frühjahr 2004 abschlussreif. Vielmehr wurden erst durch die Vernehmung des Angeklagten vom 28. Mai 2004 und seine daran anschließende richterliche Vernehmung vom 1. Juni 2004 nähere Umstände zu seinen Beihilfetaten bekannt, die den Fällen 7 und 8 der Urteilsgründe zugrunde liegen. Daneben ergaben sich noch weitere Tatvorwürfe, die erst mit der Abschlussverfügung bzw. in der Hauptverhandlung gemäß § 154 StPO aus dem Verfahren ausgeschieden wurden, ohne dass diese Verfahrensweise als sachwidrig zu beanstanden wäre. Hinsichtlich der Beihilfetaten bestand noch ein erheblicher Aufklärungsbedarf. Es mussten insbesondere die steuerlichen Situationen der Haupttäter aufgeklärt werden, die vom Angeklagten ausgestellte Scheinrechnungen erhalten hatten. Auch Bezüge des Angeklagten zu weiteren Beschuldigten innerhalb des gegen mehr als 170 Personen geführten Ermittlungsverfahrens mit insgesamt mehr als 1.000 Scheinrechnungen waren möglich.
c) Dem Abstand zwischen den Taten und der Aburteilung hat das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung rechtsfehlerfrei Rechnung getragen.
Zudem hat das Tatgericht ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt und "erhebliche Zeit unter dem Druck des Verfahrens gestanden" habe (UA S. 34).
[Redaktioneller Hinweis: Vgl. auch EGMR Hennig v. Österreich, wistra 2004, 177 und Gaede wistra 2004, 166 ff.]
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 735
Bearbeiter: Karsten Gaede