hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 656

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 482/05, Urteil v. 29.06.2006, HRRS 2006 Nr. 656


BGH 5 StR 482/05 - Urteil vom 29. Juni 2006 (LG Wuppertal)

Strafzumessung (gerechter Schuldausgleich); gesonderte Gesamtgeldstrafe; Verfall (Vorrang der Verletztenansprüche).

§ 46 StGB; § 73 Abs. 1 Satz StGB; § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Verfallsbeteiligten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 27. April 2004 im Ausspruch über den Verfall aufgehoben; die Anordnung entfällt.

2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil werden verworfen.

3. Soweit die Verfallsanordnung aufgehoben wird, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Verfallsbeteiligten. Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Revision. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die insoweit dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Anstiftung zur Untreue in zwei Fällen und wegen Beihilfe zur Untreue zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 500 Tagessätzen zu je 300 Euro verurteilt. Gegen die Verfallsbeteiligte hat das Landgericht den Verfall (von Wertersatz) in Höhe von 500.000 Euro angeordnet.

Die Revision der Verfallsbeteiligten hat Erfolg, die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten sind unbegründet.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte unterhielt als alleiniger Geschäftsführer der Verfallsbeteiligten, des in Wuppertal alteingesessenen Bauunternehmens H. G. GmbH & Co. KG (nachfolgend: G. KG), langjährige Geschäftsbeziehungen mit dem gesondert abgeurteilten früheren Mitangeklagten K. K. - ein frühpensionierter ehemaliger Oberamtsanwalt - betätigte sich erfolgreich im Immobilien- und Baugeschäft und wurde schließlich im Vorstand der beiden gemeinnützigen Stiftungen H. -Stiftung und D. -Stiftung auch tätig, um in dieser Funktion bei zukünftigen Bauvorhaben für eine Auftragsvergabe an die G. KG zu sorgen und sich dadurch verdeckte Provisionen zu verdienen. Aus demselben Beweggrund unterhielt K. jahrelang enge Beziehungen zu den früher mitangeklagten gesondert abgeurteilten Geschäftsführern der G. W. mbH Wuppertal (nachfolgend: GWG) Hi: und S. sowie zu dem ebenfalls früher mitangeklagten gesondert abgeurteilten Prokuristen der GWG St; K. kam es dabei darauf an, diese durch großzügige Zuwendungen zu einer ihm nützlichen Geschäftspolitik der GWG zu bewegen.

Die Geschäftsführer der GWG vergaben an die G. KG unter maßgeblicher Einflussnahme K. s schließlich zwei Generalunternehmeraufträge: einen zur Errichtung des vierten Bauabschnitts eines von der H.-Stiftung geplanten Altenwohnheims mit einem Auftragsvolumen von ca. 30 Mio. DM (nachfolgend: Projekt H. -Stiftung) und einen weiteren zur Errichtung eines von der D. -Stiftung geplanten Wohnquartiers für betreutes Altenwohnen mit einem Auftragsvolumen von ca. 28 Mio. DM (nachfolgend: Projekt D. -Stiftung). Beide Geschäftsführer ließen sich bei der ohne jeden Wettbewerb erfolgten Auftragsvergabe und bei der Verschleierung dieser Tatsache durch Veranstaltung eines Scheinwettbewerbs "für die Akten" wesentlich von den erheblichen Zuwendungen K. s in Höhe von jeweils mehreren hunderttausend DM leiten. Der Angeklagte wusste von diesen Zuwendungen an die Verantwortlichen der GWG und billigte das Vorgehen von K., um die Aufträge zu erlangen.

Zwischen dem Angeklagten und K. waren Provisionen für die Bauvorhaben H. -Stiftung und D. -Stiftung in Höhe von jeweils 5 % der Auftragssumme vereinbart. Die durch Schmiergeldzahlungen motivierte Auftragsvergabe an die G. KG unter bewusster Ausschaltung jeden Wettbewerbs hat das Landgericht als Untreue von Hi. und S. gegenüber der GWG gewertet, wobei es als Mindestschaden der GWG die mit K. vereinbarten Provisionen angenommen hat. Nach Auffassung des Landgerichts handelte es sich dabei um einen sachfremden Rechnungsposten, der bei wettbewerbskonformer Vergabe nicht in die Kalkulation der G. KG eingeflossen wäre und deshalb letztlich von der GWG nicht habe getragen werden müssen. Die Beteiligung des Angeklagten an dem Zustandekommen der beiden Auftragsvergaben hat das Landgericht jeweils als Anstiftung zur Untreue gewertet.

K. erhielt von dem Angeklagten Provisionen für das Projekt H. -Stiftung in Höhe von 1, 5 Mio. DM und für das Projekt D -Stiftung in Höhe von 1 Mio. DM. Die Zahlungsabwicklung erfolgte überwiegend über weitere Unternehmen, die der Verfallsbeteiligten entsprechende Scheinrechnungen ausstellten. Vorsteuerbeträge, die in den Scheinrechnungen ausgewiesen waren, machte der Angeklagte als Geschäftsführer der G. KG im Rahmen von Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 1996 bis 1998 geltend. Er erreichte auf diese Weise eine entsprechende Minderung der Umsatzsteuerzahllast bei der Verfallsbeteiligten um insgesamt etwa 280.000 DM.

Im Zusammenhang mit einem Grundstücksverkauf an die GWG im Rahmen des Projekts H. -Stiftung übernahm K. für die von ihm vertretene H. -Stiftung das Altlastenrisiko für die Beseitigung von Bodenkontaminierungen, die durch den früheren Betrieb einer Textilfabrik auf dem Grundstück entstanden waren. Als die G. KG bei den Grundstücksarbeiten tatsächlich auf erste Altlasten stieß und deren Beseitigung absprachegemäß der Ha. -Stiftung in Rechnung stellen wollte, sah K. eine weitere Möglichkeit persönlicher Bereicherung. Er erklärte sich gegenüber dem Angeklagten zur Übernahme der Kosten für die Altlastenbeseitigung nur unter der Bedingung einverstanden, dass die Rechnung um einen Betrag erhöht werde, der eine Zahlung von jeweils 100.000 DM an ihn und an den früher Mitangeklagten P, ein weiteres Vorstandsmitglied der H. - Stiftung, ermöglichte. Absprachegemäß rechnete der Angeklagte die Altlastenbeseitigung weit überhöht gegenüber der H. -Stiftung ab, während weit geringere Leistungen im Rahmen der Altlastenbeseitigung erbracht worden waren. Der H. -Stiftung entstand hierdurch ein Schaden in Höhe von etwa 560.000 DM. Das Landgericht hat die Beteiligung des Angeklagten als Beihilfe zur Untreue gewertet.

II.

Lediglich die Revision der Verfallsbeteiligten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die übrigen Revisionen sind unbegründet.

1. Revision des Angeklagten

a) Die Verfahrensrüge deckt, unabhängig von der Frage, ob sie zulässig erhoben ist (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), jedenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Auf der Nichtbescheidung des Beweisantrags auf Vernehmung der Zeugin V. kann das Urteil nicht beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO), weil Beweisthema und Beweisziel für die Entscheidung - auch hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs - ersichtlich ohne Bedeutung waren. Eine Beeinträchtigung des Informationsinteresses des Angeklagten oder seiner Verteidigung durch die Nichtbescheidung dieses Beweisantrags ist - auch unter Berücksichtigung des Verteidigervortrags in der Revisionshauptverhandlung - nicht ersichtlich.

b) Die Überprüfung des Urteils auf die allgemeine Sachrüge des Angeklagten ergibt keinen Rechtsfehler zu seinen Lasten. Der Erörterung bedarf insoweit lediglich Folgendes:

Zutreffend hat das Landgericht das Verhalten der früheren Mitangeklagten S. und Hi. im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe durch die GWG jeweils als Untreue angesehen (vgl. die Urteile des Senats vom heutigen Tage 5 StR 484/05 und 485/05). Den Tatentschluss zu diesen Untreuehandlungen hat der Angeklagte bei den beiden Geschäftsführern der GWG vorsätzlich durch die von ihm bewusst ermöglichten Schmiergeldzahlungen K. s und durch die eigene Beteiligung an der Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs im Zusammenhang mit den Auftragsverhandlungen hervorgerufen.

2. Revision der Staatsanwaltschaft

Die wirksam auf den Strafausspruch und die Nichtanordnung des Verfalls gegen den Angeklagten beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die von der Bundesanwaltschaft nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.

a) Das Landgericht hat, wie die Bundesanwaltschaft im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, jeweils die richtigen Strafrahmen gewählt und innerhalb der Strafrahmen die wesentlichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinreichend erörtert. Die verhängten Strafen lösen sich noch nicht von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein. Auf den Vergleich zu Strafen, die gegen andere Angeklagte in abgetrennten Verfahren verhängt worden sind, kann die Revision grundsätzlich nicht gestützt werden. Die Verhängung einer gesonderten Gesamtgeldstrafe neben der Gesamtfreiheitsstrafe nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB hält sich noch im weiten Ermessensspielraum des Tatrichters.

b) Das Landgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht von einer Anordnung des Verfalls gegen den Angeklagten abgesehen. "Erlangt" im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB ist bei der manipulativen Erlangung einer Auftragsvergabe entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht der vereinbarte Werklohn, sondern nur der wirtschaftliche Wert der Auftragserlangung, der sich vorrangig nach dem kalkulierten Gewinn bemisst (vgl. BGHSt 50, 299, 310 ff.). In diesem Umfang stehen jedoch - wie die Bundesanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat - Ansprüche der GWG gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB einer Anordnung des Verfalls (von Wertersatz) entgegen (vgl. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 Abs. 1, § 26 StGB). Nach den landgerichtlichen Feststellungen betrug der Gewinn der Verfallsbeteiligten bei den Projekten H. -Stiftung und D. -Stiftung insgesamt ca. 1,6 Mio. Euro.

Es ist nicht ersichtlich, dass der wirtschaftliche Wert des Auftrags wesentlich darüber hinausgegangen wäre. Der Angeklagte hat an die GWG bereits Schadensersatz in Höhe von über 2,7 Mio. Euro für sein Verhalten im Zusammenhang mit den Projekten H. -Stiftung und D. -Stiftung geleistet.

3. Revision der Verfallsbeteiligten

Die Revision der Verfallsbeteiligten hat Erfolg. Auch zu ihren Gunsten hindert der Vorrang der Verletztenansprüche gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aus den zu 2. b ausgeführten Gründen die Anordnung von Verfall oder Verfall von Wertersatz.

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 656

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2006, 338

Bearbeiter: Karsten Gaede