HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 536
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 36/05, Urteil v. 12.05.2005, HRRS 2005 Nr. 536
Die Revisionen der Angeklagten S R und P R sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. September 2004 werden verworfen.
Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel, die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten.
Das Landgericht hat die Angeklagten S und P R wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die hiergegen gerichteten, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben ebenso ohne Erfolg wie die zum Nachteil der Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die jeweiligen Rechtsfolgenaussprüche wenden.
Nach den Feststellungen betrieben die beiden Angeklagten seit Beginn des Jahres 2000 als Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen Kraftfahrzeughandel.
Sie erwarben im Inland gegen Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer hochwertige Personenkraftwagen, die sie sodann an ihre gewerblich tätigen Kunden in Italien verkauften. Ihre Ausgangsrechnungen stellten sie - in Absprache mit ihren Abnehmern - auf italienische Scheinkäufer aus, damit die in Italien anfallende Erwerbsumsatzsteuer verkürzt werden konnte.
In ihren eigenen monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen bis Juli 2003 und den Umsatzsteuerjahreserklärungen für 2000 bis 2002 erklärten die Angeklagten die entsprechenden Umsätze als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen im Sinne von § 4 Nr. 1 lit. b, § 6a UStG. Die ihnen bei Ankauf der PKW in Rechnung gestellte Umsatzsteuer machten sie jeweils als Vorsteuer geltend und verkürzten auf diese Weise Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt rund 1,7 Millionen €.
Sämtliche Revisionen bleiben erfolglos.
1. Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.
a) Angesichts der in der Hauptverhandlung abgelegten umfassenden Geständnisse der Angeklagten, die sie anhand von Urkunden und Schriftstücken erläutert haben, bedurfte es keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen in den Urteilsgründen. Insbesondere hat das Landgericht ausdrücklich festgestellt, daß die Angeklagten eingeräumt haben, ihnen sei "vor diesem Hintergrund auch klar gewesen, daß die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung der Lieferungen nach Italien nicht vorlagen und ihre diese Umsätze betreffenden Steuererklärungen und Voranmeldungen insoweit falsch waren".
Auch die Berechungsgrundlagen für den Hinterziehungsschaden sind im Urteil ausreichend dargetan.
b) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht den festgestellten Sachverhalt als gemeinschaftlich begangene Steuerhinterziehung in zehn Fällen gewürdigt.
aa) Ohne Rechtsverstoß hat der Tatrichter wegen der unzutreffenden Angaben der Angeklagten über die Empfänger der nach Italien verkauften Fahrzeuge keine innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne des § 6a UStG angenommen, die zur Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 1 lit. b UStG geführt hätte.
Für die Steuerbefreiung der Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ist nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG erforderlich, daß die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nachgewiesen sind. Dies muß durch entsprechende Belege buchmäßig leicht nachzuprüfen sein (§ 17a Abs. 1 Satz 2 UStDV). Zu den unabdingbaren Anforderungen, die nach der ständigen Rechtsprechung der Bundesfinanzhofs materiellrechtliche Voraussetzungen der Steuerbefreiung sind, zählen nach § 17c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UStDV auch der buchmäßige Nachweis des wirklichen Abnehmers und dessen richtige Umsatzsteueridentifikationsnummer (BFH/NV 2004, 988, 989).
Macht der Steuerpflichtige insoweit unzutreffende Angaben über den Abnehmer, ist schon allein deshalb keine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung gegeben (vgl. BFHE 199, 80, 83 f.; BFH/NV 2004, 988, 989).
bb) Mit der inhaltlich falschen Angabe des Abnehmers ist der Nachweis für eine innergemeinschaftliche Lieferung nicht geführt. Damit liegen die Voraussetzungen für eine steuerfreie Lieferung im vorliegenden Fall nicht vor. Es kann daher dahinstehen, ob die Lieferung der Fahrzeuge nach ihrem materiellen Gehalt die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung erfüllen könnte.
(1) Die hier zu beurteilende Fallkonstellation unterscheidet sich dabei ganz wesentlich von der Sachverhaltsgestaltung, die dem Bundesfinanzhof Anlaß gegeben hat, durch Beschluß vom 10. Februar 2005 (DStR 2005, 646) dem Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 3 EGV die Fragen vorzulegen, ob - erstens - die Finanzverwaltung die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung, die zweifelsfrei vorliegt, allein mit der Begründung versagen darf, der Steuerpflichtige habe den dafür vorgeschriebenen Buchnachweis nicht rechtzeitig geführt, und es - zweitens - hierbei darauf ankommt, ob der Steuerpflichtige zunächst bewußt das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung verschleiert hat.
(2) Die dort für die Vorlage maßgebliche Frage war, inwieweit aus Gründen der Verhältnismäßigkeit allein der fehlende Nachweis nach § 4 Abs. 1 lit. b i.V.m. § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG der Steuerbefreiung entgegenstehen dürfe. Dabei war aber entscheidend, daß das Gesamtgeschäft an sich steuerehrlich aufgebaut war, weil lediglich aus Gründen des Gebietsschutzes formal ein Strohmann zwischengeschaltet wurde. Im vorliegenden Fall hingegen waren die falschen Angaben über den Abnehmer gerade darauf gerichtet, dem tatsächlichen Abnehmer eine Besteuerung der angekauften Fahrzeuge zu ersparen. Die insoweit unzutreffenden Angaben sollten den tatsächlichen Abnehmer verdecken und ihm so ermöglichen, die von ihm geschuldete Erwerbsumsatzsteuer hinterziehen zu können.
Entgegen der Auffassung der Verteidigung wird damit den Angeklagten nicht der Vorwurf einer Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung in Italien gemacht, weshalb auch dahinstehen kann, ob eine Hinterziehung italienischer Umsatzsteuer nach § 370 Abs. 6 AO in Deutschland strafbar und von der Anklage im hiesigen Verfahren überhaupt umfaßt ist. Ein Bezug zur italienischen Umsatzsteuer entsteht im vorliegenden Fall allein dadurch, daß eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in Deutschland nur dann vorliegt, wenn die tatsächliche Lieferung nach Italien ordnungsgemäß belegt ist. Die Nachweispflichten schützen nämlich nicht nur das Umsatzsteueraufkommen des Mitgliedstaats, aus dem ausgeführt wird, sondern auch das Umsatzsteueraufkommen des Mitgliedstaats, in den eingeführt wird. Durch entsprechende gemäß § 18a UStG im Inland gesammelte Mitteilungen ist aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 des Rates vom 27. Januar 1992 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung (ABl. EG Nr. L 24 S. 1) eine Kontrollmöglichkeit geschaffen worden, die den italienischen Finanzbehörden die Durchsetzung der Umsatzsteuerpflicht bei innergemeinschaftlichen Lieferungen gegenüber dem Abnehmer erleichtert (vgl. FG Rheinland-Pfalz DStRE 2005, 212, 213). Dies ist erforderlich, weil nur so die durch den dritten Erwägungsgrund der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (ABl. EG Nr. L 145 S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) geforderte Neutralität des gemeinsamen Umsatzsteuersystems gewahrt werden kann, denn anderenfalls hätten Abnehmer in ihrem Staat durch faktisch umsatzsteuerfreie Fahrzeuge erhebliche Wettbewerbsvorteile.
Insoweit dient die Nachweispflicht - neben der Sicherung des Umsatzsteueraufkommens in dem anderen Mitgliedstaat - auch der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen auf den nationalen Teilmärkten des gemeinsamen Marktes. Deshalb soll der Lieferant jedenfalls dann nicht in den Genuß der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach § 4 Nr. 1 lit. b i.V.m. § 6a Abs. 1 UStG kommen, wenn er seine steuerlichen Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt, weil dann auch die Besteuerung in dem anderen Mitgliedstaat nicht gesichert ist. Dem Schutzgut der (umsatzsteuerneutralen) gleichen Wettbewerbschancen entspricht es, den Lieferanten jedenfalls dann zu belasten, wenn die Besteuerung des Abnehmers durch einen unzureichenden buchmäßigen Nachweis gefährdet erscheint.
cc) Vor diesem Hintergrund sind auch die Verhältnismäßigkeitsüberlegungen zu sehen, die den Bundesfinanzhof im Anschluß an eine Entscheidung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2003 (ÖStZB 2004, S. 547) zu der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof veranlaßt haben. In den dort entschiedenen Fällen stand die ordnungsgemäße Besteuerung der materiell innergemeinschaftlichen Lieferung - ungeachtet der Mängel in der Nachweisführung - nicht in Frage. Dagegen war im hier zu beurteilenden Fall der Fehler in den buchmäßigen Aufzeichnungen beabsichtigt und das Mittel, eine den innergemeinschaftlichen Wettbewerb verzerrende Steuerverkürzung im Mitgliedstaat des Abnehmers herbeizuführen.
Es besteht deshalb kein Anlaß für die hier zu beurteilende Fallkonstellation von dem Grundsatz abzuweichen, daß ein in der Falschbezeichnung des Abnehmers liegendes Fehlen des Nachweises einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht zur Steuerbefreiung führt. Die Bestimmungen in Art. 28c Abschnitt A und B der Sechsten Richtlinie geben den Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, Regelungen zu treffen, die der Verhütung von Steuerhinterziehungen dienen. Die Nachweispflichten des nationalen Umsatzsteuerrechts füllen diesen Regelungszweck aus. Da sich eine Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens innerhalb der Europäischen Gemeinschaft tatsächlich auch realisiert hat, besteht im Hinblick auf den auch gemeinschaftsrechtlich zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kein Raum für eine einschränkende Auslegung der Nachweispflichten für innergemeinschaftliche Lieferungen. Insoweit ist die Rechtslage eindeutig. Deshalb scheidet eine - von der Verteidigung hilfsweise beantragte - Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 3 EGV aus, weil keine klärungsbedürftige Rechtsfrage vorliegt.
2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind ebenfalls unbegründet.
Die Strafzumessung weist keinen Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil der Angeklagten auf, der das Revisionsgericht nötigen könnte, die rechtsfehlerfrei begründeten, wenngleich milden Strafen zu beanstanden. Der Generalbundesanwalt, der die Revisionen der Staatsanwaltschaft nicht vertritt, hat in seinem Terminsantrag im einzelnen zutreffend darauf hingewiesen, daß die Rechtsfolgenaussprüche sich insgesamt im Rahmen des dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsspielraums halten.
[Redaktioneller Hinweis: Zur richtlinienkonformen Auslegung vgl. auch Gaede/Mühlbauer Wistra 2005, 19 ff.]
HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 536
Externe Fundstellen: NJW 2005, 2241; StV 2005, 498
Bearbeiter: Karsten Gaede